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Kinder- und Jugendjahre

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Ich bin Samuel, nenn mich Sam, und habe die ersten Schuljahre hinter mir. Ich muss sagen, dass das Leben anders ist, als ich es erwartet habe. Die ersten Jahre der Kindheit waren die besten, denn ich wuchs in einer Familie mit zwei Geschwistern auf, die mir den Schutz der Geborgenheit und genug zu essen gab, dass ich mich nicht zu fürchten hatte. Von den Geschwistern war das Mädchen älter und der Bruder jünger. Wir verstanden uns gut und teilten die Freuden im Spiel und am Mittagstisch und auch die Sorgen, wenn einer gefallen war und sich stärker verletzt hatte, dass die Wunde blutete und von der Mutter gesäubert, desinfiziert und verbunden wurde. Neid, wenn einer mehr als der andere hatte, gab es nicht. Es wurde darauf geachtet, dass die Wahrheit gesagt wurde und einer dem andern vertraute.

Ich heiße Alfeus und bin ein Jahr jünger als Sam und komme aus einer Familie mit vier Kindern, in der der Spargeist darüber wachte, dass keiner dem andern etwas wegaß, was ihm nicht gehörte. Keiner sollte hungern, solange es genug zu essen gab, und keiner sollte sich überessen. Es musste gespart werden, weil der Vater seit über einem halben Jahr keine Arbeit hat und die Mutter mit ihrer Putzarbeit in der Sparkasse das Geld nach Hause bringt, dass es mit der Sozialhilfe bei Einhaltung der strengen Sparsamkeit zum Überleben reicht. Auch in meiner Familie vertraut einer dem andern aufs Wort und steht einer für den andern ein, wenn er in eine Notsituation geraten ist, was das Geldproblem einschließt, wenn einer das Geld nicht pünktlich zurückzahlen kann, das er sich gepumpt hatte.

Samuel: Dann kommst du aus einer guten Familie, in der einer dem andern hilft, wenn es nötig ist. Die Sparsamkeit ist der Hinweis, dass das Geld nicht vom Himmel fällt und schwer erarbeitet werden muss, solange einem der Arbeitsplatz nicht weggenommen wird.

Alfeus: Das sagst du richtig. Mein Vater ist ein fleißiger Mann, dessen Zuverlässigkeit in all den Jahren hoch geachtet wurde. Dass er den Arbeitsplatz verlor, ist nicht seine Schuld. Das alles hat mit dem Kapitalismus zu tun, der Ursache der Umstrukturierung im Betrieb ist. So erklärt es mein Vater jeden Tag, der unter der Verlustsituation leidet, wenig isst und an Körpergewicht verliert.

Samuel: Ich kann dich gut verstehen und deine Familie tut mir leid, weil ihr unverschuldet in die existenzielle Bedrängnis geraten seid, die bis zum Tisch mit dem Essen reicht. Ich hoffe für dich und deine Familie, dass dein Vater bald wieder eine Arbeit findet, die ihn zufrieden stellt und seinen Appetit nach oben bringt.

Alfeus: Für dein Verständnis danke ich dir. Doch sag, wie geht es in der Schule? Ich frage deshalb, weil mich Klassenkameraden hänseln, weil meine Haut nicht weiß und meine Nase nicht so lang und dafür breiter ist.

Samuel: Das tut mir doppelt leid, dass zum Problem mit der erhöhten Sparsamkeit das Schulproblem dazukommt, das doch ein Rassenproblem ist, weil du anders als deine Klassenkameraden aussiehst. Sag, wie verhalten sich die Lehrer?

Alfeus: Die sind soweit in Ordnung bis auf einen jungen Lehrer, der mich Plattnase nennt und damit ein anhaltendes Gelächter in der Klasse auslöst. Er unterrichtet die Muttersprache nach dem Buch, also unpersönlich und langweilig.

Samuel: Der ist doch ein Idiot. Ich meine, wenn er die Muttersprache, die die Sprache der hier lebenden Menschen unterrichtet, dann sollte er den nötigen Respekt vor den Menschen haben und sie mit ihren Namen anreden und nicht mit solch abfälligen Spitznamen belegen, die nicht zum besseren Verständnis miteinander führen.

Alfeus: Das denke ich auch, und dabei fallen die Diktate bei mir besser aus als bei denen mit den schmalen Langnasen. Die anderen Lehrer sind freundlich und erkennen die guten Leistungen an.

Samuel: So ein Fehlverhalten habe ich von deinen Mitschülern nicht und am wenigsten von dem Sprachlehrer erwartet, denn so ein Verhalten ist schädlich und kann dich aus der Klassengemeinschaft ausschließen, was du aufgrund deiner sympathischen Erscheinung und guten schulischen Leistungen nicht verdienst.

Alfeus: Ich muss sagen, dass ich dieses Verhalten auch nicht erwartet habe. Alle können es doch sehen, dass ich ein Mensch bin trotz der dunkleren Haut und der kürzeren Breitnase. Die Eltern sollten es ihren Kindern gesagt haben, dass sich die Menschen äußerlich voneinander unterscheiden und trotzdem derselben Menschheitsfamilie angehören. Ich habe gedacht, dass die Kinder das wissen, bevor sie in die Schule gehen.

Samuel: Meine Eltern haben selten von den Unterschieden aber oft von den Gemeinsamkeiten der Menschen gesprochen und uns Kinder gelehrt, dass wir jeden Menschen mit Achtung zu betrachten und zu begegnen haben, wie wir das von jedem Menschen uns gegenüber auch erwarten. Denn jeder Mensch ist Teil der großen Familie und hat ihr gegenüber seine Verantwortung zu tragen und am Fortbestand dieser Familie seinen Beitrag mit Fleiß und Ehrlichkeit zu bringen.

Alfeus: Ich höre die Bildung heraus, die in deiner Familie auf einem hohen Stand ist. Da sind die Probleme, wie sie in der Schule sind, von vornherein ausgeräumt. Zu solchen Eltern kann ich dir nur gratulieren, wo die Menschlichkeit ein festes Fundament bekommen hat und das Wissen vom Menschen soweit fortgeschritten ist, dass es ein großes Geschenk ist, in so eine Familie hineingeboren zu sein. Mein Glückwunsch gilt dir und deiner Familie und kommt tief aus meinem Herzen.

Samuel: Danke! Diese Botschaft nehme ich gerne an, denn ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass ich unter ihrer Anteilnahme und Führung aufwachsen und in ihrer Herzlichkeit mich entfalten und entwickeln kann. Das ist nicht überall üblich, dass das Kind Im inneren Frieden und im Hochstand der Bildung und Freiheit aufwächst.

Alfeus: Es ist auch nicht so, dass alle Kinder das erkennen und ihren Dank den Eltern für die besonderen Kostbarkeiten zollen.

Samuel: Weil es in vielen Familien die gegenseitige Anteilnahme mit dem befreienden Gespräch nicht gibt, dass sich die Kinder vernachlässigt und verloren fühlen und die Familie als Schutzburg der Geborgenheit und Entfaltung der jungen Persönlichkeit nicht erleben und diesen entscheidenden Mangel für die weitere Entwicklung letztlich gar nicht vermissen.

Alfeus: Und der Lehrer in der Schule ist nicht dazu da, das Kind zu erziehen und es auf den richtigen Weg zu bringen.

Samuel: Nein, für die Erziehung des Kindes sind die Eltern zuständig, die das Kind in die Welt gebacht haben. Die Aufgabentrennung von Erziehung und Schule muss eingehalten und zum Wohle des Kindes erfüllt werden. Da hilft nicht das Meckern und das Nörgeln und das Wegschieben der Verantwortung auf die Schultern des Lehrers, wenn es um die Erziehung des Kindes geht.

Alfeus: Es stimmt. Doch gibt es Mütter, die dem Lehrer den Vorwurf machen, dass ihr Kind die Hausaufgaben nicht ordentlich macht und in den schulischen Leistungen nachgelassen hat. Sie erklären das Problem, ihr Kind beim Erledigen der Hausaufgaben nicht beaufsichtigen zu können, damit, dass sie berufstätig und der Ernährer der Familie seien, weil der Vater des Kindes arbeitslos geworden ist.

Samuel: Wie wuchtig das Dasein mit seinen Engen und Zwängen auf die Familien einschlägt, wenn der Haupternährer, was normalerweise der Vater ist, den Arbeitsplatz verliert und arbeitslos auf der Straße sitzt.

Alfeus: Ich denke, das versteht auch der Lehrer, denn die Arbeitslosigkeit ist ein allgemeines soziales Problem, dessen Ursache die Verschiebungen sind, die aus dem System des Kapitalismus mit seiner ständigen Profitgier hervorgehen.

Samuel: Es gibt keinen Grund, dass der Lehrer das existenzielle Problem der Massenarbeitslosigkeit nicht verstehen sollte. Nur ist er, und das verstehen diese Mütter nicht, mit seiner Lehrtätigkeit bis an den Rand seiner Leistungsfähigkeit gefordert, dass ihm die zusätzliche Erziehungsarbeit am Kind nicht zugemutet werden kann.

Alfeus: Wie gesagt, die primäre Verantwortlichkeit für das Kind haben die Eltern zu tragen. Daran lässt sich nichts wegdeuteln, so schwer die Erziehungsarbeit an ihrem Kind auch sein mag unter den besonderen Umständen der Zeit.

Samuel: Ich gebe dir Recht, und die Zukunft wird, was die Arbeit und die Arbeitslosigkeit angeht, so, wie ich es verstehe, nicht leichter werden.

Alfeus: Es sei denn, das ganze System des Kapitalismus würde umgestülpt und durch ein anderes System ersetzt werden.

Samuel: Der Sozialismus wäre ein schlechter Ersatz, wie es sich völkerweise gezeigt hat, weil der Mensch in seiner Moral anfällig ist und sich auf anderer Menschen Kosten zu bereichern sucht.

Alfeus: Und auf die schamlose Weise sich bereichert hat und idas in skrupelloser Weise, wenn er die Höhen des runden Tisches der maßgebenden Funktionäre erklommen hat.

Samuel: Dabei ist der Sozialismus in der Theorie nicht schlecht. Doch hat der Karl Marx die Schwächen des Menschen nicht ins Kalkül gezogen.

Alfeus: Du meinst, dass der Mensch generell Probleme hat, wenn es an das Teilen geht.

Samuel: Mit einer Ausnahme, wenn es um die Arbeit geht, da passen alle genau auf, dass die Verteilung gerecht erfolgt. Das ist schlagartig anders, wenn es zum Verteilen der Nahrungsmittel und der Vorteile durch die Arbeit kommt.

Alfeus: Hat sich denn an der gespaltenen Moral bis heute etwas geändert? Ich frage deshalb, weil Menschen sagen, dass sich die Situation des Lebens gebessert habe, dass sie froh sind, in dieser Zeit zu leben.

Samuel: Andere sagen es anders, sie sprechen von der guten alten Zeit, als die Menschen die Moral hochhielten und es im Leben friedlicher und gerechter zuging. Sicher hat die Unterschiedlichkeit mit den persönlichen Situationen zu tun, ob jemand im Wohlstand oder in der blanken Armut lebt.

Alfeus: So wie ich den Menschen im Alltag antreffe und erlebe, ist es für mich schwer vorstellbar, dass der Mensch in seiner Moral anderen Menschen gegenüber jemals besser war und in Zukunft besser werden könnte.

Samuel: Das verstehe ich. Nur wenn es zum Motiv seiner Unehrenhaftigkeit im Teilen kommt, dann werde ich unsicher, ob es die reine Profitgier mit dem Anhäufen der materiellen Güter ist oder die Angst vor dem Verhungern mit dem sozialen Abgleiten der Kinder und dem Rest der Familie. Was für mich feststeht, ist das menschlich Unmoralische des Kapitalismus, der auf die Menschen in Armut und auf die Randschichten der Gesellschaft keine Rücksicht nimmt, die bereits im Elend mit dem Mangel an Nahrung und dem Fehlen von sauberem Trinkwasser leben.

Alfeus: Und das trifft auf viele Menschen zu, die es zum gesunden Leben nicht schaffen, deren Frauen und Mädchen durch Prostitution das Geld zum Überleben der Familie mit ihren Kindern beschaffen.

Samuel: Es schmerzt, wenn man bedenkt, dass der Mensch den Körper zum Kauf anbietet und dabei seine Würde Stück für Stück verliert, bis er schließlich verloren auf dem Bürgersteig liegt und unter der Brücke mit seiner letzten Habseligkeit übernachtet und auf das große Wunder wartet, unter der Brause mit guter Seife den Körper zu waschen, eine richtige Mahlzeit am gedeckten Tisch einzunehmen und im Bett auf einer guten Matratze zu schlafen.

Alfeus: Da gebe ich dir Recht, und wenn man es bis dahin schafft, dann sieht das Leben wieder rosiger aus. Ich verstehe aber jene Menschen nicht, denen es gut geht und weder auf dem Bürgersteig liegen noch auf den Schlafplatz unter der Brücke angewiesen sind, dass sie undankbar sind und mit neuen Forderungen den Menschen in den Ohren liegen.

Samuel: Der Mensch kann das Klagen nicht lassen. Er ist vom Wahn befallen, dass es ihm immer noch besser gehen muss, während um ihn herum die nackte Armut haust und die Menschen dünne Arme und Beine haben und mit eingefallenen Wangen herumlaufen.

Alfeus: Der Mensch, der Mensch, fast schlägt’s mir ins Gesicht mit seinen Klagen, seinen Krallen und dem bloßen Rohgewicht.

Samuel: Wie anders könnt es sein in den Dörfern und den Städten, wenn sich Menschen zur Hilfe stellten, Menschen aus der Not zu retten.

Alfeus: Dann muss der Mensch gebildet sein, um es zu sehen, wie ängstlich Mütter mit Kindern und erbärmlich die Alten gehen.

Samuel: Die Zeit wird auf die Augen schlagen und auf Seelen lasten, wenn Menschen durch Gier sich überheben und andere durch die Tage fasten.

Alfeus: Für jeden hält der Tag das Brot und Wasser zum Leben bereit, das ist’s, wofür Mütter bitten, wenn das Kind im Schmerz des Hungers schreit.

Samuel: Es ist die Bildung, die aus dem Tal nach oben kommen muss, damit es mehr Brot und sauberes Wasser für alle gibt. Schluss muss sein mit der Gewalt, ehrt den Menschen in seiner Gestalt, der sich in Taten bemüht zum Wohle für Jung und Alt.

Alfeus: Der Mensch, der Mensch, er hört das Wort, nun läuft er und bringt Hilfe zum rufenden Ort.

Samuel: So bekommt das Leben den höheren Sinn, dass Menschen spüren den höheren Gewinn.

Alfeus: Es ist die Hilfe, die Mütter mit ihren Kindern tröstet.

Samuel: Es sind die Kinder, die dem Helfer entgegenlaufen mit erhobenen Armen und rufenden Stimmen des Dankes.

Alfeus: Möge das Leben in Richtung der wahren Menschlichkeit gehen.

Samuel: Ja, in die richtige Richtung sollen die Augen sehen.


Der Mensch

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