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In welchem Neffe Blifil und Tom Jones in verschiedenem Licht erscheinen.

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Neffe Blifil stand wirklich in Ansehung der liebenswürdigen Eigenschaft des Erbarmens mit Anderer Not in ziemlicher Entfernung hinter seinem Schulkameraden; aber einen desto größern Vorsprung hatte er vor ihm in einer viel wichtigern Eigenschaft, nämlich in der Gerechtigkeitsliebe, in welcher er sowohl den Lehren als Beispielen beider, des Herrn Schwöger und Quadrat, folgte; denn ob diese gleich alle beide das Wort Erbarmen oder auch Barmherzigkeit zum öftern gebrauchten, so war es doch deutlich, daß Quadrat solche Worte wirklich mit der Regel des Rechts für unvereinbar hielt, und Schwöger war für die Ausübung der Gerechtigkeit und der Meinung, daß man die Barmherzigkeit dem Himmel allein überlassen müsse. Diese beiden Gelehrten waren in der That in ihren Meinungen über den eigentlichen Gegenstand dieser erhabenen Tugend etwas verschieden, und diese Verschiedenheit wäre vielleicht schuld gewesen, daß Schwögers Meinung die eine Hälfte und Quadrats seine die andere Hälfte der Welt zu Grunde gerichtet hätte.

Ob also gleich Neffe Blifil, so lange Jones zugegen gewesen war, stille geschwiegen hatte, so war er doch nach reiflicherer Ueberlegung der Sache nicht im stande den Gedanken auszuhalten, daß seines Oheims Wohlthaten auf einen Unwürdigen fallen sollten. Kurz und gut entschloß er sich also, ihn mit der Thatsache bekannt zu machen, welche wir oben dem Leser so ganz im Vorbeigehen zu verstehen gegeben haben, deren wirkliche Beschaffenheit folgende war.

Als einstens der vorige Wildmeister, ungefähr ein Jahr nachdem er aus Herrn Alwerths Diensten gekommen, und bevor noch Thomas das Pferd verkauft hatte, sich in großem Brodmangel befand und so wenig für sich selbst als für die Seinigen einen Bissen aufzutreiben wußte, und in dieser Not eben durch ein dem Junker Western zuständiges Feld ging, spürte er einen Hasen in seinem Lager. Diesen Hasen hatte er niederträchtiger- und schändlicherweise gegen alle löblichen Gesetze der Weidmannschaft, noch mehr aber gegen die Gesetze des Landes hinter die Löffel geschlagen.

Der Wildhehler, dem der Hase verkauft worden, wurde unglücklicherweise einige Monate nachher mit einer ziemlichen Ladung dieser Ware beim Kopf genommen und dadurch genötigt, wofern er sich sonst einigermaßen beim Junker Western aus der Patsche ziehen wollte, ein Angeber der Wilddiebe zu werden. Nun fiel er auf den schwarzen Jakob, als auf einen Kerl, der Herrn Western ohnedem schon mehr als verdächtig und von nichts weniger als gutem Rufe in der Nachbarschaft war. Ueberdem war er das beste Opfer, das der Wildhehler wählen konnte, weil er ihm seitdem nichts weiter zum Kauf gebracht hatte, auch hatte der Angeber durch dieses Mittel eine gute Gelegenheit, seine besseren Kunden hintern Schirm zu stellen; denn der jagdlustige Junker, dem das Herz darüber hüpfte, daß er den schwarzen Jakob in die Kluppe bekommen, welchen auf den Anstand zu bringen es nur einer einzigen Feldjagd bedürfte, stellte alles Suchen nach weitern Uebertretern ein.

Wäre dieses Faktum dem Herrn Alwerth nach seiner reinen Wahrheit vorgelegt worden, so ist es wahrscheinlich, daß es dem Wildmeister wenig geschadet haben würde. Aber kein Eifer ist blinder als der, welchen Liebe zur Gerechtigkeit gegen Uebertreter einflößt. Neffe Blifil hatte die Zeit der That vergessen; so war er auch nicht ganz genau in Anführung der Umstände, und dadurch, daß er das einzige zweisilbige Wort Einen ausließ, gewann die Erzählung ein ganz anderes Ansehen, denn so hieß es: der schwarze Jakob hätte Hasen, statt Einen Hasen hinter die Löffel geschlagen. Jedoch wäre diese Auslassung wahrscheinlicherweise wohl wiederhergestellt worden, wäre nicht Neffe Blifil so unglücklicherweise bei Herrn Alwerth, ehe er ihm die Sache entdeckte, darauf bestanden, er solle ihm Verschwiegenheit versprechen. Hierdurch aber ward der arme Jäger verdammt, ohne eine Gelegenheit zu haben sich zu verteidigen; denn da das Faktum des gemausten Hasen und der Anklage, in puncto Wilddieberei betreffend, ihre Richtigkeit hatte, so hegte Herr Alwerth in Ansehung des übrigen weiter keinen Zweifel.

Von sehr kurzer Dauer war also die Freude dieser armen Leute; denn schon den nächsten Morgen erklärte Herr Alwerth, er habe ganz neue Gründe (jedoch ohne sie anzuführen) für seinen Unwillen und verbot Tom aufs strengste, den Jakob nicht weiter vor ihm zu nennen; obgleich in Ansehung seiner Familie er, wie er sagte, suchen wolle, sie vor'm Hungerleiden zu bewahren; was aber den Kerl selbst beträfe, wolle er ihn den Gesetzen überlassen, in welche einen Eingriff zu thun ihn nichts bewegen könnte.

Tom konnte auf keine Art begreifen, was den Herrn Alwerth so in Harnisch gejagt hätte; denn auf seinen Spielgesellen Blifil den geringsten Argwohn zu werfen, fiel ihm nicht ein; gleichwohl, da seine Freundschaft durch ein oder den andern vergeblichen Versuch nicht gleich den Atem verlor, so entschloß er sich nunmehr, einen andern Weg einzuschlagen, um den armen Wildmeister vom äußersten Verderben zu retten.

Jones war seit kurzem mit Junker Gestern sehr genau bekannt geworden. Er hatte sich bei diesem Landjunker durch sein Uebersetzen über hohe Schlagbäume und durch andere einen kühnen Weidmann zierende Handlungen dergestalt eingeschossen, daß der Junker erklärt hatte, aus dem Tom würde einst gewiß noch ein großer Mann werden, wenn ihm gehörig unter die Arme gegriffen würde. Er wünschte, daß er selbst einen Sohn von solchen hohen Gaben haben möchte, und eines Tages beteuerte er zwischen Flasche und Becher, Tom sollte um eintausend Pfund von seinem eignen Gelde mit einer Kuppel Hunde mit jedem Parforce-Jäger in der Nachbarschaft in die Wette jagen.

Durch dergleichen Talente war er dem Junker so lieb und wert, daß er ein sehr willkommener Gast bei seinem Tische und ein gar lieber Geselle bei seinen Jagden geworden war. Alles was der Junker am teuersten hielt, das heißt: seine Büchsen, Hunde und Jagdklepper standen jetzt unserm Jones ebensogut zu Befehl, als wären sie sein Eigentum gewesen. Daher faßte er den Entschluß, diese Gunst zum Besten seines Freundes anzuwenden und den schwarzen Jakob, nach seiner Hoffnung, bei Herrn Western in eben dem Dienst anzubringen, welchen er ehedem bei Herrn Alwerth versehen hatte.

Der Leser, wenn er bedenkt, daß dieser Kerl bei Herrn Western bereits in einem sehr schlechten Geruche stand, und ferner die Wichtigkeit des Verbrechens überlegt, wodurch dieser Herr zur Ungnade bewogen war, verurteilt vielleicht Toms Vorsatz als ein thörichtes und verzweifeltes Unternehmen. Wenn er indes den jungen Menschen deswegen nicht gänzlich verdammt, so wird er ihn darüber nicht wenig loben, daß er bei einem so kühnen Vorhaben alle ersinnliche Hilfe und Beistand aufsuchte.

Zu dem Ende nun wendete sich Tom an Junker Westerns Tochter, ein Fräulein von ungefähr fünfzehn Jahren, welche ihr Vater, nächst den vorherbenannten Gerätschaften der Jagd, über alle Dinge in der Welt lieb hatte. So aber, wie nun diese einigen Einfluß bei dem Junker hatte, so hatte auch Tom einigen Einfluß bei ihr selbst. Doch da dies die bestimmte Heldin unserer Geschichte und ein Mädchen ist, in welches wir selbst nicht wenig verliebt sind und in welches sich wahrscheinlicherweise mancher von unsern Lesern verlieben wird, ehe wir noch aus einander gehen, so ist es auf keine Weise schicklich, daß wir sie gerade am Ende eines Buchs zum erstenmale auftreten lassen sollten.

Tom Jones

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