Читать книгу König Oriand - Hendrik Conscience - Страница 1
I
ОглавлениеIn alten ritterlichen Zeiten herrschte über die Länder zwischen der Schelde und der See ein mächtiger und tapferer König. Er hielt seinen Hof in einem prächtigen Palast, Sonnenburg genannt und an der östlichen Seite von Harlebeka liegend, das damals eine große und starke Stadt war.
Als er einst im Walde-ohne-Gnade1 auf der Jagd war, wurde er von einem Eber angefallen und starb an der Wunde.
Bei seinem Tode empfahl er seinen zwölfjährigen Sohn Oriand der liebreichen Pflege seiner Gemahlin Mattabruna, die als Vormünderin das Land bis zu seiner Volljährigkeit regieren sollte.
Der junge Oriand wuchs schnell heran und ward in wenigen Jahren sehr groß und von ungemein starkem Gliederbau. Kanne konnte sein Arm Spieß und Schwerdt tragen, so lief er vom Morgen bis zur Nacht in den Gebüschen umher, um wilde Thiere aufzusuchen, zu bekämpfen und zu tödten. Weder Regen, noch Sturm, noch Schnee konnte ihn zurückhalten. Alles was nicht auf die Uebung der Leibeskräfte hinzielte, flößte ihm Abscheu ein; er wollte von nichts hören, als von Jagd, von Waffenhändeln und vorn Krieg.
Suchte zuweilen ein alter, treuer Diener seines Vaters ihm begreiflich zu machen, daß er noch andere Dinge zu lernen brauchte, um als ein guter und weiser König sein Land regieren zu können, so wies Oriand diesen Rath mit Unwillen und Geringschätzung von sich.
Mattabruna, die ein herrschsüchtiges Weib war, hatte schon früh berechnet, daß ihr Sohn, wenn er so allen Staatsangelegenheiten fern bliebe, ungeeignet sein würde, wirklich zu herrschen und sie folglich in seinem Namen das Scepter tragen würde. Sie schmeichelte daher dem jungen Fürsten in seinen Neigungen, bewunderte zum Schein seine Leibesstärke und lobte himmelhoch seine energische Natur, als etwas, das von seiner königlichen Abkunft zeugte.
Um ihn noch mehr darin zu bestärken, stellte sie einen gewissen Ritter Markus an seine Seite, der ihr von ganzem Herzen ergeben war. Diesem vertraute sie ihre geheime Hoffnung und Versprach ihm die höchsten Aemter wenn er ihr zum Erreichen ihres Ziele beistände. Dazu brauchte er nicht anderes zu thun als den König zu begleiten, ihm immer zu schmeicheln und ihm Abneigung gegen alle friedliche Beschäftigung einzuflößen.
Solch wüsten und materielles Leben machte Oriand roh und leidenschaftlich; ja, seine Gemüthsart wurde allmählich so wild, daß er bei dem geringsten Widerstreben in ungestümen Zorn ausbrach, und jeder dann vor dem flammenden Blick seiner Augen erschrocken zurückweichen mußte.
Mattabruna allein behielt einen großen Einfluß auf ihn und vermochte es, ihn zu besänftigen, wenn etwas seine Wirth entzündet hatte.
Es ging so, wie die ehrgeizige Frau es gehofft hatte. Als Oriand mündig geworden war, ließ er sich krönen; doch ersuchte er seine Mutter, die Regierung des Landes in der Hand zu behalten, um ihm Sorgen zu ersparen, welche er nicht auf sich nehmen konnte und wollte, um so mehr, da der Kaiser, dessen Lehnsmann er war, ihn zur Hilfe gerufen hatte, und er mit den meisten seiner Ritter und Gewaffneten nach Deutschland in den Krieg ziehen sollte.
Mattabruna blieb so ganz Herrin. Nur eine Furcht beunruhigte sie; Oriand hatte setzt die Mannesjahre erreicht; Wenn einmal ein Weib ihn bezauberte und er eine Gemahlin auf den Thron setzte? Würde diese ihr nicht den Einfluß auf das Gemüth ihres Sohnes entziehen, und damit die Herrschaft über das Land?
Wohl hatte Mattabruna seit langem in Bezug darauf Vorsorge getroffen, indem sie ihrem Sohne Abneigung gegen alle Frauenspersonen einflößte; und sie meinte, es sei ihr damit hinlänglich geglückt, um hoffen zu dürfen, daß das rauhe Gemüth Oriand’s für das zarte Gefühl der Liebe verschlossen bleiben dürfte; . . . aber wer konnte es dennoch wissen?
Obschon sie seit Wochen keine Nachricht von dem König erhalten hatte, zweifelte sie nicht, daß Alles im Heer gut gehen müßte; denn sie wußte, daß Markus, der sich bei dem Könige befand, ihr einen seiner treuesten Diener – einen gewissen Savary – als geheimen Boten zusenden würde, sobald sich etwas ereignete, das ihre Entwürfe durchkreuzen konnte.
Sie war darüber noch in ihrem Zimmer am Nachdenken, als sie, beim Hören einer bekannten Stimme, mit großer Ueberraschung sich umdrehte und den Ritter Markus selbst vor ihren Augen stehen sah.
»O, Gott Lob, der Euch wieder zu mir führt, mein lieber Markus! rief sie. Welche Botschaft?«
»Gute Botschaft, Fürstin, antwortete er, der König kommt. Ich habe ihn nicht weit von hier verlassen, um Euch von seiner Rückkehr Meldung zu thun.«
»Was bedeutet aber solche Handlungsweise, Herr Ritter? Warum sandtet ihr mir Euren Boten nicht früher, um mir zu gestatten, dem Könige einen feierlichen Empfang zu bereiten?«
»Er hat es streng verboten, Fürstin. Er wünscht, daß man seine Rückkehr erst in einigen Tagen feiere.«
»Sonderbarer Wunsch, Markus!«
»Ja, Fürstin, der König träumt von nichts, als von Jagd. Einige Tage vor seiner Abreise nach Deutschland hat er in dem Walde ohne Gnade einen riesigen Bären verfolgt, der ihm entlaufen ist. Nun will er sofort, von morgen früh an, die Verfolgung wieder aufnehmen.«
»Sei es so; aber was uns betrifft, Markus, steht Alles gut?
»Alles vortrefflich, Fürstin. Ich habe sogar die Ueberzeugung erlangt, daß wir den verlockenden Blick der Frauen nicht mehr zu fürchten haben; der König hat kein Herz mehr für die Liebe.
»Gab er Euch Beweise davon? fragte Mattabruna mit einem Lächeln fröhlicher Hoffnung.
»Seid als Mutter glücklich und stolz, Fürstin,« sagte Markus. »Unser König Oriand hat so viele Heldenthaten vollbracht und den Feind so reichlich niedergemäht, daß der Kaiser ihn als ein Wunder der Kraft und der Unverzagtheit rühmte. Dank seiner unwiderstehlichen Verwegenheit war der Krieg schnell abgemacht. Wir zogen triumphierend nach Augsburg, wo prächtige Ritterspiele und Kämpfe angestellt wurden. Oriand, dessen Ruhm sich bereits rings umher verbreitet hatte, erlangte den Preis in allen Kämpfen, und wurde sechsmal durch die edelsten Jungfrauen Deutschlands gekrönt. Ihr hättet sehen sollen, Fürstin, wie Alle einen Blick von ihm zu erflehen schienen – denn der König ist ach! ein schöner Mann! – ja, selbst des Kaisers jüngste Tochter, die bezaubernde Aleidis, suchte mehr als andere seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Ich erschrak, denn die Liebe sprach aus ihren funkelnden Augen . . . «
»Ihr macht mich beben, Markus!« flüsterte Mattabruna.
»Tiefer noch würde Eure Angst gewesen sein, Fürstin, wenn Ihr wie ich hättet hören müssen, wie der Kaiser selbst in ziemlich unverhüllter Weise unserm König die Hand seiner Tochter anbot.«
»– Und Er?«
Er versicherte mit Worten den Abscheu vor allen Frauen, daß er nie die Bande der Ehe annehmen würde. Die Edelfrauen, erbittert über seine Gefühllosigkeit, nannten ihn den wilden König.
»Gott Dank! Dieser schwere Stein fällt mir vom Herzen!« jauchzte Mattabruna.
»Ihr begreift, Fürstin, daß ich das Meine dazu beigetragen habe, den König vor aller Verführung zu beschützen, indem ich ihm von Freiheit sprach, von männlichen Trotz, und von wilden Jagden; indem ich ihm begreiflich machte, daß er, einmal Sclave einer Ehegattin geworden, würde Lebewohl sagen müssen dem unabhängigen und zufriedenen Leben.«
»Guter, treuer Freund, sagte Mattabruna, seid sicher, ich werde nicht undankbar sein. Die Burg nun Wolweghem ist ein schönes Besitzthum, nicht wahr? Ich werde meinen Sahn antreiben, sie Euch zu schenken.«
Markus verbeugte sich und küßte die Hand seiner Gönnerin mit tiefer Empfindung. Er gedachte durch Worte seine Dankbarkeit zu bezeugen, doch Trompetenstöße, die aus der Ferne erschalltem überraschten ihn.
»Der König nahet!« sagte er.
»Eilen wir ihm entgegen!« rief Mattabruna.
Als Beide das Thor des Palastes erreichten, erschien Oriand gerade auf dem Vorhof an der Spitze seiner Ritter und Waffenknechte, die in der Stille herangeschritten kamen und nicht zu jubeln wagten, aus Furcht, es möchte dem König mißfallen.
Mattabruna eilte zu ihrem Sohne, und als er von, seinem Pferde gestiegen war, flog sie ihm an den Hals. Er drückte sie zärtlich in seine Arme, denn seine Mutter ehrte und liebte er.
Dann naheten seine Hofbeamten und vornehmen Diener, um ihren Fürsten und Herrn zu bewillkommnen.
Oriand horchte eine kurze Weile auf ihre Glückwünsche, er wurde aber schnell ungeduldig und wies sie mit, kühlen Worten zurück.
Er hatte Durst nach einem Vergnügen, das er so lange hatte entbehren müssen. Nichts ging ihm im Kopf herum, als seine große Jagd morgen.
Weil seine Ritter und Waffenknechte ermüdet sein mußten, gebot er, daß sie diese Nacht im Palaste und um denselben ausruhen sollten. Man sollte sie mit leckeren Speisen und gutem Weine bewirthen, und nichts sparen, um sie recht herrlich zu pflegen.
Was ihn selbst betraf, so beschäftigte er sich unverweilt mit Dingen, die ihm so nahe am Herzen lagen. Er ließ alle seine Jagdbedienten; die Förster, die Hornbläser, die Hundeführer, die Buschklopfer, die Wildträger zu sich rufen und theilte ihnen seine Befehle aus, um morgen mit Tagesanbruch zur Abreise nach dem Walde ohne Gnade bereit zu stehen.
Als einer der Förster ihm sagte, daß der furchtbare Bär noch in voriger Woche, die Ziege eines armen Holzhauers geraubt hätte, wurde die Leidenschaft des Königs dermaßen erhitzt, daß er einen Augenblick Willens war, sofort das Unthier aufzusuchen; aber dem Rath seiner Mutter Gehör gebend, beschloß er seine Ungeduld bis auf morgen zu bezwingen.
Er ertheilte hierauf einem jeden Urlaub, um den Willkommen-Wein mit seinen Freunden zu trinken; und gedachte selbst mit seiner Mutter in den Palast zu treten, als fünf oder sechs Ritter auf den Vorhof gesprengt kamen und bereits aus der Ferne den Hilferuf: »Harop! Harop!« hören ließen.
Der König blieb verwundert stehen. Diese Ritter schienen in großer Noth; denn ihre theilweise zerbrochene Waffenrüstung war mit Koth oder Blut beschmutzt, und die Pferde, worauf sie saßen, dampften von Schweiß und waren weiß von Schaum.
Einige Schritte vor dem König sprangen Alle herab, kamen mit gebeugten Häuptern näher, ließen sich auf ihre Kniee nieder und riefen mit erhobenen Händen:
»Hilfe, Hilfe, erbarmet Euch unser, mächtiger Fürst! Wir sind Eure treuen Vasallen, rächet das gräuliche Unrecht, das uns angethan wird durch einen Feind, der es wagt Euch zu verachten . . . «
Durch diese letzten Worte erbittert, gebot der König sehr barsch:
»Steht auf! Wer seid Ihr, Vermessene, die Ihr nicht fürchtet meine Wuth zu entflammen?«
Ein sehr alter Ritter mit weißen Haaren antwortete ihm:
»Euch sei alle Ehre und Ruhm, Herr König. Ihr kennt Euren demüthigen Diener, ich bin der Haushofmeister Eurer Pathin, der Frau Wittwe van Halkiyn.«
»Wirklich! Und für sie ruft ihr meine Hilfe an?«
»Für sie, mächtiger Herr!«
»Nun, sprecht, was ist ihr widerfahren?«
»Ihr wißt, Herr König, begann der Greis unter Thränenströmen, daß mein Gebieter, der Herr van Halkiyn, im Dienste- Eures Vaters sein Leben ließ. Seine Wittwe hat seit diesem Unglück sehr einsam und wie eingeschlossen gelebt, alle ihre Sorgen der christlichen und standesgemäßen Erziehung ihres einzigen Kindes widmend. Dieses Kind ist eine tugendsame Jungfrau geworden und weil sie eine reiche Erbin sein wird und Gott ihr in reichem Maaße Anmuth schenkte, so haben bereits viele Ritter nach ihrer Hand getrachtet; aber sie will ihre Mutter nicht verlassen . . . «
»Was seid Ihr langweilig!« murrte der Fürst.
»Entschuldigt mich, Herr König,« stammelte der Greis erschrocken, »ich bin schon hochbetagt . . . «
Wohlan, macht’s kurz!«
»Ja, Herr, so kurz wie möglich! Ein Ritter ist da, der meine Gebieterin, Eure unglückliche Pathin, mit Gewalt zwingen wollte, ihm die Hand ihrer Tochter abzutreten; aber die Anhänglichkeit aller ihrer Unterthanen, die Tag und Nacht gewaffnet blieben, um sie zu vertheidigen, hinderte ihn daran. Da hat er nun seine Zuflucht zu der Verläumdung genommen und ausgestreut, daß die Frau van Halkiyn eine Zauberin sei.«
»Ha, ha, meine Pathin, die gute Frau van Halkiyn, eine Zauberin! lachte der Fürst. Welche Dummheit!
»Aber, Herr König, das abgesonderte Leben meiner Gebieterin hat den häßlichen Beschuldigungen einigen Schein von Wahrheit verliehen und das Volk hat diese Dummheit geglaubt.
»Und weiter, weiter; beeilt Euch!
»Und weiter, Herr König? Als der böse Ritter meinte, daß meine Gebieterin hinlänglich von ihren verführten Unterthanen gehaßt würde und wenig auf ihre Hälse zählen könnte, ist er zu Felde gezogen, um die Burg van Halkiyn zu bestürmen, die vermeintliche Zauberin, wie er sagte, lebendig verbrennen zu lassen und ihre Tochter über die Schelde nach Celles zu führen.
»Was? Dieser Räuber ist Walram van Celles?
»Ja, Herr, er belagert jetzt die Burg van Halkiyn, worin nur noch sechzig treue Ritter und Waffenknechte; ihr Blut hingeben wollen zur Vertheidigung von zwei unschuldigen Edelfrauen. Sicher wohl werden sie es nicht lange gegen die Uebermacht des Feindes aushalten können. Ihr allein, Herr König, könnt sie noch retten, die Frau, welche die Ehre hatte, Euch als Kind über den Taufbrunnen zu halten und die nun aus der Ferne die Hände um Hilfe nach Euch ausstreckt.
»So, so, murrte der König mit hohler Stimme. Walram wagt auf meinem Grundgebiet, eine meiner Vasallen, meine Pathin sogar, in ihrer Burg zu bestürmen! Er fürchtet also weder meine Macht noch meine Wuth?
»Wir haben in unserer Noth Euren Namen angerufen, Herr Fürst; aber er, der auf den Beistand des Grafen van Hennegau hofft, hat Eurer gespottet.
»Der Unverschämte, er soll sterben!
»Ja, aber Herr, erbarmet Euch ihrer; sie schweben in Lebensgefahr; morgen ist es vielleicht zu spät! flehte der Greis.
»Wer spricht Euch von morgen? murmelte der König. Geht alle schnell in die Küche; eßt und trinkt und macht Euch bereit, mir zu folgen! Und sich nach dem Palaste wendend, rief er mit einer Riesenstimme, die über den großen Vorhof schallte: Erhebt Euch, stimmt an die Trompeten! . . . Man blase alle zu den Waffen und auf’s Pferd!
Weil, ungeachtet der größten Eile, die Sache nicht schnell genug nach seinem Wunsche ging, polterte er zornige Worte heraus und stampfte mit den Füßen.
Die Ritter und Waffenknechte, dieses von Ferne sehend, kamen in aller Eile herzugelaufen und ordneten sich unter ihre Obersten, jeder in seiner Schaar.
Nachdem der König seine Mutter umarmt hatte, sprang er zu Pferde, schwenkte seinen Degen in der Luft und rief seinen Mannen zu:
»Männer von Scheldegau, Leyegau und Isergau! Vermessene Feinde verletzten unser Grundgebiet; sie verspotten Euren König; wir gehen, sie bis auf den letzten Mann zu zermalmen. Hoch die Herzen! Vorwärts! Vorwärts!
Und unter dem Schall der Trompeten, dem Wiehern der Rosse, und dem Jauchzen der kriegslustigen Schaaren zog das Heer aus dem Vorhof und verschwand bald nach Osten zu hinter den Bäumen des nächsten Waldes.
1
Der Wald-ohne-Gnade (Thoraldi Silva) war ein dunkler Wald, der sich von den Ufern der Leye bis in die Nähe des Meeres über einen großen Teil von Flandern erstreckte und so genannt wurde, wahrscheinlich wegen der Gefahren, welche die Reisenden und Jäger bedrohten. Siehe Alte Geschichte der Belgier, von P. Blommart, S. 14.