Читать книгу Die hölzerne Clara - Hendrik Conscience - Страница 1
I
ОглавлениеMeine Nichte Frederika, die kleine, liebe – Gott sei ihrem armen Seelchen gnädig – fragte mich oft mit thränenden Augen, warum ihre Mitschülerinnen immer spottend sagten: »Du stehst da wie die hölzerne Clara.« Sie wußte so gut als ich, daß hölzerne Clara der Name eines Bildes war, was an der Treppe des Antwerpner Mägdehauses (Waisenhaus für Mädchen) stehet, aber sie hätte gern von mir erfahren wer diese Clara gewesen ist, und was ihr Name bedeutet.
Ich konnte damals ihrem Wunsche nicht entsprechen und mußte sie ungetröstet und ohne Antwort lassen.
Längst ruhete mein Nichtchen schon auf dem Kirchhofe zu Stuivenberg und das Kreuzchen auf ihrem Grabe war schon verfallen und verschwunden, als ich, von poetischer Begeisterung dazu getrieben, endlich anfing mit Ernst und Ausdauer die alten Volkssagen meiner Vaterstadt Antwerpen zu studieren und dann auch erfuhr, wer diese »Houten Clara oder Houten Cleer« – wie die Antwerpner sagen – eigentlich war. Diese Geschichte, die sich kurz nach der Einnahme Antwerpens durch den Herzog von Parma ereignet haben soll, gleicht durchaus nicht einer gewöhnlichen Volkssage, und man darf daher mit Recht vermuthen, daß ihr ein wahres Ereigniß zu Grunde liegt. Wie dem auch sei, das, was ich hier erzähle, ist Nichts als die Verknüpfung und freie Bearbeitung dessen, was ich bruchstücksweise aus dem Munde verschiedener alter Leute vernommen habe.
* *
*
Als an einem Frühlingstage des Jahres 1589 die Waisen aus dem Mägdehause in der Gasthuisstraße mit ihrer Mutter oder Aufseherin spazieren gingen, blickten Viele nach den Fenstern eines nebenstehenden Hauses empor und deuteten neugierig auf eine reiche Frau, die vom Fenster aus auf sie herabschauete.
– Sieh, sprach die Eine, das ist die reiche Senora, die kürzlich hierher gezogen ist.
– Ich weiß wie sie heißt, rief eine Andere; es ist die Gräfin d’Almata und kommt aus Spanien.
– Ja, und von wem weißt Du das? fragte eine Dritte.
– Ich habe es von der Mutter und Schwester Monika gehört, – und die reiche Senora ist keine Spanierin; auch seht Ihr wohl, daß sie blaue Augen hat und blondes Haar? Nein, es ist ein Fräulein aus Antwerpen, die an einen reichen Spanier verheirathet ist.
– Hört Trees, die Lügnerin, wieder Lügen ersinnen! lachte eine der Zuhörerinnen.
– Fragt doch lieber die hölzerne Clara; die war auch dabei . . . Eh, pst, hölzerne Clara, hölzerne Clara!
Bei diesem Rufe wandte die Mutter des Mägdehauses sich um und bemerkte wie einige der Mädchen unverwandt nach den Fenstern des Herrenhauses hinblickten während sie selbst beschäftigt war die anderen in Reihe und Glied zu stellen. Strengen Blickes trieb sie die Neugierigen in den Zug zurück, ergriff dann mit besonderer Vorliebe eines der Mädchen bei der Hand und gab dann das Zeichen zum Aufbruch.
– Schon wieder hölzerne Clara! sagte Trees; dieses Zuckerkind, das arme, daß es nur nicht in Stücke bricht!
– Eh, Anna Moeyal, sieh, wie hochmüthig und steif sie mit ihrem Besenstiele im Rücken nun neben der Mutter hergeht! Sie hat wieder über ihre Aufgabe gearbeitet, die Närrin.
– Schweigt nur von der hölzernen Clara! sie ihr die lange Mie, die Schwätzerin, in die Rede; sie kann wieder ein neues Liedchen. Ach es ist so schön! Es geht so:
Gott grüß’ Dich schöne Blume,
Maria edle Jungfrau.
Und sie soll es uns heute Nachmittag lehren und noch dazu mit Begleitung des Clavecimbel’s: Ich gäbe zwei Finger meiner linken Hand darum, wenn ich auf dem Clavecimbel so schön wie die hölzerne Clara spielen könnte!
– Das ist ganz gut; allein muß sie deshalb immer das liebe Kind sein, als wenn sie keine Waise wäre gleich uns Anderen? Warum ist sie denn so hochmüthig?
– Hochmüthig? sie? Ich dächte sie wäre die Freundschaft und Sanftmuth selbst.
Vielleicht würden die meisten Mädchen ihren Zungen noch lange Zeit auf Clara’s Rechnung freien Lauf gelassen haben, wenn nicht ein schöner und kräftiger Jüngling auf schäumendem Pferde daher gesprengt wäre. Nun hatten die Mädchen genug zu thun, um diesen zu betrachten und sich gegenseitig ihre Ansichten über ihn mitzutheilen.
Während die Waisen also langsam durch die Gasthuisstraße fortschritten, fand die Edelfrau noch immer hinter dem Fenster und blickte träumerisch hinab auf die Straße. Alles an ihr, die durchscheinende Blässe ihrer Gesichtszüge, der matte Blick ihrer blauen Augen wie die Abgemessenheit ihrer Bewegungen gab Zeugniß von einer tiefen Melancholie. Trotz ihres Alters, denn sie mochte wohl über dreißig Jahre zählen, war sie noch eine schöne und herrliche Frauengestalt.
Die Senora hatte fast eine Viertelstunde unbeweglich am Fenster gestanden, als die Thüre leise geöffnet ward und ein Mann den Kopf forschend in das Zimmer steckte. Da die Dame sich nicht regte, so trat der Mann geräuschlos, jedoch ohne augenscheinlich überraschen zu wollen, in das Zimmer. Er nährte sich der Dame und warf einen flüchtigen Blick über ihre Schultern durch das Fenster.
Beruhigt, da er Nichts auf der Straße bemerkte, trat er einige Schritte zur Seite und warf sich in einen Sessel.
– Immer so traurig, Catalina? sprach er zur Edelfrau. Ihr täuschtet mich also als Ihr mir unaufhörlich versichertet, daß die Luft der Niederlande Euch erquicken sollte? Nun weilen wir bereits vierzehn volle Tage hier, und statt aß der Aufenthalt in Eurer Geburtsstadt Euch erheitern sollte, ist im Gegentheil das holde Lächeln von Eurem Antlitze verschwunden, was während unserer Reise so tröstlich darauf strahlte. Ich bedaure sehr, daß ich Eure Bitten so leicht erhörte, denn gewiß ist Spaniens glühender Himmel gesünder und heiterer als jener dicke Nebel der hier unaufhörlich bleischwer au die Erde drückt. Wahrhaftig, Catalina, meine Liebe zu Euch muß sehr groß sein, daß ich mich bewegen ließ eine so weite Reise zu unternehmen um ein Land wieder zu besuchen, in welchem ich Freunde und Blut verwandte durch Feuer und Schwert umkommen sah. Ich hoffte, daß Ihr die Aufopferung wenigstens durch Zeichen des Wiederauflebens und der Freude belohnen würdet. Leider aber seid Ihr jetzt gefühlloser als zuvor. Habt Ihr au er den Besuchen, die wir zusammen bei Euren Blutsverwandten abgestattet haben, unsere Wohnung nicht verlassen?
Diese letzten Worte wurden in einem eigenthümlich forschenden Tone ausgesprochen. Die Edelfrau schlug die Augen nieder und blieb sprachlos und wie beschämt stehen.
Ihr Ehegenosse fuhr mit erkünstelter Kälte fort:
– Nein, Senora, Ihr habt das Haus nicht verlassen. Selbst nicht gestern gegen Abend als ich ausgegangen war um Don Fabricio aufzusuchen – selbst dann seid Ihr nicht ausgegangen, Ihr und Eure Duena – die ich schon wieder hier nicht sehe?
– Calisto! Calisto! seufzte die Edelfrau, warum beobachtet Ihr meine geringsten Schritte? Ihr fragt, warum ich unter niederländischem Himmel nicht wieder auflebe? Es war die Freiheit, die ich hier suchte – und, leider, die Sklaverei hat mich bis hierher verfolgt. Es ist weder niederländische Luft noch die vlämische Sonne, die mich zu erquicken vermag. Die niederländische Freiheit muß ich genießen; und wenn mir dieselbe hier eben so grausam entzogen wird, wenn Ihr auch hier wie in dem erstickenden Spanien immer bezahlte Spione um Eure Gattin pflanzt – erwartet dann keine Besserung in meinem Zustande, Senor. Es ist nutzlos einen andern Aufenthaltsort für mich zu suchen; ich werde überall verkommen, wo Sklaverei mich niederdrückt.
Während die Edelfrau mit schlecht verhehlter Bitterkeit also antwortete, schauete Graf d’Almata ihr tief in die Augen und das Lächeln des augenscheinlichsten Zweifels bewegte seine Lippen.
– Sollte Senora, fragte er, wohl die Güte haben Ihrem Gatten mitzutheilen, wo sie gestern Abend in der Dämmerung mit ihrer Duena gewesen ist?
– Auf dem Groote Markt, Calisto.
– Darf ich auch wissen, Catalina, was Ihr dort in einem Hause von sehr geringem Anscheine zu suchen hattet?
– Ach, Gott, Calisto, in welchem Tone fragt Ihr mich da!
– Es wäre viel einfacher, Catalina, mir ganz kurz zu sagen, was ich wissen will.
– Wohlan, ich war ausgegangen um in Freiheit die Abendluft zu genießen – in Freiheit, versteht Ihr, Calito? – Auf dem Groote Markt erinnerte ich ich, daß dort eine alte Dienstmagd meines Vaters wohne und ich wollte sie noch einmal sehen. Sie war es, die mich zur Schule brachte, als ich noch Kind war; allein es sind nun bereits acht Jahre verflossen seit wir die Niederlande verlassen haben. Die alte Dienstmagd ist längst weggezogen und spurlos verschwunden: Niemand weiß wo sie geblieben ist. Was ist da zu argwöhnen bei einer so einfachen Sache?
– Um so besser, Catalina! Ich werde Euch selbst suchen helfen, wenn Ihr wollt. Wie heißt die alte Dienstmagd?
Eine hohe Röthe überflog die bleichen Wangen der Edelfrau und nur nach einem augenblicklichen Besinnen antwortete sie stockend:
– Sie heißt . . . Anna De Zwart.
– Ha! wiederholte Graf d’Almata ungläubig, sie heißt Anna De Zwart! Das ist gut, Senora, vielleicht habt Ihr aber ihren Namen vergessen, denn es ist doch bereits so lange her, nicht wahr?
– Calisto, rief die Edelfrau voll Schmerz und Zorn, ich verbiete Euch in diesem Tone mit mir zu sprechen! Wenn Euer eifersüchtiges Gemüth Euch auch Mißtrauen einflößt gegen Eure Gattin, so ist es Euch, Senor d’Almata, doch nicht gestattet das Blut Eures alten Waffengefährten in seiner Tochter zu erniedrigen. Achtet in mir den edlen Stamm der Ghyseghems, dem Ihr die Rettung Eures Lebens zu danken habt.
– Euer Vater, Juan Van Ghyseghem, mein Waffengefährte und Retter – Ihr seht, Senora, daß ich es nicht vergessen habe – hat Euch meiner Sorgfalt anvertraut. Ich erfülle nur der Ehe heilige Pflichten – und was Ihr auch dagegen sagen oder thun möget, Catalina, ich will und werde entdecken was Ihr hier in Niederland sucht und ich nicht wissen darf. Ich gestehe gern, daß Euch mein Betragen peinlich sein muß, wenn Ihr frei seid von jedem Vorwurf, und noch lieber gestehe ich Euch, daß ich Euch für ehrbar halte und treu; aber wachen muß ich über Euch, denn das Herz täuscht sich zuweilen, und in dem unverbrüchlichen Geheimnisse, in welches Ihr Euch hüllt, liegt vielleicht eine drohende Gefahr verborgen. Ihr seht, daß ich zum wenigsten unverholen spreche – da ich das Recht, auf meiner Seite habe. Ihr, Catalina, könnt freilich dies nicht sagen, denn wer sich verbirgt und versteckt muß wissen, warum er dies thut.
Die Senora empfand in ihrer Übereilung eine schmerzliche Reue ihr Zorn war unter dem Einflusse der letzten Worte des Grafen ganz verschwunden. Ein Lächeln auf den Lippen und eine Thräne in jedem Auge näherte sie sich ihm, und seine Hand mit Zärtlichkeit erfassend, sprach sie bittend:
– Guter Calisto, verzeiht mir; ich habe Unrecht.
Aber warum mir auch ein solches Mißtrauen zeigen? Warum mich über eine unbedeutende Sache ausfragen wie eine Angeklagte, die vor ihrem Richter steht? Ihr verlangt, daß ich fröhlich und lebendig sei, daß ich Euch Freundschaft beweise und eine heitere Gefährtin werde? Wohlan, hört auf mich so ängstlich zu bewachen, gönnt mir die Freiheit, die anderen Frauen in den Niederlanden genießen, und Ihr sollt sehen, wie dankbar ich Euch lieben werde, nicht nur als einen zärtlich geliebten Gatten, sondern auch als meinen Wohlthäter und als den Retter meines Lebens!
– Ich weiß nicht, Catalina, wie Ihr Euch nur den Gedanken hingeben könnt, daß Ihr in Sklaverei leben sollt. Ich überwache Euch nicht, allein warum erregt Ihr meinen Argwohn indem Ihr heimlich ausgehet ohne mein Wissen und ohne es mir zu sagen? Mein Diener, Domingo, sah Euch gestern auf der Schwelle eines Hauses auf dem Groote Markt mit einer Frau sprechen; was war natürlicher als das er mir das erzählte? – Könnt’ ich doch jedes Mißtrauen aus meiner Brust verbannen! ich verlange nichts Besseres; aber, sei es eine Eigenschaft des spanischen Blutes, was in meinen Adern rollt, oder eine Folge Eures räthselhaften Betragens, Catalina, ich werde nicht eher zufrieden gestellt sein, bis ich aus Eurem eignen Munde die Erklärung des Geheimnisses vernommen habe, dessen Existenz Ihr leugnet und das dennoch existiert. Ich bin überzeugt, daß Ihr nichts Böses beabsichtigen könnt, Catalina; allein ich bin Mensch . . . und, was mehr ist, ich bin Spanier. Seid doch großmüthig und vergeßt das nicht so oft.
– Calisto, Calisto, könntet Ihr doch in meinem Herzen lesen! Ehe ich jemals der Liebe und Dankbarkeit ermangeln werde, die ich Euch schulde, wollte ich lieber tausend Mal den Märtyrertod erleiden. Ach! Euer Mißtrauen beengt mir die Brust; habt doch Mitleid mit mir!
– Nun, meine arme Catalina, trauert nicht; es ist vorüber. Laßt uns diese peinliche Unterredung abbrechen. Lebe wohl, meine Liebe! binnen einer halben Stunde müssen wir bei Senora de Beza de Santa-Cruz den versprochenen Besuch abstatten. Hoffentlich wird Eure Duena bis dahin zurück sein um Euch zu begleiten.
Bei diesen Worten küßte er liebevoll die Hand seiner Gattin und verließ das Zimmer.
Die Edelfrau fiel abgemattet in einen Sessel und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Sie mußte in diesem Augenblicke heftige Schmerzen empfinden, denn alle ihre Glieder zitterten fieberhaft. Zwischen ihren Händen rollten einige glänzende Wasserperlen hervor und schmerzliche Seufzer wanden sich empor aus ihrer beengten Brust. Zweifellos kämpfte die unglückliche Senora gegen ein Loos an, dem sie auf keine Weise zu entfliehen vermochte, bis sie endlich entschlossen und muthvoll sich erhob und die Thränen von ihren Wangen trocknete. Auf ihrem Angesichte erschien selbst ein Ausdruck, der einem Lächeln des Verlangens glich – und zur Wand des Zimmers tretend, klopfte sie dreimal mit der Hand daran. Augenblicklich vernahm man im Nebenzimmer das Geräusch eines Stuhles und dabei die heftigen Schritte eines Menschen, der vielleicht schon lange auf dieses Zeichen gewartet haben mochte.
Einige Augenblicke später trat eine alte Frau vorsichtig in das Zimmer. Die Senora stand schweigend auf, öffnete leise alle Thüren und schloß sie wieder eben so geräuschlos, ergriff endlich die Duena bei der Hand und zog sie zum Fenster, dem fernsten Winkel des Zimmers. Mit gedämpfter und fast unhörbarer Stimme unterhielt sie sich mit der Alten, während auf ihrem Antlitze der Ausdruck einer entzückenden Hoffnung glänzte:
– Wohlan, Ines, gute Ines, hast Du endlich etwas entdeckt? Weißt Du was aus Anna Canteels geworden ist?
– Ja, ich weiß wo sie wohnt, Senora.
– O Gott, endlich doch Etwas! Ha! dies mildert meinen Schmerz . . . wie bin ich froh, liebe Ines!
– Ihr werdet noch froher sein, Senora, wenn ich Euch erzähle, was ich noch erfahren habe.
– Was? Was, Ines? Solltest Du . . .
Die alte Duena brachte mit fröhlichem Lächeln den Finger auf ihren Mund und flüsterte dann der Edelfrau ins Ohr:
– Gott sei Dank, ich weiß auch wo sie ist.
Das Wort sie, mit Nachdruck ausgesprochen, mußte für die Edelfrau eine leicht zu errathende Bedeutung haben; denn sie sprang fröhlich und doch bebend auf und rief, während sie sich offenbar Gewalt anthat um ihre Aufregung zu verbergen:
– Sie? Sie?
– Ja, Senora; sie lebt nur wenig Schritte von Euch entfernt.
– Ach, wie viel läßt Du mich leiden, Ines! sprich doch deutlich; ich kann an solch’ ein unerwartetes Glück nicht glauben.
– Zweifelt nicht länger, Senora; sie, die wir suchen, – nicht die Alte, die Andere – ist nicht fern von hier.
Eine heftige Aufregung befing die Edelfrau bei dieser vollen Bestätigung dessen, was sie kaum hatte hoffen dürfen; Blässe und Gluth wechselten auf ihrem Angesicht, sie fühlte ihre Kräfte schwinden und lehnte sich gegen den marmornen Pfeiler des Kamins. Fast ohnmächtig, seufzte sie flehend:
– Wo? Wo lebt sie? Ach, unterstütze mich, gute Ines, es ist mir als sollte ich ohnmächtig werden . . . Nein, es ist vorüber, glaub’ ich . . . Sag schnell, wo ist sie?
– Geduldet Euch, Senora, bis Eure Aufregung sich etwas gelegt hat, wartet nur einen Augenblick . . . die Freude über die glückliche Nachricht erschüttert Euch zu sehr . . . Ihr könntet vielleicht die Botschaft, die ich Euch bringe, nicht ertragen.
– Wohlan, häßliche Peinigerin, betrachte mich! Ich bebe, nicht wahr? aber an Kraft fehlt es mir doch nicht mehr. Sag an, von welcher Botschaft sprichst Du denn? Muß ich statt der Rettung, die Du mir gelobtest, aus Deinem Munde mein Urtheil vernehmen?
– Ach, arme Senora, Ihr irrt Euch. Bleibt ruhig und kaltblütig und ich werde Euch sagen wo sie ist.
Bei diesen Worten trat die Duena an die gegenüberliegende Wand des Zimmers heran und indem sie mit dem Finger auf ein eigenthümliches Geräusch zu deuten schien, flüsterte sie geheimnißvoll:
– Senora, die Waisenmädchen aus dem Mägdehause hier nebenan sind mit ihrer Mutter so eben vom Spaziergange zurückgekehrt. Vernehmt Ihr nicht ihre Stimmen?
– Ja, Ines, ich höre sie täglich so . . . aber, o Himmel! was willst Du damit sagen?
– Sie ist dort unter den Waisenmädchen, Senora, und vielleicht klingt in diesem Augenblicke ihre Stimme in Eurem Ohr!
– Gott, ist es möglich! rief die Edelfrau mit unvorsichtiger Kraft; sie wäre dort, so nahe bei mir!
Und wie von einem unwiderstehlichem Gefühle fortgerissen, eilte sie zur Mauer und lehnte das Haupt dagegen, während der Ausdruck der Seligkeit und die Spannung einer ängstlichen Aufmerksamkeit sich gleichzeitig auf ihrem Angesichte ausprägten.
Lange verharrte sie schweigend in dieser lauschenden Stellung, bis diese ruhige Haltung ihr jagend Blut abgekühlt und ihre erschütterten Nerven nach und nach beruhigt hatte. Zudem hatte der Gesang der Waisenmädchen, die sich wahrscheinlich wieder in den Arbeitssaal verfügt hatten, bereits aufgehört.
Die Edelfrau kehrte, noch ganz mit Freude erfüllt, zur wartenden Duena zurück, und, sich neben ihr niedersetzend, fragte sie mit gedämpfter Stimme:
– Aber, liebe Ines, erzähle mir doch wie Du mich auf einmal mit so viel Glück überschütten konntest, wie es Gott gefallen hat Dich so sichtbar bei Deinen Nachforschungen zu leiten? Du bist doch überzeugt, daß man Dich nicht getäuscht hat? – ach! ich stürbe davon!
– Hört denn meine Erzählung mit Geduld an, Senora.
Die Zeit ist kostbar, denn Domingo hat mir bei meiner Rückkehr gesagt, daß Ihr mit dem Grafen augenblicklich ausgehen würdet.
– Es ist wahr, was Domingo sagte; beeile Dich also!
– Wohlan. Ich wußte heute nicht mehr wohin ich gehen oder bei wem ich mich erkundigen sollte. Kein Wunder, Senora, es dauert bereits vierzehn Tage, dieses nutzlose Suchen. So wollte ich eben unverrichteter Sache nach Hause zurückkehren, als mich eine alte Frau, die früher zuweilen in dem Hause des Herrn Grafen gearbeitet und gescheuert hat; auf der Straße anredete und sich nach Euch erkundigte. Ihr werdet sie wohl noch kennen, Senora, da sie auch bei Eurem Vater arbeitete.
– Meinst Du Theresia Costerlings?
– Ja, dieselbe. Ein Wort gab das andere und so brachte ich das Gespräch endlich auch auf Anna Canteels – und ich vernahm von Theresia, daß sie einen schlechten Lebenswandel geführt und endlich einen Soldaten geheirathet habe, mit welchem sie in der Klosterstraße ein Zimmer in einem schlechten Häuschen bewohne. Voller Freude begab ich mich in das spanische Quartier und nach vieler Mühe entdeckte ich endlich auch ihre Wohnung. – Ach! Senora, diese Frau ist zu beklagen! ausgemergelt und gelb, mager wie ein Geripp und unreinlich; es ist kaum zu glauben. gleichwohl muß das Herz der unglücklichen Soldatenfrau noch gut sein, denn kaum fing ich an von Euch zu sprechen, so stürzten ihr auch schon die Thränen aus den Augen und schluchzend bat sie um Verzeihung. Aus ihrem Munde vernahm ich auch wie sie sie bei einem Bauer, von dem Schatze, den ihr ihr gelassen, einige Jahre hatte verpflegen und erziehen lassen. Später ist A na Canteels liederlich geworden und mit Soldaten in Berührung g kommen, die sie zu einem schlechten Leben und zur Verschwendung verleiteten. Zuletzt hat sie Einen unter ihnen geheirathet und wahrscheinlich d n Schlechtesten unter Allen; dieser hat ihr durch Schläge und allerlei Mißhandlungen anderer Art das Geld entrissen, was ihr anvertrauet war. Allein sie hat dasselbe jedoch nur unter der Bedingung hergegeben, daß ihr Los sicher gestellt würde. Es wäre zu weitläufig Euch zu erzählen, wie sie eine traurige Geschichte von einem todten Soldaten und einem verbrannten Dorfe erfunden und es durch Fürsprache reicher Leute endlich dahin gebracht haben, daß sie in das Waisenhaus aufgenommen wurde. Gegenwärtig befindet sie sich also hier neben an im Mägdehause und die Mädchen nennen sie unter einander »die hölzerne Clara.«
– Hölzerne Clara! ein Spottname! ihr! Gott, ist sie vielleicht ein Gegenstand der Verfolgung?
– Ach nein, Senora; man nennt sie nur so weil sie die Gewohnheit hat stets ganz gerade und aufrecht zu gehen; wie es scheint haben alle Waisenmädchen einen Spitznamen bekommen – und hölzerne Clara wird vielleicht noch einer der schönsten sein. – Aber laßt mich doch fortfahren; ich höre unten bereits Geräusch. Kommt hierher vor den Spiegel, Senora, damit ich Euch bei Eurer Toilette helfe; ich will dabei in meiner Erzählung immer fortfahren. – Aber das leise Sprechen wird doch lästig, es erstickt mich beinahe. – Während ich mich noch mit der weinenden Anna Canteels unterhielt, ging plötzlich die Thüre auf und ein gräßlicher Soldat mit langem Knebelbart und abscheulichem Gesicht schwankte herein. Es war ihr Mann: Der betrunkene Kerl besah mich mit mißtrauischem Blicke und brach in Zorn aus als er bemerkte, daß Thränen über die Wangen seiner Frau rollten. Mit wüster Gewalt riß er sie vom Stuhle, schleppte sie in eine Ecke und verlangte, fluchend und schwörend, die Ursache meiner Anwesenheit zu erfahren. Die arme Anna widerstand ihm einen Augenblick aber grausame Mißhandlungen zwangen sie schnell genug zum Bekenntniß. Dann fabelte der wüthende Soldat von Belohnung und von Geld bis ich Alles, was meine Tasche enthielt, vor ihm ausgeschüttet. Ich habe versprochen ihm wöchentlich eine Gabe zu bringen. Er ist ganz gezähmt, denn . . . horcht, Senora, da höre ich den Grafen d’Almata die Treppe heraufkommen. Wie gut daß Ihr zum Ausgehen fertig seid!
In der That trat der Graf d’Almata mit freundlichem Lächeln in das Zimmer. Am Spiegel wartete er noch einen Augenblick bis seine Gattin ihre Toilette gänzlich beendet hatte. Mit Bewunderung und Freude bemerkte er wie ihre Augen im Feuer eines neuen Lebens glänzten und selbst oft mit dem Ausdrucke der innigsten Liebe auf ihm ruhten. Er glaubte darin das Gefühl der Dankbarkeit für seine Nachgiebigkeit am Morgen zu sehen, und erfreute sich darum doppelt an der so liebenswürdigen Erscheinung seiner Frau. Zärtlich ergriff er ihre Hand und Beide verließen das Zimmer um Senora de Beza de Santa Cruz ihren Besuch abzustatten.