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Zweite Skizze Zwei Seiten einer Schildkröte

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Widrig dem Blick und gräßlich ungeschlacht, Daß Frau Natur sich selbst davor entsetzt, Beschämt, weil sie derlei hervorgebracht, Die sonst als Schöpferin so hoch ergötzt, Doch hier mit Zerrgestalt den Blick verletzt. Wie sehr muß erst ein Menschenaug erschrecken, Denn was es je Entsetzliches geschaut, Muß sich wie eitel Kinderspiel verstecken Vor den Geschöpfen, die dies Land bedecken. Seid ohne Furcht, der fromme Pilgrim spricht, Denn was an Ungetier ihr vor euch seht, Ist Mummenschanz – in Wahrheit lebt es nicht. Und seinen Zauberstab reckt er empor, Worauf das Schreckbild sich in Nichts verlor, Ins Ungeschaffne, Dunkle wie zuvor.

Im Hinblick auf die bisher gegebene Schilderung ist zu fragen: kann man überhaupt fröhlich sein auf den Encantadas? Ja – das heißt, es muß einer natürlich zunächst einmal einen Anlaß zur Fröhlichkeit haben, dann wird er auch fröhlich sein. Es ist nicht zu leugnen: so sehr die Inseln an Sack und Asche gemahnen, so gibt es doch auch lichtere Punkte in ihrer Trübsal. Zwar wird sich kein Betrachter dem Eindruck verschließen, daß einem auf den Encantadas höchst ernsthafte und abergläubische Gedanken in den Sinn kommen, wie ja auch ich mich durch keinen noch so festen Entschluß davor bewahren kann, die aus ihrem Schattenversteck hervorwandelnde, Geisterschildkröte zu erblicken. Nun hat aber sogar die Schildkröte, so dunkel und melancholisch sie sich in der Rückenansicht darbietet, ihre helle Seite; ihr Brustschild, das sogenannte Calipee, trägt nämlich bisweilen einen schwach gelblichen oder goldenen Farbton. Wie jedermann weiß, sind die Landschildkröten, ganz ebenso wie die Schildkröten aus dem Meer, so gebaut, daß man sie nur auf den Rücken zu legen braucht, um ihre helle Seite ans Licht zu kehren, ohne daß sie dann die Möglichkeit hätten, sich wieder umzudrehen und die andere Seite zur Schau zu stellen. Nur darf man, wenn man dies getan hat und weil man es getan hat, nicht Stein und Bein schwören, die Schildkröte besitze überhaupt keine dunkle Seite. Man genieße das Helle, man halte es womöglich dauernd nach oben gekehrt, aber man bleibe ehrlich und leugne nicht das Vorhandensein des Schwarzen. Ebenso wenig sollte, wer die Schildkröte nicht aus ihrer natürlichen Haltung umzudrehen versteht, so daß das Dunklere verborgen und das Hellere ans Licht gerückt wird wie bei einem großen Herbstkürbis im Sonnenschein, aus diesem Grunde behaupten, das ganze Geschöpf sei durch und durch schwarz wie Tinte. Die Schildkröte ist schwarz und sie ist hell. Aber wir wollen aufs Tatsächliche zurückkommen.

Einige Monate, bevor ich zum erstenmal auf der Gruppe an Land ging, kreuzte mein Schiff schon einmal in der Nähe. Eines Mittags befanden wir uns am Südende von Albemarle, nicht weit von Land. Teils zum Zeitvertreib, teils auch weil wir gern einmal ein so seltsames Fleckchen Erde auskundschaften wollten, wurde ein Boot an Land gesandt mit dem Auftrag, sich gründlich umzusehen und mit an Bord zu bringen, was sich an Schildkröten nur irgend im Boot transportieren lasse.

Erst nach Sonnenuntergang kamen die Ausgesandten zurück. Ich schaute über die hohe Brustwehr des Schiffs nach unten; es war, als blickte ich über den Rand eines Brunnens, und unten, tief auf dem Meer, sah ich undeutlich das durchnäßte Boot mit einer ungewohnten Last. Man warf Taue aus, und bald landeten, nach vieler Mühe, drei mächtige, vorsintflutlich anmutende Schildkröten an Deck. Sie schienen kaum aus irdischem Geblüt. Seit fünf langen Monaten waren wir ununterbrochen auf dem Wasser – eine Zeit, lang genug, um für unser träumerisches Auge alles vom Lande Kommende mit einem fabelhaften Schimmer zu umkleiden. Wären in diesem Augenblick drei spanische Zollbeamte an Bord gekommen, so hätte es leicht geschehen können, daß ich sie neugierig angestarrt, daß ich sie mit meinen Händen gefühlt und gestreichelt hätte, so wie Wilde sich gegen Gäste aus gesitteten Landen benehmen mögen. Aber anstelle von drei Zollbeamten stelle man sich nun diese drei wie aus dem Märchen entsprungenen Schildkröten vor – nicht vergleichbar mit den kleinen Sumpfkröten aus unserer Schuljungenzeit! – schwarz wie Witwer im Trauerstaat, schwer wie Kisten mit Silbergeschirr, mit gewaltigen Panzern, die wie Schilde getrieben und gebuckelt waren und wie schlachterprobte Schilde Einkerbungen und Narben trugen, zottig hier und dort von dunkelgrünem Moosbewuchs und glitschig vom Meeresgischt. In diesem Augenblick ihrer plötzlichen nächtlichen Verpflanzung aus unsagbarer Einsamkeit auf unser menschenwimmelndes Deck bewegten mich die rätselhaften Geschöpfe in einer Art, daß ich's kaum recht darzutun vermag. Sie sahen aus, als wären sie erst jüngst unter den Grundfesten der Welt hervorgekrochen, als wären sie buchstäblich die Schildkröten, auf deren Rücken der Hindu das Weltgebäude ruhen läßt. Mit einer Laterne betrachtete ich sie mir genauer. Wirklich: zur Verehrung herausfordernd der Anblick ihrer Gestalten! Pelziges Grün verbarg die Abschürfungen und heilte die Risse in ihren abstrapazierten Panzern. Sie waren für mich keine drei Schildkröten mehr. Sie schwollen an – sie verwandelten sich. Mir war, als sähe ich dreifach das Kolosseum zu Rom vor mir, in der Pracht seines Verfalls.

Ihr ältesten Bewohner dieser Insel, sagte ich (und sicher kennt keine andere Insel ältere), gewähret mir Bürgerrecht in euren dreifach ummauerten Städten!

Das erste Gefühl, das die Tiere einem einflößten, war ein Gefühl des hohen Alters – einer zeitlosen, unendlichen Dauer. Im Ernst: daß noch ein zweites Geschöpf so lang leben und atmen kann wie die Schildkröte von den Encantadas, möchte ich nicht so ohne weiteres glauben. Nicht zu reden von ihrer bekannten Gabe, ein ganzes Jahr lang ohne Nahrung zu bestehen; man braucht nur an die uneinnehmbare Festung ihres lebendigen Panzers zu denken. Gibt es noch ein lebendiges Geschöpf, das eine solche Zitadelle besitzt, worin es sich gegen die Angriffe der Zeit behaupten kann?

Da stand ich mit meiner Laterne in der Hand und scheuerte die moosigen Rücken, bis die alten Narben zum Vorschein kamen – Narben von Verletzungen, die sie gewiß in ihrem Starrsinn erlitten hatten beim Sturz von den Mergelgebirgen der Insel. Es waren seltsam großgewordene, geschwollene und doch wieder halb verwischte Schrammen, verzogen wie die Spuren und Verwachsungen in der Rinde uralter Bäume, und ich kam mir vor wie ein Altertumsforscher unter den Geologen, der die Vogelfährten und Zeichen auf ausgegrabenen Schieferplatten studiert, diese Fußspuren unwahrscheinlicher Geschöpfe, deren fernstes Andenken längst verblich.

Nachts dann lag ich in meiner Hängematte und hörte über mir den langsam-müden Schleppeschritt der drei gewichtigen Fremdlinge auf dem beladenen Deck. Ihre Dummheit oder ihr Eigensinn bewirkte, daß sie niemals einem Hindernis auswichen. Eine hörte ich kurz vor der Mitternachtswache ihren Marsch jählings abbrechen. Als die Sonne aufging, fand ich sie wie einen Sturmbock am Fuß des Fockmasts festgerammt, immer noch im Begriff, sich mit Zähnen und Nägeln den unmöglichen Durchgang zu erzwingen. Daß die Schildkröten wirklich Opfer eines zur Strafe oder aus Bosheit oder aus purer Teufelei über sie ausgesprochenen Zauberbanns seien, wird einem nie so glaubwürdig, wie wenn man sie in der sie oft befallenden Versessenheit auf irgendeine aussichtslose Anstrengung beobachtet. Ich habe erlebt, wie sie sich auf ihren Wanderungen titanisch gegen Felsblöcke anstemmen und lang in dieser Haltung verweilten, stoßend, schiebend, sich zwängend, im Bemühen das Hindernis zu beseitigen und auf ihrem aussichtslosen Kurs zu bleiben. Das Letzte und Äußerste an ihrem Fluch ist ihr in tausend Anstrengungen sich verzettelnder Trieb zum geraden Weg in einer mit Hindernissen vollgehäuften Welt.

Den anderen Schildkröten war keine Sperre in den Weg gekommen wie ihrer Gefährtin, aber sie hatten sich dafür in geringeren Fallstricken verfangen – in Eimern, Blöcken und aufgerolltem Tauwerk – und beim Versuch, darüber hinwegzuklettern, rutschten sie zuweilen mit einem Donnergetöse auf Deck nieder. Ich lauschte ihrem Schleppschritt und ihren Zusammenstößen und entsann mich des Geländes, aus dem sie kamen: der Insel voller metallischer Schluchten und Hohlräume, wo es bodenlos ins Innere zerschieferter Berge hinabging und undurchdringliches Dickicht meilenweit den Boden deckte. Dort stellte ich mir die drei gradausrennenden Ungetüme vor: ein Jahrhundert ums andere bohrten sie sich durchs Dunkel, verbissen wie die Grobschmiede, und zwar so langsam und mit Bedacht, daß unter ihnen Giftpilze und Baumschwamm aufsprießen und auf ihren Rücken schwärzliche Moosgebilde wuchern konnten. Ich verirrte mich mit ihnen in vulkanischem Labyrinth, ich schob endlos Gestrüpp und faulendes Zweigicht beiseite, bis ich mich schließlich im Traum mit gekreuzten Beinen auf dem vordersten der Tiere sitzen sah, rechts und links von mir einen Brahmanen auf ähnlichem Reittier, so daß wir einen Dreifuß mit unseren Stirnen bildeten, darauf das Himmelsgewölbe ruhte.

Solch wilder Albtraum suchte mich heim nach der ersten Begegnung mit den Schildkröten von den Encantadas. Am folgenden Abend indessen, es ist merkwürdig zu sagen, setzte ich mich wohlgemut zu meinen Schiffskameraden und ließ mir Schildkrötensteak und Schildkrötenragout munden, und als die Mahlzeit vorüber, zog ich's Messer und half mit, aus den drei mächtigen, konkaven Panzern drei üppiggebauchte Suppenschüsseln zu schnitzen und aus den drei flachen gelblichen Calipees drei blankpolierte Servierteller.

Die Encantadas

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