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Kapitel 1 Aus Mannheim nach Norwegen
ОглавлениеAngefangen hat alles mit einer Annonce in einer linksliberalen deutschen Wochenzeitung. Amelie, schöne Germanistin, klar und nicht mutig sucht Kontakt. Bin siebenunddreißig und liebe das Leben.
Zu dieser Zeit arbeitete ich viel und liebte wenig in Mannheim. Eine Stadt, die im Kern nur aus Quadraten besteht und in ihren ehemaligen Grenzen von zwei Flüssen spitzwinklig schüchtern eingeschenkelt wird. Dem deutschen Rhein und dem schwäbischen Neckar. Es gibt keine Straßennamen. Nur Buchstaben und Ziffern. Ich wohnte in H 12. Mittendrin in kurpfälzischer Gelassenheit und türkischer Übermacht. Ich kam im Sommer an, viele Türken waren wohl in Anatolien oder sonst wo und schlafloste ab September mit den gewaltigen Männergesängen der hallenden Hinterhofmoscheen. Die Reaktion auf die Antwort auf die Annonce war unerwartet steril und allgemein. Irgendwie hatte ich anderes erwartet. Von einer schönen Germanistin allemal. Der Name war sehr schön. Amelie
AMELIE
Amelie ist eine schöne Frau. Sie sieht es. Sie steht vor dem fenstergroßen Spiegel, lässt ihre Hüfte vorsichtig und doch entschlossen, als wenn sie etwas Verbotenes tun würde, zur Seite ausfahren und sie sieht sich und lächelt. Amelie ist nackt. Die Hände ihres Mannes gleiten über ihre Schultern, berühren ihre Brüste, umfahren ihren Bauch und verbleiben beweglich an ihrer nackten Scham. Amelie fühlt sehr viel Schönes und ist erregt. Der Haken an der Sache ist: Es ist kein Mann da und in vierzig Minuten müsste Amelie im Büro sein aber da sie weiß, dass ihr zum Monatsende gekündigt wird, entschließt sie sich und legt ihre Hüfte mit einem angedeuteten Schwung auf die andere Seite. Ein kleines Röllchen von wunderbarer Fraulichkeit schaut frech aus dem Spiegel. Und nun lacht Amelie und flüstert (als wenn es wieder etwas Verbotenes sein könnte):„Leckt mich am Arsch“.
THOMAS
Im Sommer 2007 habe ich gesehen, wie im reichsten Land der Welt, Norwegen, ein vor mir stehender Penner einen riesengroßen Sack leerer Plastik- und Glasflaschen in den Pfandautomaten wurschtelte und damit scheinbar motorisch überfordert war. Ich stand in der Reihe, wollte nur meine sechs leeren Bierflaschen tauschen und hatte schon ein neues sixpack vom guten Ringnes Bier im Korb. Achtzig Kronen. Zehn Euro. Dann ging der Penner einkaufen. Zwei Paprika Schoten, zwei Becher Fettarm- Milch, sechs Möhren und eine Rolle Toilettenpapier. „That’s our „bonus. Wir müssen alle etwas tun für unsere Haus.“ Sagte er. Und ich nahm mein Sixpack Ringnes Bier für 80 Kronen (immer noch zehn Euro) und verließ, zwar etwas nachdenklich aber doch froh und heiter bei strahlendem Sonnenschein den Supermarkt in Birkeland, Südnorwegen.
AMELIE
Und nun fährt Amelie nach Norwegen. Nicht zum Penner, den wird sie nie kennen lernen. Sie durchfährt Jütland in Dänemark entspannt und doch zu hastig, bugsiert ihren etwas größer geratenen Kleinwagen nicht ganz problemlos auf die Fähre via Kristiansand, wundert sich und mit ihr Magen, dass es im Sommer und fast mitten in Europa doch so hohe und vor allem lange Wellen gibt und erreicht kurz nach Mitternacht die norwegische Küste, bald darauf auch einen Hafen und schließendlich den norwegischen Zoll. So weit, so gut. Jetzt wird es schlecht. Der Zoll. Ein auserlesener, von sich und der Kontrolle an sich überzeugter Haufen von Beamten mit einem großen Interesse am Schnüffeln mitten in Europa ,sodass Amelie als Reaktion auf diese Anti-Wikinger entgegen allen ihren wohlerzogenen Grundsätzen flucht und spuckt und dann in dieser Stimmungslage in Norwegen einfährt. Und schnell ganz langsam ruhig wird. Und Norge sieht, schnuppert und bald nichts mehr hört. Nur noch lächelt. Die beste aller DVD, Claire de Lune, einschiebt und jede Kurve eigentlich zweimal umfahren möchte, weil sie eben angekommen ist. In einem Traum. Sie weiß, er wird zerreißen, wie die Gespinste, die sie jetzt über dem Fluss sehen kann. Aber das Glück, es ist jetzt hier und es wird für eine kurze aber wunderbare Zeit bei ihr sein.
Und dann knallt sie frontal mit dem Brückengeländer über der Tovdalenselva am letzten Wasserfall vor dem rettenden Campingplatz zusammen. Sie erwacht in der Notaufnahme im Krankenhaus von Kristiansand.
“Glück gehabt. Wir konnten Ihre Krankenkarte nicht finden. Wo befindet sie sich?“
Seltsame Norweger, in Deutschland wäre das nicht so, denkt Amelie, und verfällt wieder in einen Schwebezustand zwischen Leben und weit weg sein.
Am nächsten Morgen ist ihr Kopf immer noch bleischwer. Aber sie sieht die Spinne an der Decke und hört die Frau über ihr fragen: Ist alles okay? Wo ist ihre Chipkarte, wir konnten sie nicht finden.
„Im Rucksack, links“.
„Danke, es so wichtig für uns.“
„Und wenn ich jetzt tot wäre?“
„Dann wäre sie noch wichtiger.“
„Sie sind Norwegerin?“
„Ich bin Portugiesin.“
„Sie sind so blond.“
„Sie sprechen wie alle anderen.“
„Sie sind sehr schön.“
„Wir dürfen das zu den Patienten nicht sagen.“
„Mir tut mein Kopf so weh“.
„Ich gebe dir ein wenig mehr, aber hush.
„Erzähl mir etwas über Portugal. Ich kenn es nicht. Es muss ein sehr schönes Land sein.“
„Schlaf. Portugal ist ein sehr kleines trockenes Land und hat sich vor vielen hunderten Jahren an der Welt überhoben. Es hat so wenig Töchter und Söhne, die essen jetzt Trockenfisch aus Norwegen und karren Melonen nach Düsseldorf. Schläfst du? Gut. Gut. Verrat mich nicht. Ich soll hier eigentlich nur putzen, na, ja nicht ganz.“
Sie strich mit schokoladenbraunen Fingern über Amelies Augenbrauen und küsste sie dann. Vielleicht träumte sie das aber auch nur.
Sei es wie es sei. Seitdem liebte Amelie Portugal.
Am nächsten Morgen kam eine nette massive Norwegerin zu ihr und verließ sie die nächsten Tage nicht mehr. Amelie wusste nicht mal ihren Vornamen, aber seither erinnerte sie sich an ihre Hände. Die waren so groß und zerrissen.
THOMAS
Ich war nur auf dem Weg, zum Supermarkt, nicht zum Sixpack sondern zum Alibi-Geithost, Ziegenkäse für Deutschland, als ich eine Elchkuh rammte. Sie stolperte über die Straße, glotzte auch noch etwas blöd und drehte mir dann ihr Hinterteil zu. Das war aus ihrer Sicht eine gute Lösung, denn unsere Karambolage verursachte bei ihr nur ein erstaunlich kindliches Quieken und mehrere Hüpfer runter von der Straße hinein in den endlosen norwegischen Wald. Nicht mal ein richtiger Elch, dachte ich noch und wurde dann wohl bewusstlos. Hat man mir später im Krankenhaus gesagt. Dort quiekte auch ich, als ich mich das erste Mal in einen vorgehaltenen Spiegel sah.
„Brillenhämatom“, sagte die offensichtlich aus Spanien stammende Norwegerin und kicherte dabei unverschämter Weise. Jetzt ist es wunderbar blau, bald wird es grün und gelb – dann bist du durch. Solange solltest du Spiegel meiden. Alles andere erklärt ihnen gleich der Arzt.“
„God morn“, sagte dieser vier Stunden später. Keine Angst. Ich spreche vorzüglich deutsch. Habe in Budapest studiert, wegen des Numerus Clausus und dann meinen Abschluss bei der Bundeswehr gemacht. Leider ist bei ihrer Einlieferung etwas schief gelaufen. Wir haben vergessen ihre Nase und Umgebung rechtzeitig mit Eis zu kühlen. Guter Witz. Norwegen und kein Eis. Nicht so schlimm. Tragen sie die nächste Zeit eine Sonnenbrille und die Lacher sind nur halb so häufig. Sie sehen aus, wie ein Irokese auf dem Kriegspfad. Ich sehe gerade ... wird nicht gehen ... mit der Brille ... Röntgen ... ihre Nase ist gebrochen. Vorzüglich: Glatt durch. Ja, wir Deutschen. Wenn schon denn schon. Ach ja, drei Rippenbrüche, eine kleine mittelleichte Gehirnerschütterung. Jetzt schieben wir sie erst mal durch unsere Abteilungen. Prima Equipment. Alles neu. Vorsicht bei der Augenärztin. Die ist sehr sensibel geworden seit ein Finne sie auf Schwedisch gefragt hat, ob das Schielen ihr bei ihrer Ausbildung und den Professoren geholfen hat. Vorsicht bei den Radiologen, die finden immer was, was auch leicht ist, weil sie die einzigen sind, die wirklich was sehen. Deshalb wissen die auch was links und rechts liegen muss, was dazu gehört und was eigentlich raus müsste. Die Internisten sind harmlos. Sie sind zu sehr damit beschäftigt zu begreifen, was sie dort eigentlich machen und messen. Nur nicht überheblich werden. Die Rache hat einen Namen „ … zu ihrer Sicherheit machen wir eine Darmspiegelung ...
„Nun zu mir. Zuerst werde ich sie mal neurologisch untersuchen. Keine Angst. Das wird schon so seit hundert Jahren so gemacht. Und außerdem war ich doch bei der Bundeswehr. Bei der Hals-Nasen-Ohren Ärztin sollten sie mehr auf den Unterbau achten, Haakon, der Arzt im Praktikum, hat darüber ganz erstaunliche Geschichten in Umlauf gebracht und nun starren alle dorthin und versuchen etwas zu entdecken. Sie kennen doch den Zusammenhang zwischen Morphologie und Physiologie? Nein? Beckenbodengymnastik ist das Zauberwort. Damit dürfen sie aber nicht unserer Psychologin kommen. Der nagelt sie gleich auf psychosomatisch begründete Sexualstörungen fest. Aber das macht er nur, um sich von unserem absoluten Prachtstück, der Schwester Patricia abzulenken. Die ist das Schärfste, was hier südlich des Polarkreises rumläuft.
„Patricia? Seelsorgerin?“, fragte ich.
„Nein. Portugiesin“, sagte Dr. Jan Jörgenson.
AMELIE
Die nächsten Tage in der Klinik liegen bei mir in irgendeiner Gerümpelecke meines Lebens. Ich lag in meinem Bett und starrte an die Decke und suchte die Spinne. Sie schien mich verlassen zu haben. Ich schlürfte meine Suppe, erst mit, dann ohne Hilfe. Verlangte immer wieder, dass mir der Einstich für den Tropf entfernt wird, weil er nur störte und riss ihn dann letztendlich selbst heraus und keiner hat das überhaupt bemerkt. Ich erkundigte mich vorsichtig nach einer portugiesischen Krankenschwester. „Ja, ja ist hier und rotiert auch irgendwann wieder auf diese Station.
„Wo ist sie jetzt?“
„Warum?“
„Ich wollte ein wenig mit Ihr portugiesisch sprechen.
„Ah, ja.“
„Was heißt, ah, ja?“
„Nichts. Und sie können portuguies“
„Fließend.“
„Ah, ja.“
THOMAS
Zum Pinkeln muss ich an den Spiegeln vorbei. Wenn es nicht ich wäre, würde auch ich lachen. Riesige blau-grüne Ringe zirkeln um meine Augen, die Farben schmücken meine schiefe Nase und danach ist der Schmerz beim Drücken beim Scheißen hervorgerufen durch die gebrochenen Rippen nur noch halb so schlimm. Ich verfluche zum wiederholten Mal die Elchkuh und die Augenärztin, der mir irgendwelche Tropfen eingeträufelt hatte wegen Augendruck oder was weiß ich, bevor ich zur HNO-Ärztin gerollt wurde. Ich konnte weder Ober- noch Unterbau erkennen. Angeblich höre ich normal und habe auch keine Gleichgewichtsstörungen. Kein Wunder. Nach diesen Augentropfen. Dann werde ich auf mein Zimmer zurückgerollt.
„Die ihnen jetzt dort entgegenfährt ist auch deutsch. Ist zu blöd zum Auto fahren, sagt der Pfleger hinter meinem Beförderungsstuhl. Sie hat einen schönen Namen. Amelie.“
„Ist mir wurscht“, sage ich.
„Wie bitte?“
„Hush, da kommt Patty, unsere Portugiesin. Machen sie mal schnell einen auf todkrank.“
„Warum?“
„Dann schaut sie vielleicht auch mal zu mir auf.“
AMELIE
Was hat sie nur all die Jahre falsch gemacht? Gestern war sie noch die nette Amelie. Und jetzt wird sie lustlos über einen Flur in einem sehr kalten Land gerollt.
„Frau Funke?“
„Sie haben jetzt ein Gespräch mit ihrer Psychologin.“
„Ich habe kein Gespräch und ich habe auch keine Psychologin.“
„Jetzt doch. Keine Angst. Versuchen sie das Gespräch in eine Richtung zu lenken.
„In welche Richtung?“
„Sie werden es sehen. Sie sind doch eine Frau.“
Später.
„Wie geht es Ihnen.“
„Gut.“
„Sehr schön. Haben Sie Probleme mit Männern?“
THOMAS
Heute war ich das erste Mal bei der Psychologin. Die hat einen netten Po, leider trägt sie die falschen Hosen, so mehr hüftgebunden. Deshalb rutschen ihr kleiner Bauch und ihre Seitenausleger beim Bücken öfter mal unter der viel zu kurzen Bluse raus. Die ist übrigens einerseits äußerst erotisch geschnitten andererseits zu kurz. Die Bluse. Aber wunderbar weiß.
„Wie geht es Ihnen?“
„Gut.“
„Sehr schön. Es ist ungewöhnlich, einen Mann in ihrem Alter hier in diesem Winter und in Norwegen zu finden. Zu finden, weil er von einem Elch platt gemacht wurde.
„Von einer Kuh. Einer kleinen Elchkuh.“
„So, so. Haben sie etwas gegen Elche?“
Ich sah in diese Augen und erkannte den Blick der Elchkuh. Und das, obwohl ich ihn auf der Straße nur für einen kurzen Augenblick wahrnehmen konnte. Und gleich darauf bemerkte ich, dass ich dieses nicht hätte denken und dann vor allem nicht hätte sagen sollen.
Später in Deutschland trat ich wieder gezwungenermaßen wieder mit einer Psychologin in Kontakt. Die näherte sich vorsichtiger und vor allem schlauer. Aber ganz zum Schluss, als ich eine ehrliche Sympathie empfand, gab sie mir den katastrophalen Rat. „Sie lieben doch Skandinavien. Versuchen sie einmal einem Elch in die Augen zu schauen. Sie sehen nur Güte und Hoffnung. Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Aber nun zu ihrem offensichtlichen Grundproblem. Ich glaube, sie haben etwas gegen Frauen im Allgemeinen.“
Gelandet bin ich dann wieder in Mannheim. Unweit H12. Im Zentrum für seelische Gesundheit. Dort ist es richtig gemütlich. Lautstark toben türkische Frauen über die Flure und persische Männer bringen viele deutsche zum Schmunzeln. Das Wichtigste, es gibt keine Elche. Und ich bin eigentlich nur hier, weil ich auf Amelie warte. Denn irgendwann wird sie kommen und da sein.