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Nach dem Tag
ОглавлениеZum Brückenbau der Versöhnung
Ich lass dich nicht allein zurück. Zusammen nehmen wir den Zug zum Himmel, dann bist auch du die Schmerzen dieser Erde los. Ich verberge sie vor deinen Augen, die sich mit Freude füllen werden.
Ja ich fühle es, es wird mir schwer, ich gäbe viel, doch nicht gleich das ganze Leben, mit dem ich nach dem besseren Morgen strebe. Ferne Gedanken trugen mich durch die Nacht, wer war’s, der mich führte so weise und so sacht?
Habe erkannt, dass es mit dem Denken nicht geht, das zu kurz und zerreißlich ist für die Dinge des Lebens, wenn etwas klar und haltbar zu machen ist. Ich wanke und atme mit der Unsicherheit, vor der mir graute im Zweifel der Jahre.
Dabei werden die Nächte kälter und länger, dass sich Eisblätter an die Scheiben hängen und die Sicht durchtrennen und trüben. Schwer schneidet der Pflug die harte Scholle, der Hengst zieht das Gerät mit Gehorsam und Schweiß.
Das ist, was ich meine, wenn du vom Gehorsam sprichst, dem ich zu folgen nach Kräften mich bemühe. Doch suche ich nach dem Boden der Gerechtigkeit, auf den alle den Anspruch zum Leben haben, wenn sie im guten Glauben darauf barfüßig stehen und im Fleiß der Bescheidenheit mit den Händen wirken.
Chor: Aus Weltenfernen betrat der Mensch den Planeten Erde, dass mit Formungskräften aus ihm etwas Großes werde. Doch mit all den Zeiten und den Zeitenwenden und dem Drang nach Reichtum und Macht wich der Geist mit der Festigkeit des Glaubens und stellte den Menschen ans bodenlose Fass des Raubens.
Ein Mensch: Dafür gibt es den Beweis: Der münzbeschwerte Mensch bricht ein auf dem sicher geglaubten Eis und verliert mit den Münzen auch sein Leben. So ist das, was für ihn wichtig war, ins Nichts zerronnen wie beim Wasserfall, bei dem nichts bleibt auf größere Dauer.
Anderer Mensch: Der Erbauer ist’s, der die Grenzen setzt, bei denen sich der Mensch so oft und schwer verschätzt, was Grund gibt für die schweren Zeiten mit den Kriegen, Hungersnöten und den Engen in den Weiten, dass nun der Mensch nicht ein noch aus noch gerade sieht, um zu verstehen, was vor ihm unmittelbar geschieht.
Chor: Groß ist der Erbauer von Raum und Zeit, Da geht das Licht in Dimensionen der Ewigkeit, was nicht heißt, dass der Mensch zu klein und ängstlich ist, wenn er ehrlich und mit Anstand seine Arbeit tut. Ihm ist in der Schöpfung die Mitte zugewiesen, die mit Achtung und Weisheit zu füllen die Aufgabe bleibt.
Ein Mensch: Willst du das Werk errichten und dazu Worte der Erklärung dichten, dann tu es in der Sprache der Eltern, die dich nährten, wuschen und erzogen und für dich erwogen, dass dein Leben in den gesungenen Liedern wandelt und in der Freude des Seins zum Lichte des Wachsens hebt, denn du sollst dich als Geschenk der Schöpfung begreifen.
Du magst denken und dabei den Sternenhimmel abfahren, doch mit dem Denken allein fallen dir die Begriffe nicht zu. So nimm und halte die Ruh, denn das Verstehen des Großen wächst mit dir und das in der universalen Stimmung, die als Harmonie dir die Geborgenheit bis in den innersten Kern und die unumstößliche Sicherheit im Ein und Aus der Atmung gibt.
Kinder: Macht es leicht und erfinderisch wie im Spiel, bringt einander und uns zum Lachen, das ist dann viel im Gang der Erkenntnis mit schwingenden Armen und Beinen, was die Jahre bringen und auch nehmen mal laut mal still. Die Leichtigkeit des Spiels bewegt stärker die Welt im Innersten, aus der heraus das Schöpferische wie der Lebensquell entspringt.
Wir machen es im Purzelbaum und das auf engstem Raum, wir ziehen Kreise mit und um die alten und neuen Freunde, die sich in der Heiterkeit finden und die Schwere des Schmerzes teilen. Wir eilen und beeilen uns zur Gemeinsamkeit des Seins, beginnen zu reden über die Bindungen von Erfahrung und Wert bis zu den Vorbildern von Menschen, die die Wahrhaftigkeit ehrt.
Chor: Ihr ruft, doch ruft mit Anstand und Erwartung, wenn es Kinder mit den reinen Herzen sind. Ihr ruft, dann ruft mit Stimmen der Höhen und Geduld, wenn es Menschen sind, die sich krümmen unter anderer Menschen Bosheit, Frevel und Schuld, denn Getretene sind aus den Wunden herauszuheben.
Seht, da kommen Kinder mit Greisengesichtern hervor, die sich mit letzten dünnen Fäden am Leben halten. Gestalten sind’s, die das Licht des Tages nicht mehr kennen und sich in engen Löchern vor harten Schlägen drücken, deren Wände mit Schmerz und Verlorenheit zerbissen sind, weil es die Erde ist, die ihnen das sichere Leben verwehrt.
Und hört, wie sie keuchen mit jedem Atemzug der Strengung, wenn sich Kinder aus den Löchern ziehen und daneben legen. Mager und gemergelt sind die Körper, und durch die Stille schrillt der Schrei des letzten Blutes und der Verzweiflung, weil der Atem, der den schwachen Anfang genommen hat, nun droht, das Leben auszuhauchen und endgültig zu verwehen.
Deshalb sind Gesänge und Rufe am Morgen dann die letzte Warnung, wenn Kinder und Zertretene in die Löcher zurückgestoßen werden oder in ihrer unsäglichen Schwachheit wie von einem Windstoß zurückrollen und hineinfallen, manchmal mit dem Kopf nach unten. Der Weg des Lebens ist jedem anders vorgegeben, der einzuhalten ist, egal von welcher Seite zu kommen und der Weg zu gehen ist.
Zwei magere Menschen: Hier können wir nicht bleiben, seht uns an, denn hier gibt weder gutes Licht noch genügend Nahrung, und das Wasser, das wir trinken, schmeckt faulig und nach Chlor. Kinder kommen als abgemagerte Greise entgegen, und die Alten blicken und sprechen kindlich verloren daher, dass den Lebenden die Regeln von Wachstum und Vergänglichkeit abhandengekommen sind.
Es geht alles durcheinander, wie alles den Maßen der Natur entflieht ob beim Waschen der Körper oder dem Säubern von Charakter und Geist. Menschen schweigen sich aus im Aussprechen ihrer Nöte und Sorgen der schlaflosen Nächte mit leeren Mägen bis zum grauenden Morgen.Was gestern noch war, ist längst vergangen und lässt sich nicht borgen weder heute noch morgen, das sehen die ermüdeten stumpffahlen Augen.
Ein Mensch: Das sehe ich auch so, dabei ist mein rechtes Auge schon blind, blind geworden nach einem Schlag, also der unnatürlichen Blindheit, wenn ich aus dem Erdloch schaue und meine eigene Welt erbaue, die ich mit meinen Händen greife, ohne dass sie für andere fassbar ist. Diese Welt streckt sich nach den Seiten, aber nicht in Höhen aus, denn die Beben aus den Tiefen dauern an und werden immer starker.
Zwei magere Menschen: Da bekommen die Werker mit Köpfen und Händen ein Übermaß an Arbeit, die sie über die Jahre des Lebens binden, ohne dass sie in diesen Jahren die Ruhe der Erholung finden, die sie brauchen, um zur Stärkung an der Friedenspfeife zu rauchen beziehungsweise Zug um Zug dem Frieden der Verständigung näher zu kommen. Das ist, wonach Menschen sich neben der Scheibe Brot am meisten sehnen.
Fluten kommen und verschwinden, auch die, die nicht aus Wasser sind, es sind Fluten von Bewegungen greifender Hände und eilender Füße, die einen schieben und stoßen und die anderen werden geschlagen und gestoßen, ohne dass ein organisierter Widerstand der verspäteten Verteidigung aufkommt. Es ist schon unglaublich, was sich Menschen an Arroganz erlauben und die andern schweigend erdulden und sprachlos tragen und erleiden.
Ein Mensch: Ich sah Kinder mit nur einem Auge und fehlenden Fingern an zwei Händen, sah alte Menschen und Frauen mit Kindern vor der letzten Wand, die dort fielen und ihr Leben verloren, allesamt regungslos am Boden lagen, ohne dass da noch ein Wort oder Aufschrei kam oder sonst eine Klage. Was wir leben, denken und erkennen, genau kann ich es nicht sagen, da müssen wir schon mehr wissen oder Menschen mit Erfahrung fragen.
Chor: Fragen müssen wir, doch dazu braucht’s den Mut schon dann, den Mund überhaupt aufzutun und den Menschen mit Erfahrung anzusprechen, was er von seinem Leben und dem Leben aller in diesen Tagen hält, wenn die Lebenskosten über die Maßen der Vernunft steigen und manche den Irrsinn des Überlebens mit dem Vogel am Kopf zeigen, dass es noch mehr Missverständnisse gibt, als das gesunde Verständnis erlaubt, wenn im Zähler die Dinge schwinden und verschwinden und der Nenner überwichtig wird und pathologisch zu den Sternen schielt und wächst.
Drei magere Menschen: Deshalb stehen wir hier, weil es den Zufall nicht gibt, dass Züge entgleisen, weil die Weiche falsch für die Kurve statt für’s Geradeaus gestellt ist. Menschen, die zu Schaden kommen, haben es nicht geahnt und nicht vorhergesehen, wer dafür schuldig ist, ist eine Frage, deren Antwortfaden sich in die Länge zieht, je länger die Frage betrachtet und besprochen wird. Augen auf hat nur dann Sinn, solange die Sehkapazität nicht geschwunden ist. Genauso ist es mit dem Hören, wenn es noch Ohren ohne die komplette Taubheit gibt.
Ein Mensch: Anders ist es mit der Magerkeit. Sie ist kein primäres Phänomen, sondern ein sekundäres Ergebnis, wenn es zu wenig oder kein Essen gibt. Das Besondere dabei ist, dass es in der Magerkeit zwar Ähnlichkeiten, aber keine absoluten Gleichheiten gibt, weil es neben der mageren Masse arbeitender Menschen immer noch fette Kreaturen mit vorgewölbten Bäuchen und Gesäßen gibt, die dieses Format mit wenig oder ganz ohne physische Arbeit erzielen und mit einer Beständigkeit halten, die die Massen der Mageren ins Staunen der Sprachlosigkeit versetzt.
Drei magere Menschen: Ja, das mit dem Hungern tut weh. Da schlägt im Fleischlichen die Schwäche der Schwachheit durch, dass die Schwingen des Lebens zur Erfüllung des Seins gar nicht ausgreifen, sondern veröden und verkrüppeln.
Anderer Mensch: Und wie steht es mit den Werten wie den geistigen zu den Lebzeiten des Menschen? Denn nur fleischlich, so darf sich das menschliche Sein nicht verkrümmen.
Drei magere Menschen: Wenn der Hunger uns quält, dann gleiten die geistigen Werte an uns vorbei, weil wir sie nicht fassen können. Es stimmt, das Leben wird noch ärmer, als es so schon ist. Dort, wo Freiheit und Würde des Menschen abgeschnitten sind, hat das Leben seinen eigentlichen Sinn hohen Wert verloren. Es ist das Opfer, das wir zu bringen haben, weil wir dem System des Unrechts und der Unterdrückung widerstanden. Wir sind Todeskandidaten, denen die Hinrichtung gegeben ist. Es ist die Frage der Zeit, dass die Hälse gedrosselt werden, um uns die Atemluft zu nehmen, nachdem so vieles schon genommen ist und wir im Schmerz ersticken.
Chor: Rufe aus der Ferne, hoch leuchten uns die Sterne, der Frieden bahnt sich seinen Weg herab in unsere Zellen, verteilt den Gnadengruß in den großen leere Kellen, dass der Anfang neu genommen wird, dem das Ende hier voranzugehen hat. Darum legen wir mit dem Leben ab auch unsere Angst, damit der Baum die neuen Zweige treibt, die als unsere Kinder in die bessere Zukunft streben und das mit unverbrauchter Kraft, die Neues aus der Freiheit schafft.
Die Rufe kommen näher mit dem, was die Sehnsucht nährt. Es ist das Brot des Lebens, das Hoffnung und Willen stärkt, das Gute zu erfahren und zu erkennen, dass das Wesen es merkt im Kern des Keimlings auf den fruchtbaren Feldern der Gestaltung. Stille hebt an und breitet sich aus nach dem Geschrei der Nacht, dass es den Schlaf nicht gab bei der Folter von Seele und Sein. Wachet auf und seht ins andere Licht eines völlig anderen Morgens, der nun in euch abhebt und euch wegträgt in das All des Friedens.
Rufe, die aus größten Tiefen kommen, wenn es draußen stöhnt benommen, Rufe, Rufe durch und über alles, was den Menschen macht und wieder nahm. So hört und schweigt, es geht um mehr, ums Höchste geht’s an diesem Tag, der nicht umsonst verklingen oder gar vertauben darf in einer Zeit, die voll Leid und Armut, geplagt von Hunger, Unrecht und Einsamkeit ist. Es wird sich formen die neue Welt mit Freundlichkeit für Kinder und die Alten, dass das Leben in Freiheit und Verantwortung die Würde dem Menschen gibt, um zu verstehen, was sich über die Grenzen der Zeit erhebt und aus ihnen befreit.
Es ist die Welt der globalen Erwärmung, in der die Herzen vor Kälte erstarren, es ist der Stand der Dinge aus den Jahrhunderten des falschen Verstehens der geistigen Fragen und Auflagen entgegen den materiellen Häufungen, das für die Wenigen, während die Vielen weiter verarmen und in den Tiefen des Elends vegetieren, weil es in der Güterverteilung die Gerechtigkeit nicht gibt. Was kann da noch helfen, wenn seit Generationen die Weckrufe nicht gehört oder überhört und gar nicht verstanden, geschweige beherzigt werden, wenn der Glaube ans Gute stirbt und die Taten des Bösen sich verdichten.
Ein Mensch: Ich sage doch, allein lass ich dich nicht zurück, zusammen nehmen wir den Zug zum Himmel, dann sind wir das Gewimmel vor den Drähten und Mauern los, und auch du fühlst die Befreiung vom Schmerz mit Freude.
Denn hier ist es um Recht, Würde und Freiheit schlecht bestellt, solange Menschen aus Menschen ihren Profit und Luxus ziehen. Die leeren Mägen knurren, und die laufenden Motoren surren, komm, wir steigen ein und fahren mit bis ans Ende der Welt.
Du denkst noch nach, seit Mitternacht lieg ich wach im Schweiß der beißenden Sorge um dich, um uns, ums ganze Volk in den Eisen, was glüht und schneidet, sticht und sprengt und sich in die Wahrheit sengt, die es doch nicht gibt, solange einer sich in andere Köpfe schiebt.
Du siehst mich an, als würdest du es nicht glauben. Wartest du noch darauf, dass andere dir den guten Verstand rauben? Wir müssen uns eilen, der Zug fährt ab, und das tut er gleich, komm, gib mir die Hand zur letzten Reise in das andere Land.
Wir haben uns verstanden und gehen Hand in Hand mit dem Wenigen, das wertvoll und uns geblieben ist. Wir gehen und sehen nach vorn und nicht zurück, das Leben hat es gelehrt, dass hinter uns liegt das zerschlagene Stück.
Wir eilen, so gut wir es noch können, denn verpassen wollen wir nicht, wenn die Fahrt losgeht und uns mitnimmt aus den drückenden Engen heraus und dorthin bringt, wo die Räume weit, ja grenzenlos sind im gleißenden Licht, dass wir hinaussehen und den großen Überblick endlich bekommen.