Читать книгу Der Polizeisender - Herbert von Bruck - Страница 6
ОглавлениеKapitel - 1
Der Polizeidirektor
Die Wolken hingen grau und schwer vom Schnee über München, Hauptstadt der von Prinz Luitpold regierten konstitutionellen Monarchie Bayerns.
Es war der 18. Februar 1910, als wie gewohnt Julius Freiherr von der Heydte sein am Englischen Garten gelegenes Haus verließ, die Tageszeitung aus dem Briefkasten entnahm und zur nahegelegenen Trambahn-Haltestation ging.
Die Nacht war sehr kalt gewesen und die Temperatur lag wohl im zweistelligen Minusbereich. Jetzt um etwa Neun Uhr war es nicht mehr ganz so kalt, der Schnee knirschte unter seinen Füssen und die zweihundert Meter bis zur Haltestation empfand Freiherr von der Heydte eher als unangenehm.
An der Station angekommen, dauerte es nicht lange, bis die Trambahn bimmelnd ankam. Der Schaffner stieg aus und wartete, bis alle Passagiere eingestiegen und Platz genommen hatten. Die Trambahn bot zwar nicht den allerhöchsten Komfort, aber es war trocken und durch die volle Besetzung entstand auch etwas Wärme.
Der Schaffner wies einen Passagier an, den Sitzplatz für von der Heydte frei zu machen, dann beugte er sich tief nach unten und sagte: Guten Morgen Herr Polizeidirektor. Andere Fahrgäste nahmen respektvoll ihre Hüte ab und grüßten ebenfalls.
Freiherr von der Heydte war seit 1906 Polizeidirektor der Polizeidirektion München. Heydte war schon immer ein sehr ehrgeiziger und zielorientierter Mensch gewesen.
Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und dem ersten Staatsexamen folgten Vorbereitungspraxen in Amts- und Landgerichten, dem Bezirksamt und einer Anwaltskanzlei.
Drei Jahre nach dem ersten Staatsexamen bestand er die Assessor Prüfung und war anschließend als Praktikant in den Bezirksämtern München bzw. Günzburg und der Regierung von Oberbayern beschäftigt .
Danach wurde er sofort ins Staatsministerium des Innern übernommen und mit der Karriere ging es unaufhaltsam weiter nach oben.
Nach seiner Zeit als Bezirksamtmann von Berchtesgaden kam zunächst die Beförderung zum Regierungsrat, wiederum drei Jahre später zum Oberregierungsrat und schließlich im beinahe gewohnten Drei-Jahres-Rhythmus die Ernennung zum Polizeidirektor.
Diese Position passte exakt zu seinem Naturell. Von der Heydte war ein ausgeprägter Gerechtigkeitsfanatiker mit analytischem Denkvermögen.
Die einzelnen Kriminalfälle seiner Zeit ließ er mit großer Energie verfolgen und hatte stets die Aufklärung der Fälle zum Ziel.
Zudem hatte sein Wort auch in der Öffentlichkeit großes Gewicht.
Von der Heydte war an diesem Tag ungewöhnlich nervös für seine Verhältnisse und konnte daher die Tageszeitung nicht wie sonst bis zur Ankunft lesen.
Er konzentrierte sich nur auf die Leitartikel dieses Tages.
„Seefalke wieder zurück in der Heimat„ und „Die Welt ein Kriegsarsenal“ waren die aktuellen Themen. Der erste Artikel bezog sich auf das zwischen verschiedenen europäischen Staaten geschlossene Regelwerk zum Internationalen Seerecht. Die Seefalke war ein deutscher Schlepper und hatte an einer Übung teilgenommen.
Im zweiten Artikel ging es um die enorme militärische Aufrüstung verschiedener europäischer Länder, darunter auch des Deutschen Kaiserreichs und die ehrgeizigen Pläne Kaiser Wilhelms, eine starke deutsche Kriegsmarine aufzubauen, die der englischen Kriegsmarine ebenbürtig sein sollte.
Auch wurde in diesem Artikel unterschwellig hinterfragt, wo diese gewaltige Aufrüstung hinführen könnte. Dies alles war aber von der Heydte nicht so wichtig. Seine Gedanken befanden sich in einer ganz anderen Welt.
Neben seinem Engagement im Ministerium hatte er größtes Interesse in Bezug auf moderne Technologien. Speziell ging es um die von Guglielmo Marconi entwickelte drahtlose Funktechnologie, die den drahtlosen Austausch von Nachrichten über große Distanzen ermöglichte.
Als vier Jahre zuvor vom Reichskanzleramt eine Studie in Auftrag gegeben wurde, die den zivilen Aufbau von einem Funknetz im Deutschen Reich zum Inhalt hatte, war von der Heydte sofort mit allergrößtem Einsatz dabei.
Es ging ihm nicht allein um die neue Technologie. Bayern war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ein reines Agrarland. Sah man von wenigen Industrieunternehmen wie z.B. Siemens ab, gab es überwiegend Landwirtschaft und Bayern lief damit Gefahr, im Reich abgehängt zu werden.
Politisch gesehen hatte sich schon während der Regentschaft König Ludwigs II wenig getan. Der Märchenkönig hinterließ seinen Bürgern zwar kunstvolle Traumschlösser. Nebenbei wurde aber ein tiefes Loch in die Staatskasse gerissen und ferner wichtige politische Entwicklungen verpasst.
Sein Nachfolger, Prinz Luitpold samt seiner Entourage, war politisch ebenso schwerfällig bis desinteressiert. So blieb Bayern im Vergleich zum übrigen Reich rückständig und dies galt es zu ändern.
Im Deutschen Reich waren bereits fünf Funkstellen gebaut worden und weitere drei in der Planung. Von der Heydte wollte unbedingt erreichen, dass sein Heimatland wieder Anschluss an die moderne Zeit bekommt. Er wurde dabei von einer Reihe von Ministern und Staatssekretären unterstützt.
Allerdings gab es auch massiven Widerstand im Parlament und vor allem von dem rückwärtsgewandten Prinzregenten. Dieser verabscheute alles was neu war und wollte stattdessen lieber den Bauernstaat weiter fördern.
Nach einer Reihe von Sitzungen, die mit sehr viel Pathos geführt worden waren, sollte am heutigen Tag, dem 18.02.1910, eine Entscheidung getroffen werden.
Von der Heydte hatte im Vorfeld verschiedene Studien zur technologischen und wirtschaftlichen Machbarkeit akribisch ausgearbeitet und in glühenden Reden auch versucht, die Zukunft Bayerns im Reich zu skizzieren.
Mit seiner kompetenten Art war es ihm dabei gelungen, den Kreis der Befürworter zu erweitern. Die ewig Gestrigen konnte er jedoch nicht erreichen und so lag alles in der Hand derjenigen, die bis dato noch unentschlossen waren.
Daher führte ihn der heutige Weg nicht in sein Büro ins Polizeipräsidium in der Ettstraße, einem ehemaligen Augustinerkloster in der Münchner Altstadt, sondern in das bayerische Parlament in der Prannerstrasse.
Dort sollte der hierfür akkreditierte Ausschuss unter Leitung des Prinzregenten über die Zukunft des Projektes abstimmen.
Die Fahrt zog sich hin, denn aufgrund des nächtlichen Schneefalls musste die Trambahn immer wieder anhalten, damit das Personal den Schienenstrang von Schneehaufen befreien konnte.
Letztlich kam er dann doch kurz vor Beginn der Sitzung an und wurde im Foyer des Parlaments bereits von mehreren Mitstreitern erwartet, darunter Major Karl Brose aus Berlin mit zwei Begleitern seiner Abteilung.
Diese trugen eine etwa ein Quadratmeter große Holzkiste und ferner einen etwa zweimeterlangen Zylinder ebenfalls aus Holz herein.
Brose ging auf den Polizeidirektor zu und begrüßte ihn beinahe überschwänglich. Na lieber Heydte wie geht es Ihnen ? Haben Sie gut geschlafen ? Wir werden das Kind schon schaukeln oder ?
Sie unterhielten sich kurz über die beschwerliche Anreise aus Berlin mit dem Zug, da über Deutschland eine dichte Schneedecke lag und der Zug immer wieder anhalten musste. Brose war seit vorgestern in der Hauptstadt und logierte im Bayerischen Hof am Promenadeplatz.
Brose kam als offizieller Gesandter der Reichskanzlei und durfte mit Erlaubnis des Prinzregenten ein Referat zum Thema halten.
Von der Heydte kannte ihn schon etwas länger. Seit einem Jahr hatten sie regelmäßigen Kontakt und so wie er selbst war Brose technikaffin und schwadronierte gern mit höchster Begeisterung zu dem Thema.
Heydte wusste ansonsten nicht sehr viel über ihn. Major Brose leitete die Abteilung III b im Kanzleramt und berichtete direkt dem Kaiser.
Darin sah Heydte eine große Chance, zumal ihm Brose versichert hatte, dass der Kaiser selbst den Bau der Anlage befürwortete.
Mit dieser Unterstützung stiegen die Hoffnungen auf eine positive Entscheidung.
Über seine Verbindungen in Berlin wusste von der Heydte, dass diese ominöse Abteilung III b eine Art Geheimdienst nach britischen Vorbild und der Leiter tatsächlich dem Kaiser direkt unterstellt war. Von der Heydte maß diesen Dingen keine besondere Bedeutung bei.
Er sah lediglich den praktischen Nutzen seiner Berliner Verbindung und war schon sehr gespannt auf den Vortrag des Majors.
Merkwürdig fand er nur die zivile Kleidung des ranghohen Offiziers. Sonst war Brose bei den in Berlin oder München stattgefundenen Treffen immer in seiner preußischen Uniform gekleidet und verhielt sich auch wie ein zackiger Offizier.
Vielleicht war es Taktik oder dem Umstand geschuldet, dass auch der Prinzregent an der Sitzung teilnehmen würde und ein Preuße in Uniform die Stimmung negativ beeinflussen könnte.
Seis drum, wichtig war allein die Erreichung des Ziels.
Ein Adjudant des Prinzregenten kam die Treppe herunter und bat die im Foyer stehenden Männer in den Sitzungssaal.