Siska van Roosemal

Siska van Roosemal
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Hendrik Conscience. Siska van Roosemal

1. Bürger vom alten Schlag; Schwindler vom neuen Stil

2. Guter Rat, schlechter Entschluß

3. Hoch fliegen, tief fallen

4. Französische Prunker, kahle Junker

5. Besser späte Reue, als keine

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Seitdem Spinals Tochter aus dem Pensionat zurückgekommen war, hatte Siska van Roosemal viel von ihrer schönen Einfalt verloren. Sie hatte schon zu oft in dem Laden des Schuhmagazins gesehen, wie die verwelschten jungen Leute sich freie Scherze und Liebkosungen gegen ihre Freundin erlaubten und wie diese mit gefallsüchtigen Blicken und Gebärden darauf zu antworten wußte in der Schönen liebehauchenden französischen Sprache. Unschuldig und nicht wissend, welche unreinen Gelüste unter solchen falschen Liebesworten versteckt liegen, errötete Sie mehr als einmal vor Scham, wenn einer oder der andere von diesen jungen Laffen Sie in gebrochenem Französisch anredete und Sie nicht, wie ihre Freundin, darauf antworten konnte. Darum lag Sie ihrer Mutter täglich dringend an, daß Sie auch in jenes Pensionat geschickt werden möchte. Frau van Roosemal, die ihre Tochter mit blinder Zärtlichkeit liebte, hatte gleichfalls mit Neid wahrgenommen, daß Hortense, oder eigentlich Therese Spinal, so wenig hübsch Sie auch war, doch alle Augen auf sich zog, und daß ihre arme Siska schrecklich gemein aussah neben der aufgedonnerten Schusterstochter. In ihrem mütterlichen Hochmut däuchte es ihr, es gezieme sich nicht, ihr Kind noch länger so zurückgesetzt und verdunkelt zu sehen neben einer, die geringer sei als sie. Nachdem Sie ihrem Manne einige Monate lang mit derlei Vorstellungen in den Ohren gelegen, wurde beschlossen, daß Siska in das Pensionat gehen solle, jedoch solle der alte Pelkmann zuvor noch in dieser wichtigen Sache zu Rate gezogen werden.

Dieser Pelkmann war der Doktor oder Hausarzt der Familie, wie Sein Vater es beim vorigen van Roosemal gewesen war. Schon oft hatte er durch Seinen weisen Rat in verwickelten Sachen dem Krämer nützliche Dienste geleistet; was ihn aber den beiden Eltern vor allem so wert machte, war, daß er Siska schon zweimal in ansteckenden Krankheiten und zuletzt noch in der Cholera vom gewissen Tode gerettet hatte. In ihrer Dankbarkeit hatten Sie anerkannt, daß der Doktor hierdurch einiges Recht auf das Leben und die Zukunft ihrer Tochter erworben, und Sie beschlossen daher, nie etwas in Bezug auf sie ohne seinen Rat einzuholen. Und Sie taten wohl daran, denn der alte Pelkmann war wirklich ein weiser und gelehrter Mann, der den Lauf der Welt genau kannte und alles mit flämischer Vorsicht prüfte und ergründete.

.....

»Frau van Roosemal,« fiel der Doktor ein, »Ihr wollt mich nicht verstehen. Es ist nicht meine Absicht jemand zu hindern, fremde Sprachen zu erlernen: das könnt Ihr zur Genüge ja an meinem eignen Sohn Ludwig sehen, der jetzt auf der Universität ist. Versteht er nicht auch Französisch? Ich denke, ein wenig besser als die jungen Nichtswisser, die der Theres Spinal den Kopf verrücken und Euch so in die Augen Stechen, Frau van Roosemal. Seht mich nicht so unfreundlich an. Ja, es Sind Nichtswisser; denn was können sie? Etwas Gassenfranzösisch, das sie oft noch genug elend verhunzen; ihres Muttersprache kennen Sie auch nicht, und was die nützlichsten Wissenschaften betrifft, so sind ihnen Sogar die Namen unbekannt. Ihre ganze Gelehrtheit besteht in welschem Wind, in Worten und Redensarten, die sie hie und da aus Zeitungen und Romanen auffischen. Daraus spinnen sie dann ein hohles eitles Geschwätz zusammen und verkaufen es an Unkundige für französische Bildung! – Aber Ihr macht mich ärgerlich, wir kommen von unserm Gegenstande ab. Lasset uns einander besser verstehen. Ich sage Euch denn, – und merket wohl auf meine Worte: es gibt allerdings gute Erziehungsanstalten; aber es gibt unendlich mehr schlechte. Die guten sind die, wo die Vorsteherinnen, ihre heilige Aufgabe erkennend, sich ein nützlicheres Ziel setzen, als ein Mädchen mit einem glänzenden Weltfirnis zu überziehen auf Kosten ihrer Gottesfurcht und Sittsamkeit; wo die Lehrerinnen eifrig zusammenwirken und unablässig wachen, um das Gift der Verführung abzuwehren und Eitelkeit und Leichtsinn zu bekämpfen; wo man weiß, welche gute Eigenschaften in der flämischen Gesinnung ihre Wurzel haben, und wie gefährlich es ist, diesen reinen Boden fremden Einflüssen preiszugeben; mit einem Worte, wo man nicht beabsichtigt, modische Fräulein, sondern nützliche und würdige Hausmütter zu bilden. – Wollt Ihr nun Eure Siska in eine solche Erziehungsanstalt geben, so habe ich nichts dawider; weit entfernt, ich freue mich darüber. Alles hängt jedoch hier aber von der Wahl ab, die Ihr treffen werdet. Ich weiß es leider: die meisten französischen Pensionate sind Nester des Verderbens und der Entsittlichung; doch lassen sich auch die guten leicht finden, wenn man nur Suchen will. Wenn Ihr es wünscht, will ich Euch eine Solche Anstalt nennen; die von X . . . zum Beispiel.«

»Ja, das Pensionat von X . . . ,« rief die Mutter, »ich dachte es wohl. Nein! dann kann unsere Siska auch wohl zu Hause bleiben. Seht die Anna van Straten an; die war in dieser Anstalt, und nach drei Jahren ist sie zurückgekommen wie Sie hingegangen war. Sie ist wohl brav und eingezogen, auch, wie ich höre, wohl unterrichtet und erfahren in allem, was zu einem guten Haushalte gehört; aber das kann man ja doch überall lernen; darum braucht man in keine Erziehungsanstalt zu gehen!«

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