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Kapitel 2

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Mit dem Jungen an der Hand überquerte die Johansen den Deich. Torsten trug einen leichten Campingbeutel an einem Schulterriemen. Die Großmutter schleppte einen Koffer. Auf der Deichkrone blieb sie, stehen und blickte zurück; bis zum Horizont sah sie kurze, heftig aufschäumende Wellen mit leuchtend weißen Kämmen. Das Meer zeigte sich in abgestuften Blau- und Grüntönungen, als bildete es seine Bodenstruktur nach oben ab.

»Das haben wir gut abgepaßt«, sagte sie befriedigt, während sie an der Hand des Jungen zog. Sie fühlte, daß diese Hand willenlos war, ihr durchaus nicht vertrauend.

Sie rüffelte den Jungen: »Wissen möchte ich, was mit dir plötzlich los ist. Was haben sie dir eingeredet?«

»Sie haben mir nichts eingeredet.«

Rüstig zugehend, ab und zu grüßend, ohne sich aufhalten zu lassen, erklärte die Johansen: »Du bist acht Tage weg gewesen; ohne dich habe ich mich einsam gefühlt. Daher habe ich unser Haus von oben bis unten sauber gemacht, du wirst staunen. Heutzutage halten die Frauen solche Arbeit für unter ihrer Würde. Ich finde, man nimmt immer neu in Besitz, worum man sich sorgt, und ich habe festgestellt, daß es doch ein hübsches Haus ist. Dein Großvater hat es gekauft und umgebaut. Das alles erwies sich später als weit vorausschauend. Wie du weißt, sind wir aus der Heimat vertrieben worden und fanden hier eine Zuflucht. Sie hob den Koffer an. Was haben sie dir denn bloß eingepackt? Ich hatte doch deutlich gesagt, ich will das nicht. Ich kauf dir hier, was du brauchst. -Ja, das Haus, groß ist es nicht, aber trotzdem wollten sie mir immer Leute hineinsetzen. Ich möchte doch sehen, ob man mir gegen meinen Willen fremde Menschen hineinsetzen wird. Eher zünde ich das Haus an.«

Angesichts dieser Energie kam Torsten auf ihre Bemerkung zurück, er habe ihr gefehlt: »Ich habe mich ohne dich auch einsam gefühlt, Oma.«

Aber ihre Gedanken waren nicht stehen geblieben, diese Bemerkung erreichte noch ihr Ohr, nicht aber ihr Herz.

»Wir werden es uns nachher gemütlich machen, erst frühstücken wir ordentlich, dann, wieder pendelten ihre Gedanken zu den zurückliegenden Ereignissen zurück, jedenfalls bist du ganz anders wiedergekommen, Torsten.« Sie ahnte, daß er litt, andererseits ging ihr das Gefühl für diesen labilen Kummer ab, wie sie übrigens eigenes Leid auch nur selten zur Schau stellte. Sie zog es vor, einsam zu leiden, eine Selbstquälerei, die sie seelische Stärke nannte.

»Dort ist unser Haus«, sagte sie mit der tiefen Befriedigung des Heimkehrenden, der alles vorfindet, wie er es verlassen hat.

Das Haus hatte einen gegiebelten Eingang, links und rechts rankte sich Efeu empor, vermischt mit wildem Wein. Vor den niedrigen, fast quadratischen Fenstern des Erdgeschosses standen Bauernrosen und Malven, zartrosa, violett. Kletterbohnen wanden sich um dünne Stangen. Hinter dem weißen Lattenzaun befand sich eine dichte, rechtwinklig geschnittene Hecke. Im Vorgarten blühten noch Rosen und schon Dahlien einer Zwergsorte, die Frau Johansen bevorzugte.

Wohnräume und Küche nahmen das untere Stockwerk ein. Darüber lagen mehrere kleine Kammern, zwei davon mit Fledermausfenstern. Die mittlere Stube, über dem Eingang, hatte jedoch ein normales Fenster. Früher war das weit heruntergezogene Dach mit Schilfstroh gedeckt gewesen. Später wurde das alte Stroh durch Ziegel ersetzt, graue, Biberschwänze, die auch schon wieder Moos ansetzten.

Hinter dem Haus, von ihm verdeckt, lag ein großer Obstgarten, und ein hölzerner, mit Teerpappe gedeckter Schuppen stand dort. Kieloben auf zwei Böcke gelegt, faulte ein Boot seit Jahren vor sich hin. Über die hintere Gartentür führte ein schmaler Weg zu einer sumpfigen Wiese, durchsetzt mit Schilf, Ried und Wiesenschierling; der Weg führte weiter hinunter zum Bodden.

Torsten ließ mit einem Ruck den Campingbeutel fallen und rieb sich die schmerzende Schulter.

»Nun«, sagte die Johansen, »so schwer ist der Sack wohl nicht gewesen. Ich hatte es schwerer, und ich bin nur eine Frau.«

»Ich bin bloß ein Kind«, entgegnete Torsten, aber die Johansen ließ sich auf keine weitläufigere Erörterung dieser Frage ein. Sie schloß schweigend die Haustür auf. Drinnen war es dunkel und eng, es roch muffig. Ehe die Johansen etwas anderes tat, öffnete sie Türen und Fenster und legte die Sperriegel vor.

Der Sturm ließ die Bäume aufrauschen, und die Johansen sagte überzeugt: »Dein Onkel ist doch ein tüchtiger Mann, das muß ich schon sagen. Er hat uns zur rechten Zeit abgesetzt, auch diesen Sturm hat er vorhergesehen. Jetzt ist er draußen in Wind und Wetter, aber es wird ihm nichts ausmachen.« Sie zog dem Jungen den Mantel aus und hängte ihn weg.

Das Kind maulte: »Der ist eben schon ein Mann.«

»So ist es«, sagte die Johansen, »und komm mir nicht immer damit, du seist nur ein Kind, wenn dir etwas mißfällt. - Ich muß freilich einräumen, daß dein Onkel es nicht weit gebracht hat. Noch ist zwar nicht aller Tage Abend, und ein Johansen hilft sich aus dem Schiet, aber der Tag ist für Richard schon weit vorgeschritten. Es wird Zeit, daß er etwas für sich tut. - Wollen wir nun essen?« Sie selbst wollte essen, sie fühlte nach der Seereise einen wilden, unkörperlichen Hunger. Ihr schien, sie hatte eine wichtige und schwere Sache erledigt, sich Torsten zurückgeholt, eine kräftezehrende Anstrengung, die den Wunsch rechtfertigte, sich wie ein Wolf vollzustopfen:

»Ich will nichts.« Torsten ließ sich lang auf das Sofa fallen. Noch während sie den Jungen auszog und ihn zudeckte, war er unter ihren großen Händen eingeschlafen. In aufflammender Besitzgier, seit Tagen unterdrückter Liebe, umarmte sie das schlafende Kind so heftig, daß es noch einmal erwachte und sie kräftig wegschob.

»Langsam, kleiner Satan«, sagte sie wie erleichtert.

In der Küche machte sie sich ein Frühstück, vom Essen hätte sie jetzt keinerlei Rührung abhalten können.

Spätsommer

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