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II
ОглавлениеDas Abenddunkel hatte sich kaum seit einer halben Stunde über die engen Straßen verbreitet. Mutter Smet, des Schornsteinfegers ehrbare Ehewirthin, saß an einem Tische, beschäftigt, beim Schein einer kleinen Lampe die wollenen Strümpfe ihres Pauw zu stopfen.
Ihr Anzug war nicht nur sauber, sondern auch kostbarer als es ihr Stand sonst mitzubringen schien; denn obgleich sie sich in ihrer Wohnung befand und an jenem Abende nicht mehr auszugehen gedachte, trug sie ein rosenfarbenes Mieder mit kleinen Blumen, einen wollenen Calamankrock mit samtenem Saumstreifen und einer schneeweißen Flügelhaube.
In ihrem Gemüthe jedoch schienen düstere, herabstimmende Gedanken auf- und abzuwogen, denn öfters unterbrach sie ihre Arbeit und ließ auf ihren Gesichtszügen einen Ausdruck bitteren Grames wahrnehmen.
»So werden stets die armen Menschen, die eine Erbschaft zu machen haben, betrogen,« murmelte sie endlich vor sich hin. »Diese klugen Herren wissen es immer so künstlich anzufassen, so listig zu wenden und zu drehen, bis über dem Streiten die rechtmäßigen Erben von hinnen geschieden, und dann stecken die Schelme den Nachlaß in ihren eigenen Sack. Wenn ich noch daran denke! Der alte Maurer Kobe in der Winkelstraße . . . hunderttausend Gulden sollte der erben, Alles war schon abgemacht und in Ordnung . . . und da schicken sie ihn so lange von Pontius zu Pilatus, daß er am Ende in seiner Bodenkammer hat Hungers sterben müssen. Ein halbes Jahr darnach wurde die Erbschaft unter vier vornehme Herren vertheilt, die von Allem die Hülle und Fülle besaßen, und wohl das beste Theil von dem, was dem armen Kobe zukam, ist an den Fingern der Herren Advokaten hängen geblieben . . . Aber mich sollen sie nicht in der Weise daran kriegen. Sollte es mich den letzten Stüber kosten, wissen muß ich, was aus dem Nachlasse meiner Frau Tante in Holland geworden ist. – O, dieses ehrliche Diebsgesindel!«
Bei diesen Worten trat ihr Mann ins Zimmer, blies das Lümpchen, das er in der Hand hielt, aus, stellte es auf einen Kasten und blieb mit gekreuzten Armen seiner Frau freundlich zulächelnd stehen.
Er hatte sein Gesicht gewaschen und seine Kleider unterschieden sich nicht mehr von denen jedes andern Bürgers seines Standes, der im Begriff steht, Abends sein Schüppchen in Gesellschaft der Freunde zu leeren.
»Da habe ich eben droben auf dem Speicher den Ratten keinen schlechten Fraß vorgebrockt!« rief er. »Rathe einmal, Trese, was ich gethan habe?«
»Oh laß mich in Ruhe,« erwiderte griesgrämisch die Frau. »Zehn Jahre sind’s schon, daß du den Ratten ihren Todesteig bäckst; sie treiben’s nur um so ärger: laß nur etwas auf dem Boden herumliegen, und wäre es dein Rußsack, des andern Tages sollst du sehen, wie gemüthlich sie sich’s haben schmecken lassen!«
»Ja, was kann ich dazu; ich kann doch nicht gegen die Ratzen der ganzen Stadt zu Felde ziehen? Dies raubsüchtige Völkchen ist zu beständig auf der Wanderschaft und schleicht ruhig und ungehindert fort durch Pfützen und Ritzen; das zahlt ja keinen Miethzins, und wo es ihm einmal behagt, da läßt es sich ruhig nieder. Ich habe dir aber eben eine erwischt, Trese, eine kohlschwarze mit einem Schwanz, aus dem du dir leicht ein Paar Strumpfbänder hättest schneiden können . . . Aber, Frau, es sitzt dir heute die Haube wieder etwas schief auf dem Kopfe; was ist dir abermals in die Quere gekommen? Will es denn kein Ende nehmen mit den sauren Gesichtern?«
– »Ich mache ein Gesicht, wie es mir ansteht.«
– »Um so schlimmer, daß du es absichtlich machst. Den ganzen Tag hab’ ich’s gar wohl gemerkt, daß du dir einen Dorn in den Fuß getreten hast. Ich wollte wetten, es spukt dir wieder im Kopfe von Advokaten, von deiner holländischen alten Muhme, von Erbschaft, von Goldtönnchen und anderen Luftschlössern?«
– »Das sind nicht deine Sachen. Misch dich daher lieber nicht darein!«
– »Sieh, Treschen, laß mich dir einmal etwas sagen: aber in vollem Ernst, ohne Lachen.«
– »Ohne Lachen; das bist du nicht im Stande, Spaßvogel.«
– »O gewiß bin ich’s; höre nur. Wir leben nun, wenn mir recht ist, etwa fünf und zwanzig Jahre zusammen; nächstes Jahr am heiligen Johannistage feiern wir ja unsere silberne Hochzeit. Die ganze Zeit hindurch hast du mit Advokaten zu thun gehabt, Todten- und Taufscheine zusammengetrieben . . . und jeden Monat einige blanke Thaler den schwarzen Männern von der Justiz zu gesteckt. Wenn alle diese kleinen Sümmchen nun beisammen lägen, so machte das meines Bedünkens schon ein hübsches Stück Erbschaft aus, denn es gehen gar viele Monate auf fünfundzwanzig Jahre. Bis hierher habe ich mich ganz still dabei verhalten und dich gewähren lassen; aber jetzt ist Alles so teufelstheuer geworden, daß es Zeit wäre, ein bisschen klüger zu werden. Die Kartoffeln kosten ja, weiß Gott, fast zwei Franken die Metze; das Fleisch ist so hoch gestiegen, daß wir für den Preis eines gefegten Kamins gerade so viel bekommen, daß jeder ein winziges Stückchen auf sein Brod zerbröckeln kann, – und gar das Brod, das liebe Brod!«
– »Geh’ doch! Was liegt dir daran, was das Brod kostet!« scherzte Frau Smet. »Wenn nur das Bier nicht aufschlägt . . . «
– »Nun ja, so lange es geht, und sollten auch die Portionen noch dünner werden, bin ich nicht Willens, mich darüber abzuhärmen, lieb’s Mütterchen. Fröhlichkeit ist auch gutes Brod! Aber du bringst mich aus meinem Text. Was ich sagen wollte, ist dieses: du träumst den ganzen lieben Tag von lauter Tanten und Onkeln und von ungeheuern Erbschaften, die sie dir zufallen lassen sollen. Ich bitte dich, laß doch einmal diesen Quark fahren; denn es wird von Tag zu Tag bunter, und ich fürchte, es kommt dir noch gar der Rappel in den Kopf; und vor lauter holländischen Onkeln und Tanten kannst du am Ende deine Tage im Narrenhause beschließen . . . «
Die Frau stand auf und antwortete mit bissigem Lächeln: »Was man doch Alles ·von seinem eigenen Mann anhören muß! Glaubst du vielleicht auch, wie die andern, daß ich von gemeiner Familie herstamme?«
– »Gar nicht, Frauchen; ich glaube vielmehr, daß du aus guter ehrbarer Familie stammst, aus der Familie nämlich des Peter und des Paul und des Michel. Dein Vater besaß ja bekanntermaßen einen Trödlerladen; freilich, an hielt ihn für reich – um seiner Habsucht willen; aber als er plötzlich hinstarb, wurde vergebens nach klingender Münze gesucht und wir erbten nichts weiter als unser bescheidenes Häuschen. Und das war auch im Grunde genug. Deine Nichte trägt Citronen zu Kauf, deine Muhme plagt sich um altes Eisen und zernagte Knochen, und der Sohn deines Onkels ist Mitglied der hochlöblichen Feuerlöschmannschaft. Gute, brave und redliche Leut, das muß man sagen . . . aber daß ihnen viel Fett von den Fingern tropft, das, gestehe es selbst, ist eben auch nicht wahr.«
– »Wer spricht aber auch von meiner Familie in Belgien? – In Holland da giebt es der Van der Bergen die Menge.«
– »Und Jansens noch mehr. Schon fünf und zwanzig Jahre her suchst du unter allen Van der Bergen, ob keiner zu unserer Familie gehöre, und dieses Spiel hat dich bereits um, ich will nicht sagen wie viele Gulden ärmer gemacht. Lauter eingebildetes Zeug. Der Mensch fleht immer das, wonach ihn gelüstet. Geh nur einmal an das Werft bei der Scheide, wenn der Wind weht da richte deine Augen nach den treibenden Wolken: Was willst du sehen? Einen Reiter hoch zu Pferd? Napoleon? Einen Riesen? Eine Kutsche mit vier Pferden? Einen Drachen mit sieben Köpfen? Du brauchst nur zu wünschen und es steht vor dir da. Ja so ist es mit dir, Trese: du hast ein wahres Marionettenspiel in deinem Kopfe!«
Die Frau setzte sich wieder und sagte mit ernst bedächtiger Miene:
– »Sonderbar, wie du heute so fest auftrittst; es will mich fast bedünken, als ob du diesen Nachmittag bei unserem Advokaten gewesen seist. Der Schelm nämlich, nachdem er mich zwei Jahre lang an der Nase herumgeführt und manchen Gulden mir abgeluckst hat, für Siegel, Papiere und Documente, und das weiß ich Alles noch, sagt mir heute rundweg ins Gesicht, daß unsere Familie zwar groß, aber aus lauter armen Leuten bestehe. Indem er mir den ganzen Plunder Briefe, den er in Händen hatte, zurückstellte, ersuchte er mich freundlichst, ihn fortan mit meinen Besuchen zu verschonen!«
– »Nun, das heiße ich einen braven rechtlichen Advokaten: Er hätte dir ja noch manchen Gulden entlocken können, aber als ein ehrlicher Mensch will er dich nicht um dein Geld bringen und erteilt dir lieber kostenfrei einen guten Rath. Dergleichen Advokaten sind dünn gesät, wenigstens wie mir die Leute versichern, denn ich selber kann darüber nicht urteilen, und wenn diese Herren von meinem Gelde zehren müßten, dann würden sie nicht viel Butter für ihr Brod zu streichen bekommen.«
Dieses Gespräch schien der Mutter Smet den Gram, der sie den ganzen Tag über gedrückt hatte, etwas benommen zu haben, und mit erleichterter Brust sagte sie:
– »Sag was du willst, aber ich werde doch noch einmal reich, ehe ich mein Haupt niederlege. Ich bin aus guter Familie und früher oder später muß ich zu einer Erbschaft gelangen . . . Diese Nacht noch hat es mir geträumt, ich hätte einen Klumpen Gold, groß wie unsere Thürschwelle, gefunden . . . «
– »Wirklich?« rief lachend der Schornsteinfeger, »dann kannst du gewiß sein, daß du noch lange zu warten hast! hättest lieber von Spinnen träumen ollen, denn die bedeuten Geld . . . «
Plötzlich ließ sich draußen vor der Stiege ein Getöse vernehmen.
– »Was mag das sein?« fragte Smet horchend.
– »Nun, hörst du’s nicht?« spöttelte seine Frau, »die Ratzen klettern vom Boden herab, um dich recht auszulachen für den herrlichen Schmaus, den du ihnen gekocht hast.«
– »Das wäre doch wirklich ein Wunder,« murmelte Baes Smet; »hab’ doch alle Löcher und Spalten mit Kalk und Glassplitter zugestopft! Ich will einmal sehen . . . Es kann höchstens eine gewesen sein; denn es ist wieder alles still.«
– »Aber Smet,« begann auf’s Neue die Frau, »wenn wir so plötzlich einmal reich würden, was würdest du anfangen?«
– »Um Gottes Willen, Trese, schweig doch endlich einmal mit diesem unausstehlichen Liede von Erben und Reich sein. Wir sind ja wahrhaftig nicht übel daran. Schenkt uns der liebe Gott nicht täglich unser Brod und mir noch obendrein einen Schoppen Bier in heiterer Gesellschaft von Freunden; was sollten wir noch mehr wünschen?«
– »Nun, wenn du trotzdem unversehens ein reicher Mann würdest?«
Smet besann sich eine Weile und antwortete dann:
– »Was ich thun würde? das weiß ich meiner Treu selber nicht. Doch scheint mir, ich würde vor Allem unser Haus neu anstreichen und auf unser Aushängeschild die Worte malen lassen: Zum vergoldeten A. B. Zweitens würde ich für den Winter vier Schinken auf einmal kaufen. Drittens . . . nun a, was drittens? . . . vier Sack Kartoffeln und sechs Viertel Kohlen schenkte ich der armen Witwe, drüben in der Straße, mit ihren unglücklichen Kindern. Viertens würde ich für unsern Pauw ein hübsches Haus kaufen und bei seiner Hochzeit mit Käthchen einen Brautschmaus halten, daß man noch auf dem Juwenberg den Geruch davon haben sollte.«
– »Und das ist Alles? Wäre wohl der Mühe werth, reich sein zu wollen!«
– »Nun, mehr fällt mir grade in diesem Moment nicht ein. Mit einem Worte, ich würde davon leben und die Freunde leben lassen.«
– »Und würdest dabei noch Schornsteinfeger bleiben?«
– »Wie fragst du?«
– »Ob du noch ferner Schornsteinfeger bleiben würdest?«
– »Das heißt, ich würde . . . zu meinem Vergnügen . . . Schornsteine fegen.«
– »Oh, du unschuldiger Hungerleider,« kicherte die Frau.
– »Was sollte ich denn sonst mit meiner Zeit anfangen?« fragte Baes Smet. »Denkst du, ich würde den ganzen Tag zu Hause hocken wollen. Sage mir aber nun du selber, was du thun würdest, wenn uns vom Himmel ein Schatz in den Schoß fiele?«
– »Oh, so viel weiß ich, daß ich ihn vernünftiger anwenden würde; bin ja von guter Familie!« frohlockte die Frau. »Ein großes Haus auf dem Kipdorp der auf dem Meirplatz würde ich mir kaufen; eine Kutsche und vier Pferde alten und für den Winter einen Schlitten, Kleider von Seide und Sammt würde ich anschaffen, einen Muff und einen Boa . . . «
– »Was sagst du da? Einen Boa? Was ist das für ein Ding?«
– »Ein Pelz, den die vornehmen Damen um den Hals tragen.«
– »Ah, so einen Schwanz von einer wilden Bestie?«
– »Ei, das thut gar wohl und nimmt sich herrlich aus! Dann würde ich Diamanten auf der Brust, an den Ohren und Fingern tragen, und hinten an einem Kleid eine Schleppe, wie die Königinnen in der Komödie – und überall, wo ich ginge, müßte ein Bedienter hinterdrein troddeln du weißt, so ein Kerl mit einem gelben Frack und einer goldenen Tresse um den Hut . . . dann käme ich jeden Tag hier durch die Straße, um die Spezereihändlerin vor Ärger und Neid bersten zu machen . . . «
– »Höre auf, Frau, ich bitte dich!« rief der Kaminfeger, »sonst berste ich selber vor Lachen. Seh’ mal einer Madame Smet, die Frau Kaminfegerin, wie sie über die Straße einherstolzirt mit einem Schleppkleid, einem Ochsenschwanz um den Hals und einem langen Bengel von Kanarienvogel hinter sich. Wenn du nicht dran bist, den Rappel zu bekommen, dann gebe ich’s auf und du kannst mich selber ins Narrenhaus schicken, denn das ist gewiß, eins von uns hat einen Riß im Gehirn! . . . Aber höre doch, was das wieder für ein Treiben droben ist. Wahrhaftig, selbst die Ratzen lachen dich aus!
– »Geh doch hinauf, Smet; das wird am Ende gar zu bunt. Mache lieber die Löcher wieder auf; denn seit du den Ratzen deinen Possen gespielt hast, sollte man glauben, es hätten sich alle aus der Nachbarschaft ihr Stelldichein bei uns gegeben.«
Der Kaminfeger folgte der Aufforderung seiner Frau, steckte das Lämpchen an und griff nach einem alten verrosteten Säbel hinter dem Kasten.
– »Ich will sie gehörig aus ihren Nestern herausrisseln,« sagte er. »Leg mir einstweilen einige Centen zurecht, denn ich gehe gleich nachher aus, mein Schöppchen zu trinken.«
Mutter Smet blieb eine ziemliche Weile unten und horchte auf das Gepolter, das ihr Mann oben auf dem Boden anstellte, indem er mit dem Säbel auf den Brettern herumschlug.
Bald jedoch trat völlige Stille ein und die gute Frau gerieth auf’s Neue in wohlthuende Träumereien von seidenen Kleidern, diamantenen Ohrringen, von Bedienten mit reich betreßtem Hute. Ein süßes Lächeln erglänzte auf ihrem Antlitz, während sie so behaglich ihren Reichthumsgedanken nachhing, und wohl nickte sie zuweilen mit dem Kopfe, als bestätigte ihr Geist die Wahngebilde ihrer verzückten Phantasie.
Endlich hörte sie die Treppen knirren unter dem Tritt ihres Mannes; mit Verwunderung bemerkte sie, daß dieser im Dunkeln die Stiege heruntertappte.
– »Ist dir die Lampe ausgegangen?« rief sie. Der Kaminfeger indessen antwortete nicht, sondern schwankte schweigsam die Stufen herunter und nahte sich ihr. Der Angstschweiß lief ihm vom bleichen Gesicht und er zitterte am ganzen Leibe.
Die Frau stieß einen Schrei des Entsetzens aus, stand auf und rief ihm zu:
– »Gott, wie ist dir? Was hast du gesehen? Einen Dieb? Ein Gespenst?«
– »Schweig, Frau, und laß mich zu Athem kommen!« murmelte dumpf Meister Smet.
– »Um’s Himmels Willen, sprich doch?« jammerte die Frau; »du sagst mir eine Todesangst durch alle Glieder!«
– »Still, Trese; sprich leise, es darf uns Niemand hören.«
Hiermit trat er näher hinzu und flüsterte ihr in’s Ohr:
– »Trese, liebe Trese, dein Traum ist wahr geworden: einen Schatz, einen großen Schatz hab’ ich eben gefunden!«
– »O du Armer!« seufzte schmerzvoll die Frau. »Er ist wahrhaftig von Sinnen!«
– »Nein, nein; nur keinen Lärm oder wir sind verloren,« bat Smet fast außer sich vor der Gewalt seiner Empfindungen.
– »Nun, so sprich doch einmal; was ist vorgefallen?« wiederholte die Frau.
– »Einen Schatz, sage ich dir, habe ich gefunden, so wie dir in der vorigen Nacht geträumt hat.«
– »Einen Klumpen Gold!«
– »Nein, einen Sack voll Geld; Beides, Gold und Silber. Komm, nimm die Lampe; ich will ihn dir zeigen.«
Die Frau fing gleichfalls an zu zittern und blaß zu werden; denn es schien ihr nunmehr, daß ihr Mann wirklich mit voller Besinnung gesprochen. Doch bei all ihrer Verwirrung schwebte noch ein fieberhaftes Lächeln um ihre Lippen.
Ihrem Manne auf dem Fuße nachfolgend, sprach sie ängstlich.
– »Ich bitte dich, Smet, täusche mich nicht; denn wenn es nicht wahr ist, so könnte der Schreck darüber wohl tödtlich für mich werden.«
– »Schweig, sage ich,« flüsterte ihr Smet zu, indem er die Bodentreppe hinaufstieg; »du wirst uns am Ende noch gar verrathen!«
– »Aber wie und wo hast du den Fund gemacht?« fragte die Frau mit etwas gedämpfter Stimme.
Baes Smet blieb stehen, als wollte er die Neugierde seiner Frau befriedigen, noch ehe sie den Schatz selber gesehen.
– »Du hast doch wohl gehört, Trese,« sprach er, »wie ich droben mit meinem Säbel rumort habe. Als ich nämlich auf den Boden kam, sah ich zwar keine Ratzen mehr; aber bei dem Herumschlagen sprangen noch zwei aus einer Ecke hervor. Sie krochen mir an den Beinen vorüber und verschwanden am Mittelbalken, auf dem das Dach ruht. Da trat ich mit dem Lichte näher hin, fand aber weder Ritze noch Oeffnung. Ich musterte alle Winkel sorgfältig durch und kehrte dann wieder nach dem Balken zurück, denn ich konnte mir nicht erklären, wo die zwei Rasen sich hinversteckt haben könnten. Obgleich ich nicht den geringsten Riß im Balken wahrnahm, schlug ich dennoch, ich weiß selber nicht warum, mit dem Säbel dagegen. Das klang aber so sonderbar, als ob der Balken hohl wäre und ich schlug immer weiter darauf zu, in der Erwartung, es könnten sich wohl Ratzen darin aushalten. Da springt plötzlich ein viereckiges Brett vom Balken ab, und pluff! es fällt mir etwas auf den Fuß, daß ich gerade hätte aufschreien mögen .
– »Ein Klumpen Gold?«
– »Nein, wie gesagt, ein ganzer Sack voll gemünztes Geld! Beim Fallen riß er entzwei und es rollte daraus eine Unzahl Gold- und Silberstücke über den Boden . . . Ich war, wie du dir denken kannst, wie vom Blitze gerührt, die Lampe fiel mir aus der Hand und es überlief mich ein Schütteln, daß ich mich der Mauer festhalten mußte, um wieder herunter zu kommen. Es drehte sich Alles vor meinen Augen; kurz ich war wie betrunken . . . Nun komm; ab gehe aus den Zehen und sprich so leise, als es dir nur immer möglich ist.
Auf dem Boden angekommen, führte der Schornsteinfeger seine Frau nach dem mittleren Balken und wandte das Licht nach einem großen ledernen Sack, der mitten unter herumgestreuten Gelde auf dem Boden lag.
Baesin Smet fiel mit einem erstickten Freudenschrei auf die Kniee nieder, riß den Sack noch weiter aus, steckte ihre Hände mitten in die Goldstücke hinein, blieb eine Weile in stiller Verwunderung versunken, sprang dann wieder auf, tanzte wie von Sinnen durch den Speicher und rief endlich mit lauter Stimme:
»Ach! ich ersticke; ich halt’s nicht länger aus; sprechen muß ich. Lieber Himmel, so sind wir am Ende doch reich geworden.«
Erschrocken faßte sie der Schornsteinfeger nicht gar sanft beim Arm und legte ihr die Hand auf den Mund, indem er ihr mit drohender Geberde zuflüsterte:
– »Unvorsichtige Närrin, schweig, oder ich kneipe dir den Arm, daß du hinstürzest! Du willst also, daß die ganze Nachbarschaft von unserm Fund Kunde erhalte?«
– »Ach, Gott!« seufzte die Frau unter dem schmerzlichen Druck ihres Mannes, »was fährt dir schon wieder durch den Kopf. Du schneidest ja ein Gesicht, als wolltest du mich auffressen! Wie doch das Geld gleich einen Menschen verändert. Die fünf und zwanzig Jahre, die wir zusammen aushalten, habe ich bei dir noch nie so blitzende Augen gesehen!«
Als wäre er über sein eigenes Aufbrausen verwundert, der Schornsteinfeger besänftigte sich.
– »Nein, liebe Trese, es war nicht böse gemeint,« sprach er, ihren Arm loslassend, »aber ich beschwöre dich, sprich nicht zu laut und mach’ keinen Lärm . . . Es fragt sich nun, was wir mit dem Geld da anfangen?«
– »Was wir damit anfangen? nun, ich denke, wir tragen es hinunter und verschließen es sorgfältig im großen Kasten.«
– »Und wenn die Diebe bei uns einbrechen?«
– »Wie sollten sich gerade jetzt Diebe bei uns einstellen? Der Kasten sieht vielleicht schon hundert Jahre lang in der Ecke und ist noch Niemand eingefallen, ihn aufzubrechen.«
– »Ei, man kann nicht wissen, was geschehen kann.«
– »Irgendwo müssen wir es doch jedenfalls unterbringen.«
– »Wenn ich es in den Strohsack unseres Bettes versteckte?«
– »Man sieht wohl, Smet, daß du an kein Geld gewöhnt bist. Meinst du, die reichen Leute stecken ihr Geld in ihre Matratzen? Leg’ es nur kühn in den Kasten; finden wir morgen eine passendere Stelle, nun, so können wir’s immer noch ändern.«
Indem er die andere Lampe vom Boden aufhob, sagte der Schornsteinfeger:
– »Trese, lade du das Geld in deinen Schurz, ich will unterdessen an der Thüre drunten den Riegel vorschieben, damit uns Niemand bei der Arbeit überrasche . . . trag aber recht Sorge, daß die Geldstücke nicht klirren.«
Während die Frau das Geld aufsammelte und mit der schweren Last die Stiege hinabging, verriegelte Smet die Hausthüre, musterte sodann noch Fenster, Hinterthüre, Kellertreppe und prüfte überall die Schlösser und Klappen.
Mittlerweile hatte seine Frau den ganzen Schatz im Kasten aufgeschichtet und saß nun vor dem Tisch, mit bewegter Brust vor sich hinstarrend und in seliges Nachsinnen über den ihr so unverhofft zugefallenen Reichtum vertieft.
Da trat Meister Smet herein, streckte die Hand aus und sagte trocken:
– »Den Schlüssel her!«
– »Den Schlüssel!« erwiderte seine Frau mit stolz abschlägiger Miene. »Das wäre schön, wenn in unsern alten Tagen du den Schlüssel in der Tasche tragen solltest, nachdem ich ihn fünf und zwanzig Jahre lang mit Ehren geführt habe? Ha, ich verstehe; es stünde dir wohl an, das Geld in Gesellschaft deiner Kaminfegergenossen zu verprassen? Aber holla, Freundchen, über den Kasten bin ich Herrin!«
Smet schüttelte ungeduldig den Kopf und murrte:
– »Du irrst dich gewaltig; es ist mir vielmehr darum zu thun, dich vor dem Vergeuden des Geldes zu bewahren. Als wir wenig besaßen, da schien mir das Sparen zu nichts zu führen und ich hielt nicht viel darauf, aber setzt ist mir daran gelegen, daß etwas für unsere schlimmen Tage übrig bleibe und wir nicht bei all unserem Gelde noch in Noth und Elend gerathen, ehe wir zur ewigen Ruhe uns niederlegen.
– »Ich sehe schon, Smet, liebes Männchen, das Geld bekommt dir nicht gut,« spottete die Frau etwas verdrießlich; »du sprichst ja wie ein Filz und schneidest Gesichter wie ein Leichensager.«
– »Noch einmal, Trese, gieb mir den Schlüssel.«
– »Den Schlüssel? Und müßt’ ich Haar und Federn dabei lassen, den Schlüssel geb’ ich nicht aus der Hand.«
– »Willst du mir aber auch versprechen, nichts aus dem Kasten ohne meine Zustimmung herauszunehmen?«
– »Das heißt, ich will mich wohl anheischig machen, das Geld nicht in den Tag hinein zu verschleudern; aber daß ich mir eine Erlaubniß ausbitten soll, wenn ich mir ein neues Kleid anschaffen und meine abgetragenen Ohrringe für bessere austauschen will – da laß ich mich nicht draus ein? So lautet es nicht in unserm Ehekontrakt. Denn wollte ich mich nach deinem Willen richten, wären wir am Ende noch ärmer als zuvor. Wenn du vom Gelde nicht mehr Genuß ziehen magst, dann kannst du ebenso gut einen Haufen Zehnguldenstücke an die Wand malen: der Schein bleibt derselbe und du hast weniger schwer daran zu tragen.«
– »Du willst mich auch gar nicht verstehen, Trese; ich meine nämlich, daß, wenn du auf einmal durch prächtige Kleider, die gar nicht zu unserem Stande passen, merken lässest, daß wir viel Geld besitzen, die Nachbarn natürlich darüber klatschen und sich gegenseitig fragen werden, wo wir es hergeholt haben.«
– »Nun, was liegt auch daran? das Geld gehört ja uns rechtmäßig zu; meine Ahnen wohnen wohl schon über hundert Jahre in diesem Hause, und jetzt erklärt es sich endlich, warum sich beim plötzlichen Absterben meines Vaters kein Geld vorgefunden hat. Er hatte nicht mehr die Zeit, den Ort anzugeben, oder es vergraben hatte. Was hätte es also auf sich, wenn die Leute erführen, aß ich endlich zu meinem Erbtheil gelangt bin?«
– »Was es auf sich hätte, Unvorsichtige? Wüßten die Diebe von dem Gelde, das wir verwahren, so würden sie sich bald in den Besitz desselben zu setzen wissen und dabei unser eigenes Leben nicht verschonen.«
– »Was, das Geld hat dich schon zu einem Hasenfuß umgewandelt! Smet, ich erkenne dich nicht mehr . . . «
– »Ja, bedenke noch dazu, daß die Leute es nicht so schlechtweg auf Treu und Glauben annehmen werden, wir hätten das Geld gefunden und Gott weiß, bis wir nicht gar den Polizeikommissär auf den Hals kriegen und eines Diebstahls verdächtigt werden. Dann bringen sie den Schatz zur Untersuchung nach dem Gericht, und wenn er einmal in diese Hände gerathen, da kann einer lange warten, bis er es wieder herauskriegt! So kämen wir nicht nur um das Gold, sondern geriethen noch obendrein in Schande und Noth.«
– »Wahrhaftig!« sagte nachdenklich die Frau, »ich glaube, Mann, du hast Recht.«
– »Ja, ja, liebe Trese, sei nur recht behutsam; laß ja Niemand von unserem glücklichen Funde was merken.«
– »Am Wollen soll’s nicht fehlen,« bemerkte die Frau die Achseln zuckend; »aber das Plaudern ist ein Fehler, den mir meine gute Mutter vererbt hat, die auch nicht immer ihre Zunge in der Gewalt hatte . . . «
– »Himmel, das wird noch schlecht ausfallen, sehe ich.«
– »Wenn einer nach deiner Weise reich sein müßte, da – wäre es freilich ein Unglück, reich zu werden, und so magst du mit Recht jammern und seufzen . . . Aber können wir denn den Nachbarn nicht weißmachen, daß wir geerbt haben? Ich habe ja lange genug mit ihnen vom Erben gesprochen.«
Dieser Gedanke erheiterte plötzlich des Schornsteinfegers Gesicht-, nach kurzem Nachdenken aber sagte er bedenklich:
– »Daß wir geerbt haben? Aber dann erfahren auch die Leute, daß hier viel Geld liegt.«
– »Was thut’s?«
– »Und die Diebe?«
– »Smet, du verlierst den Verstand.«
– »Nein, weißt du, was wir sagen? Daß wir nächstens erben werden, daß die günstigsten Berichte von deinem Onkel in Holland eingelaufen seien . . . «
– »Sage lieber, von meiner Tante; und wenn ich jetzt schon mir ein neues Kleid oder sonst was anderes kaufe, so können doch die fürwitzigen Nachbarn sich die Sache leicht erklären . . . nämlich als einen vorläufigen Anschnitt des erwarteten Erbes.«
– »So laß ich mir’s gefallen; es erfährt wenigstens Niemand, daß viel Geld bei uns liegt und Jedermann muß endlich anerkennen, daß du von guter Familie stammst. Aber immerhin, Trese, wirst du vernünftig thun, und mit unserem Gelde etwas haushälterisch umgehen?«
– »Mit unserem Gelde? du meinst wohl, mit meinem Gelde. Nun, ich werde damit schalten, wie es unserem Stande geziemt.«
– »Aber auch dem Pauw müssen wir dasselbe wie der Nachbarschaft weißmachen; damit zuletzt der Junge nicht auch sich einfallen lasse, die Nase höher zu tragen und ein Verschwender zu werden . . . «
– »Da höre ich ihn eben kommen!« rief die Frau, »geh schnell und mach den Riegel los; sonst frägt er uns aus, was hier vorgefallen sei.«
»Der Kaminfeger that, wie seine Frau gesagt, und setzte sich sodann wieder ruhig an den Tisch, als ob gar nichts geschehen wäre.
Trillernd und hüpfend trat Pauw in die Stube. Sogleich begann er im fröhlichsten Tone und hastig mit seinen Eltern zu plaudern.
– »Seit langer Zeit hab’ ich nicht so gelacht, wie diesen Abend; auch kratzt mich’s noch in der Kehle. Denkt euch, sie haben mich in unserer Meisenfang-Gesellschaft5 zum Hauptmann gemacht.«
– »Nun, mache doch nicht so viel Wesens daraus,« murrte der Vater.
– »Um den neuen Titel ist mir’s nicht zu thun,« fuhr Pauw mit derselben Heiterkeit fort. »Du weißt aber, Vater, daß wir eine Summe Geldes zusammengelegt haben, um eine neue Gesellschaftsfahne machen zu lassen, und der Kunstmaler in der Winkelstraße – dem sie, wie du weißt, wegen seines breiten Hutes und seines Schnauzbartes, den Spitznamen Rubens eben haben – sollte eine Eule auf die neue Fahne malen. Das war mir nun ein Spaß . . . Während wir nämlich ganz gemüthlich zusammen plauderten, bringt man auf einmal die neue Fahne herein. Wir springen alle voller Neugierde drauf zu; Peter Kruls rollt die Fahne auf und während wir sie näher betrachten – brechen wir Alle zusammen in ein so fürchterliches Lachen aus, daß drei bis vier von uns auf den Boden fielen und die Andern sich die Rippen festhalten mußten. Einer nur, machte bei der Geschichte ein saures Gesicht; das war er Schmid. – Was meint ihr nun, was auf der Fahne abgebildet war.«
5
Es bestehen in Antwerpen unter der geringeren Bürgerklasse besondere Vereine, die das ganze Jahr über einiges Geld zusammenbringen, um im Spätjahr mit einer Eule auf die Meisenjagd zu gehen.