Читать книгу Crime Shots - Henri Conrad - Страница 7
ОглавлениеDer schwarze Schatten schoss durch das Zimmer, hinweg über den Stuhl, auf den Tisch. Er verharrte kurz, sprang auf den Schrank und ein Karton polterte zu Boden, der Schatten hinterher. Ein helles Etwas flog heran, scharfes Fauchen erklang und das wilde Knäuel stob durchs Zimmer.
»Verdammtes Pack!«, wütend schleuderte Alfred den Handfeger nach den Katzen, die kreischend davonstoben.
Er stand auf und besah sich den Schaden. Der Inhalt des Kartons lag verstreut auf dem Boden und ein Flügel des Modellfliegers war gebrochen.
»Nichtsnutzige Fellbündel!«, erzürnte er sich.
»Was machst du wieder«, Isolde stürmte herein, »kannst du meine Katzen nicht einmal in Frieden lassen?«, funkelte sie ihn böse an.
»Schau mal, was deine Lieblinge wieder gemacht haben«, Alfred hielt seiner Frau den gesplitterten Flügel hin.
»Ist doch nur Spielzeug«, geringschätzig verzog sie den Mund, »stell dich nicht so an, mein Schatz.«
Von wegen Schatz! Schatz war schon lange vorbei. »Spielzeug ist etwas anderes …«, mühsam beherrschte er sich. »Das sind wieder sechs Stunden Arbeit.«
»Arbeit, das nennst du Arbeit? Du hast doch ohnehin nichts zu tun!«, spöttisch blickte sie ihn an. »Ich nehme jetzt ein Bad.«
Isolde rekelte sich in der Wanne, duftender Schaum lag auf dem Wasser. Herrlich seinen Körper so leicht zu fühlen, sie fühlte sich wie eine Feder und dazu die passende Musik. Wunderschön , Händel war ein Genie, seine Komposition perlte wie Sekt. Aber davon hatte Alfred keine Ahnung, dachte sie.
Etwas schlug gegen die Tür, die Klinke wurde heruntergedrückt und ein schwarzer Kopf schob sich herein, Killer. Er war eben besonders clever, ihr Liebling. Schwarz wie die Nacht, mit einem winzigen weißen Tupfen auf der Brust, ein seidiges Fell und einen wilden Charakter. Von so einem Mann hatte sie immer geträumt.
Der Kater sprang geschmeidig auf den Wannenrand, strich liebevoll an Isoldes Wange vorbei, schnurrte wohlig und setzte zum Sprung an.
Ein eleganter Satz und Killer landete auf dem Bord unterhalb des Fensters. Er legte sich vor die kleine Musikanlage, sein absoluter Lieblingsplatz.
Killer war Isoldes Stolz, kein Kater hatte sie je glücklicher gemacht. Seine Pokale standen in der Vitrine, sogar in München waren sie gewesen zur Bundesmeisterschaft gefahren.
Luzifer konnte auch ein Sieger werden, sein silbergraues Fell war wunderschön, die Zeichnung auf dem Rücken und Kopf einmalig. Aber er war kein Gentleman wie Killer. Sogar Ursula beneidete Isolde, sie war ihre beste Freundin und liebste Feindin.
Isolde rekelte sich in der Wanne und lauschte dem Schnurren ihres Katers, bis es an der Tür klopfte.
»Was willst du?«, ihre Stimme klang ärgerlich, wie konnte er sie nur stören?
»Telefon, Ursula, es ist wichtig, sagt sie.«
»Gib schon her«, gereizt griff sie nach dem Telefon.
»Nimm das Vieh vom Regal, irgendwann bricht es aus der Halterung.«
»Unfug, Killer ist nicht schwer. Lass mich in Ruhe mit Ursula telefonieren.«
Alfred ging kopfschüttelnd hinaus, es hatte keinen Sinn mit ihr zu diskutieren.
Diedrich van Doerp rieb sich mit der Hand über den Nacken. Nachdenklich blickte er seinen Freund an.
»Du weißt, ich bin nie gut mit Isolde klargekommen, dennoch fällt es mir schwer, es zu sagen. Dein Unfall war kein Zufall, der Besenstiel führt kein Eigenleben. Der Sturz auf der Treppe hätte anders enden können.«
»Diedrich, es war ein Unfall. Was du andeutest, kann nicht sein.«
Er blickte auf seine Beine, bläuliche Striemen und große Flecke bedecken Ober- und Unterschenkel, die Füße und Knöchel waren geschwollen.
»Ich glaube nicht mehr an Zufälle. Erst die Niete, die an der Leiter brach … es war schon ein Wunder, das du dir nur den Arm gebrochen hast. Die Platzwunde am Kinn vergessen wir ruhig mal. Dann deine Magenschmerzen und die wirren Träume von denen du mir erzählt hast. Den Bluttest damals haben wir zu spät gemacht, die Spuren von giftigen Pilzen die Halluzinationen auslösen, waren kaum noch nachzuweisen.«
Alfred wehrte sich gegen diese Vorstellung.
Was Diedrich sagte, hörte sich logisch an und dumm war sein Freund auch nicht. Isolde war eine zickige Person, füllig und geziert. Sie passte nicht in das Dorfleben von Stenden, aber dass sie ihm nach dem Leben trachtete, glaubte er dennoch nicht.
Müde zuckte er mit den Schultern.
»Isolde hat nur ihre Katzen im Kopf, ihre Katzen und ihren Frauentreff. Körperliche Anstrengungen sind ihr zuwider und diese Heimtücke traue ich ihr einfach nicht zu.«
Diedrich seufzte, die Tatsachen lagen auf der Hand.
»Mach weiterhin die Augen zu, irgendwann schließt du sie für immer. Komm, ich fahre dich nach Hause.«
Sie fuhren aus Nieukerk hinaus, die ›B 9‹ entlang der Weiden und Äcker, an Aldekerk vorbei und durch Rahm. Hinter der Kiesgrube bog Diedrich ab, die Stendener Mühle zur Rechten.
Malerisch lag das ehemalige Gästehaus von Underberg in der Sonne, weiß mit dunklen Flügeln. Am Dom vorbei, wie Alfred die massige Kirche nannte, über den Kirchplatz. Direkt an der Ecke zur Dorfstraße lag das Haus, eingeschossig, ockerfarben, in einem großen Garten.
Isolde saß im Wohnzimmer an der offenen Terrassentür. Sie blickte nur kurz auf und vertiefte sich wieder in ihre Lektüre. Ein Fotoalbum ihrer Katzen. Baroness lag auf dem Sofa, lang ausgestreckt und genoss die Sonne.
Schwerfällig ging Alfred hinaus in den Garten, Aras hatte bestimmt noch kein Wasser bekommen. Der Retriever lag vor seinem leeren Napf dösend im Gras, sein goldfarbenes Fell schimmerte mit seidigem Glanz im Licht. Alfred füllte Wasser hinein und ging langsam ins Zimmer zurück.
»Lass bloß den Hund draußen, er ist sonst wieder hinter den Katzen her.«
Isolde war nicht besonders tierlieb, nur katzenverrückt.
»Du weißt, dass Aras den Katzen nichts tut. Nur wenn sie ihn ärgern, wehrt er sich«, er versuchte zu beschwichtigen. Aber warum eigentlich?
»Die Katze ist die Herrin im Haus! Der Hund hat draußen seinen Platz!«
Isolde starrte ihn mit finsterer Miene an, jede weitere Diskussion zwecklos. Die Perserkatze auf dem Sofa blinzelte Alfred herablassend an und leckte sich ihre Pfoten. Ihr weißes Fell schimmerte wie mit Gold überzogen. Sie war sich ihrer Schönheit bewusst.
»Denkst du an die Steckdose, Al? Und den Flieder? Du wolltest den Ast herausschneiden.«
»Nenn mich nicht Al! Alfred, von mir aus Fred, aber nicht Al! Ich bin nicht dieser blöde Schuhverkäufer aus dem Fernsehen«, er atmete tief durch. »Vielleicht schaffe ich es morgen den Flieder zu schneiden.«
»Stell dich nicht so an. So schlimm war es doch nicht, sonst könntest du nicht laufen«, geringschätzig grinste sie ihn an. »Al hört sich besser an, nicht so dörflich.«
Dieses »dörflich« hörte sich abfällig an.
»Und das mit dem Schuhverkäufer kommentiere ich nicht!« Spöttisch verzog sie den Mund.
Alfred ging zur Wand, an der die defekte Steckdose hing und befestigte sie neu. Danach schmerzten seine Beine so sehr, dass er sich setzen musste. Auf der Terrasse setzte er sich auf einen Stuhl. Die Sonne wirkte Wunder und er schlief entspannt ein.
»Al, machst du das noch mit dem Flieder?«. Ihre nervige Stimme weckte ihn, bestimmt hatte er schon zehn Minuten geschlafen.
Er versuchte es zu überhören, aber sie verstummte nicht. Die Kettensäge lag im Gerätehaus, sowie die Kabeltrommel. Es war für ihn momentan beschwerlich, aber Isolde würde keine Ruhe geben, also ergab er sich seinem Schicksal und bereitete alles vor.
Alfred steckte das Kabel ein und startete die Säge.
Der Stromschlag war heftig und warf ihn von der kleinen Leiter. Seine Beine schmerzten höllisch und die Hand lag merkwürdig verdreht unter der Hüfte.
»Hast du dir weh getan mein Schatz?«, flötete Isolde.
Ihr rundes Gesicht erschien über ihm. Ihre Augen straften sie lügen.
»Ruf Diedrich an, bitte!«, in seiner Hand begann der Schmerz zu pochen.
»Geldern oder Kempen?« Dr. Diedrich van Doerp betrachtete kummervoll seinen Freund.
»Zweimal an einem Tag ist rekordverdächtig. Also, welches Krankenhaus?«
»Geldern, die kennen mich schon.« Alfred grinste schief.
Er lag im Bett, die operierte Hand in einem Gestell. Mühsam versuchte er die Augen zu öffnen, die Narkose klebte noch hartnäckig in seinem Kopf.
»Wirst du endlich wach?«, fragte eine ihm bekannte weibliche Stimme. »Ich sitze hier schon eine halbe Stunde. Als ob ich nichts Besseres zu tun habe! Meine Katzen sind allein, wegen dir!«
Jedes Wort war eine Anklage. Mehr noch, ein Urteil!
Alfred bemühte sich sie anzusehen.
»Ich bin nicht böse, wenn du wieder fährst.«
»Du schickst mich weg? Ich bin extra wegen dir hierhergefahren, eigentlich wollte ich nach Essen zum Einkaufen. Das ist also der Dank?«, verärgert wandte sie sich ab.
»So war es doch nicht gemeint. Es ist lieb von dir, dass du hier bist«, erschöpft hielt er inne. »Aber ich weiß, dass es im Krankenhaus langweilig ist.«
»Du willst mich nicht hier haben«, entgegnete sie beleidigt. »Schlaf weiter, ich fahre einkaufen.«
Sie stand auf und rauschte hinaus. Erleichtert schloss Alfred die Augen. Der Niederrhein war so friedlich ohne sie.
Eine halbe Stunde später wachte er auf, ihm war warm, sehr warm und sein Arm brannte. Er schellte nach einer Krankenschwester.
»Ruf Dr. Seegers, schnell!«, der Krankenschwester stand der Schweiß auf der Stirn.
Diedrich blickte in das bleiche Gesicht vor ihm. Er machte sich Sorgen.
»Alfred, deine Frau will dich umbringen. Die Infusion ist viel zu schnell gelaufen. Isolde muss sie hoch gestellt haben.«
»Hat es jemand gesehen?«, seine Stimme war dünn.
»Nein, aber wer sonst sollte es getan haben?«
»Vielleicht hat die Schwester es einfach falsch eingestellt.«
Diedrich schüttelte den Kopf.
»Was muss sie noch tun, damit du es endlich begreifst? Selbst wenn sie dich im Bett erschlägt, nimmst du sie noch in Schutz!«
Alfred versuchte zu grinsen.
»Du übertreibst, Diedrich. Isolde hat mich besucht, weil sie sich Sorgen macht.«
»Ich hoffe, du bist hier für ein paar Tage in Sicherheit«, er erhob sich, weitere Patienten warteten. »Ich schaue morgen wieder nach dir, falls du noch lebst.« Er grinste breit.
Alfred saß auf dem Sofa, die Hand in einer Schiene. Isolde hatte es sich neben ihm gemütlich gemacht.
»Schau dir dieses Vieh an! Erster Platz, dass ich nicht lache. Drei Punkte besser als Simba von Ursula. Ein Witz!«
Seit zwei Stunden saß sie nun neben ihm … seit zwei Stunden Gezeter über den Wettbewerb in Kleve. Hauskatzen, Rassekatzen, Punktrichter, Wertungsmafia, Betrug und Ungerechtigkeit.
»Schau dir diesen Kopf an. Mein Dämon war viel besser, viel ausgewogener«, sie hielt ihm das Album hin.
»Du hast ja Recht, aber wenn du dich immer so darüber aufregst, bekommst du irgendwann einen Herzinfarkt. Du kennst es doch, es ist immer das Gleiche.«
»Du gönnst mir die Wettbewerbe nicht. Es ist die einzige Freude in meinem Leben«, sie zog einen Schmollmund. Dreißig Jahre zu spät.
»Ich gönne sie dir, aber dieser Stress ist nicht gut für dein Herz.«
»Du behandelst mich wie eine alte Frau, ich bin nicht mal sechzig. Im Gegensatz zu dir.«
Alfred schwieg und ließ es über sich ergehen, bis das Telefon ihn erlöste.
»Al, schau doch mal hier. An der Terrassentüre die Verriegelung ist gebrochen. Das musst du reparieren!«, vorwurfsvoll stach ihr Finger in die Luft.
»Hast du die Türe zugeschoben?«, Alfred besah sich den Schaden.
»Alles muss ich gewesen sein«, beleidigt drehte sie sich um. »Ich muss zu Ursula!«
Er schluckte die Antwort herunter, es war ohnehin sinnlos. Alfred holte sein Werkzeug und reparierte die Verriegelung. Seine Hand schmerzte noch, aber er konnte sie schon wieder recht gut gebrauchen.
Endlich Ruhe, dachte er, als Isolde das Haus verließ. Endlich konnte er entspannen, die Sauna wartete schon auf ihn. Als er die Reparaturen abgeschlossen hatte, zog er sich aus und begab sich in den geheizten Raum.
Herrlich hier alleine zu liegen, die Hitze spüren, das Prickeln auf der Haut nach einem Aufguss. Er hing den Gedanken nach, dachte an seinen Beruf als Studienrat, seine große Liebe Angelika, und an die Verführung durch Isolde, die ihn nie mehr gehen ließ.
Der Sand im Glas war abgelaufen, Zeit Pause zu machen. Er stand auf und öffnete die Tür. Vielmehr versuchte er, sie zu öffnen. Alfred rüttelte daran, drückte, schlug dagegen. Nichts! Er warf sich gegen das Holz, Schmerz durchzuckte seine Hand, die Erschütterung lief in Wellen durch den Arm, doch die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Schweiß lief ihm in Strömen über den Körper, nicht nur wegen der Hitze.
Ruhe bewahren, nicht viel bewegen, die Zeitschaltuhr würde nach drei Stunden abschalten. Alfred legte sich auf die Liege, schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Die heiße Luft begann in den Lungen zu schmerzen, das Blut pochte in seinen Schläfen. Er lauschte, kein Geräusch, das darauf schließen ließ, dass Isolde wieder da wäre. Von Ursula kam sie selten schnell zurück, warum also ausgerechnet heute? Das Atmen fiel ihm schwerer, der Mund wurde trocken, immer etwas mehr. Eine Dreiviertelstunde verging. Er drehte das Glas der Sanduhr wieder um, rot rieselte der Sand gemächlich durch den engen Schlund.
Das Pochen in den Schläfen wurde stärker, er bekam Kopfschmerzen. Seine Zunge fühlte sich dick an, das Schlucken fiel ihm schwer. Langsam stieg Panik in ihm auf, Angst schlich sich ein. Er stand auf, schlug mit den Fäusten gegen die Tür. Dumpf hallte es in der Sauna und durchs Haus.
Isolde saß in ihrem Sessel, und bewunderte die Perserkatzen in ihrem neuen Buch. Gewiss, es gab auch andere Rassekatzen, aber an Schönheit und Ausstrahlung konnte es keine mit einer Perserkatze aufnehmen. Sie genoss die Farbenpracht der Tiere, das seidige Fell und die strahlenden Augen. Natürlich war keine so schön wie Baroness, Isolde freute sich auf den großen Zuchtwettbewerb in Köln. Samstag und Sonntag nur Katzen und Menschen die Katzen liebten, himmlisch!
Wollte Alfred nicht endlich mit dem Lärm aufhören? Das Gepolter nervte sie, immer machte er bei allem einen solchen Lärm. Ein Mann eben, sie verzog das Gesicht.
Endlich Ruhe, wurde auch Zeit, dachte sie, nachdem die Geräusche aus der Sauna erstarben.
Schweißüberströmt lag Alfred auf dem Boden, den Rücken gegen die Tür gelehnt. Bunte Ringe drehten sich vor seinen Augen, das Herz raste. Die heiße Luft brannte in den Lungen, der Mund war trocken und seine Gedanken verschwammen. Vor seinen Augen wurde es schwarz und er ohnmächtig.
Es klingelte an der Haustüre, widerwillig erhob sich Isolde. Immer diese Störungen, bestimmt einer dieser bäuerlichen Nachbarn der wieder Äpfel oder Pflaumen loswerden wollte. Sie öffnete. Schlimmer noch, Diedrich stand vor der Türe.
»Ach, Dr. DVD«, sie wusste, dass er diese Bezeichnung nicht mochte, bei den Jugendlichen stand sie hoch im Kurs. »Langeweile? Oder wolltest du wissen, ob Alfred noch lebt?«, spöttisch blickte sie ihn an.
»Hallo Isolde«, Diedrich ignorierte die Anspielungen, »Alfred macht mir halt Sorgen. Ich bin aber hier, weil ich ihn zum Fliegertreffen abholen wollte.«
»Du meinst, ihr wollt spielen gehen?«, hämisch blickte sie ihn an. »Alfred muss im Keller sein, er hat jede Menge Lärm gemacht. Wer weiß, was er sich wieder ausgedacht hat. Aber ich will es gar nicht wissen«, sie drehte sich um und ließ Diedrich einfach stehen. Diedrich van Doerp ging die Treppe hinunter. In der kleinen Werkstatt brannte kein Licht, auch das große Kaminzimmer mit der Bar auf der Rückseite war dunkel. Nur der kleine Flur war erleuchtet. Er ging zum Ende der Diele und öffnete die Türe. Der Relaxraum vor der Sauna empfing ihn mit heller Beleuchtung.
»Alfred? Bist du in der Sauna?«, Diedrich klopfte an die massive Holztüre, sie war warm. Keine Antwort, er öffnete die Türe, heiße Luft schlug ihm entgegen. Alfred lag auf dem Boden, der Puls war flach und kaum zu fühlen.
»Isolde! Einen Krankenwagen, schnell!«, Diedrich zog Alfred aus der Sauna, hievte ihn auf eine der dortigen Liegen.
Mit nassen Tüchern kühlte er seinen Freund, sein überhitzter Körper drohte zu kollabieren.
»Du erinnerst dich an nichts?«, Dietrich sah Alfred fragend an. »Wie lange warst du in der Sauna?«
»Ich weiß nur noch, dass Isolde ihre Freundin besuchte. Ich habe die Terrassentüre repariert und bin dann in die Sauna. Als ich raus wollte, klemmte die Türe. Mehr weiß ich nicht, da wird alles dunkel in der Erinnerung.«
Alfred lag im Bett, bleich und matt. Eine Kochsalzlösung hing an einem Ständer neben dem Bett, und ein dünner Schlauch führte zu seinem Arm.
»Isolde sagt, sie wäre zwei Stunden weg gewesen. Kurz bevor ich kam, sei sie erst wiedergekommen«, Zweifel klangen in der Stimme von Dr. van Doerp.
»Du glaubst ihr nicht.«, keine Frage, eine Feststellung.
»Alfred, die Saunatüre kann nicht klemmen. Sie muss verriegelt gewesen sein. Wer anderes als Isolde hätte es tun können?«, fragend blickte er seinen Freund an.
»Ich weiß es nicht«, kam es matt herüber. »Ich kann es nicht glauben, dass Isolde dazu fähig wäre. Unsere Ehe ist nicht gut, wir leben aneinander vorbei. Aber sie hat alles, was sie will. Warum also sollte sie mich umbringen wollen?«
Diedrich schaute ihn lange an.
»Isolde lebt in ihrer eigenen Welt, darin ist kein Platz für dich, kein Platz für Menschen wie mich, kein Platz für den Niederrhein. Sie will weg, weg von dir, weg aus Kerken.«
»Sie hat nie gesagt, dass sie mich verlassen will. Sie liebt den Niederrhein nicht so wie ich, aber wir leben schon so lange hier.«
Ungläubig blickte er Diedrich an.
»Sie hat hier nie ihr Zuhause gefunden, die Menschen behagen ihr nicht. Isolde hält sich für etwas Besseres, etwas Besonderes, das hier nicht beachtet wird. Sie und Ursula halten sich für feine Damen unter einer Horde Bauern«, Dr. van Doerp hielt inne und schaute in ein leeres Gesicht. »Sieh mal Alfred, wir haben studiert, wir haben einen angesehenen Beruf, selbst uns sieht Isolde als Bauern. Wir sind am Niederrhein geboren, er ist unsere Heimat, wir gehören hier hin. Für Isolde sind und bleiben wir einfältige Bauern.«
Alfred senkte den Blick, Diedrich hatte Recht, es fiel ihm schwer, sich das einzugestehen. Er stand Isolde im Weg, ein Bauer der einer Königin den Weg versperrt. Wie beim Schach, schoss es ihm durch den Kopf. Im Spiel hatte der Bauer keine Chance, meistens.
Das Taxi bog von der ›B 9‹ ab, vorbei am Driessenhof fuhr es nach Stenden hinein. Alfred ließ den Fahrer halten, er war zu Hause. Ein seltsames Gefühl meldete sich in seiner Magengegend, was würde ihn erwarten?
Ursula und Isolde saßen im Wohnzimmer beim Kaffee zusammen, und diskutierten lautstark über ihre Lieblinge. Für das Wochenende stand in der Dortmunder Westfahlenhalle der erste Weltkatzenkongress an, eine große Präsentation und die Vorstellung einer neuen Züchtung.
Hätte sie Alfred nicht begrüßt, sie hätten wohl keine Notiz von ihm genommen.
»Ach, hast du dich genug ausgeruht?«, Isolde lächelte zuckersüß.
»Ich muss mich noch schonen, mein Körper war völlig dehydriert. Eine halbe Stunde länger und du hättest dir den Krankenwagen sparen können.«
»Die Ärzte sagten so etwas, aber die reden oft von Dingen, die sie nicht verstehen«, mit einer wegwerfenden Bewegung unterstrich sie ihre Aussage. »Aber was soll schon so ein bisschen Hitze bewirken? Du gehst doch oft in die Sauna, kann also nicht so schlimm gewesen sein.«
Der Blick zu Ursula sprach Bände.
»Wenn du meinst, du musst es ja wissen! Deine Realschulbildung ist ja allumfassend!«
Isolde lief blutrot an, das hatte gesessen. Was bildete sich der Kerl bloß ein, so mit ihr zu reden? Für einen kurzen Moment war sie überrascht und sprachlos. Alfred schnappte sich seinen Modellflieger und war auch schon verschwunden, bevor sie ihren Mund wieder öffnen konnte.
Diedrich wartete schon mit seinem Wagen und Alfred verstaute den Modellflieger im Kofferraum. Sie fuhren das kurze Stück über die Landstraße Richtung Geldern, Weiden und Wiesen rechts des Weges. Kurz vor Nieukerk lag das Gelände der Modellflieger. Eine langgestreckte Wiese, frisch gemäht und leuchtend grün. Sie parkten das Auto am Rande der Straße. Nur Markus Elsen und Leo Elbers waren schon da. Sie saßen in ihren Gartenstühlen und werkelten an ihren Fliegern.
»Morgen ihr Langschläfer«, der tiefe Bass von Markus dröhnte herüber.
»Selber Morgen, ihr seid doch bestimmt von gestern übrig geblieben«, grinste Diedrich breit.
Ein fröhliches Lachen war die Antwort.
»War klar, Herr Doktor.«
Die beiden Neuankömmlinge packten ihre Sachen aus, Alfred seinen Dreidecker, er war feuerrot und frisch lackiert. Diedrich hatte den Sikorsky-Kampfhubschrauber mitgebracht, seine neueste Errungenschaft.
Leo und Markus mussten die Modelle ausgiebig begutachten, fachmännische Diskussionen entbrannten und es war fast Mittag, bevor sich der erste Flieger in den blauen Himmel erhob.
Der Tag flog dahin, die Modellflieger zogen ihre Bahnen durch die klare Luft, und ein paar Schaulustige leisteten ihnen Gesellschaft.
Der Kaffee in den Thermoskannen ging zur Neige, die Sonne begann den Himmel in rosa Watte zu verwandeln und es wurde kühler.
Der letzte Flieger schwebte herein und landete sicher auf dem Grün. Alfred war in Gedanken mitgeflogen, wie gerne hätte er die schöne niederrheinische Landschaft von dort oben gesehen. Fliegen war immer sein Traum gewesen, die Freiheit zu genießen, die ein Vogel hatte. Vor Jahren hatte er es mal Isolde beiläufig beim Kaffeetrinken auf der Terrasse erzählt.
»Ich würde gerne einmal mit den Ultraleicht-Fliegern mitfliegen, drüben von der UL-Wiese. Am Wochenende ist dort Tag der offenen Tür.«
Isolde war ausgerastet, sie hatte ihn angeschrien und hysterisch geworden. Er hatte das Thema nie wieder angeschnitten.
Alfred tauchte aus seinen Gedanken auf und begann den Flieger zu verstauen. Der Abend kam, Wolken trieben von Westen über das Land. Die Niederländer schickten schlechtes Wetter, dachte Alfred und schaute weiter in den Himmel.
Nach einer Weile packten sie zusammen, stiegen in Diedrichs Wagen und fuhren zurück zu Alfreds Haus.
Wie friedlich war es, die Türe zu öffnen und keine Katzen zu sehen. Und natürlich keine Isolde. Erst Sonntagnacht kam sie zurück, ein ganzes Wochenende Entspannung. Er konnte Heimwerken und Basteln, Rod Steward und Joe Cocker hören, sich Dr. Stratmann ansehen und niemand würde ihn stören. Konnte es nicht immer so sein? Der Gedanke gefiel ihm. Versonnen saß er im Sessel und streichelte Aras Kopf.
Es war Mitternacht, die Glocke von St. Thomas schlug zwölf Mal. Alfred lag im Bett, seine Gedanken kreisten um die Fliegerei. Die Welt war schön, viel schöner war sie von oben. Ganze Bildbände mit Luftaufnahmen hatte er verschlungen, wie toll musste seine Heimat von oben sein.
Er hörte die Haustür, Isolde kehrte heim. Leise Schritte auf der Treppe, die zu ihrem Zimmer führten. Kein Wort, kein Blick in seine Richtung, kein »Hallo ich bin da«, nur völliges Desinteresse. Alfred hatte nichts anderes erwartet, hätte Isolde sich anders verhalten, wäre er verwirrt gewesen.
Es war Morgen, aber es wurde nicht hell. Der Wind trieb Wolkenberge vor sich her, graue Riesen, die sich ineinanderschoben, der Sonne keine Chance ließen und die Welt in ein trübes Licht tauchten. Nieselregen fiel vom Himmel, unhörbar und stetig.
Isoldes Stimmung stand dem Wetter in nichts nach. Sie würdigte Alfred keines Blickes, in einen Ausstellungskatalog vertieft trank sie Kaffee und Baroness hatte sich auf ihrem Schoß zusammengerollt.
»Guten Morgen, wie war deine Ausstellung?«
»Was ist an diesem Morgen gut?«, kam es spitz zurück. »Baroness hat nur 87 Punkte bekommen. Eine Frechheit!«
Sollte er sein Bedauern äußern? Sollte er lügen? Alfred setzte sich an den Tisch, er ließ sich das Frühstück schmecken. Sie musterte ihn stumm, und beobachtete, wie er seinen Teller leerte.
»Aras muss ans Feld, bis später«, sagte Alfred, nachdem er aufgegessen hatte, und erhob sich.
»Bei dem Wetter? Igitt! Du bist verrückt«, sie schüttelte sich. »Ich bin verspannt vom Wochenende, und ich werde gleich ein Bad nehmen.«
»Viel Spaß«, seine gute Laune irritierte Isolde, »ich gehe eine große Runde, und vielleicht trinke ich noch im Bauerncafé in Rahm einen Kaffee.«
»Wenn du meinst«, der Widerwillen war ihr anzusehen. »Du bist heute irgendwie verwandelt.«
Isolde schüttelte verwundert ihren Kopf und ging irritiert die Treppe hinauf.
Alfred zog den Anorak an, die Kapuze festgezurrt. Aras stand vor ihm, sichtlich erfreut über den Spaziergang. Die Türe fiel hinter ihnen ins Schloss, und dichter Nieselregen hüllte sie ein. Alfred ging die Dorfstraße hinunter, spazierte durch den Ort. Wenige Menschen begegneten ihm, wenn, dann eilten sie schnell durch den Regen und flüchteten ins Trockene. Aras genoss den Ausflug und auch Alfred gefiel das Wetter. Die feinen Wassertropfen auf seiner Haut fühlten sich gut an, er spürte das Leben.
Isolde war irritiert. Was war mit Alfred geschehen? Er wirkte fast fröhlich, dieser Langweiler. Sie gestand sich ein, es störte sie. Missmutig ließ sie das Wasser in die Wanne laufen. Da konnte nur ein Glas Champagner helfen.
In ihrer privaten Minibar hatte sie eine eiserne Reserve. Jetzt wurde sie gebraucht. Isolde stellte ein Glas auf den Wannenrand, und die Flasche gleich dazu. Mozart, heute musste es Mozart sein. Sie legte die CD ein und leise Musik erfüllte das Bad.
Rosenduft war gut, Christrose, das Badeöl rann ins Wasser. Schaum bildete sich auf dem Badewasser. Er sah aus wie kleine Kronen, stellte sie belustigt fest. Kronen für eine Königin, Isolde prostete sich im Spiegel zu, herrlich der Champagner.
Die Wanne war gefüllt und Majestät ließ ihre Hüllen fallen. Das Wasser war wunderbar, genau die richtige Temperatur. Sie glitt in die Badewanne, streckte sich aus, herrlich diese Ruhe im Haus.
Killer schlich sich lautlos an, die offene Türe war eine Einladung für ihn, sein Lieblingsplatz lockte.
»Da bist du ja mein Liebling«, Isolde war entzückt, auf ihn war Verlass.
Große Katzenaugen blickten sie aus einem schwarzen Gesicht an. Killer spannte sich und mit einem Satz sprang er auf den Wannenrand. Leise schnurrend strich er an Isolde vorbei, suchte sich einen guten Platz und schnellte auf das Bord hinauf.
Die Stereoanlage wankte, neigte sich leicht nach vorn und mit einem Ruck löste sich der Deckenhaken.
Killer war überrascht, stieß einen Schrei aus und versuchte sich abzustoßen.
Er beschleunigte den Sturz, Bord, Anlage und Kater schossen nach unten. Alles klatschte gemeinsam ins Wasser, direkt vor Isoldes Gesicht.
Sie war überrascht, soweit sie es sein konnte. Nur kurz währte das Erstaunen, der Stromschlag löschte das Gefühl aus. Leblos lag Isolde in der Wanne.
Killer hatte seinem Namen alle Ehre gemacht.
Oberkommissar Gerhard Hegmanns schüttelte den Kopf. Doppelmord, ja, Doppelselbstmord, ja, aber doppelter Unfall – das war etwas Neues. In der Wanne vor ihm lag Isolde Cleven, vor ihr schwamm ein toter Kater.
»Du kennst die Tote?«, er blickte Dr. Diedrich van Doerp fragend an.
»Natürlich, ich bin mit Alfred gut befreundet. Isolde war eine echte Zicke. Ich bin mir sicher, sie hat einige Male versucht Alfred umzubringen. Aber ich konnte es nie nachweisen, es waren immer Unfälle, dumme Zufälle.«
Kommissar Hegmanns nickte verstehend. »Manchmal ist das Schicksal eben gnädig.«
Der nächste Morgen versprach einen wundervollen Tag. Der Wind hatte die Wolken vertrieben, nur noch einzelne weiße Wattebälle tanzten über den Himmel.
Der Niederrhein atmete auf, nicht nur Alfred fühlte sich befreit.