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Оглавление1 Der Reichsrechnungshof (RRH) in der Weimarer Republik
Der Blick auf den RRH im Nationalsozialismus erfordert einen Rückblick auf die Zeit der Weimarer Republik, in der es bereits unter dem Rechnungshofpräsidenten Moritz Saemisch zu erheblichen Verwerfungen der staatlichen Finanzkontrolle kam, sodass der RRH im Jahr 1933 bereits geschwächt die Bühne des neuen Regimes betrat.
1.1 Der RRH besitzt das Kontrollmonopol
Nach der Reichshaushaltsordnung (RHO) von 1922 war der RRH eine der Reichsregierung gegenüber selbständige oberste Reichsbehörde, die nur dem Gesetz unterworfen war. Er hatte den gesamten Reichshaushalt zu prüfen1. Im Mittelpunkt der Kontrollen stand die Frage, ob die Verwaltungsbehörden mit den Haushaltsmitteln ordnungsgemäß, sparsam und wirtschaftlich umgehen. Die mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Mitglieder des Rechnungshofs entschieden nach dem Kollegialprinzip über Zeitpunkt, Art und Umfang der Prüfungen, die von Prüfungsbeamten am Sitz des RRH oder vor Ort bei den Verwaltungen vorgenommen wurden2. Das zuständige Kollegium, dem jeweils ein Abteilungsleiter (Direktor) und ein Ministerialrat als Prüfungsgebietsleiter angehörten, entschied nach dem Prinzip der Einstimmigkeit, ob die Beanstandungen der Verwaltung als sogenannte Erinnerungen vorgeworfen werden sollten, damit diese in einem kontradiktorischen Verfahren zu den Vorwürfen Stellung nehmen konnte. Schwerwiegende Verstöße gegen das Haushaltsrecht, die im Entlastungsverfahren von Bedeutung sein konnten, wurden jährlich vom Gesamtkollegium in sogenannten Bemerkungen (Jahresbericht) zusammengefasst und dem Parlament zur Entscheidung vorgelegt 3. Eigene Sanktionsmöglichkeiten besaß der RRH nicht. Er war nur Prüfungsorgan und im parlamentarischen Entlastungsverfahren Berichterstatter.
1.2 Präsident Saemisch will allein „regieren“
Das Kollegialprinzip geriet bereits 1922 ins Wanken, als der neue Rechnungshofpräsident Saemisch nach seinem Amtsantritt verlangte, die Geschäftsanweisung zu ändern und ihm präsidiale Befugnisse einzuräumen, die die RHO nicht berücksichtigt habe. Er wollte das lästige Korsett der Kollegialität abstreifen und den Rechnungshof autoritär führen. Im Rechnungshof sollte der Präsident alleinbestimmen können, wer, was, wann und wie intensiv geprüft wird. Sein Ansinnen rief das Gesamtkollegium auf die Barrikaden, das selbstbewusst nach innen das Kollegialprinzip und nach außen seine Unabhängigkeit verteidigte. Es verweigerte über zehn Jahre lang seine Zustimmung zu einer neuen, präsidial ausgerichteten Geschäftsanweisung, bis es dem Präsidenten 1933 mit dem Rückenwind des neuen Regimes durch die Zweite Novelle zur RHO gelang, das Gesamtkollegium auszuschalten und im RRH das Führerprinzip einzuführen4.
Der Konflikt zwischen Präsident Saemisch und dem Kollegium, dem er selbst angehörte, löste im RRH erhebliche Spannungen aus, die bis zum Ende seiner 16jährigen Amtszeit nicht ausgeräumt werden konnten. Die von Anfang an bestehende Kluft zwischen dem Präsidenten und dem Kollegium ließ den umtriebigen Saemisch allerdings nicht in Resignation fallen. Er entdeckte schon bald in seiner neuen Funktion als Reichssparkommissar (RSK) seine Parallelwelt, in der er seine autoritäre Gesinnung ausleben und den Rechnungshof übertrumpfen und aus wichtigen Prüfungsfeldern verdrängen konnte5.
Es waren vor allem drei Ereignisse, die dem Rechnungshofpräsidenten einen Machtzuwachs, dem Rechnungshof als Ganzem aber einen erheblichen Kontrollverlust einbrachten: die Konkurrenz des Reichssparkommissars, die Einschränkung der Wehrmachtsprüfung und der Verlust der Reichsbahnprüfung.
1.3 Der Reichssparkommissar (RSK) überflügelt den RRH
Als dem Präsidenten des RRH kurz nach seinem Amtsantritt die Mammutaufgabe eines Reichssparkommissars angetragen wurde, sträubte er sich zunächst gegen die Übernahme eines solchen Regierungsauftrags, wonach er im Alleingang und ohne personellen Unterbau die Reichsfinanzen umfassend überprüfen sollte6. Schon bald erkannte Saemisch aber, dass er durch den Aufbau eines hochkarätigen Gutachterteams, dem späteren Sparbüro, nicht nur seinen autoritären Führungsstil ausleben, sondern in Konkurrenz zu seinem eigenen Rechnungshof treten konnte, ein klassischer Fall eines Interessenkonflikts. Saemisch übte die Funktion des Reichssparkommissars ohne gesetzliche Grundlage 14 Jahre lang aus, bis sein Sparbüro im Jahr 1936 mit dem Rechnungshof verschmolzen wurde7. Saemisch überstand 20 Regierungswechsel, ließ sein Mandat aber von jeder Regierung erneuern8.
Präsident Saemisch verschaffte sich als Reichssparkommissar Zugang zu den Sitzungen des Reichskabinetts und hatte nicht nur dadurch, sondern auch durch die Kenntnis der Haushaltsplanung einen Wissensvorsprung vor dem Rechnungshof9. Er versammelte in seinem Sparbüro Spitzenkräfte, deren Vergütung er selbst festlegen konnte, und zog Personal sowie Prüfungsthemen aus dem Rechnungshof an sich, eine Methode, die nach dem Krieg auch noch zwischen dem Bundesrechnungshof und dessen Präsident als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV) praktiziert wurde.
Saemisch konnte seine Prüfungs- und Gutachtertätigkeit auf die Länder und größere Kommunen ausweiten, sodass er schon bald als der beste Kenner der Staatsfinanzen in der Weimarer Republik und in der Öffentlichkeit als bekannteste Persönlichkeit galt10. Den RRH hebelte Saemisch auch dadurch aus, dass er vorrangig Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen betrieb, während dem Rechnungshof die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Staatsfinanzen verblieb, die er mit den Vorprüfungsstellen der Verwaltung erledigte. Die in den Verwaltungen installierten Vorprüfungsstellen hatten alle Rechnungen rechnerisch und förmlich vorzuprüfen. Die sachliche Kontrolle blieb dem RRH vorbehalten.
Diese unterschiedliche Entwicklung spielte nach Ausbruch des Kriegs eine erhebliche Rolle, als der RRH die Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit als Kernaufgabe betrieb, um Konflikte mit dem NS-Regime zu vermeiden und sich als kriegswichtige Instanz zu etablieren.
1.4 Der Kontrollverlust des RRH bei der Reichswehr
Als der Phönix-Lohmann-Skandal die geheime Aufrüstung der Reichswehr und damit den Verstoß gegen den Versailler Vertrag aufdeckte, nutzte Saemisch die Gelegenheit, den RRH aus der Prüfung der Reichswehr zu verdrängen. Auf seine Initiative wurde ein sogenannter Mitprüfungsausschuss11 gebildet, der unter seiner Mitwirkung die Prüfung der Reichswehr in ein Vorprüfungsfeld verlagerte und damit verhinderte, dass der RRH Beanstandungen bei der Reichswehr in seine Bemerkungen aufnahm und diese dadurch an die Öffentlichkeit gelangten. Im Kern ging es also um eine Beschneidung der Berichterstattung des RRH an das Parlament12.
1.5 Der Verlust der Reichsbahnprüfung
Durch die Privatisierung der Reichsbahn im Jahr 1924 verlor der RRH seine Prü-fungskompetenz13. Die Prüfung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung stand der Reichsregierung zu, die allerdings die Prüfung von Jahr zu Jahr dem Rechnungshof übertrug. Gleichzeitig richtete die Reichsbahn ein Hauptprüfungsamt als selbständiges Vorprüfungsorgan ein. Als im Jahr 1930 eine Novellierung des Reichsbahngesetzes anstand, kam es zu einem schweren Konflikt zwischen dem Präsidenten des RRH und dem Gesamtkollegium. Saemisch, der mit den bisherigen Prüfungen des RRH unzufrieden war und ihn in kaufmännischen Fragen für überfordert hielt, vereinbarte hinter dem Rücken des Kollegiums mit der Reichsregierung, die Bilanzprüfung bei der Reichsbahn künftig nur noch ihm und einem Direktor der Revisions- und Treuhandgesellschaft (Treuarbeit) zu überlassen, dessen Aufsichtsratsvorsitzender er war. Die Geheimabsprache, die dem Kollegium auf Umwegen bekannt wurde, löste im RRH einen Sturm der Entrüstung aus und soll sogar im Jahr 1932 zum vorzeitigen Ausscheiden des Vizepräsidenten Markmann geführt haben14. Das Kollegium verzieh seinem Präsidenten den Winkelzug nie, dessen Widerstand bestärkte aber Saemisch in seinen Bemühungen, die Abschaffung des Kollegialprinzips zu betreiben und durch das Führerprinzip zu ersetzen. Auch nach der Verstaatlichung der Reichsbahngesellschaft im Jahr 1937 wurde die Prüfung der Eisenbahnrechnungen dem eigens dafür gegründeten Hauptprüfungsamt und der alleinigen Begutachtung des Jahresabschlusses durch Präsident Saemisch übertragen15.
1 Abschnitt IV §§ 87ff. Reichshaushaltsordnung (RHO) vom 31.12.1922, RGBl 1923 II S. 17ff.
2 Ebenda, Abschnitt V § 121 RHO.
3 Ebenda, § 108 RHO.
4 Zweite Änderung der RHO (kurz: Zweite Novelle zur RHO) vom 13.12.1933 RGBl II, S. 1007ff., Borzikowsky, Finanzkontrolle und Rechnungsprüfungswesen, S. 215.
5 Dommach, Der Reichssparkommissar Moritz Saemisch in der Weimarer Republik, S. 37ff.
6 Von Pfuhlstein, Der Weg von der Preußischen Oberrechnungskammer zum Bundesrechnungshof, S. 74ff.
7 Vierte Novelle zur RHO vom 17.6.1936 RGBl II, S. 209.
8 Bracher, Nationalsozialistische Diktatur 1933–1945, S. 17.
9 Richtlinien vom 18.2.1927, Reichsfinanzblatt, S. 141.
10 Dommach, Von Potsdam nach Frankfurt, S. 24.
11 Ebenda.
12 Oshima in FinanzArchiv NF 38 Bd. 2, S. 197.
13 Das Reichsbahngesetz vom 12.2.1924 ließ zu, das Unternehmen nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen.
14 BA (Bundesarchiv), bestand N 171 (NL Saemisch) Bd. 126 Deutsche Reichsbahn, S. 1–81. Als das Kollegium des RRH am 5.2.1931 verlangte, der Reichsregierung seine Auffassung zur Reichsbahnfrage darzulegen und darauf hinzuweisen, dass das Verhalten der Reichsregierung geeignet sei, der Stellung des Rechnungshofs Abbruch zu tun, vereitelte Präsident Saemisch die Absendung des Schreibens und sorgte dafür, dass die Reichsregierung der Intervention des Kollegiums durch einen von ihm formulierten Brief zuvorkam.
15 Reichsgesetz vom 10.2.1937.