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2.

16. November 1552 NGZ

Kepraunsystem

»Du bringst die ganze Mission in Gefahr!« Tess Qumisha fixierte das Gesicht der Zentrifaal, bis sie das Gefühl hatte, gleich zu schielen, weil sie mit beiden Augen ein einzelnes, breites Sehorgan im Blick behalten musste.

A-Kuatond schwieg. Ungerührt lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück, die Arme vor der Brust verschränkt. Der Hautlappen der linken Hand umfing den rechten Unterarm, die Krallenfinger der rechten tippten einen langsamen, bedrohlichen Rhythmus auf den linken.

Qumisha warf Perry Rhodan einen Blick zu. Doch der hatte es für den Moment aufgegeben, mit der neuen Befehlshaberin an Bord der SOL auch nur ein Wort zu wechseln.

»Also gut, dann wieder von vorn.« Qumisha würde keinen einzigen Fußbreit Boden zurückweichen. »Egal wer du bist oder wie mächtig du irgendwo anders bist: Das ist unser Schiff. Die SOL ist unsere Heimat, hier wohnen Wesen, die uns etwas bedeuten. Und ich bin nicht bereit, diese in Gefahr zu bringen, bloß weil eine Ritterin BARILS der Meinung ist, dass ihr einzelnes Leben wichtiger ist als das aller anderen an Bord zusammen.«

Rhodan seufzte. »Tess, man wird nicht Ritter, wenn man das eigene Leben für bedeutungslos hält. Es ist ein Joch, in dessen beiden Eimern die Verantwortung für kosmische Ereignisse liegt. Glaub mir – ich weiß, wovon ich spreche!«

Sie wandte sich ihm zu. »Heißt das, dass du mit diesen irrsinnigen Anordnungen einverstanden bist? Warum umwickeln wir nicht gleich jedes Kleinkind an Bord mit einem Empfänger, Draht und Sprengstoff? Wenn A-Kuatond irgendwas nicht gefällt, kann sie dann jederzeit auf einen Knopf drücken, und – peng – irgendwo in der SOL explodiert ein Kind.«

»Du bist unfair, Tess.«

Zur Überraschung der beiden mischte sich die Ritterin nun selbst in das Gespräch ein. »Ich verstehe den Vergleich nicht ganz. Aber ich erkenne, dass ihr deutlich zu viele Gefühle in die Situation hineininterpretiert.«

Qumisha wollte wieder eine spitze Bewegung machen, doch mit einer Handbewegung brachte Rhodan sie zum Schweigen. »Dann erkläre uns doch vielleicht selbst, wie dein Verhalten gemeint ist.«

»Gut. Aber nur, weil es BARILS Willen war, dass du mir als Orbiter zugeteilt wurdest.« Ihre Stimme wechselte in jenen Singsang, den Qumisha und Rhodan in den vergangenen Tagen bereits mehrere Male zu hören bekommen hatten, wenn wieder irgendwelche Texte der lokalen Superintelligenz zitiert wurden. A-Kuatond deklamierte ihre Erklärungen in einem Tonfall, der in der automatischen Übersetzung der Translatoren wie eine Litanei klang: »BARILS Wille und Wollen muss Fleisch werden in allen Wesen, sodass verschmelzen das Wollen und der Wille BARILS mit dem Willen und dem Wollen jedes Wesens, sodass BARIL zum Wesen und das Wesen zu BARIL wird. Wenn es der Auftrag, das Wollen und der Wille BARILS waren, dass dieser Mensch namens Perry Rhodan zu meinem Orbiter wird, damit er dienen und herrschen, vernichten und heilen, erkunden und verstehen lernt, dann soll es so sein. Denn BARILS Wille wird zu meinem Willen, und BARILS Wollen wird zu meinem Wollen, so wie BARILS Sein alles Sein durchdringen wird am Ende der Zeiten.«

Qumisha versuchte, bei diesen Phrasen aufmerksam dreinzublicken, um zu verhindern, dass A-Kuatond merkte, wie sehr sie von diesen hohlen Aussagen angewidert war. Sollte ich jemals den Drang verspüren, BARIL zu dienen – hoffentlich findet sich dann jemand, der mich vorher erschießt.

Rhodan nickte. Damit A-Kuatond ihn auf jeden Fall verstand und er nicht auf diese zutiefst menschliche Geste der Zustimmung vertrauen musste, formulierte er seine Anmerkungen aus. »Du hast völlig recht, werte Ritterin. Ich bin von der ... Ehre, dir als Orbiter dienen zu dürfen, genauso überrascht worden wie du.«

Der Kopf der Zentrifaal drehte sich in Rhodans Richtung. Er konnte die spitzen Zähne in ihrem Mund sehen, als der Spalt unter ihrem Kinn sich kurz öffnete. »Die Ehre ist beiderseitig.«

Qumisha verstand nicht, was sich da gerade abspielte. Sie konnte weder die Mimik der Zentrifaal lesen, noch wusste sie, was Rhodan andeutete. Der Hintergrund dieser Unterhaltung über Orbiter, Ritter und Rhodans Rolle in diesem Spiel blieb ihr rätselhaft. Und sie wusste nicht, ob sie von Rhodan oder sonst irgendjemanden jemals eine Antwort darauf bekommen würde – falls sie den Mut zusammenbrachte, entsprechende Fragen irgendwann mal zu formulieren.

»Du bist mein Orbiter. Damit bist du mir verpflichtet. BARIL übergab mir die Leitung für diese Expedition. Also bist du als mein Orbiter automatisch mein Stellvertreter.« A-Kuatond wandte sich Qumisha zu. »Welche Rolle dir zufällt – das darf der Orbiter selbst entscheiden. Wir Ritter mischen uns nicht in die internen Abläufe einer Befehlskette ein. Wenn es sich vermeiden lässt.«

Qumisha glaubte, aus dem letzten Satz eine versteckte Drohung herauszuhören.

»In Ordnung.« Rhodan war mit der Aufteilung einverstanden. »Tess Qumisha bleibt als Kommandantin der SOL selbstverständlich im Amt. Du, A-Kuatond, bist die Expeditionsleitung, ich bin der Stellvertreter. So weit, so gut. Aber vielleicht kannst du uns erklären, wie du dir eine vertrauensvolle Zusammenarbeit vorstellst, wenn du dein Leben an das Schicksal der SOL und ihrer Besatzung koppelst.«

»Wie meinst du das?«

Rhodan gab ihr keine Antwort, sondern aktivierte die Bildwiedergabe. Ein Hologramm baute sich auf, in dem die Ereignisse der vergangenen zwei Stunden im Zeitraffer dargestellt waren. Das Raumschiff der Ritterin, eine tetraederförmige Schlachtspitze, war in seiner ganzen Pracht zu sehen. Dann teilte es sich. Aus dem großen Tetraeder wurden kleinere, vier- und fünfflächige Pyramiden, bis es am Ende über tausend Segmente waren. Die Kleinschiffe nahmen Kurs auf die SOL. Sie flogen in die Hangars des Hantelraumers, deren Außenschotten hierfür weit offen standen.

Der Bildausschnitt wurde größer. Man sah, wie eins der Raumboote im Hangar zur Ruhe kam. Dann schienen Teile des Pyramidenfahrzeugs nach unten zu fließen. Qumishas erster Gedanke war an einen Grießbrei, der überkochte, außen die Seiten des Topfs hinunterfloss und sich wie eine lebendige Masse auf die Herdplatte ergoss. Sie wusste aber, was in Wahrheit passiert war – die kleinen Raumschiffe hatten sich mit der SOL verbunden.

Rhodan ergriff wieder das Wort. Er deutete auf die Darstellung. »Sie sind jetzt ein untrennbarer Teil der SOL. Auf molekularer Ebene sind die SOL und jede dieser tausend Pyramiden gekoppelt. Ja, wir haben es überprüft – mit unseren Mitteln ist diese Verbindung nicht einfach zu trennen.«

»Das war der Plan«, gab die Ritterin zu. »Dieser Zustand kann nur von mir geändert werden. Es ist in eurem Interesse, dass ich dazu in der Lage bleibe.«

Qumisha konnte kaum an sich halten. »Denn sonst ist der Soloniumrumpf der einzige Teil der SOL, der übrig bleiben wird, wenn deine Schiffe explodieren. Jedes Deck, jede Kabine, alles Leben an Bord wird mit einem Wimpernschlag vernichtet, wenn du entscheidest, dass es so weit ist. Die SOL wird zu einer leeren Dose, einer leblosen Hülle.«

»So einfach ist es nicht«, korrigierte Rhodan. »Wenn ich es richtig verstanden habe, ist es eine Totmannschaltung, welche die Sprengung auslösen würde. So wie ganz früher auf der Erde. In den Eisenbahnzügen gab es solche Einrichtungen. Wenn ein Zugführer nicht regelmäßig eine Schaltung betätigte, weil er ohnmächtig oder vielleicht sogar tot war, blieb der Triebwagen automatisch stehen. Aber dieses Verfahren indes ist viel perfider. Die SOL kommt nicht lediglich zum Stehen, wenn dir etwas zustößt. Sie wird vernichtet.«

Nichts in der Miene der Ritterin ließ erkennen, dass sie von Rhodans Worten verletzt oder betroffen war. »Es ist nicht ganz richtig. Ich muss die Schaltung nicht regelmäßig betätigen. Das ließe zu viele Möglichkeiten offen. Nur wenn mir etwas zustößt, wenn ich also in BARILS Diensten zu Tode komme, wird die SOL vernichtet.«

»Aber warum?« Qumisha verstand die Logik nicht, die Lebewesen zu solchen Vorkehrungen drängte.

»Weil BARIL meinen Orbiter testen will. Dein bisheriges Verhalten hat nicht dafür gesorgt, dass ich dir bedenkenlos traue. Ganz im Gegenteil.«

Qumisha gab nicht auf. Immerhin war es ihr Schiff, ihre Verantwortung, über die da entschieden wurde. »Was, wenn du aus natürlichen Gründen stirbst? Durch das Alter, durch eine Krankheit, durch eine Vergiftung oder tatsächlich im Kampf? Koppelst du dein Leben tatsächlich an das Leben aller Wesen an Bord der SOL?«

»Ja.«

»Warum?« Die Wut platzte aus Qumisha heraus.

»Weil BARILS Wege für Sterbliche wie verschlungene Pfade sind, die durch Sümpfe voller Mangroven führen, nur von Holzbohlen getragen, deren Sicherheit dem Fuß des Schreitenden zweifelhaft erscheint. Doch wer BARILS Wirken kennt, der weiß, dass jener Weg, der BARIL wohlgefällig ist, so weich und sanft ist wie ein Kiesweg, der durch einen Garten führt, den die Hand des Gärtners dem Auge erfreulich gestaltet hat.«

Qumisha war so verblüfft, dass sie keinen Gedanken daran verschwendete, darüber nachzusinnen, was die Ritterin womöglich im Original gesagt hatte. Schon die Übersetzung reichte aus, um neben ihrer Wut ein Gefühl der Konsternation zu erwecken. Ich bin nicht Kommandantin der SOL geworden, um mich mit solchen hohlen Phrasen zutexten zu lassen!

Rhodan versuchte es noch einmal. »Gibt es für deinen Orbiter die Möglichkeit, diesen Impuls zu unterdrücken, wenn dir etwas geschieht, für das wir nicht verantwortlich sind?«

»Nein.«

Bevor Qumisha auf diesen letzten Affront reagieren konnte, verblasste das Holo und wurde durch eine schnell blinkende Hinweisleuchte ersetzt.

»Unser Gespräch muss warten.« Rhodan hatte sofort auf die neue Situation reagiert. Er drehte sich zu seiner Station.

»Was ist das?«, fragte die Ritterin.

»Ein Notsignal« Qumisha war froh, dass es etwas gab, was die Ritterin nicht sofort wusste.

»Von wem?«

»Augenblick.« Rhodan neigte den Kopf leicht zur Seite, während er dem auf ihn gerichteten Akustikfeld lauschte. »Der Code stammt von Danton – es ist von der CALAMAR!«

A-Kuatond wartete ruhig, dass Rhodan die Informationen weitergab. Qumisha fiel es schwerer, die Kontrolle zu behalten. Was wusste die Ritterin über die CALAMAR, über das Verhältnis zwischen Rhodan und Danton?

Rhodan hob den Kopf und sah die beiden an. »Wie gesagt – das Notsignal stammt von der CALAMAR, einem Beiboot der SOL. Es hält sich unter dem Kommando von Roi Danton derzeit im Mauritiussystem auf.«

»Ich kenne kein System dieses Namens.« Die Ritterin fragte nicht nach, warum es ein Beiboot der SOL gab, von dessen Schicksal sie nichts wusste. Entweder wollte sie darauf nicht eingehen – oder sie konnte es nicht, weil ihr die grundlegenden Informationen fehlten.

Ein Punkt für uns.

»Es gibt auf meinem Heimatplaneten eine Inselgruppe, die Mauritius heißt. Aber ich glaube nicht, dass es hier als Namen für ein Sonnensystem herhalten muss. Eher vermute ich, dass es eine Anspielung auf den heiligen Mauritius ist.«

»Orbiter, auch dieser Name ist mir nicht bekannt.«

»Mauritius ist eine mystische Figur meiner Welt, unserer Geschichte. Er war eine Art berühmter Schlachtenlenker, ein heroischer Kämpfer für seinen Glauben.«

»Es gibt nur einen wahren Glauben, und das ist der an BARIL.«

Der heilige Mauritius der orthodoxen Kirche auf der Erde und die Ritterin BARILS hätten einander wohl gut verstanden. Qumisha war abermals überrascht von der Engstirnigkeit dieser Ideologie der Ritterin, die alle fremden Kulturen nur unter einem einzigen Blickwinkel betrachten konnte.

»Ich glaube nicht, dass es um die Frage von Religion geht«, sagte Rhodan. »Eher darum, dass dieser Mauritius eine Art Schirmherr ist. Ein Schutzheiliger der Waffenschmiede, wenn dir diese Darstellung besser gefällt.«

»Eine menschliche Analogie?« A-Kuatond überlegte einen Augenblick. »Gebt mir die Koordinaten. Dann kann ich feststellen, von welchem System ihr sprecht.«

Rhodan übermittelte ihr die Angaben. Die Ritterin nahm Verbindung mit ihrem Schiff auf. Dabei wurde sie automatisch abgeschirmt, sodass Qumisha und Rhodan kein Wort ihrer Anfrage oder einer Antwort mithören konnten.

»Zu diesen Koordinaten ist mir nichts bekannt, was auf bewohnte Welten hinweist«, sagte A-Kuatond dann, »schon gar auf nicht die Existenz von etwas, das der Beschreibung einer Waffenschmiede entsprechen könnte.«

Um zu vermeiden, dass Perry Rhodan mehr über Roi Dantons Rolle beim Flug der CALAMAR offenbaren musste, ergriff Tess Qumisha das Wort. »Mitglieder meiner Besatzung sind dort in Gefahr! Ich bitte darum, dass die SOL dem Notruf sofort folgt.«

A-Kuatond überlegte einen Moment. »Die SOL muss voll einsatzbereit sein, wenn BARIL eine Mission anordnet. Jedes Wesen ist BARIL wichtig. Ich genehmige diese Rettungsmission – aber versteht mich nicht falsch: Ich bin sofort bereit, diese abzubrechen, wenn eine wichtigere Aufgabe unserer harrt!«

Was kann wichtiger sein als das Überleben von Besatzungsmitgliedern? Doch Qumisha hatte inzwischen genug vom Wesen der Ritterin verstanden, dass sie diesen Gedanken nicht laut aussprach.

Mission SOL 2020 / 4: Im Sphärenlabyrinth

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