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Feierabend mit Struppi
ОглавлениеVor langer Zeit lebte einmal ein Schäfer mit seinem Hund Struppi, in einer kleinen Holzhütte am Rande des Waldes. Struppi war ein niedlicher weiß-schwarzer Mischling mit großen runden Knopfaugen und Schlappohren.
Der Schäfer und Struppi waren gute Freunde und immer wenn sein Herrchen „Struppi“ rief, stellten sich seine Ohren auf und er lauschte ganz gespannt seinem Herrchen.
Die beiden gingen jeden Tag früh morgens auf die Weide, um die Schafherde zu versorgen. Der Schäfer holte sie aus dem Stall und brachte sie auf die große Wiese am Waldrand. Struppis Aufgabe war es, die Herde zusammenzuhalten. Wenn ein Schaf nicht in der Herde blieb, rannte er zu ihm und bellte es so lange an, bis es sich wieder zu den anderen begab.
Es war keine leichte Aufgabe für den kleinen Hund, denn es konnte sein, dass ein Schaf der Herde zu weit voraus lief und gleichzeitig ein anderes hinten zurückfiel. Struppi musste ständig um die Herde herumlaufen, um sie beisammen zu halten. Er hatte natürlich nicht immer Lust dazu, aber es war nun mal seine Aufgabe und er wollte sein Herrchen nicht enttäuschen.
Aber immer wenn der Abend kam und die Dunkelheit langsam einsetzte, rief der Schäfer: „Struppi Feierabend.“ Struppi spitzte seine Ohren und seine Augen glänzten vor Freude, denn jetzt kam dass, worauf er den ganzen Tag schon wartete. Sein Herrchen ging mit ihm nach Hause.
In der Hütte zündete er den Kamin an und breitete für Struppi die Decke davor aus. Struppi legte sich drauf und machte sich ganz lang. Er genoss es, wenn die Wärme vom knisternden Holz langsam unter sein Fell kroch. Danach bekam er einen großen vollen Fressnapf vorgesetzt, denn sein Magen knurrte ja auch schon seit Stunden. Später dann, wenn er schon fast eingeschlafen war, setzte sich der Schäfer zu ihm und massierte ihm sein Fell und seine Pfoten, die ihm vom vielen Laufen noch ganz schwer waren. Struppi schlief selig ein.
So verbrachten der Schäfer und der kleine Hund schon viele Jahre zusammen. Und jeden Abend, wenn die Dunkelheit einbrach rief der Schäfer „Struppi Feierabend“ und jeden Tag freute sich der kleine Hund aufs Neue über diesen Satz.
An einem Wintertag, es war zur Mittagszeit, goss sich der alte Schäfer eine Tasse vom mitgebrachten Kaffee ein. Weil die Wiese mit Schnee bedeckt war, stellte er die Tasse auf die Türschwelle vom alten Schafsstall. Dann holte er einen kleinen Hundekeks aus seiner Manteltasche, rief „Struppi“ und warf ihm das Stück im hohen Bogen zu. Reaktionsschnell sprang Struppi hoch und schnappte noch in der Luft nach dem Leckerbissen. Doch bei der Landung stieß er ganz leicht gegen die Holztür des Stalls. Weil aber der Türrahmen mit der Schwelle verbunden war wackelte diese und die Tasse mit dem Kaffee fiel um. Der Schäfer war entsetzt. Er hatte sich so auf seinen Kaffee gefreut und nun musste er mit ansehen, wie er im Schnee versickerte. Vor Wut rief er „du Tollpatsch, was hast du gemacht, geh weg ich will dich nicht mehr sehen!“ Struppi wusste nicht wie ihm geschah. Mit hängendem Kopf schaute er sein Herrchen an, hoffte auf einen versöhnlichen Blick von ihm. Doch der verzog keine Miene. Langsam drehte sich Struppi um und ging. Er lief an den Schafen vorbei, über die endlos langen Wiesen bis in den Wald. Von weitem hörte er sein Herrchen noch rufen, er solle doch zurückkommen, doch Struppi wollte nicht. Er wollte einfach nur so vor sich hin trotten. Er war so traurig über sein Hundeleben, dass er gar nicht bemerkte wie dunkel es inzwischen geworden war. Erst jetzt, als es auch noch kalt wurde, kam er wieder zu sich. Eigentlich saß er sonst um die Zeit schon vor dem Kamin und hatte seinen großen Fressnapf vor sich. Aber umdrehen wollte er auch nicht.
„Ich will nicht mehr den ganzen Tag Schafe hüten und der Kälte ausgesetzt sein. Ich suche mir ein neues zu Hause!“ In diesen Gedanken versunken, lief er noch Stunden durch den Wald, bis er auf einmal in der Ferne ein kleines Licht sah. „Ist das vielleicht mein neues zu Hause?“ dachte er sofort. Er rannte los, durch die dichten Bäume und den tiefen Schnee. Doch als er näher kam, sah er, dass es kein Haus war. Es waren die Petroleumlampen einer Pferdekutsche, die auf einem Waldweg stand. „Eine mit Pferden bespannte Kutsche ohne Kutscher?“ Struppi schaute sich neugierig um. Er schnüffelte an der Kutsche und verfolgte die Schlittenspuren im Schnee zurück. Da sah er mitten in einem durchwühlten Schneehaufen einen Mann auf einem Stein sitzen. Er hatte einen großen roten Mantel an und sah sehr traurig aus. Struppi kannte das Gefühl, wenn man traurig ist. Deshalb nahm er all seinen Mut zusammen und ging zu ihm. Er setzte sich vor den Mann und schaute ihn erwartungsvoll an. Als der Mann Ihn erblickte, nahm er den kleinen Hund auf seinen Schoß und streichelte ihn wie ein kleines Kuscheltier. Dabei erzählte er, noch ganz mitgenommen von seinem Unglück, dass er seine Krone verloren habe. „Ich wollte schnell nach Hause in mein Schloss fahren“, erzählte er dem kleinen Struppi. „Doch da kam dieser Ast, der von einem dicken Baum aus quer über den Waldweg hing und der hat mir die Krone vom Kopf gerissen. Die halbe Nacht habe ich schon gesucht, aber ich kann sie nicht finden und ohne Krone bin ich kein richtiger König.“
Struppi hatte Mitleid mit dem ihm. „Ich kann ihm doch helfen“, dachte er bei sich. „Zu Hause habe ich auch viele Sachen gefunden die Herrchen gesucht hatte.“ Und schon durchwühlte er den Schnee. Und es dauerte auch gar nicht lange, da hatte er schon die Krone.
Der König war begeistert. Endlich hatte er seine geliebte Krone wieder. „Weißt du was“, sagte er zu Struppi. Ich nehme dich mit auf mein Schloss. Dir soll es bei mir richtig gut gehen.“
Und schon saß Struppi stolz neben dem König auf der Kutsche. Sie fuhren bis zum Morgengraun durch den endlosen Winterwald. Als sie um die letzte Kurve kamen, sah Struppi schon das große Schloss vor sich.
Der König ging mit ihm hinein und rief seine ganzen Bediensteten zu sich. Dann hielt er eine lange Dankesrede auf seinen neuen Helden und zum Schluss sagte er: „Dieser kleine Hund ist unser neuer Gast, er kann hier tun und lassen was er will.“ Und zu den Küchenfrauen sagte er: „Ihr sorgt dafür, dass unser kleiner Freund immer eine große Schüssel vom besten Hundefutter bereitstehen hat!“
Struppi freute sich. Er hatte ein neues zu Hause und in dem sollte es ihm richtig gut gehen. Zuerst fraß er sich richtig satt. Dann suchte er sich ein schönes Schlafplätzchen. Er konnte ja hier schlafen, wo er wollte. Überall war es warm und gemütlich. Aber weil sein Futter nun Mal in der Küche stand, schlief er auch gleich dort. Erst am nächsten Morgen wachte er wieder auf. Er ging zu seiner Futterschüssel und stärkte sich erst einmal. Danach schaute er sich das ganze Schloss an. Er ging durch lange Gänge, stieg breite Treppen hoch und runter und schaute in fast alle Zimmer. Wenn er ein schönes Plätzchen zum schlafen fand, legte er sich einfach hin. Er schlief schon im großen Sessel des Königs, auf der Holzbank bei den Küchenfrauen oder in der Wäschekammer. Am liebsten aber legte er sich auf die große breite Treppe die hinter der Eingangstür begann. Die Tür hatte so große Scheiben, dass er selbst im Liegen noch alles beobachten konnte, was sich im Garten bewegte.
Struppi freute sich über sein Hundeleben. Er musste nie mehr frieren und schon gar nicht hungrig um eine Schafsherde laufen.
So ging es eine ganze Weile.
Eines Nachts wachte Struppi auf. Er fühlte sich unwohl und konnte nicht richtig schlafen. Er suchte sich ein neues Plätzchen, aber auch da fühlte er sich nicht richtig wohl. „Was ist nur mit mir los“, fragte er sich. „Schlafen kann ich nicht und mein Futter hab ich heut auch nicht angerührt“. Ich glaub ich werde krank. Und wie er so durch die endlos langen Gänge schlich und nachdachte welche Krankheit er eigentlich haben könnte, kam ihm ein schrecklicher Gedanke. „Ich glaube ich bin schon alt und muss bald sterben.“
Struppi fühlte sich einsam in dieser der Nacht. „Sollte es wirklich so sein? Jetzt, wo ich alles habe was ein kleiner bescheidener Hund so braucht, geht das Leben einfach zu Ende.“
Struppi war traurig. Die ganze Nacht noch schlich er Gedankenversunken durch das Schloss. Am nächsten Morgen, die Sonne schien schon durch die Fenster des riesigen Treppenhauses, war Struppi immer noch ganz benommen von seiner traurigen Erkenntnis. Um sich etwas abzulenken ging er in den großen Garten vor dem Schloss. Schwerfällig sprang er auf eine Gartenbank und schaute den Holzfällern zu, die gerade mit einem Pferdekarren aus dem Wald kamen. Er beobachtete, wie die Männer die gefällten Bäume vom Wagen luden, sie in kurze Stücke sägten und dann mit der Axt in kleine Holzscheitel spalteten. Struppi legte seinen Kopf auf seine Pfoten, machte die Augen zu und lauschte den Geräuschen der Holzwerkzeuge. Nach so einer einsamen, durchwachten Nacht, war es erholsam den Geräuschen anderer zu lauschen und dabei im Halbschlaf zu versinken. Die Sonne schien in sein Gesicht und er dachte noch einmal an viele kleine Dinge die er in seinem Leben erlebt hatte. Nur noch im Hintergrund und immer leiser hörte er die Waldarbeiter hantieren.
Auf einmal, es war schon Nachmittag, hörte er den ältesten von ihnen sagen: „So Männer Feierabend!“ „Feierabend“? Struppis Ohren schossen in die Höhe und seine Augen wurden ganz groß. „Feierabend, hat doch immer der alte Schäfer zu ihm gesagt und dann sind sie doch immer erschöpft nach Hause gegangen und da war doch der Kamin, der das Fell so schön wärmte und das Abendbrot, das mir immer so besonders gut schmeckte.“
Struppi lief auf der Holzbank wie ein Tiger im Käfig hin und her und überlegte. „Na klar“, dachte er. „Ich muss noch gar nicht sterben, ich hab nur nicht gemerkt was mir fehlt. Wenn man den ganzen Tag fressen kann, so viel man will, dann schmeckt es einem nicht mehr so gut, als wenn einem der Magen knurrt. Und die Wärme, vom Kamin, hab ich auch nur als so angenehm empfunden, weil ich durchfroren war und Nachts hab ich immer so gut geschlafen, weil ich vom vielen Laufen erschöpft war. Und ich war doch immer so stolz darauf, meinem Herrchen ein treuer Helfer zu sein. Es war eine schöne Zeit mit ihm.“
Struppi überlegte nicht mehr lange. Ohne sich noch einmal umzudrehen, sprang er von der Bank und rannte los. Er rannte aus dem Schlossgarten in den Wald und dann immer in Richtung der alten Schäferhütte. Er wollte auf einmal so schnell wie möglich zurück in sein altes zu Hause. Er rannte noch, als es schon lange Nacht war. Nur an der Stelle an der er den König getroffen hatte, legte er eine kurze Pause ein. Aber noch bevor die Sonne aufging, machte er sich an das letzte Stück des Weges. Er lief noch eine Weile und dann endlich hatte er den Endlos scheinenden Wald hinter sich. Er stand auf der Wiese und konnte, unten im Tal den Schäfer mit seiner Herde sehen. Und auch der alte Schäfer, der seit dem Streit jeden Tag zum Waldrand schaute, sah Struppi sofort und winkte mit seinem Hut.
Struppi kannte jetzt kein Halten mehr. In Windeseile rannte er ins Tal und sprang seinem Herrchen in die Arme. Beide freuten sich auf ihr Wiedersehen. Danach rannte Struppi noch endlose Runden um die Schafherde und bellte sie freudig an. Er merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Doch dann kamen die Worte, vom alten Schäfer, die ihm doch so sehr gefehlt haben. „Struppi Feierabend.“
Jetzt wusste Struppi, was er für ein schönes Hundeleben er hat.
Ende