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Kapitel 3

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Mittwoch, 24. Juni

Thomas Korber erwachte mit einem heftigen Brummen im Schädel. Mit halb geöffneten Augen riskierte er einen Blick auf die Uhr. Es war bereits nach 7 Uhr. Er musste den Wecker überhört haben. Jetzt hieß es flott auf die Beine kommen, damit er es bis 8 Uhr in die Schule schaffte.

Gott sei Dank hatte er in der ersten Stunde nur eine zweite Klasse, wo ihn der Unterricht nicht so anstrengen würde. Aber pünktlich sein musste er, um keine Abmahnung durch Direktor Marksteiner zu riskieren. Zu Unterrichtsbeginn wieselte dessen Sekretärin, Frau Pohanka, immer am Gang vor der Eingangstür auf und ab, um zu spät kommende Lehrer und Schüler zu ertappen.

Korber tastete sich ins Bad, hoffend, dass der kalte Strahl der Dusche seine Geister wiederbeleben würde. So ganz klappte es nicht, aber er fühlte sich allmählich frischer. Was war gestern bloß noch gewesen? Er war am Nachmittag aus dem Heller nach Hause gegangen, hatte dort seine Tasche mit den Schulsachen abgestellt und war wieder los, erst zum Heurigenlokal Fuhrmann gleich ums Eck, und dann …

Er war in die Innenstadt gefahren, in sein Lieblingslokal Botafogo, wo eine Mischung aus räumlicher Enge, Livemusik und Alkohol bei ihm meist zu jener unseligen Stimmung führte, in welcher er sich zu unkontrollierten Handlungen hinreißen ließ, an die er sich nachher kaum erinnern konnte. Häufig war dabei eine Vertreterin des weiblichen Geschlechts im Spiel, deren Gestalt und Gesicht im Dämmerlicht appetitlicher wirkten, als sie es tatsächlich waren.

Vielleicht fand sich in seiner Jacke etwas, das als Hinweis dienen konnte. Korber kramte in den Taschen, wobei ihm immer noch scharfer Schweißgeruch entgegenschlug, den das Kleidungsstück als Gedächtnisstütze aufbewahrt hatte. Tatsächlich fand er einen zerknitterten Zettel, auf dem mit Lippenstift »Auf bald, Schmusekönig« geschrieben stand. Mehr wollte er gar nicht wissen. Wahrscheinlich hatte ihn sein ramponierter Zustand davor gerettet, neben dem Faltengesicht einer überholten Lady aufzuwachen, die sich so in ihn verliebt hatte, dass er sie nur unter großen Anstrengungen wieder loswerden würde. Es hatte den Anschein, als sei er mit einer überhöhten Taxirechnung davongekommen.

Ein weiterer Blick auf die Uhr zeigte Korber, dass er keine Gedanken mehr an die feuchtfröhliche Nacht verschwenden durfte. In Windeseile trank er eine Tasse schwarzen Kaffee und würgte dazu ein halbes Butterbrot hinunter. Dann eilte er aus der Wohnung. Zum Glück erwischte er sofort eine Straßenbahn und war sogar um 7.55 Uhr an seinem Arbeitsplatz. Deshalb wunderte es ihn, dass Frau Pohanka vor dem Lehrerzimmer ungeduldig auf ihn wartete und ihn mit einem nervösen »Da sind Sie endlich« empfing.

»Rechtzeitig zum Unterricht, wie ich hoffe«, verteidigte sich Korber. Dabei drehte sich ihm vom Hinaufgehen in den ersten Stock leicht der Kopf.

»Haben Sie vergessen, dass Sie für heute um 7.45 Uhr zu Direktor Marksteiner bestellt waren?«, klang ihm Frau Pohankas Stimme unbarmherzig im Ohr.

Langsam dämmerte es Korber. Gäste waren da, die er betreuen sollte. Gäste aus Deutschland. Er räusperte sich. »Nein, aber der Verkehr …«, war aber das Einzige, was ihm als Entschuldigung einfiel.

»Sie sehen ein wenig schlampig aus«, unterbrach ihn Frau Pohanka. »Frisieren Sie sich und spülen Sie bitte hiermit Ihren Mund aus«, raunte sie ihm zu, sodass es niemand hörte, und steckte ihm ein kleines Fläschchen zu. »Frau Aberle und Herr Bader von unserer Partnerschule in Heidelberg warten bereits ungeduldig auf Sie. Ich gehe schon einmal vor und kündige Sie an.«

»Danke«, murmelte Korber verschämt. Im Spiegel der Toilette sah er dann, dass sich die Exzesse der vorigen Nacht tief in sein Gesicht gekerbt hatten. Er erfrischte sich, so gut es ging, und betrat das Sekretariat, wo die Tür zur Direktion bereits offen stand.

Direktor Marksteiner wirkte angespannt, bemühte sich jedoch um Souveränität. »Ah, Korber. Sie hatten Probleme mit dem Verkehr, wie ich höre. Nun sind Sie ja, Gott sei Dank, da. Darf ich Ihnen unsere Kollegen vom Eichendorff-Gymnasium in Heidelberg vorstellen, die uns diese Woche besuchen? Das ist der dortige Administrator, Professor Erwin Bader, mit dem ich Möglichkeiten der Kooperation in der Schulorganisation erwägen werde, und hier ist Ihre Kollegin in Deutsch, Frau Professor Monika Aberle, mit der Sie Ideen für ein gemeinsames kulturelles Projekt im Herbst austauschen werden.«

»Guada Morga«, tönte es Korber aus beiden Kehlen im schwäbischen Akzent entgegen.

»Einen schönen guten Morgen«, grüßte er zurück und musterte die beiden Gäste, während er ihnen die Hand schüttelte. Bader wirkte wie der typische in Ehren ergraute Lehrer, dem es für einen Schulleiter am nötigen Ehrgeiz gemangelt haben mochte, dem aber die nüchterne Arbeit mit Zahlen und Systemen Freude bereitete. Vorderhand reserviert, vielleicht zugänglicher in den nächsten Tagen. Hohe Stirn, dünne Lippen, das eine oder andere Kilogramm um die Hüften zu viel. Keine Besonderheiten.

Monika Aberle sah fröhlicher aus, war aber ebenfalls nicht mehr die Jüngste. Blond gelocktes Haar, bereits die eine oder andere Falte im freundlichen Gesicht, sportlich, Kumpeltyp. Sympathisch, aber nicht die Frau, die Korber über die derzeitige Misere in seinem Liebesleben hinweghelfen konnte. Zumindest war das sein erster Eindruck.

»Nehmen Sie Frau Aberle bitte gleich in Ihren Unterricht mit, damit sie sich ein Bild machen kann, wie es bei uns so zugeht«, hörte Korber Marksteiner in seine Richtung sagen.

»Natürlich«, bekräftigte Korber und wagte ein Zwinkern in Richtung Monika Aberle. Zu seiner Erleichterung zwinkerte sie zurück.

Auf dem Weg in die Klasse machte er ihr ein Geständnis. »Ich hatte heute große Mühe, aus dem Bett zu kommen, weil wir gestern eine Feier hatten«, beichtete er. »Ich kann Sie nur bitten, mein spätes Kommen zu entschuldigen.«

»Deesch nedd schlemm«, beruhigte ihn Monika Aberle. »’s isch bloß bleed, dass ma am näggschdn Daag so frieh ähfanga muass. Ach, verzeihen Sie! Ich plappere Sie da auf Schwäbisch an! Ich meinte, das sei gar nicht schlimm. Es ist halt dumm, dass man am nächsten Tag gleich wieder zeitig mit der Arbeit beginnen muss. Kenne ich von mir selbst.«

»Scho rächd«, lächelte Korber sie an. »Ich habe ein Jahr in Heidelberg studiert. Ein bisschen was bekomme ich von der Sprache schon noch mit.«

»Vielleicht reden wir zur Sicherheit doch lieber in unserem Lehrerhochdeutsch miteinander, damit es keine Verständigungsschwierigkeiten gibt«, schlug Monika vor. »Und jetzt freue ich mich schon auf Ihren Unterricht!«

Nett ist sie auf jeden Fall, die Besucherin aus Heidelberg, dachte Korber. Ausgesprochen nett!

*

»Hier trinkst du also immer deinen Kaffee?«, wollte Monika Aberle wissen, als Korber mittags mit ihr auf einen Imbiss im Café Heller saß.

Korber nickte. »Das ist stark untertrieben. Ich gehe hier sozusagen ein und aus. Die Nähe zum Gymnasium ist dabei recht praktisch.« Beide duzten sich bereits und ließen sich einen Salat mit Hühnerstreifen schmecken. Korber hätte das Essen am liebsten mit einem Glas Bier hinuntergespült, begnügte sich aber mit Apfelsaft, um bei Monika, die am Mineralwasser nippte, keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen.

»Ein schönes Kaffeehaus! Genial schlampig und unkompliziert. Wie ist es denn hier so am Abend?«, fragte seine Begleiterin.

»Wir können uns das gerne zusammen ansehen«, stellte Korber in den Raum.

»Oh fein«, war Monika hocherfreut. »Erwin, mein Kollege, ist leider etwas langweilig. Ich hatte schon Angst, dass ich mir niemanden zum Ausgehen finde. Und zu besprechen hätten wir wegen unseres gemeinsamen Projekts ja eine ganze Menge. Wie schaut’s morgen aus? Heute werde ich wohl ein wenig müde sein, denke ich.«

»Morgen passt ausgezeichnet«, freute Korber sich über Monikas Angebot. »Da wirst du auch meinen besten Freund, den Oberkellner Leopold, näher kennenlernen, der im Augenblick so geschäftig herumläuft.«

Leopold, der die letzten Worte gehört hatte, eilte herbei, um abzuservieren. »Darf ich dir meine Kollegin Aberle aus Heidelberg vorstellen? Ich habe ihr gerade von dir erzählt«, teilte Korber ihm mit. »Vergiss morgen Abend bitte deine Vorbehalte gegen alles, was Deutsch spricht und nicht aus Österreich kommt. Da möchte ich mit ihr hier nämlich ein paar unbeschwerte Stunden verbringen.

»Und was ist mit den anderen acht?«, fragte Leopold erstaunt.

»Was meinst du?«

»Du hast morgen um 19.30 Uhr für zehn Leute reserviert«, erinnerte Leopold seinen Freund.

Einmal mehr verfluchte Korber seine gestrigen Exzesse. Wie hatte er bloß vergessen können, dass ihn Marion um diese Gefälligkeit gebeten hatte? »Dann nimmst du eben zwei Plätze dazu«, trug er Leopold auf.

»Also insgesamt zwölf.«

»Nein! Einmal zehn und einmal zwei!«

Jetzt schaute Leopold Korber ganz verständnislos an.

»Du reservierst uns einen schönen Tisch für zwei Personen und setzt uns in einen kleinen Abstand zu den restlichen zehn«, erläuterte Korber ihm seine Absicht. »Ist das denn so schwer?«

»Nein, aber ungewöhnlich. Und schön langsam gehen mir die Plätze bei den Kartentischen aus«, informierte Leopold ihn. »Die Chefin hat dort nämlich selbst eine Besprechung. Sie möchte deshalb, dass es kein Gedränge gibt. Und möglichst ruhig soll es auch zugehen.«

»Glaubst du etwa, dass wir beide randalieren?«, fragte Korber. »Das ist ja lächerlich!«

Leopold ging darauf nicht weiter ein und entfernte sich mit der Gewissheit, dass sein Freund im Augenblick eine schwierige Phase durchmachte, wo man ihn besser in Ruhe ließ.

»Wir können es auch bleiben lassen, wenn es unangenehm für dich ist«, sagte Monika Aberle, die keine Ahnung hatte, worum es ging, höflich lächelnd.

»Auf keinen Fall«, lehnte Korber ihr Angebot entschieden ab. »Die andere Reservierung ist für eine Bekannte aus meiner Studienzeit. Sie kommt zufälligerweise auch aus Heidelberg und ist jetzt in Wien … Das heißt, das weiß ich nicht so genau, sie unterrichtet jedenfalls in Korneuburg, das ist gleich die nächste Stadt an der Donau nach Westen zu. Sie kommt mit einer größeren Gruppe, und der Einfachheit halber habe ich für sie auf meinen Namen reserviert«, setzte er Monika Aberle daraufhin umständlich auseinander.

Die wirkte so, als verstünde sie immer noch Bahnhof. »Ach so«, nickte sie andächtig.

»Es wird dich wahrscheinlich nicht interessieren, aber es geht ihnen darum, einen touristischen Ausbau der Eichendorff-Höhe auf unserem Hausberg, dem Bisamberg, zu verhindern«, fuhr Korber ungeniert fort. Er merkte jedoch gleich, dass er das besser nicht gesagt hätte.

Monika Aberle war sofort ganz Ohr. »Eichendorff? Meinst du etwa den Eichendorff, nach dem unser Gymnasium benannt ist?«, fragte sie.

»Ich meine den Romantiker Eichendorff«, antwortete Korber ausweichend. »Der war wohl in erster Linie Schlesier, hat aber Teile seiner Studienzeit in Heidelberg und Wien verbracht.« Er ließ dabei unerwähnt, dass der Dichter sein Jurastudium in Wien abgeschlossen hatte.

»Des isch doch klasse«, platzte es aus Monika heraus. »Und er war bei euch auf dem Bisamberg?«

»Pssst«, bat Korber sie, etwas leiser zu sein. »Er ging dort während seines Wien-Aufenthaltes öfters spazieren. Deshalb hat man ihm nach dem Zweiten Weltkrieg ein Denkmal gesetzt. Im Augenblick wird allerdings an eine kommerzielle Nutzung des Platzes gedacht, und das ist zum Streitpunkt geworden. Es geht hin und her, verstehst du? Vorderhand soll niemand wissen, dass diesbezüglich morgen hier ein Treffen geplant ist. Darum läuft die Reservierung auch über mich.«

»Alles klar«, versicherte Monika.

»Ich habe mit der Besprechung nichts zu tun«, erklärte Korber. »Wir können uns also entspannt daneben hinsetzen, plaudern und vielleicht sogar ein wenig zuhören.«

»Klingt spannend«, freute Monika sich. »Wir werden uns einfach in Ruhe über unser Projekt unterhalten. Eichendorff ist doch schon einmal ein blendender Ansatz, oder? Sicher fällt uns rasch etwas dazu ein, was die Direktoren beider Schulen glücklich macht. Ich brauche das dann nur entsprechend auszuformulieren. Das kann ich, glaube ich, recht gut. Du brauchst dir also keine Sorgen machen, dass allzu viel Arbeit auf dich zukommt.«

Ausgezeichnet, befand Korber. Seine neue Kollegin wurde ihm immer sympathischer. Sicher würde er mit ihr morgen nicht nur über Eichendorff und die Schule sprechen.

*

Leopold hatte sich angewöhnt, an seinen freien Abenden ein kleines Nachtmahl für Erika und sich zuzubereiten. So stand bereits etwas Köstliches auf dem Tisch, wenn sie müde von der Arbeit nach Hause kam. Dafür war sie ihrem Schnucki dankbar. Beide genossen daraufhin eine entspannte Stunde mit einem guten Glas Wein, kleinen Neckereien und Gesprächen über belanglose Dinge. Diesmal schnitt Erika allerdings ein ernstes Thema an. »Ich möchte, dass wir morgen bei unserer Besprechung wirklich ungestört sind«, stellte sie dezidiert fest.

»Warum betonst du das so?«, wollte Leopold wissen. »Und vor allem, warum in meine Richtung?«

»Weil ich genau weiß, wie du zu dem Projekt stehst«, machte sie ihm klar. »Dir stoßen die neuen Entwicklungen gewaltig auf, du gibst es nur nicht zu. Aber denk bitte ausnahmsweise auch einmal an mich. Das ist eine ideale Möglichkeit, meinen Umsatz sprunghaft zu verbessern.«

Obwohl Leopold daran lag, einen Disput vor dem Schlafengehen zu vermeiden, konnte er Erikas Behauptungen nicht gelten lassen. »Inwiefern?«, fragte er vorsichtig.

»Da sieht man, dass du keine Ahnung vom Unternehmertum hast, Schnucki. So eine neue Sehenswürdigkeit schafft Kaufanreize«, belehrte Erika ihn. »Eichendorff am Bisamberg, Eichendorff in Floridsdorf, Eichendorff überall und in aller Munde. Die Leute werden mehr über ihn wissen wollen, sind neugierig, was er geschrieben hat. Wer ›in‹ sein will, muss sein Buch Aus dem Leben eines Taugenichts gelesen haben, in dem die Reise des Helden nach Wien und seine Tätigkeit als Gärtner im Schloss Seebarn beim Bisamberg genau beschrieben wird.«

»Diese Menschen kommen dann in Scharen ausgerechnet zu dir und kaufen dieses kleine Büchlein«, konnte sich Leopold eines gewissen Sarkasmus nicht enthalten.

»Das und noch viel mehr«, ereiferte sich Erika. »Was glaubst du, welche Möglichkeiten sich erst eröffnen, wenn ich den Begriff ›Romantik‹ gezielt einsetze? Mein Geschäft zur Spezialbuchhandlung für Romantik nördlich der Donau wird? Das sind Dinge, die über dein Begriffsvermögen hinausgehen.«

»Und wie willst du das alles anstellen?«

»Durch gezielte Werbung, durch Vernetzung mit anderen Floridsdorfer Geschäftsleuten. Darum ist unsere Besprechung so wichtig, Schnucki! Wir müssen Synergien schaffen. Dann ergibt sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit automatisch. Vielleicht kommt mich auch eines Tages das Fernsehen besuchen und macht ein Interview mit mir …«

»Ich möchte dir deine Illusionen nicht nehmen«, schnitt ihr Leopold das Wort ab, »ich möchte mir auch nicht deinen Kopf über die Realisierung dieser Träume zerbrechen. Sag mir nur eines: Warum nimmst du an, ich hätte vor, euer Treffen zu sabotieren? Noch dazu, wo meine Chefin höchstpersönlich daran teilnimmt?«

»Leider weiß ich nur zu gut, dass du dich gerne einmischst, wenn es darum geht, dem, was du für Gerechtigkeit hältst, zum Sieg zu verhelfen«, setzte Erika ihm auseinander. »Da ist es dir dann auch egal, ob du dir mit deiner Chefin in die Haare gerätst. Also denk bitte nicht einmal im Traum daran, Spione auszuschicken, die uns belauschen, unsere Diskussion durch kleine Bosheiten zu stören oder sonst etwas in dieser Richtung zu unternehmen. Wir brauchen unsere Ruhe! Es reicht, dass eine zweite Gruppe in unserer Nähe sitzt. Aber die gehört ja Gott sei Dank zu unserem Thomas Korber. Auf den kann man sich verlassen. Stifte ihn mir nur nicht an, Schnucki!«

»Das ist wieder einmal typisch, dass du Thomas mehr vertraust als mir«, schüttelte Leopold beleidigt den Kopf. »Dabei ist er gerade wieder in einer schwierigen Phase.«

»Schwierig, aber harmlos«, ging Erika darüber hinweg. Im Gegensatz zu Leopold wusste sie über Korbers Avancen bei seiner Tochter Sabine und deren wechselnden Erfolg Bescheid.

»Harmlos? Hast du eine Ahnung«, redete Leopold sofort auf sie ein. »Er will sich mit einer großen Partie amüsieren und nebenbei auf einem Zweiertisch seine neue Flamme vernaschen. Keine unbedingte Schönheit, aber das ist ja egal, wenn man wie er nur auf einen bestimmten Punkt fixiert ist, der bei jeder von euch Frauen an derselben Stelle liegt.«

»Da sind sie schon wieder, deine Verdächtigungen!«

»Verdächtigungen? Tatsachen! Eine Deutsche ist sie obendrein!«

»Jetzt mach aber mal einen Punkt mit deinen Vorurteilen!«

»Ich könnte dir über deinen lieben Thomas noch viel mehr erzählen. Er trinkt unmäßig, und in der Schule scheint er auch Schwierigkeiten zu haben. Seine Verbesserungsarbeiten macht er bei uns oder beim Heurigen – mit einem Glas Bier oder Wein neben sich. Er vergnügt sich sicher wieder in diversen Spelunken, aus denen ich ihn früher hinausgezerrt habe. Dort müsstest du ihn einmal sehen, wenn er sich ein Pupperl anlacht … Erika?«

Leopold hatte sich so in seine Tirade hineingesteigert, dass er Erikas Abwesenheit gar nicht bemerkt hatte. Sie war einfach aufgestanden und ins Bad gegangen, um sich abzuschminken. Jetzt gab es nur zwei Möglichkeiten: Kampf bis aufs Messer oder klein beigeben. Leopold entschloss sich für die friedliche Variante. Der morgige Abend würde schwer genug werden.

»Ich pass schon auf, dass ihr bei der Besprechung euren Frieden habt«, sagte er kleinlaut durch die offene Badezimmertür.

»Das will ich dir auch geraten haben«, kam es zurück, und es klang sanfter, als der Wortlaut vermuten ließ.

*

Der restliche Arbeitstag war für Thomas Korber angenehm verlaufen; kurz gesagt, er hatte Monika Aberles Gegenwart genossen. Erwin Bader hatte einen regen Gedankenaustausch mit Walter Kohut, dem hiesigen Administrator, gepflegt und war den beiden nicht weiter in die Quere gekommen. Monika hatte zwar noch die Deutschstunden von zwei seiner Kolleginnen besucht, danach aber ein Schwätzchen mit ihm geführt, bei dem sie ihrer Freude auf den morgigen Abend noch einmal Ausdruck gegeben hatte.

Auf dem Nachhauseweg hatte er noch zwei weiße Spritzer beim Heurigen Fuhrmann gleich bei ihm ums Eck getrunken, dann war Korber aber brav hinauf in seine Wohnung gegangen. Er war zufrieden, beinahe glücklich, und morgen, das fühlte er, musste er seinen Mann stehen. Also begnügte er sich mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher, um am nächsten Tag in Form zu sein.

Kaum hatte er sich gemütlich eingerichtet, läutete sein Handy. Auf dem Display leuchtete der Name »Rita« auf. Im ersten Augenblick konnte Korber nichts damit anfangen. Er glaubte, niemanden zu kennen, der so hieß. Aber aus irgendeinem Grund musste er die Frau ja abgespeichert haben.

»Hallo, Schmusekönig«, hörte er eine sanfte, heisere Stimme, als er das Gespräch entgegennahm.

Oh nein! Rita war also die Unbekannte aus dem Botafogo. »Ja?«, war alles, was er herausbrachte.

»Warum hast du dich nicht gemeldet? Du hast doch versprochen, mich anzurufen!« Rita klang enttäuscht.

»Ich hatte einen schweren Tag … Besuch aus Deutschland …«, stammelte Korber.

»Ich erinnere mich. Du hast gestern etwas in der Richtung erwähnt. Und es als Anlass genommen, dich im entscheidenden Moment zu verdrücken«, warf Rita ihm vor.

Ihr Gedächtnis funktionierte also perfekt. Damit war auch ihr Alkoholisierungsgrad geringer als der seine gewesen. Schlecht für ihn. »Ich musste weg, sonst wäre ich in der Früh nicht rechtzeitig aufgekommen«, druckste Korber herum.

»Dabei war ich schon sooo kribbelig«, geriet Rita ins Schwärmen. »Das ist mir auch noch nie passiert, dass mir einer inmitten so vieler anderer Menschen seelenruhig einen Knopf meiner Bluse öffnet und mir auf den nackten Busen greift. Und mit so viel Gefühl! Und dann das schummrige Licht und die Musik! Und deine Zunge in meinem Mund! Ich kann gar nicht beschreiben, was ich alles gespürt habe. Und plötzlich bist du abgehauen und hast mich ganz aufgewühlt allein gelassen. Das war echt fies.«

Korber versuchte krampfhaft, ein Bild zu Namen und Stimme zu bekommen. Wie sah Rita aus? War sie in seinem Alter, jünger oder älter? Sein Hirn war leer. Er hatte nur blasse, unzusammenhängende Eindrücke, die ihm nicht weiterhalfen. »Es war ein schöner Abend. Aber das war gestern, und …« Noch immer faselte Korber verworrenes Zeug daher, weil ihm nichts Besseres einfiel.

»Wir können es doch jetzt nicht dabei bewenden lassen«, fiel ihm Rita ins Wort. »Das schreit nach einer Fortsetzung, bei der wir uns den weiter unten liegenden Gebieten unseres Körpers widmen sollten. Den besonders empfindlichen Punkten. Du wirst staunen, wie zärtlich ich da sein kann.«

»Im Augenblick habe ich wirklich viel um die Ohren mit dem Besuch«, versuchte Korber, sich herauszureden. Dabei wurde ihm abwechselnd heiß und kalt.

»Du bist einmal vor mir davongelaufen, ein zweites Mal gelingt dir das nicht«, ließ Rita ihn wissen. »Wir müssen zu Ende bringen, was wir begonnen haben, um mich von meinem Kribbeln zu erlösen. Vorher gebe ich keine Ruhe!«

»Es wäre besser, wenn … Ich meine, wie und wo stellst du dir das überhaupt vor?«, erkundigte sich Kober vorsichtig.

»In deiner Wohnung natürlich! Das hast du gestern selbst vorgeschlagen«, erinnerte Rita ihn unbarmherzig. »Kneif jetzt nicht, sonst werde ich ernstlich böse! Ich lasse niemanden nur zum Spaß an meinem Körper herumfummeln. Wenn ich es recht bedenke, ist das eine ausgemachte Sauerei, die man bei der Polizei anzeigen kann.«

Das wollte Korber nun auch wieder nicht. »Gib mir ein wenig Zeit! Ich melde mich wieder«, vertröstete er sie.

»Ich weiß, wo ich dich finden kann«, warnte Rita ihn. »Also überlege es dir nicht zu lange. Du brauchst es doch auch, oder?«, fuhr sie sanfter fort. »Willst du dich nicht von mir verwöhnen lassen? Ich zeige dir Dinge, die du in deinem Leben noch nicht ausprobiert hast.«

»Ich melde mich«, wiederholte Kober. Erneut wurde ihm erst heiß, dann wieder kalt.

»Dann tschüss, Schmusekönig«, verabschiedete Rita sich. »Vergiss nicht auf mich! Sonst wirst du eine böse Überraschung erleben.«

»Tschüss«, murmelte Korber kraftlos in sein Handy. Anschließend versuchte er noch einmal, die Ereignisse des gestrigen Abends zu rekonstruieren. Erfolglos. Geblieben waren sprunghafte, unscharfe Erinnerungen ohne Aussagekraft. Es gab kein verlässliches Bild zu Rita. Dabei hätte er zu gern gewusst, wen er da befummelt hatte.

Wenn er es recht bedachte, gab es nun plötzlich mehrere Frauen, die in seiner nahen Zukunft eine Rolle spielen konnten:

Da war einmal Leopolds uneheliche Tochter Sabine Patzak. Mit ihr hatte er einige Zeit zusammengelebt, doch seit sie bei ihm ausgezogen war, genoss sie ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Dabei war sie mit ihren Gefühlen zu ihm auf Distanz gegangen. Das hatte seine seelische Krise verursacht.

Dann hatte es die Wiederbegegnung mit Marion Kirchner gegeben. Sie war eine ehemalige Kollegin aus seiner Studienzeit in Heidelberg. Damals hatten sie ein unbeschwertes Verhältnis zueinander gehabt. Das war nun aber schon etliche Jahre her. Außerdem war sie wahrscheinlich gebunden. Er würde sie bei der Besprechung im Heller wiedersehen, doch musste er seine Chancen bei ihr als äußerst gering betrachten.

Eine neue Bekanntschaft hatte er mit Monika Aberle, ebenfalls aus Heidelberg, geschlossen. Seine kumpelhafte Deutsch-Kollegin hegte zweifellos Sympathien für ihn. Vielleicht ergab sich da etwas. Die Sache hatte ihren Reiz. Doch wenn, dann nur für kurze Zeit.

Somit war Rita zur aussichtsreichsten Kandidatin für ein sexuelles Abenteuer avanciert. Ihre Andeutungen am Telefon hatten Korbers Blut in Wallung gebracht. Allerdings war völlig ungewiss, wer die Frau war, wie sie aussah und ob er sie auch wieder loswerden würde.

Also beschloss Korber, zunächst einmal den kommenden Abend mit Monika Aberle im Café Heller abzuwarten. Mit Rita konnte er jederzeit in Kontakt treten, wenn sich da nichts ergab.

Rachemokka

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