Читать книгу Sorrowville - Henning Mützlitz - Страница 8

Оглавление

Kapitel 3: Die Stätte der Gebeine

Lissy hatte nicht zu viel versprochen. Die Lache getrockneten Blutes, die sie und Zack auf der zentralen Passage des Green Wood Cemetery zu sehen bekamen, war enorm. Der Kies war in einem großen Bereich dunkelrot gefärbt, dazwischen fanden sich undefinierbare Brocken organischer Substanz sowie unzählige Knochensplitter.

»Beeindruckend.« Lissy blies eine Wolke blauen Rauch in die Morgenluft. »Sieht aus, als sei hier ein Schwein geschlachtet worden.«

»In gewisser Weise ist das tatsächlich geschehen«, bestätigte Zack. Er wusste um den Ruf, den sich der Friedhofswächter Bernhard White erworben hatte.

»Da hat jemand ganze Arbeit geleistet«, bestätigte der Polizist, der sie bis zu der Stelle geführt hatte. Weitere Uniformierte sorgten dafür, dass keine Menschen auf dem eingetrockneten Lebenssaft herumtrampelten.

Zack sah sich um. Neben den Polizisten und einigen weiteren Leuten, die er der Gerichtsmedizin zuordnete, waren auch viele Schaulustige vor Ort, die in einer größeren Gruppe abseits standen und über das Geschehene diskutierten. Trauernde passierten die Szene auf dem Weg zu den Gräbern ihrer Verwandten, und auch vor den Krypten der bekannten Familien der Stadt fanden sich Personen. Einige Gesichter davon kannte er. Für Zacks Geschmack waren hier viel zu viele Menschen vor Ort, die alles dafür taten, Spuren und Hinweise zu verwischen.

Auch Lissy war es aufgefallen. »Die halbe Stadt ist hier oben. Ich dachte, es wäre ein heißer Tipp von Doyle gewesen, dass hier etwas vorgefallen ist. Wen hat er noch alles angerufen? De Witt, Trasko, Felsburgh, Kuemmel – die reichen Säcke sind alle hier.«

Zack zuckte die Schultern und grunzte.

»Und?«, fragte Lissy und deutete auf das Blut »Was sagst du dazu?«

»Nicht viel. Ich weiß ja noch nichts über diese Sache.«

»Dort kommt der Inspector«, sagte der Polizist und wies den Kiesweg hinunter. »Er kann Ihnen alles erklären, Mr. Zorn.«

Tatsächlich traf kurz darauf Inspector Rudolph Turner bei ihnen ein. Der Ermittler mit dem markanten Schnäuzer sah besorgt aus, als er Lissy und danach Zack die Hand reichte. Dies stellte allerdings erst einmal nichts Ungewöhnliches dar, denn es war immer der Fall, wenn Zack ihn an einem Tatort antraf.

»’n Morgen, Rudy. Was habt ihr denn hier für eine Sauerei veranstaltet?«

»Sehr witzig. Ich hätte mir einen ruhigeren Morgen gewünscht.« Der Inspector schob den Hut in die Stirn und stemmte die Hände in die Hüften, was den recht üppigen Bauch noch mehr betonte. Er wies auf das Blut und kratzte sich mit der anderen Hand am Kopf. »Das ist … das war Bernie White, aber das wisst ihr wahrscheinlich ja bereits. Wir wurden heute Morgen gerufen, als er von der Tagesschicht abgelöst werden sollte.«

»Woher wisst ihr, dass es White ist?«, fragte Lissy und machte sich eine Notiz in einem Papierblock. »Für mich ist das erstmal nur eine Pfütze Blut.«

»Sein Gewehr lag hier, ebenso einige andere Gegenstände und Überreste seiner Kleidung. Mehr war nicht zu finden. Wir haben bereits einen großen Teil des Friedhofsgeländes abgesucht. Das ist alles, was von ihm übrig ist.«

»Warum wurden die Sachen weggeräumt?«, fragte Zack. »Man hätte den Tatort unangetastet lassen sollen, um weitere Erkenntnisse zu erlangen.«

»Die Gegenstände werden bereits untersucht, und das Gewehr hat die Friedhofsverwaltung verwahrt.«

»Sieht für mich so aus, als wäre er aufgefressen worden«, bemerkte Lissy.

Rudy nickte. »Haben wir auch gedacht. Aber welches Tier kann einen erwachsenen Mann anfallen und mit Haut und Haaren auffressen? Ein Bär? Wie soll der auf das Gelände gekommen sein? Bernie selbst hat dafür gesorgt, dass niemand, weder Mensch noch Tier, den Zaun durchdringen kann.«

»Was ist mit seinem Hund? Vielleicht hat er sein Herrchen angefallen«, überlegte Lissy.

»Kein Hund ist in der Lage, so etwas zu tun«, sagte Zack. Er holte die Tabaksdose hervor und begann sich eine Zigarette zu drehen.

»Nein, der Hund war es definitiv nicht«, bestätigte Rudy und holte etwas aus seiner Tasche hervor. Es handelte sich um ein blutverschmiertes Lederband. »Seine Überreste haben wir hinten am Zaun gefunden. Ist ungefähr genau so viel übrig davon. Oder besser gesagt: genau so wenig.«

»Was kann es dann gewesen sein?« Lissy sah Zack an.

Auch die Augen des Inspectors wanderten zu dem Privatermittler, von dem sie wussten, dass er Dinge sehen konnte, zu denen andere Menschen nicht in der Lage waren. Sie brauchten die Frage nicht zu stellen, denn die Antworten, die sie bereits gegeben hatten, wiesen darauf hin, dass die Vorgänge unter Umständen keine natürliche Ursache besaßen.

Zack ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, sondern beschäftigte sich weiter mit dem Tabak. Er mochte zwar über eine bessere Wahrnehmung als gewöhnliche Menschen verfügen und hatte eine Gabe dafür, Dinge aufzuspüren, die nicht auf natürliche Weise erklärbar waren, dennoch war er zunächst genauso unwissend wie alle anderen.

»Es gibt noch mehr«, sagte Rudy, als er keine Antwort erhielt. »Die Grabmäler mehrerer großer Grüfte wurden beschädigt. Grabplatten wurden zerstört, Särge aufgerissen, Zugangstüren zertrümmert.«

Zack leckte an seinem Zigarettenpapier und blickte auf. »Da habt ihr eure Antwort.«

»Wie bitte?« Rudy war verwirrt. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Du meinst doch nicht etwa, dass die Toten ihre Gräber verlassen haben, um den armen Bernie aufzufressen? Wir haben ja schon viel erlebt in Sorrowville, aber das scheint mir ein wenig zu abstrus zu sein. Eher haben wir es mit Grabräubern zu tun, die sich an den Grablegen der Reichen zu schaffen machen. Wäre ja nicht das erste Mal.«

»Und ihr meint, Bernie ist ihnen dabei in die Quere gekommen?«, fragte Lissy. »Das erklärt aber nicht, dass ihr keine Leiche gefunden habt.«

»Das muss nichts heißen«, wandte der Inspector ein. »Vielleicht haben sie sie mitgenommen.«

»Unwahrscheinlich«, sagte Zack, der nun endlich mit seiner Arbeit fertig war und den ersten Zug sichtlich genoss. »War das Tor aufgebrochen? Habt ihr Löcher im Zaun gefunden? Gibt es eine Blutspur? Wie sollen sie ihn hier weggeschafft haben? Warum überhaupt? Um Spuren zu verdecken? Ich behaupte, dass selbst einem äußerst dämlichen Grabräuber, der versehentlich zum Mörder wird, klar gewesen sein muss, das derartige Spuren nicht zu verwischen sind. Das ergibt keinen Sinn.«

»Mein Gott, das weiß ich doch!«, seufzte Rudy. »Aber wir müssen den Leuten eine halbwegs glaubhafte Erklärung liefern.«

»Dann solltet ihr euch etwas Besseres ausdenken«, merkte Lissy an. »Das glaubt euch kein Mensch.«

»Was soll ich machen? Ihnen erzählen, dass hier etwas geschehen ist, das wir uns nicht erklären können? Soll ich mir etwas ausdenken, das sich noch unglaubwürdiger anhört? Deshalb bin ich froh, dass ihr gekommen seid. Vielleicht findet ihr ja weitere Anhaltspunkte. Ich habe zu viel zu tun und kann mich nicht mit damit aufhalten, wenn gleichzeitig Leichen im Hafen schwimmen, deren Tod weit weniger geheimnisvoll ist.«

»Kommt drauf an …«, sagte Zack.

Rudy verdrehte die Augen. »Natürlich wirst du dafür bezahlt. Komm heute Nachmittag aufs Revier und berichte, was du herausgefunden hast. Je nach Ergebnis gibt es was auf die Hand.« Er blickte zu Lissy. »Und Ihnen wäre ich dankbar, wenn Ihr Artikel gegenüber der Polizei von Sorrowville etwas wohlwollender ausfiele als beim letzten Mal. Sie konnten sich aus erster Hand davon überzeugen, dass wir es hier mit einer kaum lösbaren Aufgabe zu tun haben, für die uns zur Zeit Kapazitäten fehlen. Vielleicht liefert Ihnen Mr. Zorn etwas besseren Stoff als ich.«

Lissy lachte auf und machte sich eine Notiz. »Wir werden sehen, Herr Inspector. Wir werden sehen.«

Damit verabschiedete sich der Inspector von ihnen.

»Und?«, fragte Lissy, als er außerhalb der Hörweite war. »Willst du wirklich mehr herausfinden?«

Zack nickte langsam. »Ganz abgesehen davon, dass ich gerade jeden Cent gebrauchen kann, spüre ich, dass etwas vor sich gegangen ist, das für die Polizei tatsächlich nicht zu erklären ist. Hier steckt mehr dahinter, als es den Anschein hat. Lass uns zuerst einen Blick in die Grabhäuser werfen. Ich will wissen, wie es dort aussieht, bevor ich Vermutungen anstelle.«

Lissy nickte und begleitete ihn zu der in der Nähe gelegenen Krypta der Familie de Witt. Zwei massige Männer standen vor dem Eingang. Ihr grimmiger Blick verriet, dass sie die beiden nicht einlassen würden.

»Zacharias Zorn, Sonderermittler im Auftrag des SVPD«, sagte Zack gelangweilt und zückte seinen Ausweis.

»Mr. de Witt hat verboten, irgendjemandem hineinzulassen«, kam es kurz angebunden zurück. Dann richtete der Schrank von einem Mann den Blick wieder an ihnen vorbei auf die Grabhäuser auf der gegenüberliegenden Seite.

»Ist Mr. de Witt gerade dort drin? Das ist ja interessant!« Lissy machte sich eifrig Notizen. »Oh, Entschuldigung. Elizabeth Roberts von der Sorrowville Gazette. Ich würde Mr. de Witt gerne einige Fragen stellen.«

»Vergessen Sie es gleich wieder, Miss«, sagte der Mann. »Sie bleiben ebenfalls draußen.«

Lissy wollte sich die Zurückweisung nicht bieten lassen, das erkannte Zack an der Falte, die sich auf ihrer Stirn bildete, doch er ahnte, dass sich die Leibwächter mit Beleidigungen oder Drohungen nicht erweichen lassen würden, sie durchzulassen.

Diese waren aber nicht notwendig, denn kurz darauf erschien ein kleiner korpulenter Mann in der Tür des Grabhauses. Er trug einen hellen Hut mit breiter Krempe, der im Kontrast zur dunkelbraunen Haut seines Gesichts stand. Manfredo de Witts Mutter war gebürtige Kolumbianierin gewesen, während sein Vater Jakob der niederländischen Hauptlinie der Familie entstammte. Beide waren zwei Jahre zuvor bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen, und der damals siebzehnjährige Alleinerbe schlug sich seitdem mehr schlecht als recht durchs Leben, soweit Zack wusste. Er galt als vergnügungssüchtig und aufbrausend. Kein Wunder bei einem pubertären Erben eines Millionenvermögens.

»Mr. de Witt! Mr. de Witt!«, rief Lissy. »Elizabeth Roberts von der Gazette. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«

Der junge Mann schien in Gedanken versunken gewesen und überrascht zu sein, direkt angesprochen zu werden. Er blickte auf und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht, dann kam er die Stufen zu ihnen hinauf und schob seine Männer beiseite.

»Was wollen Sie wissen?«, fragte er. »Dass die Krypta meiner Familie halb zerstört ist? Dass die Särge meiner Eltern geborsten sind? Dass die Ruhe unschuldiger Toter schändlich gestört wurde? Was soll ich Ihnen erzählen, Ms. Roberts?« Er war mit jedem Wort lauter geworden, und am Ende brüllte er fast.

Lissy war einen Augenblick lang sprachlos.

Zack zog an seiner Zigarette und wartete ab.

»Schreiben Sie doch einfach, was Sie wollen, es kümmert mich nicht.« De Witts Blick traf Zack. »Sie sind Zacharias Zorn, nicht wahr? Ich habe von Ihnen gehört. Sie sind immer dann zur Stelle, wenn etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Dann, wenn höhere Mächte mit im Spiel sind oder so etwas.«

»Mag sein, dass Sie das gehört haben«, gab Zack zurück.

»Gut, denn hier geht etwas ganz und gar nicht mit rechten Dingen zu, das sieht jedes kleine Kind! Aber die unfähige Polizei wird nichts dagegen tun und den Fall zu den Akten legen. Wie damals. Sie sind Privatermittler, das heißt, man kann Sie anheuern, nicht wahr?«

»Das ist möglich, ja.«

»Hervorragend. Sie werden für mich herausfinden, was hier geschehen ist und wer die Ruhe meiner Eltern gestört hat! Und wenn ich das weiß, sorge ich dafür, dass er es dreifach zurückgezahlt bekommt!«

»Ich kann das zwar versuchen, Mr. de Witt. Allerdings …«

»Ich zahle Ihnen eintausend Dollar, Mr. Zorn.«

Lissy atmete heftig aus.

Zack hingegen hätte sich beinahe am Tabakrauch verschluckt, so dass er schnaubte.

Manny de Witt verzog das Gesicht. »Gut, Sie haben recht, das war zu wenig. Eintausendfünfhundert, aber dafür präsentieren Sie mir den Arsch des Verbrechers, der das hier getan hat, auf dem Silbertablett.«

Zack ließ sich nichts anmerken und nickte. »Kein Problem, Mr. de Witt.«

»Machen Sie sich an die Arbeit. Sehen Sie sich auch in der Krypta um, drehen Sie den gesamten Friedhof auf links, wenn es sein muss! Ich will so schnell wie möglich Ergebnisse sehen. Sie wissen, wo Sie mich finden, Mr. Zorn.« Damit verschwand Manny de Witt mit seinen Leibwächtern in Richtung Friedhofstor.

Ungläubig blickte Zack ihm hinterher.

»Damit haben Sie wohl einen neuen Auftrag, Mr. Zorn«, hauchte Lissy in sein Ohr, als sie sich wieder gefangen hatte. »Es kommt offenbar Arbeit auf Sie zu.«

Zacks Mund verzog sich zu einem zufriedenen Grinsen. »Sieht ganz so aus. Aber das macht überhaupt nichts. Für so viel Geld würde ich bis in die Hölle und zurück gehen.«

Sorrowville

Подняться наверх