Читать книгу Einführung in die Christologie - Helmut Hoping - Страница 20
f) Christologie als Bekenntnis zu Jesus dem Juden
ОглавлениеAus Martin Luthers bekanntem Satz, „dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ (WA 11, 314–336), erwächst für den evangelischen Theologen Friedrich-Wilhelm Marquardt († 2002) die Aufgabe, die „Christologie als christliches Bekenntnis zu ‚Jesus, dem Juden‘ zu formulieren“ (Marquardt/28: Bd. 1, 89). Marquardts zweibändige Christologie „Das christliche Bekenntnis zu Jesus dem Juden“ (1990–1991) kann nicht ohne seine „Prolegomena in die Dogmatik“ verstanden werden. In ihnen formuliert Marquardt seine Vorbehalte gegenüber dem bisherigen „Werk der Theologie“ und die Anforderungen an eine Theologie nach Auschwitz ohne jeden Antijudaismus (Marquardt/419: 53–147). Programmatisch für die Christologie Marquardts ist das Motto von Joh 4,22: „Das Heil kommt von den Juden“ (98).
die Messianität Jesu als Verheißung
Thema der Christologie ist für Marquardt das christliche Bekenntnis zu Jesus dem Juden, nicht zu Jesus dem Christus, da dieser grundsätzlich verwechselbar ist und die christologische Frage so lange als offen zu betrachten sei, wie Gott sie nicht selbst beantwortet hat (Marquardt/28: Bd. 2, 25). Bis dahin bleibt der Theologie nur die Sprache der „Verheißung“, nicht der „Erfüllung“ (102). Marquardt bestreitet nicht die Messianität Jesu. Doch angesichts des jüdischen Neins zur Messianität Jesu ist es für Marquardt eine durchaus offene Frage, „inwiefern denn alle die großen Namen Israels auf Jesus überhaupt angewendet werden können“ (389). Maß für das christliche Bekenntnis zu Jesus als Messias Israels ist Israel und sein Nein zur Messianität Jesu. Die Juden sind „die Urteilsinstanz, wo es um ihre Erwartungen geht“ (390). Marquardt wendet sich deshalb gegen die Bezeichnung Jesu als „Messias Israels“ (214–217).
kollektive Sohneschristologie
Von Hans Urs von Balthasar (Balthasar/344: 83) übernimmt Marquardt als Programmwort für seine Christologie die Rede von Israel als „formaler Christologie“ (Marquardt/29: Bd. 2, 52). Allerdings definiert Marquardt Christologie als „Lehre von der Gemeinschaft Gottes mit der um Israel versammelten Menschheit“ (33). „Jesus heißt ‚Sohn Gottes‘: wie Israel – in gleicher innerer Bindung Gottes an beide, beider an Gott“; „Gott ist ‚in Jesus‘, wie er zugleich in Israels Mitte ‚wohnt‘ und ‚zeltet‘: Immanuel – Gott mit uns“ (53). Wie Gott Israel als sein „Zeichen“ inmitten der Völker leben lässt, so auch Jesus als sein „Wort“ an alle (ebd.). Orientiert am Gesetz des pars pro toto, des biblischen Stellvertretungs- und Repräsentationsgedankens, entwirft Marquardt eine kollektive Sohneschristologie des Volkes Gottes, um Jesus und Israel „in ihrer gemeinsamen Gottessohnschaft christologisch zu bedenken“ (99).
„Sohn Gottes“, das ist „keine in Gott zu suchende oder zu setzende Hypos tase“ (28: Bd. 2, 100). Als von Gott erwähltes Volk ist Israel „Sohn Gottes“, Jesus von Nazareth als Angehöriger dieses Volkes ein Repräsentant dieser Sohnesbeziehung, ein exemplum des Volkes. „Christologisch bedeutsam“ ist deshalb nicht nur Israel als die „natürliche Umgebung Jesu Christi“ (Karl Barth), sondern auch das Judentum in der Lebendigkeit seiner geschichtlichen Existenz (237). Nicht exklusiv, sondern exemplarisch erscheint Jesus bei Marquardt als das fleischgewordene Wort Gottes. „Gott ist ‚in Jesus‘, wie er zugleich in Israels Mitte ‚wohnt‘ und ‚zeltet‘: Immanuel – Gott mit uns“ (53). Nicht Israel, sondern allein die Gojim bedürfen Jesus als des Retters.
Einung zwischen Gott und Mensch in Israel
Die Fleischwerdung des Wortes ist in Analogie zum „Wohnen“ und „Zelten Gottes“ inmitten seines Volkes zu verstehen, weil die neutestamentliche Verkündigung in der „Fluchtlinie“ (28: Bd. 2, 117) des sich in „Wort“ und „Leib“ der Propheten „verleiblichten“ Wortes Gottes an Israel liegt (116–135). Marquardt bringt die Fleischwerdung des Wortes Gottes (Joh 1,1.14) allerdings in die Schwebe, wenn er von einer „Gestalt“ spricht, in der sich Gott uns zuwendet, von einer „Dabeiseinsweise Gottes“, nicht einer „Seinsweise seiner selbst“ (112f.). In Jesus ereignet sich die „Einung zwischen Gott und Mensch in Israel“, doch sie ist nicht jene „Einheit, von der das christologische Dogma spricht“ (130). Für Marquardt steht Jesus „unter gleicher Sendung wie Israels Propheten. Gott ist in ihm gegenwärtig, wie er je zu zelten verheißen hat unter Israel inmitten der Völker. Er leidet als einer von ihnen, und Gott leidet in ihm, wie er in jedem Leiden Israels sonst leidet: wesensbetroffen“ (134).
In Jesu Leben, Leiden und Wirken hat das Leiden einen „Namen“ bekommen. „Das ist Jesus für Israel: Er dient Israel darin, daß Gott durch ihn Antwort der Völker auf das Leiden des Volkes der Gottesknechte bewirkt“ (28: Bd. 2, 134). „Jesus als Messias Israels“, dies ist für Marquardt als „eine Hoffnung zu denken, die wir Israel schuldig sind“ (217). Als „promissio“ steht sie unter „eschatologischem Vorbehalt“. Mit dem „eschatologischen Vorbehalt“ ist mehr gemeint als das noch ausstehende Kommen des schon Gekommenen. Jesus ist nicht im Sinne einer „Erkenntnis“ des Glaubens als „Messias Israels“ zu beanspruchen. Nicht in seiner „Person“ ist Jesus der von Israel Erwartete, sondern mit Blick auf seine „Werke“ und die damit verbundenen Hoffnungen, denn was Israel erwartet, kann nur Israel sagen. Israel aber vermag in der Person Jesu den Erwarteten nicht zu erkennen. Ihn als den von Israel Erwarteten positiv zu beanspruchen ist uns deshalb nicht erlaubt (389).
kein identifizierendes Sprechen von Jesus als wahrem Gott
Die Gemeinschaft von Gott und Jesus denkt Marquardt von der Zeitlichkeit Jesu her als des Kommenden, Gehenden und Bleibenden. Vom Gekommensein und Kommen Jesu her denkt er die Einheit Jesu als des einen, der für uns starb, von seinem Gehen sein wahres Menschsein und von seinem Bleiben schließlich, aufgrund der Auferweckung zu neuem Leben, das wahre Gottsein Jesu. Allerdings geschieht dies nicht im Sinne des identifizierenden Sprechens von Jesus als wahrem Gott (vere Deus). Gegenüber der Zwei-Naturen-Christologie des Konzils von Chalzedon zeigt Marquardt vielmehr kritische Reserven (28: Bd. 1, 169; 28: Bd. 2, 37f.), obschon diese, worauf im jüdisch-christlichen Dialog heute verstärkt hingewiesen wird, keine Vermischung Gottes mit der Kreatur lehrt, sondern den einen Christus „in zwei Naturen unvermischt“.
Das trinitarische Bekenntnis der Kirche versteht Marquardt „als den Nachvollzug der biblischen Erwählungsverkündigung in den Denkbildern des Heidentums“ (29: Bd. 2, 432): „Daß Jesus von Nazaret mit dem Denkbild des ‚ewigen Sohnes‘, der ‚zweiten Person‘ der Trinität, bezeugt wurde, hatte in der Hauptsache den Sinn, vom Leben dieses Juden aussagen zu können, dass es Gott in seinem tiefsten Inneren, ihn in sich selbst, berührt, betrifft, bewegt, angeht – wie es umgekehrt sagen wollte: Dieser Jude lebt von Hause aus in seinem tiefsten Inneren berührt, betroffen, bewegt, angezogen von dem Gott Israels.“ Gleichwohl sei „in Gott der Grund“ zu suchen und zu denken für das, „was er auf Erden bewirkt“ (433).
Israel als Gegenstand der Christologie?
„Die österliche Teilgabe von Gottesleben an den toten Jesus ist weltliche Zeitigung jener ewigen Zeitigung, die in der inneren Lebensteilnahme von Gott und Jesus längst wirklich ist. Die Teilgabe bezeugt die Teilnahme“ (433). Der „Paradigmenwechsel“, vom „Bleiben“ des zum Leben erweckten Jesus her die Gemeinschaft von Gott und Jesus zu denken, führt dazu, zwar vom „Wahren an Gott in Jesus“ (28: Bd. 2, 436) zu sprechen, nicht aber von Jesus als „wahrem Gott“ (435), obschon dies von den zeittheologischen Überlegungen, die bislang keine andere Christologie so genau entfaltet hat, nicht notwendig erscheint. Die kritische Reserve gegenüber dem vere Deus (Henrix/353: 152) resultiert vielmehr daraus, dass die Christologie auf die „Lehre von der Gemeinschaft Gottes mit der um Israel versammelten Menschheit“ zurückgenommen und damit letztlich Israel zum Gegenstand der Christologie gemacht wird (Körtner/357: 359).