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Guter Rat, schlechter Entschluß

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Seitdem Spinals Tochter aus dem Pensionat zurückgekommen war, hatte Siska van Roosemal viel von ihrer schönen Einfalt verloren. Sie hatte schon zu oft in dem Laden des Schuhmagazins gesehen, wie die verwelschten jungen Leute sich freie Scherze und Liebkosungen gegen ihre Freundin erlaubten und wie diese mit gefallsüchtigen Blicken und Gebärden darauf zu antworten wußte in der Schönen liebehauchenden französischen Sprache. Unschuldig und nicht wissend, welche unreinen Gelüste unter solchen falschen Liebesworten versteckt liegen, errötete Sie mehr als einmal vor Scham, wenn einer oder der andere von diesen jungen Laffen Sie in gebrochenem Französisch anredete und Sie nicht, wie ihre Freundin, darauf antworten konnte. Darum lag Sie ihrer Mutter täglich dringend an, daß Sie auch in jenes Pensionat geschickt werden möchte. Frau van Roosemal, die ihre Tochter mit blinder Zärtlichkeit liebte, hatte gleichfalls mit Neid wahrgenommen, daß Hortense, oder eigentlich Therese Spinal, so wenig hübsch Sie auch war, doch alle Augen auf sich zog, und daß ihre arme Siska schrecklich gemein aussah neben der aufgedonnerten Schusterstochter. In ihrem mütterlichen Hochmut däuchte es ihr, es gezieme sich nicht, ihr Kind noch länger so zurückgesetzt und verdunkelt zu sehen neben einer, die geringer sei als sie. Nachdem Sie ihrem Manne einige Monate lang mit derlei Vorstellungen in den Ohren gelegen, wurde beschlossen, daß Siska in das Pensionat gehen solle, jedoch solle der alte Pelkmann zuvor noch in dieser wichtigen Sache zu Rate gezogen werden.


Dieser Pelkmann war der Doktor oder Hausarzt der Familie, wie Sein Vater es beim vorigen van Roosemal gewesen war. Schon oft hatte er durch Seinen weisen Rat in verwickelten Sachen dem Krämer nützliche Dienste geleistet; was ihn aber den beiden Eltern vor allem so wert machte, war, daß er Siska schon zweimal in ansteckenden Krankheiten und zuletzt noch in der Cholera vom gewissen Tode gerettet hatte. In ihrer Dankbarkeit hatten Sie anerkannt, daß der Doktor hierdurch einiges Recht auf das Leben und die Zukunft ihrer Tochter erworben, und Sie beschlossen daher, nie etwas in Bezug auf sie ohne seinen Rat einzuholen. Und Sie taten wohl daran, denn der alte Pelkmann war wirklich ein weiser und gelehrter Mann, der den Lauf der Welt genau kannte und alles mit flämischer Vorsicht prüfte und ergründete.

An einem bestimmten Tage saß der Doktor mit Vater und Mutter van Roosemal in einer Stube hinter dem Laden und das Gespräch ward durch Meister van Roosemal also begonnen:


»Doktor Pelkmann, meine Frau will durchaus, daß wir Siska in ein französisches Pensionat schicken. Was mich betrifft, ich bin lange dawider gewesen; allein die Tränen Siskas haben endlich meinen Sinn erweicht.«

»In eine französische Kostschule?« fragte der Doktor verwundert. »In ein französisches Pensionat? Es gibt ja doch gute Schulen genug in der Stadt und da kann man doch wenigstens alle Tage nachsehen, ob das Schäflein nicht irreläuft.«

»Ach, ach!« rief die Mutter lachend und mit einer Art Verachtung, »was kann man denn in den Schulen der Stadt lernen? Stricken, Nähen, Leinwand zeichnen, Hemden zuschneiden, Rechnen – und Flämisch, was ohnehin jedermann kann. Da seht Spinals Tochter an; als ein Klotz ging Sie fort, als ein Fräulein kam Sie wieder; sie spricht französisch, ist überall beliebt, wird von allen vornehmen jungen Herren aufgesucht . . . Sie darf nur wählen, mit wem Sie ihr Glück machen will.«

Der Doktor zuckte die Achseln und schüttelte bedenklich den Kopf. Er antwortete:


»Ihr betrübt mich, Frau van Roosemal. Ich weiß nicht, welch böser Geist Euch anbläst und Euer gesundes Urtheil so plötzlich verkehrt hat. Die vornehmen jungen Herren, davon Ihr redet, Spieler und dünne Schreiber, die in den Schusterladen kommen wie die Fliegen auf den Zuckerhut. Ich kenne Hortense Spinal und kann Euch sagen, daß ich mein halbes Vermögen darum gäbe, zu verhindern, daß Siska ihr jemals gleiche. Wollt Ihr dieses unschuldige, dieses schöne und reine Kind verderben, sie von Religion, von Sittsamkeit und flämischer Rechtschaffenheit abbringen lassen, um eine leichtsinnige, buhlerische Kokette daraus machen? Nehmt Euch in acht! Mein Rat wird vielleicht hier unnütz sein; aber dann werdet Ihr Euch noch hinter den Ohren kratzen, wenn wir das Glück haben, noch zu leben.«

Die beiden Eltern waren in sehr ungleicher Weise von des Doktors strengen Worten getroffen; beide lächelten: der Vater vor Freude, hoffend, daß der Doktor obsiegen werde, die Mutter aus Ärger. Sie gab sich jedoch nicht gefangen, sondern rief aus:

»Doktor, Doktor, Ihr übertreibts! Ich weiß wohl, daß ihr einen Haß habt gegen alles, was Französisch ist; aber wir sind von der alten Welt, Freund. Es geht heutzutage nicht mehr so . . . «

»Frau van Roosemal,« fiel der Doktor ein, »Ihr wollt mich nicht verstehen. Es ist nicht meine Absicht jemand zu hindern, fremde Sprachen zu erlernen: das könnt Ihr zur Genüge ja an meinem eignen Sohn Ludwig sehen, der jetzt auf der Universität ist. Versteht er nicht auch Französisch? Ich denke, ein wenig besser als die jungen Nichtswisser, die der Theres Spinal den Kopf verrücken und Euch so in die Augen Stechen, Frau van Roosemal. Seht mich nicht so unfreundlich an. Ja, es Sind Nichtswisser; denn was können sie? Etwas Gassenfranzösisch, das sie oft noch genug elend verhunzen; ihres Muttersprache kennen Sie auch nicht, und was die nützlichsten Wissenschaften betrifft, so sind ihnen Sogar die Namen unbekannt. Ihre ganze Gelehrtheit besteht in welschem Wind, in Worten und Redensarten, die sie hie und da aus Zeitungen und Romanen auffischen. Daraus spinnen sie dann ein hohles eitles Geschwätz zusammen und verkaufen es an Unkundige für französische Bildung! – Aber Ihr macht mich ärgerlich, wir kommen von unserm Gegenstande ab. Lasset uns einander besser verstehen. Ich sage Euch denn, – und merket wohl auf meine Worte: es gibt allerdings gute Erziehungsanstalten; aber es gibt unendlich mehr schlechte. Die guten sind die, wo die Vorsteherinnen, ihre heilige Aufgabe erkennend, sich ein nützlicheres Ziel setzen, als ein Mädchen mit einem glänzenden Weltfirnis zu überziehen auf Kosten ihrer Gottesfurcht und Sittsamkeit; wo die Lehrerinnen eifrig zusammenwirken und unablässig wachen, um das Gift der Verführung abzuwehren und Eitelkeit und Leichtsinn zu bekämpfen; wo man weiß, welche gute Eigenschaften in der flämischen Gesinnung ihre Wurzel haben, und wie gefährlich es ist, diesen reinen Boden fremden Einflüssen preiszugeben; mit einem Worte, wo man nicht beabsichtigt, modische Fräulein, sondern nützliche und würdige Hausmütter zu bilden. – Wollt Ihr nun Eure Siska in eine solche Erziehungsanstalt geben, so habe ich nichts dawider; weit entfernt, ich freue mich darüber. Alles hängt jedoch hier aber von der Wahl ab, die Ihr treffen werdet. Ich weiß es leider: die meisten französischen Pensionate sind Nester des Verderbens und der Entsittlichung; doch lassen sich auch die guten leicht finden, wenn man nur Suchen will. Wenn Ihr es wünscht, will ich Euch eine Solche Anstalt nennen; die von X . . . zum Beispiel.«

»Ja, das Pensionat von X . . . ,« rief die Mutter, »ich dachte es wohl. Nein! dann kann unsere Siska auch wohl zu Hause bleiben. Seht die Anna van Straten an; die war in dieser Anstalt, und nach drei Jahren ist sie zurückgekommen wie Sie hingegangen war. Sie ist wohl brav und eingezogen, auch, wie ich höre, wohl unterrichtet und erfahren in allem, was zu einem guten Haushalte gehört; aber das kann man ja doch überall lernen; darum braucht man in keine Erziehungsanstalt zu gehen!«


»Und zu welchem Ende Soll man denn hineingehen, Mutter van Roosemal? Ich verstehe Euch wohl: um verwelscht zu werden, nicht wahr? um, gleich Therese Spinal, Leichtsinn und Ausgelassenheit heimzubringen; um sich über seinen Stand kleiden und zu jedermanns Ärgernis die Modepuppe und den Leichtfuß Spielen zu lernen?«

»Aber Doktor,« bemerkte Vater van Roosemal, »wenn die meisten Pensionate die Kinder verderben, wie kommt’s denn, daß alle reichen Leute, die doch auch nicht dumm sind, ihre Töchter dahin schicken?«

»Versteht mich recht, meine Freunde,« fuhr der alte Pelkmann mit ruhigem Gemüt fort, »jeder Stand in der Gesellschaft hat seine Denkweise und Sitte. Was gut, anständig und nützlich sein mag für ein Edelmannskind, ist oft schlecht, unziemlich und schädlich für das Kind eines Krämers. Das Verderbliche der Erziehung, die man in solchen Anstalten den Mädchen gibt, liegt hauptsächlich darin, daß man den Töchtern eines Schusters oder Metzgers dieselben Lebensansichten und Gewohnheiten beibringt, wie denen eines Edelmanns oder reichen Gutsbesitzers; und die, welche zur Arbeit bestimmt sind, geradeso erzieht und hält wie diejenigen, welche nie etwas anders zu tun haben werden, als ihren Verstand zu gebrauchen, um sich im Wohlleben nicht zu langweilen. So verdirbt man die menschliche Gesellschaft von Grund auf; jedes Mädchen will Fräulein sein, und mit der Kleiderpracht kommt Faulheit, Geldverschwendung, Leichtsinn und noch Ärgeres. Man erzieht haufenweise französische Zierpuppen; aber flämische, arbeitsame, züchtige Hausfrauen? Nicht eine!« —

Jetzt Stand Vater van Roosemal plötzlich von seinem Stuhle auf und sprach mit Nachdruck:

»Genug, genug! Ihr Seid viel zu gut, Doktor, daß ihr darüber so viel Redens macht. Ihr habt vollkommen recht, und Siska soll entweder in das Pensionat von X. kommen oder sie soll zu Haus bleiben, wenn anders ich hier der Herr bin. Und du, Weib, mit deinem Französisch! Möchtest du sagen, wir hätten Not gelitten und wären den Krebsgang gegangen, bloß weil wir unsere Muttersprache reden? Ich Sage: gut ist gut; und wer gut besser machen will, den halte ich für einen dummen Esel. Und um es kurz zu machen: Siska bleibt zu Haus!«

Allein der brave Mann hatte ohne den Wirt oder besser ohne seine Frau gerechnet. Diese rief voll Ärger:

»Oho, nicht so vorschnell, van Roosemal! Es scheint, daß du heute gar viele Noten zu deinem Sang hast. Setz dich nur nieder, Mann, und mach dir kein böses Blut. – Doktor, Sagt einmal, welch große Sünde sollte es denn sein, wenn unsre Siska so wohlerzogen wäre und so gut Französisch könnte wie ein Edelmannskind? Oder sollte sie deshalb um ein Haar schlechter sein?«

Aus dieser Frage verstand der Doktor, daß er gegen einen gefaßten Entschluß und gegen weiblichen Eigensinn zu kämpfen habe; darum änderte er seinen Ton, gab seiner Stimme mehr Nachdruck und antwortete:

»Keineswegs, wenn Sie in dem Pensionat, das Ihr im Auge habt, nur Wohlgezogenheit und nützliche Kenntnisse erlangte; aber Ihr wißt nicht, Mutter, was die Mädchen in solchen Anstalten von ihren Lehrerinnen und voneinander alles lernen. Soll ich es Euch Sagen? So horcht denn; es Sind traurige Wahrheiten. Man lernt dort Französisch, ja; aber mit der französischen Sprache lernt man auch französische Manieren, zum Beispiel, wie man die Äuglein drehen, das Gesichtchen glätten, das Mündchen spitzen müsse, um reizend und liebenswürdig zu erscheinen; wie man zugunsten einer romantischen, das heißt heimlichen Liebe seine Eltern betrügen; wie man sich den Kopf mit Geist und Leib verderbendenBildern der Leidenschaften anfüllen; wie man sich mit Pomaden von allerlei Gerüchen einreiben, das Haar à la neige, en tire-bouchons oder à la chinoise5 kräuseln, sich en négligé, en robe de ville und en costume de bal6 kleiden; wie man sich verbeugen und neigen müsse nach dem Stande der Menschen: tief vor einem Reichen, beinahe nicht vor einem Bürger und ganz und gar nicht vor einem geringen Menschen. Man lernt dort französische Liebeslieder, die unter dem Namen von Romanzen die geschlechtlichen Triebe zu früh wecken und Stacheln und einem unwissenden Kinde Worte und Dinge lehren, die es nicht wissen soll; mit einem Worte Lieder, die unter gleißender Hülle nur Sittenverderb, Gift und Verführungen für junge Mädchen sind . . . Sind das Kenntnisse, die einem Christenkinde, einer Bürgerstochter geziemen?«

5

 Verschiedene Arten des Haarputzes: Schneeisch, korkzieherisch, chinesisch.

6

 Verschiedene Kleidungsweisen: Morgenkleid, Besuchkleid, Ballkleid.

Siska van Roosemal

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