Читать книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen - Henryk Sienkiewicz, Henryk Sienkiewicz, R. Ettlinger - Страница 36

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Inhaltsverzeichnis

Je mehr Vinicius sich Rom näherte, desto mehr erkannte er, wie schwierig es sei, nach der Mitte der Stadt vorzudringen. Die Appische Straße wimmelte von Menschen. Die Häuser, Felder, Friedhöfe, Gärten und Tempel zu beiden Seiten derselben waren in Lagerplätze verwandelt. Jede Rücksicht auf Gesetz, auf Familienbande, auf gesellschaftlichen Rang hatte aufgehört. Gladiatoren, betrunken vom Weine, dessen sie im Emporium habhaft geworden, rannten wild brüllend auf den Plätzen herum, warfen beiseite, wer ihnen in den Weg kam, traten die Leute mit Füßen und raubten sie aus. Ein Haufe von Barbaren, die zum Verkauf auf dem Markt gestanden hatten, waren entwichen. Für sie bedeutete der Brand Roms zugleich das Ende der Knechtschaft und die Stunde der Rache, während die Bewohner der Stadt, deren ganze Habe in den Flammen zurückgeblieben, in Verzweiflung die Hände zu den Göttern erhoben und um Rettung flehten, stürzten jene Sklaven mit Freudengeheul mitten unter sie, rissen ihnen die Kleider vom Leibe und schleppten jüngere Frauen hinweg. Die Bande, aus Asiaten, Afrikanern, Griechen, Thrakiern, Germanen und Briten bestehend, heulte in allen bekannten und unbekannten Sprachen und raste umher, toll vor Freude, daß die Stunde gekommen, welche sie für jahrelanges Elend entschädigen sollte.

Mitten unter dieser wogenden Menge glänzten im Schein der Sonne und des Feuers die Helme der Prätorianer, in deren Schutz der friedfertige Teil der Flüchtlinge sich gestellt hatte, und die mit der rasenden Menge Kampf um Kampf zu bestehen hatten. Mit wachsender Schwierigkeit, jeden Augenblick sein Leben aufs Spiel setzend, erzwang der junge Tribun sich den Weg zum Appischen Tore. Dort angelangt, mußte er sehen, daß es infolge des Gedränges sowie der fürchterlich sengenden Hitze unmöglich war, durch den Stadtteil von Porta Capena das Innere Roms zu erreichen.

Vinicius erkannte, daß er ein Stück Weges zurückreiten, von der Appischen Straße abbiegen und den Fluß unterhalb der Stadt kreuzen müsse, um direkt den Transtiber zu erreichen. Beim Brunnen des Merkur sah er einen ihm bekannten Hauptmann, welcher an der Spitze einiger vierzig Soldaten die Vorhalle des Tempels verteidigte. Er befahl ihm, zu folgen. Der Hauptmann erkannte in ihm den Tribun und Augustianer und gehorchte.

Vinicius übernahm selbst den Befehl über die Abteilung. Er vergaß Paulus’ Lehren betreffs der Nächstenliebe und durchritt die Menge mit einer Hast, welche manchem übel bekam, der nicht zeitig genug auszuweichen vermochte. Flüche und ein Hagel von Steinen folgten ihm und seinen Leuten. Er achtete nicht darauf, sondern suchte so bald wie möglich weniger belebte Wege zu erreichen. Die Schwierigkeit wuchs von Minute zu Minute. Leute, die sich gelagert hatten, wollten nicht ausweichen und äußerten Flüche gegen den Cäsar und die Prätorianer. Bisweilen nahm die Menge eine drohende Haltung an. Vinicius vernahm Rufe, welche den Nero der Brandstiftung beschuldigten und ihm sowie Poppäa mit dem Tode drohten. Es war leicht zu sehen, daß nur ein Anführer fehlte, um diese Drohungen zu offenem Aufruhr zu steigern. So aber wandte sich die Wut der Menge gegen die Prätorianer, deren Aufgabe, Vinicius einen Weg zu bahnen, dadurch erschwert wurde, daß die Straßen durch Barrikaden von geretteten Waren, Kisten, Proviantfässern, kostbaren Möbeln, Karren und Handgepäck versperrt waren. Da und dort entstand ein Handgemenge, wobei die Prätorianer ihrer Bewaffnung wegen leicht Sieger blieben.

Nach vielen Mühen erreichte Vinicius endlich mit seiner Schar den Vicus Alexandri, wo er den Tiber kreuzte. Die Luft war dort weniger heiß und raucherfüllt. Von Flüchtlingen, die in großen Scharen ihm begegneten, vernahm er, daß nur bestimmte Gassen im Transtiber brannten, daß aber nichts dem Feuer Einhalt tun könne, da gewisse Leute es absichtlich weitertrügen und jeden Löschversuch hinderten, indem sie vorgaben, auf Befehl zu handeln. Der junge Krieger war nun überzeugt, daß Nero die Stadt habe in Brand stecken lassen, und die Rache, wonach das Volk schrie, schien ihm gerecht und verdient. Was hätte einer der ärgsten Feinde Rom Ärgeres tun können? Das Maß war übervoll; Neros Tollheit war ins Ungeheure gewachsen. Das Leben des Volkes war durch ihn in Gefahr.

Vinicius glaubte, Neros Stunde habe geschlagen, die Trümmer dieser Stadt müßten das possenreißende Scheusal samt seinem Verbrechen mit sich reißen! Sollte ein Mann sich finden, der bereit wäre, sich an die Spitze eines verzweifelten Volkes zu stellen, so würde dieses Schicksal den Cäsar in den nächsten Stunden schon ereilen.

Verwegene Gedanken flogen durch Vinicius’ Sinn. Wenn er der Mann sein wollte? Seine Familie, die sich einer langen Reihe von Konsuln rühmte, war in ganz Rom wohlbekannt. Wer jetzt die Quiriten unter Waffen riefe, dachte Vinicius, würde ohne Zweifel Nero stürzen und den Purpur erlangen. Warum sollte er es nicht tun, der energischer und jünger als die anderen Augustianer war? Wohl war Nero Herr von dreißig an den Grenzen des Reiches stationierten Legionen; doch würden denn diese Legionen und ihre Anführer bei der Nachricht vom Brande Roms sich nicht empören? In diesem Falle stände Vinicius der Weg zum Throne offen. Vielleicht würde Christus selber mit seiner göttlichen Macht ihm zu Hilfe kommen, wie es überhaupt möglich war, daß dies eine Eingebung Christi war. Ein neues Reich der Wahrheit und Gerechtigkeit würde beginnen, Christi Lehre vom Euphrat bis zu Britanniens Nebelküsten herrschen. Er würde Lygia in Purpur kleiden und sie zur Herrin der Welt machen.

Allein diese Gedanken, die gleich Funken aus einem brennenden Hause durch seinen Kopf geflogen waren, verloschen wie Funken. Vor allem mußte Lygia gerettet werden. Vinicius war jetzt auf dem Schauplatze der Katastrophe. Verzweiflung bemächtigte sich seiner, als er die Via Portuensis erreichte, die geradeswegs zum Transtiber führte. Er raste weiter bis zum Tore, wo er durch Flüchtlinge die Aussage bestätigt fand, dieser Stadtteil stehe noch nicht in Flammen, jedoch sei das Feuer an mehreren Stellen über den Fluß gedrungen.

Trotzdem war der Transtiber in Rauch gehüllt, und das Gedränge in den Straßen machte ein Vordringen um so schwieriger, als hier größere Mengen von Gütern fortgeschafft wurden.

Die Bewohner flohen zu Tausenden. Mehr als einmal stießen zwei entgegengesetzte Ströme von Menschen in engen Gassen aufeinander und brachten sich gegenseitig zum Stehen. Der Lärm machte es unmöglich, etwas zu erfragen oder zu verstehen.

Von Zeit zu Zeit flogen neue Rauchsäulen von jenseits des Flusses herüber, schwarzer, schwerer Rauch, der am Boden hintrieb und Häuser und Menschen in nächtliches Dunkel hüllte.

Doch der Wind trieb ihn wieder hinweg, und dann spornte Vinicius sein Pferd und flog der Straße zu, wo Linus’ Haus stand. Die Julihitze, vermehrt durch die Glut der brennenden Stadtteile, wurde unerträglich. Der Rauch schmerzte die Augen, die Lungen fanden keine Luft mehr.

Die Prätorianer, die Vinicius begleiteten, blieben allmählich zurück. Ein Kerl im Gedränge schlug mit einem Hammer das Pferd des Tribuns, das sich hochaufbäumte und den Gehorsam verweigerte. Man erkannte an der reichen Tunika den Augustianer und begann zu schreien: Tod Nero und seinen Mordbrennern! Die Gefahr war groß, jedoch sein scheu gewordenes Pferd trug ihn hinweg, indem es zu Boden trat, was ihm nicht auswich. Im nächsten Augenblick hüllte eine neue Rauchwolke die Straßen in Finsternis. Vinicius erkannte, daß hier das Pferd ihm nur hinderlich sei. Er sprang herab und stürzte zu Fuß vorwärts, indem er sich an den Mauern entlang bewegte und zuweilen stehen blieb, bis die fliehende Menge vorbei war. Im stillen sagte er sich, daß seine Mühe vergeblich sei. Lygia konnte längst entflohen sein, wie sollte er sie auch in diesem Chaos finden. Dennoch wollte er bis zum Hause des Linus vordringen, und sollte es sein Leben kosten.

Endlich erreichte Vinicius den Vicus der Juden, in dem auch des Linus Haus lag. Auch hier stand fast alles in Flammen. Der junge Tribun erinnerte sich, daß Linus’ Haus von einem Garten umgeben war. Zwischen diesem Garten und dem Tiber lag ein kleines, nicht bebautes Feld. Dies beruhigte ihn einigermaßen. Das Feuer mochte dort aufgehalten worden sein. In dieser Hoffnung stürzte er vorwärts, obschon jeder Luftzug ihn nicht nur in Rauch einhüllte, sondern mit einer Unzahl Funken bedeckte, die dann weiterflogen und das andere Ende der Straße anzünden konnten, ihm dadurch seinen Rückweg abschneidend. Endlich erblickte er durch den Rauch hindurch die Zypressen in Linus’ Garten. Die Häuser jenseits des unbebauten Feldes brannten lichterloh; doch des Linus kleine Insula stand noch unversehrt da. Vinicius warf einen dankerfüllten Blick zum Himmel empor und stürzte auf das Haus zu, obschon die bloße Luft ihn zu versengen drohte. Die Tür war geschlossen; er stieß sie ein und sprang ins Haus. Nichts regte sich im Garten; auch das Haus schien leer zu sein.

Vielleicht haben Rauch und Hitze sie ohnmächtig gemacht, dachte Vinicius. Und er rief: »Lygia! Lygia!«

Ein tiefes Schweigen folgte. Nichts war zu hören als das Prasseln der Flammen in der Ferne.

»Lygia!«

Jetzt drang wieder jener furchtbare Ton an seine Ohren, den er schon einmal im Gärtchen vernommen hatte. Offenbar war das Tierverlies auf der benachbarten Insel in Brand geraten, so daß die wilden Tiere ein Angstgebrüll ausstießen. Ein Schauder überlief Vinicius. Zum zweitenmal, da sein ganzes Trachten in Lygia aufging, mußten diese schrecklichen Stimmen, die Herolde des Unglücks, einander Antwort geben.

Vinicius durchsuchte jetzt das ganze Haus, sogar auch den Keller. Nirgends war eine lebende Seele zu finden. Augenscheinlich hatten Lygia, Linus und Ursus mit anderen Anwohnern der Straße ihr Heil in der Flucht gesucht.

Ich muß sie unter der Menge außerhalb der Stadttore suchen, dachte Vinicius.

Er war zwar nicht besonders erstaunt darüber, ihnen nicht auf der Via Portuensis begegnet zu sein, da sie den Transtiber auf entgegengesetztem Wege verlassen haben konnten, den Vatikanischen Hügel entlang. In jedem Falle war sie wenigstens vor dem Feuer gerettet. Ein Stein fiel ihm vom Herzen.

Es war jetzt der Augenblick gekommen, da er auf seine eigene Rettung bedacht sein mußte. Der Feuerstrom schien sich immer mehr zu nähern, und die Rauchsäule hüllte die Straße in tiefe Finsternis. Vinicius verließ das Haus und sprang mit höchster Schnelligkeit der Via Portuensis zu, woher er gekommen war. Das Feuer schien ihm nachzujagen, indem es ihn bald in Rauch hüllte, bald mit Funken überdeckte, die auf seinem Nacken, in den Haaren und auf der Tunika weiterglimmten. Die Tunika begann da und dort von ihm abzubröckeln, er achtete nicht darauf, sondern rannte vorwärts, um nicht zu ersticken. Seine Zunge war wie von brennender Asche belegt; Kehle und Lungen brannten wie Feuer. Bald wurde es ihm unmöglich, die Straßen zu erkennen, welche er durchrannte. Das Bewußtsein verließ ihn zusehends; er wußte nur noch das eine Wort: Fliehen! Denn Lygia erwartete ihn, Lygia, die Petrus ihm zum Weibe versprochen. Und mit einemmal stand vor ihm, wie eine Vision vor dem Tode, die Gewißheit, daß er Lygia sehen, sich mit ihr, vermählen und dann sterben müsse.

Und weiter rannte er wie trunken, von einer Seite zur anderen taumelnd. Inzwischen hatte sich der Anblick des Riesenbrandes etwas verändert. Was bis jetzt bloß geglimmt, stand nun in hellen Flammen. Der Wind brachte keinen Rauch mehr. Ein Wirbelwind sengender Luft räumte den Rauch aus den Straßen, Millionen von Funken mit sich führend, so daß Vinicius durch eine Feuerwolke zu fliehen schien. Allein um so besser fand er seinen Weg, und als die letzte Kraft ihn verlassen wollte, sah er das Ende der Straße vor sich. Das gab ihm neue Kraft. Um die Ecke biegend, erkannte er den Weg zur Via Portuensis und zum Felde. Die Funken verfolgten ihn nicht länger, wenn er die Via Portuensis erreichte, war er gerettet, ob er auch dort zusammenfiel.

Am Ende der Straße sah er wieder eine Wolke vor sich, die den Ausweg versperrte. Wenn das Rauch ist, dachte er, so komme ich nicht hindurch. Die letzte Kraft aufbietend, stürzte er vorwärts und warf sogleich die Tunika von sich, die, von den Funken in Brand gesteckt, an seinem Leibe brannte. Näher kommend, erkannte er, daß die Wolke, die er für Rauch gehalten, eine Staubwolke war, voraus ein Wirrwarr von Stimmen ihm entgegendrang.

Vinicius schrie schon von weitem um Hilfe. Es war die letzte Anstrengung, deren er fähig war. Seine Augen wurden noch röter, der Atem ging ihm aus, die Füße versagten den Dienst, er fiel nieder.

Doch er war gehört und gesehen worden. Zwei Männer eilten mit Wasserschläuchen auf ihn zu. Vinicius war nur erschöpft, nicht bewußtlos. Gierig griff er nach dem einen Schlauche und trank ihn halb leer.

»Habt Dank,« sagte er. »Stellt mich auf die Füße, ich kann allein gehen.«

Sie gossen ihm Wasser über den Kopf, erhoben ihn vom Boden und trugen den Geretteten zu den übrigen, die, ihn umringend, angelegentlich nach seinem Befinden sich erkundigten.

Dieses Mitgefühl setzte Vinicius in Erstaunen. »Wer seid ihr?« fragte er.

»Wir brechen die Häuser ab, damit das Feuer nicht bis zur Via Portuensis dringe,« erwiderte einer der Arbeiter.

»Ihr kamt mir zu Hilfe, als ich gefallen war. Habt Dank!«

»Wir dürfen keinem die Hilfe versagen,« antworteten mehrere Stimmen.

Vinicius, der seit dem frühen Morgen nichts als rohe, mordende und raubende Banden gesehen hatte, blickte jetzt mit großer Aufmerksamkeit in die ihn umgebenden Gesichter und sagte:

»Christus belohne euch.«

»Sein Name sei gepriesen!« antwortete ein Chor von Stimmen. »Linus…?« fragte der Tribun. Doch er konnte die Frage nicht beenden, denn eine Ohnmacht übermannte ihn. Als er wieder zu sich kam, befand er sich in einem Garten auf dem Felde, umringt von Männern und Frauen.

»Wo ist Linus?« waren seine ersten Worte.

Er erhielt lange keine Antwort, endlich sagte eine ihm bekannte Stimme: »Er zog vor zwei Tagen durch das Nomentanische Tor nach dem Ostranium. Friede sei mit dir, o Perserkönig.«

Vinicius erhob sich in sitzende Stellung und erkannte Chilon.

»Dein Haus ist wohl verbrannt, Herr,« fuhr der Grieche fort; »die Carinae sind in Flammen; doch du wirst stets so reich wie Midas bleiben. O welch ein Unglück! Die Christen haben lange schon voraus verkündet, daß Rom durch Feuer untergehen werde. Linus ist mit der erhabenen Lygierin im Ostranium. O welch ein Unglück für die Stadt!«

Ein neuer Schwächeanfall erfaßte Vinicius. »Sahst du sie?« fragte er.

»Ich sah sie, Herr. Christus und alle Götter seien gepriesen, daß ich deine Wohltaten mit guter Nachricht bezahlen kann. Allein ich werde dir noch besser vergelten; das schwöre ich bei diesem brennenden Rom!«

Es war Abend geworden. Doch der Garten wurde von dem wachsenden Brande tageshell erleuchtet. Nicht nur einzelne Teile, sondern die ganze Stadt schien der Länge und Breite nach in Flammen aufzugehen. So weit das Auge sah, war der Himmel hellrot: eine rote Nacht für die Weltgeschichte.

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