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Rembrandt.
ОглавлениеAbb. 1. Rembrandts Bildnis, zubenannt mit den drei Bartspitzen.
Radierung des Meisters aus seiner Jugendzeit.
Die holländische Malerei kann man füglich als ein Erzeugnis der staatlichen Selbständigkeit Hollands bezeichnen. Solange die Niederlande ein Ganzes bildeten, war von einer besonderen holländischen Kunst gegenüber der tonangebenden flandrischen nicht die Rede. Die Verschiedenheit des Erfolges aber, mit dem die nördlichen und die südlichen Provinzen aus dem langen, blutigen Kriege gegen die spanische Herrschaft hervorgingen, hatte eine ausgesprochene Verschiedenheit der Kunstentwickelung hier und dort zur Folge, wenn auch die Stammverwandtschaft sich niemals ganz verleugnete und namentlich in der Wesenseigentümlichkeit die flandrische und die holländische Malerei übereinstimmten, daß in der Farbe mehr als in der Form das Mittel dichterischen Ausdrucks gesucht und gefunden wurde. Das Jahr 1609, in welchem der Abschluß eines zwölfjährigen Waffenstillstandes thatsächlich die Anerkennung der sieben vereinigten Provinzen als eines selbständigen Staates in sich trug, war gewissermaßen das Geburtsjahr der holländischen Malerei, die sich nunmehr in höherem Maße als jemals irgend eine andere Kunst des christlichen Zeitalters als eine nationale gestaltete. Ein lebendiges Kunstbedürfnis war in diesen Provinzen von alters her vorhanden, und der hohe Wohlstand, der nach dem Waffenstillstandsabschluß so unglaublich schnell aufblühte und der selbst während der Wiederaufnahme der erst 1648 endgültig zum Abschluß gelangenden Freiheitskämpfe fortwährend zunahm, brachte naturgemäß eine Steigerung dieses Bedürfnisses mit sich. Aber der junge protestantische Freistaat hatte mit allem gebrochen, was bisher der Malerei die höchsten Aufgaben geboten hatte. Hier waren jetzt nicht mehr die Kirchen mit prunkvollen Altargemälden auszustatten, die Fürstenpaläste nicht mit üppigen Göttergeschichten und Thaten antiker Helden zu schmücken; es handelte sich darum, die behagliche bürgerliche Häuslichkeit durch künstlerische Zierde würdig zu verschönern und für Rathäuser und Gildehäuser Werke zu liefern, die frei von jeder Überschwenglichkeit das Wesen nüchterner und stolzer Bürgerlichkeit wahrten. Worin die Aufgabe bestand, die das neue Volk seinen Künstlern stellte, faßt ein französischer Schriftsteller sehr zutreffend in das Wort zusammen: „es verlangte, daß man ihm sein Abbild liefere“. Das ist in der That der Inhalt der holländischen Malerei: das ehrliche, wahrheitsgetreue Abbild von Land und Leuten und Dingen, die Wiedergabe der schlichten Wirklichkeit, wie die Heimat und die Gegenwart sie zeigten und im Künstlerauge sich spiegeln ließen, mag nun Bildnis, Genre, Landschaft, Tierstück oder Stillleben der Gegenstand des Gemäldes sein. Dieses ehrliche Abbilden der Wirklichkeit war ein großer Teil der Kunst des einen, der über zahlreiche ausgezeichnete Maler hoch emporragend als der größte holländische Maler dasteht; aber es war nicht seine ganze Kunst. Rembrandt wußte seine staunenswürdige Befähigung zu geistreich treffender Wiedergabe der Natur seinem eigenen freien Schaffensdrange dienstbar zu machen und fand in ihr das Mittel, den Gebilden seiner eigenwilligen und lebhaften, gelegentlich geradezu schwärmerischen Einbildungskraft eine Gestalt zu verleihen, die nicht nur seinem eigenen Wesen entsprach, sondern auch seine damaligen Landsleute unmittelbar ansprechen mußte. So offenbarte er sich, unterstützt durch eine großartige Vollkommenheit in der Beherrschung seines Handwerkszeuges, die ihn zu einem der allerbesten Maler und zum geistreichsten Radierer aller Zeiten machte, als einer der selbständigsten und eigengestaltigsten Künstler der Welt.
Abb. 2. Rembrandts Mutter. Radierung von 1628.
Rembrandts Elternhaus stand zu Leiden, am Weddesteeg in der Nähe des Weißen Thores (Wittepoort). Es war eine Mühle, Besitztum einer Familie, deren einer Zweig vom Rhein, das heißt von dem Mündungsarm des Flusses, der allein diesen Namen behält und der in mehreren Kanälen die Stadt durchfließt, den Zunamen van Ryn führte. Als das fünfte von sechs Kindern der Eheleute Harmen (Hermann) Gerritszoon (Gerrits oder Gerhards Sohn) van Ryn und Neeltje (Cornelia) Willemsdochter wurde am 15. Juli 1606 oder 1607 – die Jahreszahl steht nicht ganz fest – der Knabe geboren, der in der Taufe den ungewöhnlichen Vornamen Rembrandt erhielt und der daher, nach der damals in Holland und auch anderwärts verbreiteten Sitte, den Vornamen des Vaters dem eigenen hinzuzufügen, Rembrandt Harmenszoon (oder abgekürzt Harmensz) van Ryn hieß.
Abb. 3. Rembrandts Mutter. Radierung. Das Monogramm ist aus RH (Rembrandt Harmensz) und L (von Leiden) gebildet.
Während Rembrandts drei ältere Brüder zu handwerklichen Berufsarten erzogen worden waren, wurde ihm eine gewähltere Ausbildung zu teil. Er ward in eine Lateinschule geschickt und sollte später die Universität seiner Vaterstadt besuchen, „um, wenn er das Alter erreicht hätte, durch seine Wissenschaft der Stadt und dem Staate nützen zu können.“ Aber seine ausgesprochene Neigung und Begabung zur Malerei führte frühzeitig den Übergang zu diesem Beruf herbei. Jakob van Swanenburgh, ein sonst kaum bekannter Leidener Maler, wurde zuerst sein Lehrer; nachdem er dessen Unterricht drei Jahre lang genossen, wurde Rembrandt nach Amsterdam zu Pieter Lastman geschickt, von dem er nur sechs Monate lang unterrichtet worden sein soll. Beide Maler hatten, wie man es zu ihrer Zeit für unbedingt erforderlich hielt, in Italien studiert, und ihre Kunst ward von dem Bemühen, die Italiener nachzuahmen, beherrscht; Lastman war in Rom ein Schüler des Frankfurters Adam Elshaimer gewesen, der seinen fein gemalten Bildchen durch starke Lichtwirkungen – Lampen-, Feuer- und Mondschein – einen besonderen Reiz zu verleihen strebte. So untergeordnet die Stellung ist, welche Rembrandts Lehrer in der Kunstgeschichte einnehmen, unzweifelhaft hat der gelehrige Schüler aus ihren Unterweisungen großen Nutzen gezogen; von Lastman wurde er vermutlich auch in der Kunst des Radierens unterrichtet. Nach Leiden zurückgekehrt, bildete er selbst sich weiter, und man darf annehmen, daß sein eigener Trieb ihn auf das eingehende Studium der Natur in einer Weise hinwies, wie seine Lehrer es wohl schwerlich gethan hatten.
Abb. 4. Selbstbildnis Rembrandts mit stieren Augen. Radierung. (Auch unter der Bezeichnung „Der Mann mit dem beschnittenen Barett“ bekannt.)
Abb. 5. Kahlköpfiger Mann. Radierung von 1630.
Die ersten bezeichneten Gemälde des jungen Künstlers tragen die Jahreszahl 1627. Das eine derselben, „der Apostel Paulus im Gefängnis,“ befindet sich im Museum zu Stuttgart, das andere, „der Geldwechsler,“ im Museum zu Berlin. Beide Bilder besitzen keine hervorstechenden Reize; es sind glatt gemalte Jugendwerke, die den unbefangenen Beschauer recht kalt lassen; und dennoch kann man in ihnen schon diejenigen Eigenschaften gleichsam keimen sehen, welche Rembrandt später so groß gemacht haben: der tiefe, gedankenvolle Blick des gefangenen Apostels kündigt den zukünftigen Meister des seelischen Ausdruckes an, das kleine Berliner Bild zieht den Beschauer durch die von einer verdeckten Kerze in der Hand des Wechslers ausgehende malerische Helldunkelwirkung an, obgleich diese Wirkung hier noch mehr an die Bilder des Gerhard Honthorst, als an Rembrandts spätere Meisterwerke erinnert. Zwei kleine Gemälde biblischen Inhalts aus dem Jahr 1628, beide mit R H (Rembrandt Harmensz) und daran gehängtem L (als Hinweis auf des Künstlers Vaterstadt Leiden) bezeichnet, sind durch die zu Berlin im Jahre 1883 zu Ehren der silbernen Hochzeit des damaligen Kronprinzenpaares veranstaltete Ausstellung von im Berliner Privatbesitz befindlichen Werken alter Meister weiteren Kreisen bekannt geworden. Das eine, im Besitz Seiner Majestät des Kaisers, stellt Simsons Verrat durch Delila vor, das andere, im Besitz von Herrn Otto Pein, den Apostel Petrus zwischen den Knechten des Hohenpriesters; das letztere ist ein durch Feuer- und Kerzenlicht wirkungsvoll gemachtes Nachtstück. Noch auf einige andere Bilder ist in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit gelenkt worden, in denen man Erstlingsarbeiten des jungen Rembrandt erblicken zu dürfen glaubt, namentlich auf einige malerisch beleuchtete Studienköpfe (in Kassel, Gotha und an anderen Orten), die man für Selbstbildnisse des Künstlers hält. Rembrandt hat nämlich während seines ganzen Lebens sich selbst mit Vorliebe zu einem Gegenstand seines Studiums gemacht; mochte er eine Beleuchtung des menschlichen Antlitzes, einen Ausdruck, eine kleidsame Tracht studieren wollen, so fand er in seiner eigenen Person ein stets bereites und williges Modell, das zugleich wegen seiner kräftigen, offenen und ansprechenden Züge und seiner gesunden Farbe ein sehr dankbarer Gegenstand der Darstellung war. Daher die außerordentlich große Anzahl der gemalten und der in Kupfer geätzten Selbstbildnisse, die Rembrandt hinterlassen hat.
Abb. 6. Der Mann mit dem breitkrempigen Hut.
Radierung von 1630.
Das erste mit einer Jahreszahl bezeichnete Werk der Radiernadel Rembrandts, von 1628, macht uns mit der ehrwürdigen Erscheinung seiner Mutter bekannt. Dieses köstliche kleine Brustbild, so sprechend lebenswahr, so geistreich und zugleich so liebevoll hingezeichnet, ist ein vollendetes Meisterwerk, in der Ausführung ebenso unübertrefflich wie in der Auffassung (Abb. 2). Außer in diesem Brustbildchen hat Rembrandt in den ersten Jahren seines Schaffens für die Öffentlichkeit noch mehrmals die eigentümliche Schönheit seiner betagten Mutter in Radierungen festgehalten. Darunter zeichnet sich besonders eines aus (zubenannt „mit dem schwarzen Schleier“), welches die alte Dame von der Seite, vor einem Tische sitzend, zeigt; man kann nur staunen, wenn man sieht, wie lebensvoll hier wieder, bei weiter durchgebildeter malerischer Ausführung, das von zahllosen Runzeln durchfurchte, ausdrucksvolle Gesicht gezeichnet ist, wie wunderbar die verschrumpfte Haut der alten Hände mit den hervortretenden Adern wiedergegeben, wie meisterhaft die Stoffe behandelt sind (Abb. 3).
Abb. 7. Unbärtiger Alter mit hoher Mütze.
Radierung.
Die Art und Weise kennen zu lernen, wie die Seele des Menschen sich in seinem Antlitz spiegelt und wie das Spiel der Gesichtsmuskeln zum Ausdruck der Empfindungen wird, war für Rembrandt von Anfang an ein Gegenstand der eifrigsten Beobachtung. Um das eingehend studieren zu können, setzte er sich mit der Kupferplatte vor den Spiegel und machte sich selbst irgend einen bestimmten Ausdruck vor, den er dann mit der Radiernadel festhielt. So hat er sich lachend gezeichnet, mit verdrießlichem Gesicht, mit verschlossener, finsterer Miene und mit dem Ausdruck starren Entsetzens (Abb. 4); aber auch in der Ruhe seines natürlichen Ausdruckes hat er das von den Sorgen des Lebens noch nicht belastete, jugendheitere Antlitz mit dem ersten sprossenden Barte der Nachwelt durch die Kupferplatte überliefert (Abb. 1). Personen aus seiner Umgebung, die wohl nicht daran dachten, ein Kupferstichbildnis ihrer Person zu bestellen, die aber dem jungen Künstler gutwillig ein paar Stunden still hielten, waren weitere Gegenstände der Übung von Auge und Hand (Abb. 5 und 6).
Abb. 8. Bettler und Bettlerin. Radierung von 1630.
Abb. 9. Die Frau mit der Kürbisflasche. Radierung.
Eine ganze Anzahl von Radierungen legt ferner Zeugnis davon ab, wie Rembrandt sich mit großem Fleiße übte, zufällig Gesehenes mit der denkbar größten Schnelligkeit in wenigen treffenden Strichen festzuhalten oder auch aus dem Gedächtnis wiederzugeben. Ganz besonders reizten ihn Erscheinungen aus den niedersten Volksschichten, die ihren Charakter am unverhülltesten zur Schau trugen und deren zerlumpte Kleidung ebenso wie ihre Häßlichkeit ihm eine eigentümliche Anregung boten, eben weil sie sich so charakteristisch darstellen ließen. Es war der natürliche Widerwille gegen die kalt und leer und dadurch abstoßend gewordene äußerliche Schönheitssucherei der den Italienern nachtretenden Kunst, der sich in dieser Weise – bei Rembrandt nicht zuerst, aber bei ihm vielleicht am kräftigsten – äußerte. Da fielen ihm die verschmitzten Augen eines alten Bettlers mit lächerlich hoher Mütze auf oder ein auf der Straße in langatmigem Gespräch sich unterhaltendes Bettlerpaar und ähnliche lumpige Gestalten, und er bannte sie auf die Kupferplatte; oder es reizte ihn, die Erscheinung eines Bauern festzuhalten, der seine Verschlagenheit hinter einer unglaublich dummen Miene verbirgt (Abb. 7, 8, 9, 12, 13). – Aber auch zur Niederschrift von Kompositionen, in denen der jugendliche Schaffensdrang sich Luft machte, wurde die Radiernadel benutzt (Abb. 16).
Abb. 10. Der Mann mit der Pelzmütze. Radierung von 1631.
Abb. 11. Bildnis eines alten Mannes, um 1631 gemalter Studienkopf. In der königl. Gemäldegalerie zu Kassel.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)
Es fehlte dem jungen Maler nicht an Bestellungen. Aus dem Jahre 1630 ist schon das Bildnis eines augenscheinlich den besten Ständen angehörigen, in schwarzen Sammet gekleideten und mit doppelter goldener Kette geschmückten alten Herrn vorhanden. Dieses in der Gemäldegalerie zu Kassel befindliche Bild legt zugleich in seiner leichten und freien Behandlung Zeugnis ab von Rembrandts schneller Vervollkommnung in der Ölmalerei. Mehrere um die nämliche Zeit gemalte Studienköpfe, die in verschiedenen Sammlungen aufbewahrt werden, erzählen von dem Fleiß und der Gewissenhaftigkeit seiner Übungen und fordern durch die geistreiche Weise der Anpassung und der Ausführung unsere höchste Bewunderung heraus (Abb. 11).
Abb. 12. Bettler. Radierung.
Abb. 13. Bauer, die Hände auf dem Rücken haltend. Radierung von 1631.
Im Jahre 1631 verließ Rembrandt seine Vaterstadt Leiden, in die er nur zu kurzen Besuchen zeitweilig zurückkehrte, und siedelte nach Amsterdam, der stolzen und reichen Hauptstadt der vereinigten Provinzen, über, wo für seine Thätigkeit das denkbar fruchtbarste Feld bereit sein mußte. In der That gelangte der Vierundzwanzigjährige hier schnell zu großem Rufe, und es sammelte sich bald eine Schar von Schülern um ihn; es wird erzählt, er habe diese in gesonderten Zellen arbeiten lassen, zu dem Zwecke, daß das Individuelle ihrer Begabung besser gewahrt bleibe und ihre Kunst vor schulmäßiger Gleichförmigkeit behütet werde.
In Amsterdam fand Rembrandts Neigung, dem an und für sich Häßlichen künstlerischen Reiz abzugewinnen, reiche Nahrung. Vor allem zog ihn das Judenviertel mit seinen malerischen Erscheinungen an. Hier waren für Geld die interessantesten Modelle zu haben, und mit wahrer Lust verewigte Rembrandt die jüdischen Charakterköpfe; die an und für sich schon auffallende Tracht der Amsterdamer Juden bereicherte er dabei gern in phantastischer Weise durch bunte Stoffe und mancherlei Schmuckstücke aus dem Vorrat seiner Werkstatt (Abb. 10). Rembrandts Werkstatt gestaltete sich nämlich allmählich zu einer förmlichen Sammlung von malerischen Kostbarkeiten und fremdartigen Kleidungsstücken; zu deren Anschaffung gab es wohl nirgends bessere Gelegenheiten als in Amsterdam, wo Kaufleute von allen Enden der Welt zusammenströmten und wo die Trödlerläden des Judenviertels, das Rembrandt so gern durchstreifte, solcher Liebhaberei gar einladend entgegenkamen. Übrigens suchte Rembrandt die jüdischen Modelle nicht bloß um ihres persönlichen malerischen und charakteristischen Äußeren willen als dankbare Vorwürfe für Radierungen und Studienbilder auf. Er erblickte in ihnen auch die Vertreter des auserwählten Volkes, und es war eine Art geschichtlicher Gewissenhaftigkeit, wenn er sie als die einzig echten Modelle für biblische Kompositionen ansah, – und Gewissenhaftigkeit war ja der eigentliche Grundzug der holländischen Kunst. Die ehrwürdigen Erscheinungen der alten Patriarchen wurden vor ihm lebendig, und er versuchte, wenn auch fürs erste noch nicht in Gemälden, so doch in Zeichnungen, die er nur für sich selber machte, Vorgänge aus deren Leben in einer unmittelbar der Wirklichkeit abgelauscht scheinenden Weise zu verbildlichen. Ein Beispiel gibt uns die anscheinend in dieser frühen Zeit entstandene Federzeichnung in der Albertina zu Wien, welche den Vater Jakob zeigt, wie er seinen Benjamin zärtlich zwischen den Knieen hält, während Juda vor ihn hintritt und spricht: „Laß den Knaben mit mir ziehen; ich will Bürge für ihn sein, von meinen Händen sollst du ihn fordern“ (Abb. 17).
Abb. 14. Die heilige Familie. Gemälde von 1631 in der königl. Pinakothek zu München.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)
Abb. 15. Bildnis eines polnischen Edelmannes, gemalt 1631. Im Museum der Ermitage zu St. Petersburg.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)
Das erste bedeutendere biblische Gemälde, welches Rembrandt ausführte – die Probe eines gewaltigen Fortschritts gegen jene frühen Leidener Versuche –, war eine „Darstellung im Tempel;“ dasselbe befindet sich in der königlichen Gemäldesammlung im Haag und ist mit der Jahreszahl 1631 bezeichnet. Den nämlichen Gegenstand behandelte die erste datierte figürliche Komposition unter Rembrandts Radierungen. Vielleicht war das eine Vorübung für das Gemälde. Das zart ausgeführte Blättchen, von 1630, fesselt durch die Tiefe und Mannigfaltigkeit des Ausdrucks in den kleinen Figuren; es führt den Beinamen, „mit dem Engel,“ weil über der Gestalt der Prophetin Hanna ein Engel herabschwebt, welcher der Greisin in dem Knäblein den Erlöser zeigt. Auch in einer späteren, größeren Radierung desselben Inhaltes – denn Rembrandt liebte es, sich in einen Gegenstand, den er einmal erfaßt hatte, immer von neuem zu vertiefen – erscheint die greise Seherin, eine hohe, feierliche Gestalt, im Mittelpunkt der Komposition als deren eigentliche Hauptfigur; von oben senkt sich eine dunkle Wolke in die dämmerigen Wölbungen des Tempels herab, von der Seite bricht ein Lichtstrahl herein, und wo sich beide berühren, schwebt über dem Haupte Hannas die Taube des heiligen Geistes. Dieses Blatt ist unvollendet geblieben, zum Teil nur in leichten Umrissen angelegt; aber auch so macht es einen mächtigen Eindruck durch die hohe Poesie der Lichtwirkung; ein unübertreffliches Meisterwerk ist für sich allein schon der Kopf des alten Simeon. In dem Gemälde von 1631 ist, nach der zumeist üblichen Auffassungsweise, Simeon der Hauptträger der Handlung. Das Bild, in kleinem Maßstab mit der größten Sorgfalt ausgeführt, offenbart den Maler als den unvergleichlichen Meister des Helldunkels, der im Durchbrechen geschlossener Schattenmassen durch strahlende Lichtwellen das Mittel findet, seine dichterischen Empfindungen ergreifend zum Ausdruck zu bringen. Während die phantastischen Formen des Tempelbaues im Dunkel verschwimmen, sammelt das Licht sich auf der Hauptgruppe; es überflutet mit vollem Glanze das Jesuskind, das ehrwürdige Haupt Simeons und die zum Segen erhobene Hand des Oberpriesters und gleitet, schon etwas abgeschwächt, über die knieende Gestalt Marias und die Gestalten ihrer Umgebung, um sich nach und nach wieder im Dunkel zu verlieren. Der Vorgang selbst ist ganz realistisch aufgefaßt, überirdische Erscheinungen sind nicht dabei angebracht. Mit der Radierung von 1630 stimmt das Gemälde darin überein, daß man im Hintergrunde eine große Treppe sieht, auf der sich viele Gestalten im Halbdunkel bewegen.
Abb. 16. Ein Kampf. Radierung.
Abb. 17. Juda, Jakob und Benjamin. Handzeichnung in der Albertina zu Wien.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)
Dieses Bild eröffnet die stattliche Reihe der gemalten Meisterwerke Rembrandts. Der hervorstechendste Zug im Wesen Rembrandts war eine unverwüstliche Arbeitslust; sein ganzes Leben hindurch, in guten und in bösen Tagen, hat er mit unermüdlichem Fleiß gearbeitet. So ist es möglich geworden, daß er weit über dreihundert Gemälde hinterlassen hat, abgesehen von solchen, deren Echtheit fraglich ist, und von einigen zu Grunde gegangenen. Dazu kommt eine gleich große Anzahl (353) eigenhändiger Radierungen. Da er seine Arbeiten gern mit der Jahreszahl bezeichnete, so läßt sich bis gegen das Ende seines Lebens seine Thätigkeit fast Schritt für Schritt verfolgen.
Abb. 18. Diana und Endymion. In der Liechtensteingalerie zu Wien.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)
Abb. 19. Rembrandts Schwester. In der Liechtensteingalerie zu Wien.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)
Das Jahr 1631 sah außer der „Darstellung im Tempel“ noch ein anderes aus dem Evangelium geschöpftes Gemälde entstehen: die „Heilige Familie“ der Münchener Pinakothek. Es ist ein schönes, gemütvolles Bild. Das auf dem Schoß der Mutter liegende Kind hat eben die Brust losgelassen und ist eingeschlafen; es wird von Maria mit dem stillen Lächeln der Mutterlust betrachtet; neben Maria steht die Wiege mit weißem Leinen; Joseph beugt sich mit gedankenvoll betrachtendem Blick herüber (Abb. 14).
Abb. 20. Die Anatomiestunde. Gemälde von 1632 im königl. Museum im Haag.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)
Abb. 21. Kopf eines Hörers aus der „Anatomiestunde“ im königl. Museum im Haag.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)
Abb. 22. Köpfe von Hörern aus der „Anatomiestunde“ im königl. Museum im Haag.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)
Abb. 23. Der vortragende Professor (Dr. Nikolaas Tulp) aus der „Anatomiestunde“ im königl. Museum im Haag.
(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clément & Cie. in Dornach i. E. und Paris.)
Zu den ersten der in Amsterdam gemalten Bildnisse gehört ein stolz und kühn blickender Mann mit großem Schnurrbart (in der Sammlung der Ermitage zu Petersburg). Er trägt einen mit reicher Goldkette geschmückten pelzbesetzten Mantel, eine ebenso geschmückte Pelzmütze, hat Perlengehänge in den Ohren und hält einen Stock mit verziertem goldenen Knopf. Es ist anscheinend ein polnischer Edelmann, den sein Weg einmal in den damaligen Mittelpunkt des Weltverkehrs, nach Amsterdam, führte (Abb. 15).
Unter den Radierungen Rembrandts vom Jahre 1631 befindet sich eine, welche durch ihren Gegenstand auffällt. Es ist eine Diana im Bade. Bei diesem Titel denken wir unwillkürlich an eine klassische Schönheit oder doch mindestens an eine Erscheinung von straffer Jugendlichkeit. Rembrandt aber hat seine „Diana“ nach einem grundhäßlichen, abgeblühten Modell mit abschreckender Naturtreue gezeichnet. Es fehlte ihm aller und jeder Sinn für das, was wir im Sinne der griechischen Kunst schön nennen. Wenn man unter „Renaissance“ den engeren Begriff der Veredelung der Kunst durch die Kenntnis antiker Schönheit versteht, so ist für Rembrandt die Renaissance gar nicht dagewesen; zu einem Freunde sagte er einmal, auf seine Sammlung alter Stoffe, Waffen und Geräte zeigend: „Das sind meine Antiken.“ Rembrandts mythologische Kompositionen berühren uns denn auch mindestens sehr fremdartig. Er hat deren freilich nicht viele geschaffen. Die damalige internationale Kunst und somit auch die Schule, aus der Rembrandt hervorgegangen war, wurde ja von einer Vorliebe für Darstellungen aus der antiken Götterwelt beherrscht. Aber dem Wesen Rembrandts lagen derartige Stoffe sehr fern, auch ist seine Kenntnis von diesen Dingen schwerlich groß gewesen; sein Buch war die Bibel, und es scheint nicht, daß er überhaupt viel anderes als dieses Buch gelesen hat. Übrigens hatten ebenso wie er selbst seine Landsleute nicht mehr viel Geschmack für die Mythologie; dem nüchternen Sinn und der protestantischen Strenggläubigkeit der Holländer konnte die Verbildlichung heidnischer Götterfabeln nicht zusagen.
Abb. 24. Der Federschneider (angeblich des Amsterdamer Schreib- und Rechenmeisters Coppenol Bildnis). In der königl. Gemäldegalerie zu Kassel.
(Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München.)
Vielleicht das Hübscheste, was Rembrandt an mythologischen Darstellungen geschaffen hat, ist ein in der Liechtensteingalerie zu Wien befindliches Gemälde: „Diana und Endymion.“ In der Flut des Mondlichts schwebend hat die keusche Göttin sich auf die Erde herabgesenkt; wie mondbeglänzte Wolkengebilde schimmern Schwäne, die sie getragen, im Dunkel der Luft. Mit dem Jagdspeer in der Hand, groß und stolz, tritt sie dem blöden Burschen entgegen, der ihr Wohlgefallen erregt hat. Das Licht, das von ihr ausstrahlt, fällt ihm ins Gesicht, da er, aus seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Schlafen, aufgestört, sich nach ihr umblickt, während seine derben Hunde scheu die Hunde der himmlischen Jägerin anknurren (Abb. 18).
Abb. 25. Der Perser. Radierung von 1632.
Das Gesicht der Göttin zeigt hier eine unverkennbare Ähnlichkeit mit einem rotblonden Mädchen, das Rembrandt in den Jahren 1632 und 1633 wiederholt gemalt hat. Man hält dieses Mädchen mit Grund für eine von seinen Schwestern, die vielleicht mit ihm nach Amsterdam übergesiedelt war (Abb. 19).
Abb. 26. Der Rattengiftverkäufer. Radierung von 1632.
Im Jahre 1632 wagte Rembrandt sich an einen figurenreichen mythologischen Gegenstand: es ist der im Berliner Museum befindliche „Raub der Proserpina.“ Das merkwürdige Bild enthüllt in Farbe, Wirkung, Empfindung und Ausdruck in der bezeichnendsten Weise Rembrandts künstlerische Vorzüge und Besonderheiten. Es ist wie alle Gemälde dieser seiner frühen Zeit sehr fein und sorgfältig gemalt. Die Kräuter des Vordergrundes, bei denen man die einzelnen Äderchen der Blätter sieht, sind staunenswürdig, und ebenso genau bis ins einzelste sind die etwa zollgroßen Köpfchen und die reichen Stoffe ausgeführt. Bei dieser fast peinlichen Vortragsweise ist das Bild indessen von wahrhaft gewaltigem Leben erfüllt. Die schwarzen Rosse des Hades sausen wie eine flüchtige Erscheinung in den dampfenden Abgrund hinein; schwarzer Wolkendampf liegt unter dem Himmelsblau festgeballt über dem Eingang der Schlucht. Proserpina kratzt und schlägt ihren Entführer ins Gesicht; entsetzt versuchen ihre Gespielinnen ihr Gewand festzuhalten, um sie von dem goldenen Wagen herabzuziehen, dessen Schnelligkeit doch ihr rasendes Nacheilen vereitelt.
Abb. 27. Der blinde Geigenspieler. Radierung.
In dem nämlichen Jahre 1632 malte Rembrandt ein größeres Gemälde, welches Mit- und Nachwelt zur höchsten Bewunderung hingerissen hat: „die Anatomiestunde.“ Nachdem das Sezieren menschlicher Leichen zu Unterrichtszwecken im Jahre 1555 gesetzlich gestattet worden war, wurde es in mehreren Städten Hollands gebräuchlich, regelmäßige öffentliche Vorträge über Anatomie stattfinden zu lassen. Diese Vorträge wurden in eigens dazu bestimmten Sälen gehalten, welche in entsprechender, für unsere Anschauungen bisweilen recht seltsamer Weise ausgestattet waren; ein solches „Theatrum anatomicum“ zeigte z. B. auf der Brüstung, welche den Zuhörerraum abschloß, eine aus Gerippen gebildete Darstellung des Sündenfalles. Regelmäßig gehörten zur Ausstattung dieser Säle die Bildnisse der Wundärzte, welche in der betreffenden Stadt zu Ansehen gekommen waren; wie im allgemeinen in Holland eine besondere Art der Bildnismalerei, das Genossenschaftsbild, beliebt war, so ließen auch die Chirurgen gern ihre Bildnisse in einem gemeinschaftlichen Bilde vereinigen, dessen Mittelpunkt der an der Leiche oder am Gerippe erklärende Professor bildete. Eine Aufgabe solcher Art war es, die Rembrandt als einem nun schon zu gutem Namen gelangten Bildnismaler gestellt wurde durch den Auftrag, das Porträt des Anatomieprofessors Nikolaas Tulp im Verein mit den sieben Vorstehern der Amsterdamer Chirurgengilde zu malen. Rembrandt hat es mit hoher Meisterschaft verstanden, aus der Nebeneinanderstellung einer Anzahl von Bildnissen ein einheitliches, in sich abgerundetes und schon an und für sich als Komposition den Beschauer fesselndes Kunstwerk, ein Bild im besten Sinne des Wortes zu schaffen. Auf einem Tische liegt, verkürzt von unten gesehen, die Leiche; sie ist in ihrer oberen Hälfte hell beleuchtet und bildet so als große Lichtmasse ein Gegengewicht gegen die vereinzelt auf den dunklen Kleidern und dem dunklen Hintergrunde hervorleuchtenden Gesichter mit den weißen Halskrausen. Tulp, der den Hut auf dem Kopfe hat, während seine Zuhörer ihn barhäuptig umgeben, hat an der Leiche den linken Vorderarm der Haut entkleidet und erklärt dessen Muskulatur; er hebt gerade einen der Beugemuskeln der Finger heraus, und indem er die Finger der eigenen linken Hand beugt, veranschaulicht er die Thätigkeit, welche diesem Muskel im Leben zukommt. Wir fühlen, wie der Anatom fast unabsichtlich die Muskeln, über die er spricht, bei sich selbst in Wirkung setzt, und bewundern Rembrandts feine und scharfe Beobachtung. Die Vorsteher der Chirurgengilde, teils sitzend, teils sich herandrängend, folgen mit verschiedenartig abgestufter Aufmerksamkeit dem Vortrage des Professors (Abb. 20). Der Kopf des letzteren ist ein Meisterwerk der Bildniskunst (Abb. 23). Wenn sich auch nicht das Gleiche von den sämtlichen Köpfen der Hörer sagen läßt, so finden sich doch auch unter diesen einige ganz vortreffliche und alle sind sie von innerem Leben erfüllt (Abb. 21 und 22). Das Gemälde befand sich lange an seiner ursprünglichen Stelle, in der „Snykamer“ (Schneidezimmer) zu Amsterdam; 1828 kaufte König Wilhelm I dasselbe der Chirurgengilde für 32 000 Gulden ab, um es der Gemäldesammlung im Haag einzuverleiben.
Jedenfalls trug das Anatomiebild viel dazu bei, Rembrandts Ruf als Bildnismaler zu erhöhen; aus dem Jahre 1632 sind mehr als zehn auf Bestellung von ihm gemalte Einzelbildnisse nachgewiesen, unter denen vielleicht das in der Kasseler Gemäldegalerie befindliche meisterhaft gemalte, lebensvolle Bild eines Mannes, der sich die Feder schneidet, angeblich des Amsterdamer Schreibmeisters Coppenol, das vorzüglichste ist (Abb. 24).
Abb. 28. Der heilige Hieronymus im Gebet. Radierung von 1632.
Abb. 29. Die große Auferweckung des Lazarus.
Radierung (stark verkleinert).
Abb. 30. Der barmherzige Samariter. Radierung von 1633.
Dabei ließ Rembrandt die Radiernadel niemals ruhen. Er setzte seine Studien nach dem Leben unermüdlich fort, und neben Gestalten aus dem Volke hielt er gelegentlich eine fremdartige ausländische Erscheinung fest, wie jenen seltsam gekleideten Mann, der den Kupferstichsammlern unter dem Namen „der Perser“ bekannt ist (Abb. 25). Manches, was er in den Straßen der Stadt und auf ländlichen Spaziergängen sah, gestaltete er zu seinen Genrebildchen, denen er durch hochkünstlerische Ausführung einen unvergänglichen Reiz verlieh. Ein köstliches Beispiel ist der „Rattengifthändler.“ Es ist ein schauderhafter Kerl, den wir da in einer Dorfstraße von Haus zu Haus ziehen sehen, einen Säbel an der Seite und eine Stange mit einem Korb in der Hand, von dem tote Ratten herabbaumeln, während auf seinem Rande eine lebende Ratte herumklettert und ein anderes dieser Tiere auf der Schulter des Mannes sitzt, um von dessen Macht über ihresgleichen sichtbares Zeugnis abzulegen; fast noch schauderhafter als der Rattenfänger ist sein Begleiter, der Knabe mit der Giftschachtel, ein Urbild körperlicher und geistiger Verkommenheit; wir begreifen die Gebärde des Ekels, mit welcher der alte Jude, der da auf den unteren Flügel seiner Hausthür gelehnt ins Freie schaut, die Hand zurückweist, die ihm den Rattentod anbietet (Abb. 26). Ein Beispiel anderer Art ist die rührende Gestalt des von seinem Hündchen geführten blinden Geigenspielers (Abb. 27). In allen seinen Darstellungen entfaltet Rembrandt neben der Gabe, die Persönlichkeiten, so wie er sie gesehen oder sich gedacht hat, aufs treffendste zu charakterisieren, die noch unvergleichlichere Gabe, den Beschauer in den Gesichtern lesen zu lassen, was die Persönlichkeiten in dem gegebenen Augenblick denken, und ebenso wie die stärksten Empfindungen die feinsten Regungen der Seele zum Ausdruck zu bringen. Er thut nichts dazu, eine Darstellung launig oder ernst wirken zu lassen; er gibt nur immer die Sache selbst, und durch die Unmittelbarkeit, mit welcher das scharf und richtig Geschaute – im Geist oder in der Wirklichkeit Geschaute – wiedergegeben wird, wirkt ganz von selbst, wie im Leben, so in der Verbildlichung das Komische komisch und das Ernste ernst. Diese Tiefe der Auffassung verleiht auch Rembrandts religiösen Darstellungen einen so hohen Wert, wenn uns auch deren äußere Form, weil uns ungewohnt, fremdartig vorkommen mag. Niemals wohl sind die Empfindungen eines Mannes, der in heißem Gebet um Erleuchtung fleht, mit größerer Tiefe und in schlichterer Klarheit zum Ausdruck gebracht worden, als in dem Blatt von 1632: „der heilige Hieronymus“ (Abb. 28). Zugleich läßt dieses Blatt, das mit leichter und schneller Hand ausgeführt ist, Rembrandts große Begabung für das Landschaftliche erkennen. – Im Besitz einer unübertrefflichen Fertigkeit in der Handhabung der Radiernadel begnügte sich Rembrandt nicht mehr damit, Studien und Kompositionen in kleinerem Maßstabe, mehr für sich selbst als für andere, in Kupfer zu ätzen. Er trat mit großen, sorgfältig ausgeführten und in Wirkung gebrachten Radierungen biblischen Inhaltes an die Öffentlichkeit. An der Spitze dieser Blätter steht die „Auferweckung des Lazarus,“ die zum Unterschied von einem späteren, kleineren Blatte desselben Inhalts „die große“ genannt wird. Es ist eine Äußerung stärkster und kühnster Phantasie, seltsam beim ersten Anblick, aber unmittelbar ergreifend durch die malerische Wirkung von hell und dunkel und wie mit Zaubermacht fesselnd bei näherer Betrachtung. Wir befinden uns in einer phantastischen Räumlichkeit; der Gruftbau ist mit Vorhängen ausgestattet und an den Wänden mit den Waffen des Verstorbenen geschmückt; von dem eigentlichen Grabe ist die Erde beiseite geschaufelt und so das enge Steinbett bloßgelegt worden; die Vorhänge des Eingangs sind zurückgezogen, so daß ein volles Licht von draußen her in das Dunkel des Todes hineinflutet. Über ein herangelegtes Brett ist der Heiland an den Rand des Grabes getreten, und in erhabener Ruhe, nur mit einer machtvollen Gebärde der Hand, ruft er den Toten empor, der sich langsam, wie von schwerem Traum befangen, aufzurichten beginnt. Dem Wiedererweckten stürzen die Schwestern entgegen, noch etwas zagend die eine, mit freudig ausgebreiteten Armen die andere. Staunend sehen die übrigen Anwesenden den unglaublichen Vorgang; überzeugender sind niemals von einem Künstler die mannigfaltigen Äußerungsformen des höchsten Staunens über das Unbegreifliche geschildert worden (Abb. 29). Unter den Radierungen Rembrandts ist dieses Blatt zu allen Zeiten eins der gesuchtesten gewesen. Beachtenswert ist die Gewandung des Christus; strenger – um nicht mit einem viel mißbrauchten Ausdruck zu sagen stilvoller – gezeichnet, als es sonst bei Rembrandt vorkommt, verrät sie noch die Nachwirkungen der italienischen Schule, in der sich Rembrandts Lehrer gebildet hatten.