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1. Das Rätsel der Goldenen Glocke

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„Ich mag keine Staus!“

Michael sah gelangweilt aus dem Fenster.

„Das gehört aber nun einmal zu einer Urlaubsreise dazu!“

Seine Mutter, die auf dem Beifahrersitz saß, drehte sich zu ihm um.

„Du hast doch gesagt, dass es auf der Strecke, die wir nehmen, keine Staus gibt, Papa.“

Michaels dunkelhäutige Adoptivschwester Sophie beugte sich vor und zupfte ihren Vater am Ohrläppchen. Dieser kraulte sich an seinem nur spärlich behaarten Kopf.

„Da muss ein Unfall passiert sein. Aber ihr werdet sehen. Wenn wir erst die Autobahn verlassen haben...“

„Und wann wird das sein?“

Michael wurde zunehmend ungeduldiger.

„Ach, ist doch egal. Dann spielen wir eben ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘“, schlug Michaels bester Freund Kai vor, der zwischen den beiden Geschwistern saß.

„Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist...“

Er musste eine Weile überlegen.

„...rot!“

Noch ehe Michael sich richtig umsehen konnte, rief Sophie schon:

„Ich weiß es, ich weiß es! Das Dach von dem Bauernhof! Stimmt’s oder hab ich Recht?“

Durch das Spiel abgelenkt verging die Zeit für die drei Kinder nun rascher. Und es dauerte gar nicht lange, da löste sich der Stau auf und es ging zügig voran.

Sie kamen durch einen langen Tunnel und bald danach verließen sie die Autobahn und fuhren nun weiter auf einer Schnellstraße, die sich schnurgerade durch die Landschaft zog. Hauptsächlich Wiesen und kleinere Anwesen zogen an ihnen vorüber. Immer wieder sah man die landestypischen Heuharfen, hölzerne Gestelle, an denen im Herbst das Heu zum Trocknen aufgehängt wird.

„Sind wir bald da?“

Nun war auch Sophie die weite Reise leid. Doch noch ehe Vater antworten kann, entdeckte sie draußen ein Schild mit der Aufschrift ‚Bled‘.

„Hier musst du abbiegen, Papa!“, rief Sophie.

„Ich weiß, jetzt ist es nicht mehr weit. Spätestens in zehn Minuten seht ihr den See.“

„Bled?“, fragte Michael. „Klingt wie blöd, findest du nicht, Kai?“

Kai zuckte mit den Schultern.

„Ist mir egal. Hauptsache, das Wasser ist warm.“

„Das Wasser ist sogar sehr warm“, ließ sich die Mutter vernehmen. „Der See wird nämlich von warmen Quellen gespeist.“

Sie fuhren auf einer kurvenreichen Landstraße. Nur wenige Minuten später erreichten sie die ersten Häuser des Ortes. Vater schaltete einen Gang zurück.

„So, hier fängt Bled an.“

„Sieht ja wirklich blöd aus“, meldete sich Michael erneut zu Wort. „Nur Betonbunker und so...“

Tatsächlich wurde die Straße von einer Reihe großer Hotels gesäumt. Sie konnten nur langsam fahren, da immer wieder Fußgänger die Straße passierten oder ein vorausfahrendes Auto plötzlich bremste, da der Fahrer eine der wenigen Parklücken entdeckt hatte.

„Und hier sollen wir zelten?“

Michael klang enttäuscht.

„Nicht hier. Auf der anderen Seite des Sees. Ihr könnt ihn gleich sehen.“

Und dann war es soweit. Vor ihren Augen glitzerte plötzlich das blau schimmernde Wasser des Bleder Sees. Kleine Kähne mit blau-weiß und rot-weiß gestreiften Stoffdächern schwammen darauf. Am rechten Ufer ragte ein Felsen steil in die Höhe, auf dessen Grat sich eine Burg erhob. Im Hintergrund sah man eine Insel im See, auf deren Anhöhe sich eine Kirche befand.

„Wow! Ist ja rattenscharf!“

Sophie pfiff durch die Zähne. Michael und Kai reckten die Hälse, doch in diesem Moment bog der Wagen scharf nach links ab und ein großes Gebäude versperrte den Blick auf den See.

„Oohh! Ich möchte ihn wieder sehen!“

Michael war ganz aus dem Häuschen.

„Die Burg! Habt ihr die gesehen?“

Kai stupste seine Freunde an.

„Die war früher sicher uneinnehmbar!“

Zum Glück dauerte es nicht lange, da war die Aussicht wieder frei. Die Straße lag jetzt in unmittelbarer Ufernähe. Michael hatte den besten Platz, da der See zu ihrer Rechten lag. Sophie schob sich über die beiden Jungs, um auch etwas zu sehen.

„Kann man rüber zu der Insel?“, fragte sie.

„Ja“, antwortete ihre Mutter. „Man kann ein Ruderboot mieten. Oder mit einer dieser Gondeln fahren.“

„Gondeln? Ich dachte, Gondeln gibt’s nur in Venedig“, gab Sophie zurück.

„Nicht nur. Diese kleinen Boote mit den bunten Dächern nennt man auch Gondeln. Ich habe im Reiseführer gelesen, dass es sehr romantisch sein soll, sich dort hinüberrudern zu lassen.“

Da der See nicht sehr groß war, dauerte es nicht lange, bis sie am Campingplatz ankamen. Einmal hatte sich die Straße noch vom Ufer entfernt, doch schon nach einer kleinen Weile kehrte sie dorthin zurück. Unmittelbar darauf waren sie am Ziel.

„Alles aussteigen“, forderte sie der Vater auf, nachdem er den Wagen am Straßenrand abgestellt hatte. „Mama und ich erkundigen uns, wo wir die Zelte aufstellen sollen. Ihr könnt euch derweil ein wenig umsehen. Und nehmt Zorro mit!“

Zorro, der schwarze Chow-Chow, der die Fahrt geduldig im Heck des Wagens miterlebt hatte, war überglücklich, endlich aussteigen zu dürfen. Ausgelassen sprang er zwischen den Kindern hin und her, während diese hinunter zum Wasser gingen. Zwischen Straße und See erstreckte sich eine Liegewiese. Hunderte von Menschen tummelten sich dort. Viele Kinder planschten im Wasser.

„Wie findet ihr das?“, fragte Sophie.

„Also ich find’s toll!“

Michael ließ seinen Blick schweifen.

„Ich weiß nicht“, bemerkte Kai. „Ziemlich viel los...“

„Vielleicht finden wir ja eine andere Stelle, an der man baden kann. Eine einsame Bucht zum Beispiel.“

Michael hob ein Stöckchen auf, das neben einem Baum lag, und warf es für Zorro, der ungestüm losspurtete.

„Lasst uns da lang gehen“, schlug Sophie vor. „Dort kann man Ruderboote leihen, seht ihr?“

„Ja, lasst uns mal sehen, was das kostet.“

Michael ging mit Zorro voran, die anderen folgten ihm.

Auf einem Klappstuhl hinter einem kleinen Tisch, direkt am Ufer, saß eine alte Frau und blickte freundlich drein. Neben ihr saß ein Mädchen mit kurzen Haaren, das etwas älter sein mochte als die Kinder. Vier Ruderboote waren an einem kleinen Steg vertäut. Die Kinder näherten sich und Sophie wandte sich an die Frau.

„Dober dan.“

„Dober dan.“

Die alte Frau schenkte den Kindern ein Lächeln. Das Mädchen betrachtete sie stumm.

„Dober... was?“, fragte Michael, der nur Bahnhof verstand.

„Ich habe nur Guten Tag gesagt“, gab Sophie zurück. „Sprechen Sie deutsch?“

„Oh ja, ich spreche deutsch. Wollt ihr ein Boot mieten?“

„Wir möchten gerne wissen, was es kostet.“

„Eine Stunde kostet 12 Euro. Ihr könnt bis zu einer halben Stunde länger auf dem Wasser bleiben. Wenn ihr noch später zurückkommt, bezahlt ihr eine zweite Stunde.“

„Wir sind gerade angekommen“, sagte Sophie. „Wir müssen erst unsere Eltern fragen.“

Zorro hatte sich inzwischen von dem slowenischen Mädchen anlocken lassen.

„Der hat aber ein weiches Fell!“, sagte sie in einwandfreiem Deutsch.

„Er ist ein Chow-Chow.“

Michael kam hinzu und kraulte Zorro hinter den Ohren.

„Seid ihr zum ersten Mal hier?“

Das Mädchen sah die drei der Reihe nach an.

„Gerade angekommen.“

„Wenn ihr wollt, kann ich euch ein wenig herumführen. Darf ich, Großmutter?“

Die Frau verabschiedete sie mit einem verständigen Kopfnicken, dann trollten sich die Kinder.

„Wie heißt ihr eigentlich? Mein Name ist Mira.“

„Ich bin Michael. Das ist Kai und dies meine Schwester Sophie.“

„Schwester...? Na, die Ähnlichkeit ist ja nicht gerade verblüffend!“

Mira glaubte, Michael wolle sie auf die Schippe nehmen.

„Sie ist natürlich nicht meine leibliche Schwester. Sie...“

„Ich wurde adoptiert“, fiel ihm Sophie ins Wort.

„Und woher kommst du?“

„Geboren wurde ich im Senegal. Das ist ein Land in Westafrika. Nach Deutschland kam ich im Alter von drei Jahren.“

„Und weißt du irgendetwas über deine richtigen Eltern?“

Sophie schüttelte den Kopf.

„Nein, keine Ahnung.“

Inzwischen waren sie am Badestrand vorbei und schritten auf einem geteerten Weg unter schattigen Bäumen aus. Nach kurzer Strecke tauchte eine hohe Tribüne auf, die sich links vom Weg befand und auf den See hinausblickte.

„Wozu ist die denn da?“, fragte Kai.

„Hier finden regelmäßig Ruderregatten statt. Weiter vorne befindet sich der örtliche Verein. Dort gibt es auch eine Badestelle, die nicht ganz so überlaufen ist.“

Schon nach kurzem erreichten sie einen breiten Steg. Kurzentschlossen rannte Zorro bis zu seinem Ende und sprang ins Wasser.

„He! Das darfst du nicht!“

Sophie eilte ihm hinterher, konnte aber nur noch zusehen, wie der Hund einen kleinen Bogen schwamm und dann feststellte, dass er nicht mehr aus dem Wasser herauskam. Sophie lockte ihn näher an den Steg heran und gemeinsam mit Michael und Kai zerrte sie ihn nach oben. Hinterher waren alle drei Kinder klatschnass.

„Ich glaube, wir müssen zurück und uns umziehen...“

Mira musste unwillkürlich lachen.

„Ich begleite euch.“

Am Campingplatz machten die Eltern große Augen, als sie die nassen Kinder auf sich zukommen sahen. Michaels und Sophies Mutter nahm die Sache gleich in die Hand. Sie konnten Mira gerade noch zum Abschied winken, dann wurden sie schon in das große Zelt gescheucht, das die Eltern während ihrer Abwesenheit aufgebaut hatten.

Als sie umgezogen waren, durften sie mithelfen, das kleinere Zelt aufzubauen, in dem die Jungen schlafen sollten. Sophies Schlafstelle befand sich im Eingangsbereich des großen Zeltes. Als schließlich alles erledigt war, dämmerte es bereits. Sie gönnten sich ein schmackhaftes Abendessen in der Gaststätte am See und dann war auch schon Schlafenszeit. Sophie schlüpfte in ihren Schlafsack und legte einen Arm auf Zorro, der sich dicht an sie kuschelte. Dann waren die beiden auch schon eingeschlafen. Michael und Kai hingegen lagen noch lange wach. Im Licht ihrer Taschenlampen lasen sie Comics und dann erzählten sie sich gegenseitig bis weit nach Mitternacht Spukgeschichten.

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