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II

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Allmählich nahm das Pferd Wilfried›s einen langsameren Gang an, ohne daß der junge Ritter es zu bemerken schien. Er war ganz in Gedanken versunken, Finsterniß umlagerte seinen Geist. Verflucht seit seiner Geburt? Seine Eltern mit eignen Händen ermorden, der Mutter theures Blut vergießen? Aber das war ja Alles ganz unmöglich! Aengstigte ihn nicht etwa ein wüstes Traumbild? Oder trieb vielleicht der Zauberer ein schnödes Spiel mit ihm? Stand er nicht etwa im Begriff, sein Vaterland, von einer leeren Vorspiegelung befangen, zu fliehn und die Seinen glauben zu machen, daß er von wilden Thieren zerrissen sei?

Wie würde seine arme Mutter diesen Schlag ertragen? Ach, wenn er sie nur einmal noch hatte in die Arme schließen,an ihrem Herzen sich Kraft und Muth holen dürfen! Aber von ihr fortgehn ohne ihr Lebewohl zu sagen, und dazu fürchten müssen, daß sie ihrem Leid erliegen würde? Was hatte er verbrochen, um ein so grausames Schicksal zu verdienen?

Während er also sann und sich hin und wieder eine Thräne aus dem Auge trocknete, hatte sein Roß schon zweimal einen Seitenweg eingeschlagen und folgte nun einer Richtung, die es unfehlbar nach Iserstein bringen mußte.

Wilfried hatte davon keine Ahnung; in seinen Ohren klangen die Wehklagen der Mutter, er glaubte den Vater verzweiflungsvoll die Hände ringen zu sehn, seinen Namen wie einen Nothschrei durch Wald und Feld schallen zu hören.

Doch jetzt rief fernes Hundegebell und der Ton eines Jagdhorns ihn in die traurige Wirklichkeit zurück und er sah g: gerade vor dem Kopf seines Pferdes die Sonne zum Untergang sich neigen. Er ritt also nach Westen, der Burg seines Vaters zu?«

Wie von einem hellen Lichtstrahl erleuchtet wurde es ihm nun plötzlich klar: »Das war die geheimnißvolle Wirkung des Fluches, der ihn und das Thier der Heimath entgegenführte! . . . Aber Gott in seiner Barmherzigkeit hatte ihn nicht verlassen. Noch war es Zeit, umzukehren aber er durfte keinen Augenblick verlieren, denn die Jäger, deren Hörner er erschallen hörte, konnten die Diener seines Vaters sein! Schnell warf er sein Pferd herum und trieb es an in wildem Lauf gen Osten.

Bald erreichte er den finstern Wald, dessen wir am Ende des vorigen Kapitels erwähnten; er vermied jeden gebahnten Weg und setzte quer durch das Holz, in der Hoffnung auf diese Weise mit größerer Sicherheit einem Begegnen mit seinen Dienern auszuweichen.

Der Abend war inzwischen hereingebrochen; unter dem und hohen Gewölbe der Epheu-umrankten Bäume war es bereits so dunkel, daß, Wilfried absteigen und sein Roß am Zügel führen, ja endlich ganz einhalten mußte um zu überlegen, wie er die Nacht in dieser Wildniß hinbringen solle.

Die wenigen Augenblicke der Dämmerung, welche ihm noch blieben, benutzte er um einen etwas freieren Platz zu suchen, wo einiges Gras für sein ermattetes Pferd zu finden war.

Da vernahm er – anfangs in der Ferne, dann immer näher, zuerst dumpf, dann deutlicher, dass Geheul von Wölfen, dem das brummen von Bären sich beimischte. Sollte er sein Leben gegen wilde Bestien in vertheidigen haben? Ein Hirschfänger war seine einzige Waffe . . . Was ihn selbst betraf, so konnte er einen Baum erklettern und dort in Sicherheit den Tag erwarten, aber sein Pferd? Ohne Zweifel würde das arme Thier getödtet und zerrissen werden, wenn er es sich selbst überließ.

Glücklicherweise trug Wilfried, wie jeder gute Jäger, Stahl, Feuerstein und Zunder bei sich und wußte, daß ein helles Ferner in dunkler Nacht das räuberische Gethier abschreckt und und in angemessener Entfernung hält.

Er raffte trockne Blätter und Reisig zusammen und bemühte sich lange vergebens, sie anzuzünden. Das Heulen der Wölfe kam inzwischen immer näher, doch halt, da flammte sein Feuer auf! und damit war, wie er glaubte, die nächste Gefahr beseitigt, da die wilden Thiere dreist und verwegen werden, je nachdem die Dunkelheit der Nacht sich steigert; er hatte jetzt doch ausreichende Zeit seine Vorsichtsmaßregeln zu treffen.

Sogleich begann er, vermittelst seines Hirschfängers dürre Zweige abzuschlagen und eine große Menge Holz und Reiser zu sammeln; in einiger Entfernung von dein ersten Feuer errichtete er davon drei Haufen, die er gleichfalls in Brand setzte. So befand er sich samt seinem Pferde inmitten einer Befestigung, deren flammende Brustwehr alles räuberische Gethier abwehren mußte.

Als er diese beschwerliche Arbeit vollendet hatte, war die Nacht bereits weit vorgeschritten Wilfried setzte sich an das mittlere Feuer, den Hirschfänger quer über die Kniee gelegt und bereit, sich gegen jedweden Angriff zu vertheidigen. Da er aber nach Verlauf einer geraumen Zeit die Überzeugung gewann, daß er einstweilen nichts zu befürchten hatte, vergaß er die wilden Thiere und versank wieder in tiefes Nachdenken über sein trauriges Loos und über die Zukunft welcher er entgegenging.

Was sollte er beginnen? In fremden Landen sollte er umherirren, fünf lange Jahre hindurch, ohne von seinen Eltern ein Lebenszeichen in erhalten, ihrer Hilfe, ihres Beistandes gänzlich beraubt. Wie und wovon sollte er leben? In seiner Eile beim Aufbruch zur Jagd hatte er vergessen, Geld einzustecken. Betteln konnte er doch nicht, und in die Dienste eines Ritters treten eben so wenig, denn dann war er nicht sein eigener Herr und er mußte ja beständig reisen und oft seinen Wohnort wechseln, damit er unerkannt blieb und sein Geheimniß nicht verrathen würde.

Endlich nach dem er lange hin und her überlegt, trat ein trübes Lächeln auf seine Lippen.

Minnesänger und Dichter werden überall in Burgen und Schlössern gern und freudig empfangen,« murmelte er vor sich hin, »Ritter und Edelfrauen schätzen es sich zur Ehre, Schützer der schönen Künste zu sein und beschenken nicht selten mit reicher Gabe den Künstler, der ihnen das Herz gerührt und erfreut hat . . . Man rühmte bisher von mir, daß ich ein guter Sänger sei, ich weiß viel schöne Sprüche und bin in der Dichtkunst nicht unerfahren. Das ist eine Eingebung des Himmels! Ich will Minnesänger werden, Ritter und Edelfrauen durch Gesang und Saitenspiel erfreuen und mich so wenigstens vor Noth geschützt in der Welt umhertreiben.«

Beinah die ganze Nacht brachte er damit hin, über sein Verhalten während der nächsten Zeit zu grübeln und wiederholt noch füllten sich seine Augen mit Tränen, wenn er des Kummers seiner Eltern gedachte.

Endlich drang der erste Schein der Morgendämmerung in den Wald, die Raubthiere stellten ihr Heulen ein und verkrochen sich in ihre Schlupfwinkel. Jetzt erst wagte Wilfried die Augen zu schließen, von geistiger und körperlicher Ermattung überwältigt sank er in einen tiefen, doch unruhigen Schlaf, der von ängstlichen Träumen durchwoben war.

Als er am Morgen erwachte betrachtete er schaudernd seine Hände um zu sehn, oh sie wirklich mit Blut befleckt seien; es hatte ihn geträumt, daß er in einem Anfall wahnsinniger Raserei seinem Vater den Schädel gespaltet und seinen Leichnam durch das Fenster in den Schloßgraben geworfen hätte.

Lange versuchte er vergebens, das schreckliche Traumbild aus seinem Geiste zu bannen; endlich kehrte dass volle Bewußtsein der Wirklichkeit zurück; er schob seinem Pferde den Zaum in den Mund und führte es in nordöstlicher Richtung durch den Wald.

Es war ihm bang und schwer ums Herz, er seufzte oft und warf einen flehenden Blick zum Himmel, als wollte er ihm die Noth seiner gequälten Seele klagen.

Nachdem er mehr als eine Stunde sich durch die Wildnis; mühsam weiter bewegt hatte, gewahrte er einen gebahnten Weg; er sprang in den Sattel, drückte dem Pferde die Sporen in die Weichen und trieb zugleich durch ermunternde Worte an, seinen Lauf so viel als möglich zu beschleunigen.

Die Sonne neigte sieh bereite abwärts auf ihrer Himmelsbahn, als er aus dem Walde kam und eine unermeßliche Ebene längs der Ufer eines klaren Stromes sich ausdehnen sah. In der Ferne bemerkte er einen viereckigen Thurm, der sich aus einer großen Häusermenge erhob.

Dort mußte eine große Stadt sein, in der er finden konnte, was ihm für seinen Beruf als Minnesänger nothwendig war.

Der Erste, der ihm begegnete, antwortete auf des jungen Ritters Frage nach dem Namen der Stadt, daß sie Harlebeca heiße und daß der Leye-Strom an ihr vorüberfließe.

Nicht ohne Furcht, und mit großer Vorsicht näherte sich Wilfried dieser Residenz der mächtigen Grafen von Flandern. Konnte er nicht, falls der Fürst jetzt dort Hof hielt, Edelleute treffen, die ihn zu Iserstein oder auf Turnieren gesehn? That er nicht bester, zu warten bis der Abendschein ihn weniger kenntlich gemacht, ehe er die Thore der Stadt durchschritt?

Unter dem Einfluß dieses Gedankens trat er in eine am Wege liegende Herberge; er ließ sich eine karge Mahlzeit und einen Becher Wein bringen und sprach dann dem Wirth seine Absicht aus, sein Pferd zu verkaufen.

Der Mann, dessen Bewunderung das edle Thier trotz seines erschöpften Zustandes schon erregt hatte, bot eine geringe Summe dafür, die Wilfried nichtsdestoweniger bereitwillig annahm.

Abends ging er dann in die Stadt und veräußerte bei einem lombardischen Schacherjuden seinen Hirschfänger, seine goldenen Sporen, sein Panzerhemd und was er sonst noch von ritterlichen Abzeichen an sich trug, und kaufte statt dessen nicht allein die bescheidene Kleidung die dem Minnesänger gebührte, sondern auch eine Leier oder bogenförmige Harfe, um seine Lieder mit Saitenspiel begleiten zu können.

Dann kehrte er wieder in seine Herberge zurück und genoß eines minder unruhigen Schlafes, bis er durch das Krähen der Hähne, das Bellen der Hunde und das Geräusch an die Arbeit gehender Leute geweckt wurde.

Noch einmal ging er in den Stall, streichelte sein treues Pferd zum Abschied und machte sich dann mit schwerem beklommenen Herzen auf den Weg.

In die Stadt ging er nicht wieder, sondern liest sich in einem Kahn über den Fluß setzen und begann am jenseitigen Ufer mit einem tiefen Seufzer und einem flehenden Blick zum Himmel seine Reise durch die Welt als Minnesänger.

Fand er nun Einlaß in eine Burg und Gelegenheit, mit seiner kräftigen und Zugleich lieblichen Stimme seine Lieder zu singen, so behielt man ihn oft wochenlang dort und behandelte ihn mit Freigebigkeit und Güte.

Aber nicht immer wurde ihm durch Ritter und Edelfrauen ein gastlicher Empfang; oft wies man ihn barsch zurück, sei es, weil die Herrschaft abwesend, sei es daß man zu Lust und Fröhlichkeit nicht aufgelegt war. Dies kränkte ihn so sehr, dass er, so lange sein kleiner Geldvorrath reichte, am liebsten des Nachts in einer Dorfherberge ein Unterkommen suchte.

Nur zu bald kam aber der Augenblick, wo er sein letztes Kupferstücken verschwinden sah. Wie sehr er sich auch gedemüthigt fühlte mußte er von nun ab um des täglichen Brodes willen von Burg zu Burg sich anbieten, gleichviel ob man ihn freundlich aufnahm und ehrte, oder ob man ihm zerstreut zuhörte und mit leeren Händen die Thür wies, wenn das man ihn überhaupt eingelassen hatte; er mußte mit Allem vorlieb nehmen.

Diese tiefe Erniedrigung, dazu die beständige Furcht, daß der Fluch dennoch sich erfüllen könnte und der Gedanke an seine Eltern und ihren Schmerz, Alles das beugte ihn nieder und raubte ihm jeden Muth.

Viele Monate war er bereits so umhergeirrt, ohne anderen Zweck als sich möglichst weit von der Heimath zu entfernen, wenig bewohnte Gegenden zu durchziehn und unerkannt zu bleiben.

Einst, nachdem er eine Zeitlang nur schlechte Tage gehabt und auf den Burgen kaum genug erhalten hatte, seinen Hunger zu stillen, begab er sich in eine kleine Stadt, in der Hoffnung, dort glücklicher zu sein.

In der That feierte matt hier eben die Hochzeit des Markgrafen von Arlen mit dem Edelfräulein von Wilz und verhieß eine reiche Gabe jedem Sänger, der Beweise besonderer Begabung und Kunst ablegen würde.

Furchtsam und zögernd bot Wilfried seine Dienste an, und als an ihn die Reihe kam sang er solch herrliches Lied zu Ehren der schönen Braut, daß Alles ihm zujubelte und ihn mit Dank und Beifall überschüttete.

In diesem Augenblick aber erhob sich am anderen Ende des Festsaales ein alter Ritter von seinem Sitz an der Tafel und betrachtete den gefeierten Minnesänger mit scharfen Blick.

Wie bestürzt war Wilfried, als er in diesem Ritter den Herrn von Hochstätten, einen Freund seines Vaters erkannte! Er erbleichte und zitterte, denn der Ritter trat auf ihn zu und sagte im Tone ernsten Vorwurfs:

»Unglücklicher, was thust Du hier? Glaubst Du, ich kenne Dich nicht? Du bist Wilfried von Iserstein!«

»Ich Wilfried von Iserstein?« stammelte der Jüngling, den Kopf schüttelnd.

»Wie, hat denn Dein Herz sich in Stein verwandelt, undankbarer, gefühlloser Sohn?« fuhr der Ritter fort, »da stehst Du und singst auf einer fröhlichen Hochzeit und ergötzest Dich an dem erworbenen Lob, während Deinen armen Eltern das Herz brechen will vor Leid um Deinen Verlust!«

Thränen traten in des Minnesängers Augen; da er indessen bemerkte daß Alle zu ihm hinsahen, bezwang er gewaltsam seine Rührung und versetzte leise:

»»Ja, Herr von Hochstätten, ich bin Wilfried von Iserstein. Was Ihr mich thun seht, ist die Erfüllung eines Gelübdes; wenn ich es breche muß ich sterben. Diesen Abend nach der Hochzeit, will ich Euch das traurige Geheimniß erklären, ich schlafe im Schlosse. Stören wir jetzt das Fest nicht; sagt, daß Ihr Euch geirrt habt, Ihr sollt Altes wissen.«

Der alte Ritter kehrte schweigend und sorgenvoll auf seinen Platz zurück. Auf Befragen gab er zur Antwort, daß er geglaubt habe, den Minnesänger zu kennen, aber durch eine entfernte Ähnlichkeit getäuscht worden sei.

Von diesem Augenblicke an brannte der Boden unter Wilfrieds Füssen.

Was hätte er nicht darum gegeben, hundert Meilen weit weg von der Burg zu sein! Doch er sah deutlich, daß der Herr von Hochstätten den Blick fest auf ihn gerichtet hielt, er mußte also seine Ungeduld verbergen, wenn er nicht seine Absicht verrathen wollte.

Noch einige andere Minnesänger trugen ihre Lieder und Sprüche vor bis endlich der Schloßherr den Befehl gab, Alle in ein Gemach neben der Küche zu führen und dort mit einem guten Mahl und alten Weinen zu bewirthen.

Wilfried folgte seinen Gefährten, ohne Eile an den Tag zu legen, er war selbst der Letzte der mit stillem Gruß den Saal verließ.

Im Speisezimmer beobachtete er scheinbar mit Eifer das Decken des Tisches, verlor aber die Thür nicht aus den Augen, weil er befürchtete, daß der Herr von Hochstätten, von Mißtrauen getrieben, ihm folgen könne.

Das Mahl wurde aufgetragen; wie hungrig Wilfried aber auch vorher gewesen war, er konnte keinen Bissen herunterbringen, der plötzliche Schrecken hatte ihn in einen fieberhaften Zustand versetzt. Würde der Herr von Hochstätten, nach Flandern zurückgekehrt, nicht verrathen, daß er ihm hier begegnet sei? Und hatte Nyctos, der Zauberei nicht gesagt, daß der Fluch sich erfüllen müsse, wenn seine Eltern etwas von ihm erführen?

Wiewohl er sich unfähig fühlte, einen Entschluß zu fassen, sagte Wilfried laut, daß er ein wenig unpässlich sei und das Bedürfnis; empfinde, in frischer Luft sich zu erholen.

Damit verließ er das Speisezimmer und schritt eine Weile scheinbar gleichgültig im Hofe hin und her, sich allmählich dem offenstehenden Thore nähernd. Im Umsehen befand er sich dann jenseits der Brücke und in Freiheit, denn nur wenig Schritte entfernt, lag der Saum eines Thiergartens mit hohen Bäumen und schattigem Gebüsch.

Dahin lenkte er eilig seine Schritte und war bald unter dem dichten Laubdache verschwunden. Ohne Zweifel würde man ihn verfolgen, so bald man seine Flucht entdeckte, denn der Herr von Hochstätten würde dann gewiss Allen seinen Namen kund machen; und ergriff man ihn, brachte man ihn gewaltsam nach Flandern, dann, o Grausen, dann mußte er zum Mörder werden an den eignen Eltern!

Von dieser entsetzlichen Vorstellung getrieben, floh Wilfried in blinder Hast Vorwärts, keuchend und mit Schweiß bedeckt durch Dickicht und Gestrüpp, bis er endlich gegen Abend eine Höhle erreichte, in die er Einkehr nahm und wo er erschöpft zusammenbrach.

Als er, nach ein paar Stunden Ruhe, wieder heraustrat, sah er, daß der Vollmond Wald und Feld mit hellem Lichte übergoß. Er begann nun seine wilde Flucht auf’s Neue, ohne zu wissen wo er war und wohin sein Lauf ihn führen würde, ihm genügte die Hoffnung, daß er sich immer weiter von dem verhängnisvollen Schlosse entfernte und daß man seine Spur nicht entdecken würde; war er doch nie einem gebahnten Wege gefolgt und weder einer Burg noch Hütte ansichtig geworden.

Er befand sich nun in einer unfruchtbaren Ebene, welche aber von verschiedenen Bächen durchschnitten, aber gänzlich unbebaut und für den Aufenthalt von Menschen ungeeignet war.

Auf seinem nächtlichen Gange im hellen Mondenschein bemerkte er wiederholt, daß die glühenden Augen eines Wolfes ihm im einiger Entfernung folgten, doch kümmerte ihn das wenig, denn er wußte, daß vereinzelte Wölfe, besonders zur Sommerzeit, furchtsam und feige sind und und durch jedes fremdartige Geräusch leicht vertreiben lassen.

Er hätte den Saiten seiner Leier nur ein paar Töne zu entlocken brauchen, um den raubgierigen Reisegefährten in die Flucht zu treiben.

Als es Morgen war, stieß er auf einige Falkenjäger, denen er ein Lied sang, wofür er Brod und die Hälfte einer gebratenen Holztaube erhielt. Er schlief noch einige Stunden in der warmen Sonne und setzte dann seinen Weg durch die öde Landschaft fort.

Gegen Abend gewahrte er, an einem über Felsblocke dahinströmenden Bach, eine kleine Hütte, deren rauchender Schornstein die Anwesenheit von Menschen verrieth.

Mit Anstrengung seiner letzten Kräfte suchte er sie zu erreichen und sah vor der Hütte einen alten Mann und eine alte Frau, die beschäftigt waren, einen kleinen Gemüsegarten zu bearbeiten, den sie mühsam dem felsigen Boden abgerungen hatten.

»Gott zum Gruß,« redete er sie an, »ich bin ein unglücklicher Wanderer, ein armer Minnesänger, der sich in der Wildniß verirrt hat. Habt Erbarmen mit mir, ich sterbe sonst vor Ermattung und Hunger, ach laßt mich bei Euch ausruhen und gebt mir Nahrung; den einzigen Gegenstand von Werth, den ich besitze, lasse ich aus Dankbarkeit Euch zurück.

Bei diesen Worten holte er aus seiner Tasche ein Messer mit silberbeschlagenem, schön geschnitzten Heft hervor und reichte es dem Manne, der es, samt seiner Frau, verwundert und voll Neugierde betrachtete; das daran angebrachte Wappen schien ganz besonderes seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Drei goldene Falken im blauen Felde,« murmelte er, »Ihr seid wohl ein edler Ritter, Herr?«

Diese Frage machte Wilfried zittern, gewaltsam seine Aufregung verbergend, erwiderte er:

»Nein», aber ein Ritter hat mir das Messer geschenkt und nun gebe ich es Euch, für etwas Brod.«

Dies Wappen muß ich schon früher gesehn haben,« sagte der Mann, sich die Stirn reibend, während Wilfried, bleich vor Schrecken, ihm lauschte, »ja nun weiß ich ganz genau, es war vor etwa dreißig Jahren zu Nystel in Flandern; ein Ritter, der drei goldene Falten im Schilde führte, gewann den Preis im Turnier. Ich war damals Diener und Waffenknecht des edlen Grafen Chiny . . . Wartet einmal, wie nannte doch mein Herr den gefeierten Sieger? Halt, da fällt mirs ein, er hieß Folkard von Iserstein; kennt Ihr ihn?«

Wilfried murmelte eine unverständliche Antwort.

»Ihr werdet ja ganz blaß, junger Herr,« rief der Mann, »warum betrüben Euch meine Worte?«

»Ach, es ist Trauer und Schmerz,« stammelte der Jüngling, »Graf Folkard von Iserstein war mir ein milder Schützer . . . er verunglückte auf der Jagd, und starb vor meinen Augen.«

»Was wollt Ihr Euch betrüben? Müssen wir mit der Zeit nicht Alle den letzten Zoll bezahlen? Hier, nehmt Euer Messer zurück; dass Wenige, was ich besitze, will ich ohne Lohn mit Euch theilen. Tretet unter mein Dach und nehmt vorlieb mit meiner armen Gastlichkeit.«

Gleich darauf setzte man ihm Brod vor und einen Brei von Grüne, auch ein Stück Käse, denn die alten Leute hielten eine Ziege. Er aß mit großem Appetit, seine Augen glänzten, die köstlichsten Mahlzeiten hatten ihm vormals nicht besser gemundet und er bezeugte seinen gütigen Wirthen den innigsten Dank. Dann aber machte sich die Ermüdung geltend, gegen die er vergebens ankämpfte.

Der Minnesänger

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