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Ali Baba

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Die ganze Familie beteiligte sich mit leidenschaftlichem und gerührtem Eifer an der Toilette Ali Babas, der um neun Uhr in die Hundeausstellung gebracht werden sollte.

Der riesige Bernhardiner stand unbeweglich auf seinen massigen Beinen und ließ sich von einem halben Dutzend zärtlicher Hände betreuen. Die schwarzen Jettkugeln seiner Augen rollten in ihrer rubinfarbenen Umrahmung, er schüttelte ein wenig seinen faltigen Kopf und reckte sich in seinem wolligen, sorgsam und frisch gewaschenen Fell.

In dieser bescheidenen Beamtenwohnung sah er aus wie ein nicht recht hingehöriger, aber lebhaft umschmeichelter, reicher Verwandter in einem wundervollen neuen Pelzmantel.

Endlich ging die ganze Familie die Treppe hinab: der Vater zuerst, dann die Mutter, auf deren rundem, weichem Gesicht sich das Lächeln immer in Tränen aufzulösen schien, dann Ali Baba, der mit derselben monumentalen Ruhe über die ausgetretenen Stufen schritt, als ob er eben vom Mont Blanc herunterstiege, endlich Ludwig und Antoinette, die trotz ihrer kleinen Zappelbeinchen sich eines würdevollen Ganges beflissen und ihre Köpfchen ernsthaft und steif in die Höhe reckten. Der riesige Hund, dessen Rücken unwahrscheinlich hoch an seine aufrecht gehenden Freunde heranreichte, erregte im Freien Staunen und Bewunderung, wie immer. Man blieb stehen und alle Vorübergehenden machten Bemerkungen, naive oder grobe, je nach ihrer Erziehung.

»Man spricht über uns!« flüsterte Ludwig.

. . . . Auf der Ausstellung hatte Ali Baba ungeheuren Erfolg. Das entschädigte die dürftige Familie für alle Opfer, die sie dem vierbeinigen Riesen gebracht hatte, welcher der Mittelpunkt ihres Hauses geworden war. Seine Entwicklung war allerdings eine Überraschung gewesen. Als der Vater eines Abends eine Art schmutziges, bewegliches Wollknäuel heimbrachte, das er im Rinnstein gefunden hatte, konnte niemand ein so phantastisches Wachstum erwarten. Man schloß ihn sofort ins Herz und erst später begann er zu wachsen. Man hatte ihn geliebt, erst wie ein Kind, dann wie einen Bruder. Man liebte ihn, sagte es ihm hundertmal des Tages und er sah mit verstehenden Blicken auf. Man legte die Arme um seinen Hals, um seine Aufmerksamkeit zu erzwingen. Wie viele Zärtlichkeiten gab er freundlich zurück! Wie viele Küsse hatte sein Fell, das wie lauer Schnee und weiches Gold schien, schon empfangen!

Man hatte seit anderthalb Jahren unendliche Unannehmlichkeiten ertragen, ungeheure Opfer gebracht, um diesen riesenhaften Tischgenossen in der engen Wohnung beherbergen zu können, die so wenig für ihn geschaffen schien, daß man immer an die exotischen Riesenfrüchte denken mußte, die in Glasgefäßen großgezogen werden. Obwohl Herrn Lenglés Einkommen stieg, verminderte es sich dennoch, weil Ali Baba wuchs und wuchs . . .

Was aber lag daran! Der Hund war nicht nur die Freude der Familie, er war auch ihr Stolz, ihre Originalität, durch die sie sich vor den andern Menschen auszeichnete und hoch über jene in der Stadt oder auf dem Lande emporragte, die in der gleichen sozialen Lage waren wie sie: bescheidene Feld- oder Pultarbeiter.

In der Ausstellung, wo sein großer Kopf wie der eines unschuldig Gefangenen hinter Eisenbarren ragte, wurde Ali Baba sehr gefeiert. Der Vater hatte eine Permanenzkarte, ging jeden Tag hin und brachte Siegesnachrichten mit heim. Alle Leute blieben vor Nummer 681 stehen. Der Wärter, der mit dem militärischen Verdienstkreuz geschmückt war, hatte vorausgesagt, ja beinahe versprochen, daß er den ersten Preis seiner Klasse davontragen würde.

Am dritten Abend kam der Vater erst um acht Uhr nach Hause. Sein Gesicht war rot vor Erregung und er rief: »Ich komme vom Land.«

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