Читать книгу Die Insel des Dr. Moreau - Herbert George Wells, Herbert George Wells - Страница 6
2. Der Mann der nirgends hinging
ОглавлениеDie Kabine, in der ich mich befand, war klein und ziemlich unsauber. Ein noch junger Mann mit Flachshaar, einem borstigen, strohfarbenen Schnurrbart und hängender Unterlippe saß bei mir und hielt mein Handgelenk. Eine Minute lang blickten wir einander an, ohne zu sprechen. Er hatte wässrige, graue, merkwürdig ausdruckslose Augen.
Dann hörte ich gerade über uns ein Geräusch, wie wenn eine eiserne Bettstelle umhergeworfen wird, und dann das leise, wütende Knurren eines großen Tieres. Zugleich sprach der Mann wieder.
Er wiederholte seine Frage: »Wie fühlen Sie sich?«
Ich glaube, ich sagte, dass ich mich ganz wohl fühlte. Ich konnte mich nicht besinnen, wie ich hierhergekommen war. Er muss mir die Frage vom Gesicht abgelesen haben, denn ich selbst brachte kein Wort hervor.
»Sie wurden in einem Boot gefunden – am Verhungern. Auf dem Boot stand der Name Lady Vain, und auf dem Bordrand waren Blutflecken.« Zu gleicher Zeit fiel mein Blick auf meine Hand: Sie war so dünn, dass sie wie ein schmutziger Hautsack voll loser Knochen aussah, und die ganze Sache mit dem Boot fiel mir wieder ein.
»Nehmen Sie etwas hiervon«, sagte er und gab mir eine Dosis von einem gefrorenen roten Zeug.
Es schmeckte wie Blut, aber es schien mich zu stärken.
»Sie haben Glück gehabt«, sagte er, »dass Sie von einem Schiff mit einem Arzt an Bord aufgefischt wurden.« Er sprach mit sabbernder Artikulation und einer Spur von Lispeln.
»Was für ein Schiff ist dies?« fragte ich langsam, von meinem langen Schweigen heiser.
»Es ist ein kleiner Kauffahrer von Arica und Callao. Ich habe nicht gefragt, woher er ursprünglich gekommen ist. Aus dem Land der Narren, vermutlich. Ich selber bin Passagier von Arica. Der alberne Esel, dem es gehört – er ist zugleich Kapitän, heißt Davis –, hat sein Patent verloren oder sowas. Sie kennen die Art Mann – nennt das Ding die Ipecacuanha. Freilich, wenn viel See ist und kein Wind, da läuft es ganz ordentlich.«
Da begann oben der Lärm von neuem: ein knurrendes Brummen und zugleich die Stimme eines menschlichen Wesens. Dann sagte eine andere Stimme einem »gottverlassenen Idioten«, er solle aufhören.
»Sie waren fast tot«, sagte mein Gegenüber. »Es hing wirklich an einem Haar. Aber ich habe Ihnen einiges Zeug eingegeben. Sehen Sie die Armwunden? Injektionen. Sie sind seit fast dreißig Stunden ohnmächtig gewesen.«
Ich dachte langsam. Jetzt lenkte mich das Bellen einer Anzahl Hunde ab. »Kann ich feste Nahrung zu mir nehmen?« fragte ich.
»Und mir haben Sie's zu danken«, sagte er. »Das Hammelfleisch kocht schon.«
»Ja«, sagte ich mit Zuversicht, »ich könnte ein wenig Hammelfleisch essen.«
»Aber«, sagte er mit momentanem Zögern, »wissen Sie, ich möchte um mein Leben gern erfahren, wie es kam, dass Sie allein in dem Boot waren.« Ich glaubte in seinen Augen einen gewissen Verdacht zu entdecken.
»Verdammtes Heulen!«
Er verließ die Kabine plötzlich, und ich hörte ihn heftig mit jemandem schelten, der ihm in Rotwelsch zu antworten schien. Es klang, als endete die Sache mit Schlägen, aber darin, glaube ich, täuschten meine Ohren sich. Dann rief er den Hunden zu und kam in die Kabine zurück.
»Nun?« fragte er in der Tür. »Sie wollten gerade anfangen, mir zu erzählen.«
Ich nannte ihm meinen Namen, Edward Prendick, und sagte ihm, wie ich mich auf die Naturwissenschaft verlegt hatte, um die Langeweile meiner behaglichen Unabhängigkeit loszuwerden. Das schien ihn zu interessieren. »Ich habe selber ein wenig Naturwissenschaft getrieben – habe meine Biologie auf der Universität gemacht – dem Regenwurm den Eierstock rausgeholt und der Schnecke die Radula und all das. Himmel! Es sind zehn Jahre her. Aber fahren Sie fort, fahren Sie fort – erzählen Sie mir von dem Boot.«
Er war offenbar bezüglich der Aufrichtigkeit meiner Erzählung befriedigt, obgleich ich in ziemlich knappen Sätzen berichtete – denn ich fühlte mich furchtbar schwach –, und als sie zu Ende war, kam er sofort auf das Thema der Naturwissenschaft und seine eigenen biologischen Studien zurück. Er begann mich genau nach der Tottenham Court Road und der Gower Street zu befragen. »Existiert Cablatzi noch? Was für ein Laden das war!« Er war offenbar ein sehr durchschnittlicher Student der Medizin gewesen, und unaufhaltsam steuerte er das Thema Vergnügungslokale an. Er erzählte mir ein paar Anekdoten. »Alles aufgegeben«, sagte er. »Vor zehn Jahren. Wie ulkig alles war! Aber ich habe einen Esel aus mir gemacht ... Hab' mich rausgespielt, eh' ich einundzwanzig war. Ich kann mir denken, jetzt ist alles anders ... Aber ich muss mal nach dem Esel von Koch sehen, was er mit Ihrem Hammelfleisch macht!«
Das Knurren oben begann so plötzlich und mit so wilder Wut von neuem, dass es mich erschreckte. »Was ist das?« rief ich ihm nach, aber die Tür hatte sich geschlossen. Er kam mit dem gekochten Hammelfleisch zurück, und ich war von dem appetitlichen Duft so erregt, dass ich den Lärm des Tieres bald vergaß.
Nach einem Tag abwechselnden Schlafens und Essens war ich so weit erholt, dass ich aus meiner Koje steigen, an das Ochsenauge treten und die grünen Wellen sehen konnte, die mit uns Schritt zu halten versuchten. Montgomery – so hieß der flachshaarige Mann – kam wieder herein, als ich dort stand, und ich bat ihn um Kleider. Er lieh mir ein paar Segeltuchsachen von sich, denn die, die ich im Boot getragen hatte, sagte er, waren über Bord geworfen worden. Sie saßen mir ziemlich lose, denn er war breit und langgliedrig.
Er sagte mir gelegentlich, der Kapitän läge dreiviertel betrunken in seiner Kabine. Als ich die Kleider annahm, begann ich ihn über das Ziel des Schiffes zu befragen. Er sagte, das Schiff solle nach Hawaii fahren, aber es habe ihn erst zu landen.
»Wo?« fragte ich.
»Auf einer Insel ... Ich lebe da. Soweit ich weiß, hat sie keinen Namen.«
Er starrte mich mit hängender Unterlippe an und sah plötzlich so eigensinnig und borniert aus, dass mir schien, er wolle meinen Fragen ausweichen. Ich war so diskret und fragte nicht weiter.