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1. Håp Land - Harald Enger

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Eva und Harald liefen langsam zurück zum Hotel. Als sie durch die Eingangstür gingen, kamen ihnen Laura und Martin entgegen. Martin rief Harald zu: „Hast du Ev…“ Der Rest blieb ihm im Hals stecken, als er sah, mit wem Harald da durch die Tür kam. Und Laura fragte ihre Schwester: „Wo warst du denn? - Grüß dich Harald. - Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht.“ Plötzlich stutzte auch Laura, als sie sah, dass ihre Schwester Hand in Hand mit Harald ins Hotel kam. „Harald! Wie kommst du denn hier her?“, fragte Laura verwundert. Nun sah sie auch das Leuchten in Evas Augen und verstand erst einmal gar nichts mehr.

Dann kam Evas großer Auftritt. Mit strahlenden Augen verkündete sie: „Darf ich vorstellen. Harald Enger; abgekürzt HE!“ Für einen Moment war Laura starr wie ein Denkmal. Doch dann kam das Leben wieder in sie zurück. Aufgeregt frage sie: „Was denn? HE bist du?!“ Harald nickte. Erst jetzt begriff Laura die Tragweite und sie fragte gleich noch einmal: „Wie kommst du überhaupt hier her?“ Martin verstand von der ganzen Fragerei seiner Laura nicht all zu viel. Er verließ sich darauf, dass sie ihn schon noch aufklären würde.

Da meinte Eva: „Ich möchte Harald auch Mutti und Vati vorstellen. Kommt ihr mit?“

„Was? Ja! Natürlich.“

Eva und Harald legten beide ihre Mäntel ab und gingen mit Martin und Laura in den Saal. Als Maria die vier kommen sah, war sie beruhigt. Das plötzliche Verschwinden von Eva hatte sie schon beunruhigt. So richtig hatten es alle erst bemerkt, als sie zum Jahreswechsel anstoßen wollten und Eva nicht da war. Davor glaubte Maria, dass ihre Tochter nun doch noch jemanden zum Tanzen gefunden hatte.

Nun kam Eva mit den anderen Dreien an den Tisch und Eva stellte vor: „Das ist Harald Enger.“ Wolfram und Maria gaben ihm die Hand und stellten sich ihm selbst vor. Nun ergänzte Eva: „Er kürzt sich HE ab!“

Jetzt waren es Evas Eltern, die Harald kurz bewegungslos anstarrten. Dann sahen sie auf Eva und anschließend wieder auf Harald. Wolfram gewann als erster seine Sprache wieder. „Sie sind dieser HE?“

Harald nickte.

„Oh! Bitte setzen Sie sich zu uns. Ich habe ja hundert Fragen an Sie, aber das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Sie haben die Blumen, die Musik und die Gedichte geschickt?“

„Ja“, antwortete Harald vorsichtig. „Ich hoffe, ich habe damit Ihren häuslichen Frieden nicht zu sehr gestört.“

„Gestört? Wie kommen Sie denn darauf? - Und Sie haben auch unsere Eva Ende Oktober nach Hause gebracht, als sie so verzweifelt war?“

Harald nickte noch einmal.

„Dann sind wir Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Wie können wir das nur wieder gut machen?“

„Ich habe es gern getan. Ich …“

„Wie kommst du denn hier her?“, fragte plötzlich Michael, der Harald jetzt erst entdeckt hatte und zum Tisch kam. Dabei klopfte er ihm auf die Schulter.

„Woher kennt ihr euch denn?“, fragte Wolfram.

„Na von der Disko in Sonnenberg. Harald ist doch dort Saalaufsicht. Und vor einem Jahr hatten wir sogar mal einen gemeinsamen Gegner.“

Nun riss Wolfram die Augen noch einmal auf. „Was denn, Sie sind der Harald vom Saal in Sonnenberg? Der Harald, der Michael und Martin damals trennte?“

„Ja“, war Haralds ganze Antwort.

„Die Welt ist doch so klein“, stellte Wolfram jetzt fest und schüttelte den Kopf.

Michael nutzte diese Pause von Wolfram und fragte schnell: „Harald. Was machst du eigentlich hier?“

„Ich wollte mal sehen, wo ihr immer hinfahrt, wenn ihr nach Norwegen fliegt.“

„Und da bist du so einfach hinterher …? Nein!“ Michael sah ihn jetzt ungläubig an. „Du warst doch gar nicht in unserem Flugzeug.“

„Nein. Ich bin schon am ersten Weihnachtsfeiertag hierher geflogen und mache hier zwei Wochen Urlaub.“

„Ja aber …“ Da fiel Michael plötzlich auf, dass Eva ja die ganze Zeit Haralds Hand hielt. „Bist du wegen Eva hier?“, fragte er jetzt doch etwas misstrauisch.

Harald schmunzelte leicht und nickte.

„Nun verstehe ich überhaupt nichts mehr“, gestand Michael.

Eva strahlte ihn an und erklärte: „Das ist HE, Harald Enger.“

„Was denn? Du bist HE? Ich werd’ verrückt.“

„Besser nicht. Ich brauche doch deinen Beistand im Saal, wenn wir wieder zu Hause sind“, antwortete Harald vorsichtig lächelnd.

Nun mischte sich auch Maria in das Gespräch. „Michael. Lass ihn bitte mal in Ruhe.“ Dann wandte sie sich Harald zu. „Ich möchte Sie auch etwas fragen, Harald. Ich darf Sie doch so nennen?“

„Ja, natürlich.“

„Sie wissen sicher von André und was er mit Eva gemacht hat?“

„Ja, Frau Kosch.“

„Und Sie wissen auch, warum er sie verlassen hat?“

Harald nickte wortlos.

„Haben Sie Eva hier im Saal gefunden?“

„Ja und nein. Als ich mit ihr tanzen wollte, hat sie abgelehnt ohne mich anzusehen. Da habe ich sie nur noch von weitem beobachtet. Doch als sie dann das Hotel verlassen hatte …“

„Was denn, Eva. Du warst draußen?“

Eva nickte. „Ich war so richtig verzweifelt und bin zu eurer Brücke gegangen. Dort habe ich, wie du früher, mit ihr gesprochen und sie gefragt, ob sie mir helfen kann. Und sie hat mir geholfen! Das ist keine normale Brücke! Ich komme mir wie im Märchen vor.“

Marias Augen wurden immer größer, als sie den Bericht ihrer Tochter zuhörte. Fassungslos sah sie Harald an und ihr rutschte heraus: „Sie sind der Regenbogen!“

Nun sah auch Wolfram ganz konzentriert zu Harald. „Sie haben Eva auf der Brücke getroffen?“

„Ja.“

„Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch. Aber es ist mir ganz wichtig. In welchem Zustand haben Sie Eva getroffen?“

„Sie war sehr verzweifelt. Fast so, wie am 29. Oktober.“

Halb geistesabwesend sagte Wolfram vor sich hin: „Es wiederholt sich alles! Der Regenbogen, die Brücke, die Situation und …“ Er hielt inne. So weit wollte er noch nicht gehen. Zu Harald gewandt sagte er: „Ich habe Ihre Musik gehört und Ihre Gedichte gelesen. Beides passt gar nicht zu Ihrem Alter. Sie sind doch noch keine fünfundzwanzig.“

„Nein. Aber ich bin nur mit meiner Mutter großgeworden. Sie liebte diese Musik und durch sie habe ich auch viele Gedichte kennen gelernt. Leider ist sie vor drei Jahren gestorben. Ich höre heute noch ihre Musik und lese oft die Gedichte, die sie geliebt hatte. So erinnere ich mich an sie und stelle mir vor, dass sie noch da wäre.“ Harald standen Tränen in den Augen, als er von seiner Mutter sprach.

Um ihn abzulenken fragte Wolfram, was ihm schon die ganze Zeit auf dem Herzen brannte. „War das Denken ihrer Mutter in irgendeiner Form das, was man unter spirituell oder esoterisch versteht?“

„Ja. Wie kommen Sie darauf?“

Wolfram nickte leicht. „Das dachte ich mir und das erklärt natürlich vieles. Sie kennen die Göttliche Nummerologie?“

„Ja. Sie etwa auch?“

Wolfram lächelte. „Würde ich sonst danach fragen?“ Nun schüttelte er wieder den Kopf. „Darüber müssen wir uns mal in Ruhe unterhalten. Jetzt nicht. - Wo arbeiten Sie eigentlich?“

„Vati!“, kam es jetzt gemeinsam aus den drei Schwestern. Julia stand inzwischen auch mit bei ihren Eltern und vor allem bei Michael.

Harald antwortete: „Bei KOSCHs, wie fast alle. Sie doch auch. Oder nicht?“

„Doch! Wir auch“, antwortete Wolfram nickend. „Sie kannten André Thieme?“

„Ja. Er war mein Arbeitskollege und bis Ende Oktober auch mein Freund.“

„Jetzt ist es nicht mehr Ihr Freund?“

„Nein. Das mit Eva war zu gemein. Außerdem wohnt er nicht mehr in Sonnenberg.“

„Stimmt!“, bestätigte Wolfram.

Maria fing nun noch einmal an: „Wie stehen Sie zu Eva?“

Als Harald schon Luft holte, unterbrach ihn Eva und gab ihrer Mutter das Gedicht, was er ihr kurz vor Mitternacht auf der Brücke gegeben hatte. Maria las und ihre Augen wurden feucht. Sie sah Harald an und umarmte ihn wortlos. Danach fragte sie: „Das ist wirklich von Ihnen?“

Harald nickte. Maria gab Wolfram das Gedicht und Harald die Hand. „Bitte sagen Sie nie wieder Sie zu mir. Ich heiße Maria.“ Laura, Martin, Julia und Michael rissen die Augen auf. Jetzt hätten sie zu gern gewusst, was auf dem Papier stand, welches Wolfram in der Hand hielt. Er las es zweimal und gab anschließend Harald ebenfalls die Hand. „Ich heiße Wolfram. Mach Eva glücklich!“ Dann umarmte er ihn auch.

„Dürfen wir das auch mal lesen?“, fragte Laura, die inzwischen ganz neugierig geworden war.

Wolfram gab das Gedicht Eva zurück und sagte: „Es gehört Eva und nicht mir.“

„Eva, dürfen wir?“, fragte Laura ungeduldig ihre Schwester. Wortlos gab Eva ihr das Gedicht. Alle vier Neugierigen lasen zur gleichen Zeit. Danach meinte Laura zu Harald: „Du bist ja ein richtiger Dichter.“

„Mit Goethe kann ich es aber noch nicht aufnehmen“, antwortete er lächelnd.

So war durch Haralds plötzliches Auftauchen eine völlig neue Situation entstanden. Evas depressive Phase war wie ausgelöscht. Sie strahlte. Wolfram kümmerte sich jetzt um eine Runde Sekt für die ganze Familie. Sie stießen auf Evas neue Zukunft mit Harald an. Auch wenn sie ihn erst seit einer knappen Stunde kannten, so saß er doch schon seit zwei Monaten immer unsichtbar mit am Tisch. Nur wussten sie damals nicht, wer er war. Aber zur Familie gehörte er schon.

Harald war durch diese schnelle Eingliederung in die Familie verwirrt. Das hatte er nicht erwartet. Da klärte Eva ihn auf, wie er durch seine Blumen, seine CDs und die Gedichte schon viele Wochen zur Familie gehörte. Nur sein Gesicht kannten sie noch nicht. Eva erzählte davon, wie die ganze Familie mit gerätselt hatte, wenn wieder ein Gruß von ihm ankam. So war Harald schon lange kein Fremder mehr bei Koschs. „Weißt du, bei uns in der Familie gibt es nicht viel, was wir voreinander verschweigen. Sie kannten dich alle schon durch deine Blumengrüße.“

Die ganze Situation war Harald etwas fremd. Da er viele Jahre nur mit seiner Mutter eher zurückgezogen lebte, war ihm dieser Trubel doch ein bisschen unheimlich. Auf der anderen Seite war er so froh, dass seine Liebe zu Eva nicht einseitig war. Sie liebte ihn auch. Das spürte er ganz deutlich.

Nach 2.00 Uhr löste sich die Silvestergesellschaft langsam auf. Die Lautsprecher des DJs schwiegen. Und so gingen alle in ihr Quartier um zu schlafen. Nur Eva war überhaupt noch nicht müde. Trotzdem gingen sie mit all den anderen zurück zum Dorf. Als sie sich vorm Ferienhaus von der Gruppe um ihre Eltern trennen wollten, sagte Wolfram zu den Beiden. „Harald. Wir frühstücken heute etwa gegen 10.00 Uhr. Sei bitte pünktlich.“

„Wie meinen Sie das?“, fragte Harald unsicher.

Da sprang Eva ein. „Du bist zum Frühstück bei uns eingeladen, heißt das. Und … meine Eltern waren schon beim Du.“

„Hatte ich Sie gesagt?“

Wolfram und Maria nickten lächelnd. „Hab keine Angst. Wir beißen nicht“, fügte Wolfram lächelnd hinzu.

So verschwanden Koschs im Ferienhaus. Anschließend brachte die Gruppe Kai nach Hause und zuletzt kamen sie an der Bäckerei an. Hier verabschiedeten sie Knut, Arne, Michael, Manuela und Knuts Freundin, die heute mit bei Manuela schlief.

Nun waren Eva und Harald allein. „Mein Harald. Ich kann es immer noch nicht glauben. Dich gibt es wirklich. Weißt du, wie ich gehofft hatte, dir endlich zu begegnen.“

„Ich wusste nicht, wie ich dir sagen sollte, was du mir bedeutest. Auf dem Saal hatte ich Angst, dass du mich vielleicht falsch verstehst. Deshalb habe ich dort geschwiegen. Und auf der Brücke habe ich absichtlich Sie gesagt, weil ich ja nicht wusste, wie du reagieren würdest.“

Eva umschlang ihn noch kräftiger und war einfach nur glücklich. Doch dann fiel ihr plötzlich eine Frage ein, die sie schon länger beschäftigte. „Wer war eigentlich der Junge, der am Anfang die Blumen brachte?“

„Er wohnt bei uns mit im Haus. Als er so viele Fragen beantworten sollte, wollte er die Blumen nicht mehr zu euch bringen. Da habe ich mir was Neues einfallen lassen müssen.“

Eva schmiegte sich ganz fest an ihn. So hätte sie noch Stunden mit ihm durch Håp Land gehen können. Von der Kälte spürte sie nichts. Doch irgendwann standen sie wieder vor dem Ferienhaus, in dem Evas Familie schon schlief. Eva umarmte Harald noch einmal und küsste ihn innig. Ihr Märchen war Wahrheit geworden. Als sie sich trennten, hörte Eva noch wie aus weiter Ferne: „Ich bin pünktlich 10.00 Uhr da.“ Dann schwebte sie in das Ferienhaus und legte sich auch gleich schlafen. Julia schlief mit ihr im gleichen Zimmer. Sie hatte der Schlaf schon lange in seiner Gewalt. Im Bett umarmte Eva ihr Kopfkissen und schlief überglücklich ein.

Am Morgen so gegen 9.00 Uhr begann langsam das Leben bei Koschs im Ferienhaus wieder zu pulsieren. Eine halbe Stunde später trafen dann gemächlich die Familienmitglieder unten im Wohnzimmer ein. Eva war eine der Ersten, die voller Erwartungen ohne jegliche Müdigkeit in den Augen mit ihrer Mutter das Frühstück für die Familie fertig machte. Julia und Junior kamen als Letzte. Für sie war die Nacht entschieden zu kurz.

Beim Tischdecken stellte Eva ein zusätzliches Gedeck neben ihren Platz. Das sollte für Harald sein, den sie sehnlichst erwartete. Als ihr Bruder wegen des Gedecks fragte, klärte sein Vater ihn auf: „Wir werden heute Besuch zum Frühstück haben.“

Zwei Minuten zu früh klingelte Harald und seine Verlegenheit war nicht zu übersehen. Eva empfing ihn gleich mit einer Umarmung. Sie war seit Mitternacht sehr, sehr glücklich.

Nachdem er abgelegt hatte, führte sie ihn an den für ihn gedeckten Platz und setzte sich neben ihn. Junior sah seine Mutter fragend an und zuckte mit den Schultern. Er hatte in der vergangenen Nacht nicht all zu viel mitbekommen. Deshalb klärte ihn Maria auf. „Das ist Evas Freund Harald. Du weißt doch HE, Harald Enger. Von ihm waren die Blumen und die Musik.“

„Ach, du warst das?“

Harald nickte etwas schüchtern.

„Aber wie kommst du denn hier her nach Håp Land?“

„Mit dem Flugzeug. Genau wie wir“, antwortete Julia etwas genervt. Sie war noch hundemüde.

Junior entgegnete ihr beleidigt: „Entschuldige nur, dass ich mir erlaubt habe zu fragen.“

„Hört auf!“, sagte Maria ermahnend. „Harald ist unser Gast und Schluss.“

Wolfram meinte lachend zu Harald: „Wenn sie ausgeschlafen haben, können sie richtig lieb sein. Aber direkt nach Silvester? … Wer hat da schon ausgeschlafen?“

„Das verstehe ich“, gab Harald verständnisvoll zurück.

„So, nun esst erst einmal“, eröffnete Maria das Frühstück. Der Appetit war bei allen nicht groß. So waren sie auch recht schnell fertig. Junior ging rüber zu Uwe und legte sich dort noch einmal hin. Da Uwe genau so müde war, schliefen sie beide noch einige Zeit.

Im Ferienhaus hingegen waren alle auf Harald gespannt. Viel wussten sie noch nicht von ihm. So fragte Wolfram: „Das ist jetzt vielleicht eine sehr persönliche Frage und du musst sie auch nicht beantworten, wenn du nicht möchtest. Wieso lebtest du mit deiner Mutter allein? Ich meine, du musst doch auch einen Vater haben.“

Harald nickte leicht und sagte: „Ja, aber ich kenne ihn nur von Geldüberweisungen und Klagen wegen fehlendem Unterhalt. Meine Mutter hat nicht gern über ihn gesprochen. Sie hat mir seinen Namen gesagt und auch seine Adresse gegeben, aber ich wollte ihn nie kennen lernen; auch heute noch nicht. Er hat nie für mich Interesse gehabt. Als meine Mutter starb, habe ich ihm geschrieben und nicht mal eine Antwort von ihm bekommen. Nein, mit diesem Mann bin ich fertig.“

Wolfram nickte verständnisvoll. „Dann war dein Start ins Leben auch nicht gerade leicht.“

„Nein.“ Harald schüttelte mit dem Kopf.

„Wie doch die Schicksale sich immer wieder gleichen.“

„Wie meinen Sie das?“

„Harald, wir waren beim Du! Und das mit dem gleichen Schicksal lässt du dir am besten mal von Eva erzählen. Das würde heute den Rahmen sprengen. Auf jeden Fall verstehen wir dich besser, als du dir vielleicht vorstellst.“

Nun begann Maria: „Harald, wie bist du eigentlich auf unsere Eva … ich meine, irgendwann musst du sie doch mal getroffen haben.“

„Ich weiß, was Sie … oh Verzeihung, was du meinst. Mir gefällt sie schon seit einem Jahr. Aber sie kam so selten zur Disko und ich bin doch dort Ordnungsdienst. Und dann war André schneller.“ Harald zuckte mit den Schultern und Eva lehnte sich an ihn.

Da meinte Maria: „Auf mich machst du einen ehrlicheren Eindruck als André. Deine Botschaften per CD und Gedicht sprechen von sehr viel Mitgefühl. Wir waren alle unheimlich auf dich gespannt. Warum hast du eigentlich solange gewartet?“

Harald wurde etwas verlegen.

Jetzt griff Wolfram ein. „Quäl ihn doch nicht so sehr. Er wird schon seine Gründe gehabt haben.“

Nun nickte Harald. „Ich wusste doch nicht, wie Eva von mir denkt und außerdem war da doch noch André, den Eva sicher noch gern hatte. Ich wollte Eva zeigen, dass sie mit ihrem Kummer nicht allein dasteht. Aber ich konnte doch nicht einfach zu ihr gehen und sagen, dass ich sie gern habe. Irgendetwas musste ich aber tun, wenn ich nicht warten wollte, bis ein neuer André kommt.“

„Deine Blumen, die CDs und die Gedichte waren so schön. Ich hätte auch noch länger auf dich gewartet“, schwärmte Eva.

„Das klang aber noch vor drei Tagen ganz anders“, warf Julia lachend ein.

„Julia!“, ermahnte sie ihre Mutter. Dann nickte sie Harald freundlich zu und meinte: „Du bist ein sehr gefühlvoller Mensch. Das ist heutzutage selten geworden. Sei uns willkommen.“

„Mein Schwiegervater hätte jetzt ganz sicher an meiner Stelle gefragt, wann ihr heiratet.“ Dabei schmunzelte Wolfram leicht. „Keine Angst, das frage ich bestimmt nicht. Aber eines würde mich schon interessieren. Du weißt, dass Eva schwanger ist?“

„Ja.“ Dabei blickte Harald etwas ängstlich um sich.

„Harald. Bei uns gibt es keine Geheimnisse. Wir wissen das alle; Martin mit eingeschlossen. Und wir freuen uns auf den Familiennachwuchs. Aber wie stehst du dazu?“, erklärte Wolfram.

„Ich? Na ja. Muss denn das Kind wissen, dass ich nicht der Vater bin?“, fragte Harald vorsichtig.

„Das ist sehr anständig von dir.“

Und Maria fügte mit Tränen in den Augen dazu: „Das ehrt dich. Du bist ein wundervoller Mann. Es gibt nicht viele Männer, die so denken.“

„Was haben Sie?“, fragte Harald besorgt, als er ihre Tränen sah.

„Meine Mutti weint, weil sie mich sehr gut versteht“, erklärte ihm Eva und umarmte ihn. Sie konnte es immer noch nicht begreifen. Harald war genau so, wie sie sich von Anfang an einen Mann gewünscht hatte.

Mit einem Lächeln wies Maria Harald darauf hin: „Du kannst aber trotzdem weiter du sagen.“

„Oh, Verzeihung. Es ist so ungewohnt. Ich habe noch nie eine Familie wie euch kennen gelernt.“

Nun sagte auch Martin etwas dazu. „Glaube mir, du wirst dich hier wohl fühlen. Ich weiß, wovon ich rede. Und du wirst auch immer wissen, woran du bist. Stell dir bloß mal vor, das würden die Koschs aus der Hugglburg sein. Da könntest du jetzt gleich wieder abtraben und ich auch.“

Laura und Julia zuckten leicht zusammen. Maria und Wolfram lächelten etwas. Nur an Eva ging diese Bemerkung wirkungslos vorbei. Sie war einfach nur glücklich.

Da meinte ihr Vati lachend: „Ich glaube, es wäre jetzt besser, wenn du Harald mal mehr von deiner schönen Heimat zeigst. Sonst wird das hier noch zum Verhör.“

„Das machen wir. Kommst du mit?“, fragte sie Harald. Dieser nickte erleichtert und stand schnell mit ihr auf. Sie zogen sich an und verließen das Ferienhaus.

„Auf Harald wäre ich nie gekommen“, meinte Laura jetzt. „Der wäre mir auch viel zu ruhig. Aber für Eva ist es vielleicht genau der Richtige. Ich freue mich so, dass sie endlich wieder lachen kann.“

„Und was sagt unsere jüngste Schöffin im Gericht?“, fragte Wolfram und sah dabei Julia von der Seite an.

„Ich finde ihn toll. Er ist ganz anders als André. Und auch gar nicht so, wie die andern Jungs.“

Ihre Mutti nickte. Sie glaubte an Harald und vertraute ihm. Seine vorsichtige Art gefiel ihr. Aber wird er trotzdem auch seinen Mann stehen können? Da fiel ihr ein, dass er ja Ordnungsdienst bei der Disko war. Wer das machte, der konnte sich auch durchsetzen. Maria freute sich mit ihrer großen Tochter und hoffte, dass die beiden zusammen finden würden. Dann fragte sie die restlichen Jugendlichen am Tisch: „Und was macht ihr heute?“

„Wir werden auch spazieren gehen“, meinte Laura.

„Und ich werde mich noch mal hinlegen. Ich bin todmüde“, erklärte Julia.

Zehn Minuten später saßen Wolfram und Maria allein im Zimmer. „Was meinst du zu Harald?“, fragte er seine Frau. „Ich glaube, dass Eva mit ihm sehr glücklich werden kann. Er ist genau das, was sie immer gesucht hat und er ist dir in so vielen Dingen ähnlich. Das hat sich Eva immer von ihrem Partner gewünscht. Doch er ist auch leider etwas zu schüchtern.“

„Kann sein, aber das liegt sicher daran, dass er nur von seiner Mutter erzogen wurde. Dadurch hat er auch wahrscheinlich das viele Mitgefühl bekommen. Ich glaube, die beiden werden sich recht gut verstehen.“

„Ich wünsche es Eva von ganzem Herzen.“

Wolfram nickte mehrmals leicht.

Am Nachmittag war die Jugend wieder ausgeschlafen. Sie trafen sich wie gewohnt und gingen wie so oft in die Natur. Doch an diesem Tag mussten sie ein neues Mitglied in ihre Gemeinschaft aufnehmen. Harald! Er war damit auch gleich der Älteste. Da er aber recht zurückhaltend war, gab es keine Probleme damit, dass er nun dazu gehörte. Am meisten war Michael begeistert. Er hatte immer etwas bedauert, dass er Harald so selten sah. Deshalb erzählte er auch gleich den anderen, wie er Harald kennen gelernt hatte. Außer Martin waren alle begeistert, wie fair doch Harald auch gegenüber Fremden war.

Jetzt meinte Knut: „Na, Martin. Da hast du ja einiges dazu gelernt.“ Betroffen sah Martin nach unten, doch Knut klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Alles verjahrt! Das so richtig in Deutsch?“

„Du meinst verjährt?“, fragte Laura Knut. „Ja, verjährt. Deutsch nicht leicht.“ Knut lachte und stieß Martin mit dem Ellenbogen in die Seite.

„Du trotzdem in Ordnung. Freund von Laura auch Freund von uns.“ Er machte eine Pause und sagte dann weiter: „Und Eva Freund auch Freund von uns. Das selbstverständlich!“ Dabei sah er Harald freundlich an.

„Wo ist eigentlich deine Freundin?“ fragte nun Laura Knut. „Sie heute früh mit Bus nach Bergen gefahren. Schade, aber Eltern sehr streng. Nicht so wie bei euch.“

Laura lächelte. „Ich weiß. Bei euch könnte man auch nicht einfach FKK baden gehen.“ Knut und Arne nickten.

Da stutzte Harald und fragte erstaunt: „Ihr ward alle schon zusammen am FKK-Strand in Sonnenberg?“

„Ja. Ist das etwas Schlimmes?“, fragte Laura und Eva hielt die Luft an.

„Nein. Ich denke nicht. Nur ungewöhnlich.“

„Mir ging es anfangs genau so, Harald. Aber das gibt sich ganz schnell. Das wirst du im Sommer sehen“, erklärte Martin.

„Ich glaube nicht, dass wir da am Strand sein werden“, wehrte Harald ab.

„Und warum nicht?“, fragte Laura unverständlich.

„Nun, wir sind dann doch zu dritt“, warf Harald vorsichtig ein. Eva hielt sich raus.

Dafür sagte Laura. „Bis Juli ist Eva längst wieder fit.“

Da fragte Knut ernst: „Wie ist gemeint, zu dritt?“

„Ich bin schwanger“, erklärte Eva ohne Umschweife.

„Oh, dann ich gratuliere“, erwiderte Knut.

„Ich auch!“, fügte Arne hinzu.

Eva sah Harald an und dieser nickte mit einem Lächeln. Jetzt wusste sie, das gestern an der Brücke war ernst gemeint. Er nahm ihr Kind wirklich als das Seine an. Überglücklich umarmte sie ihn spontan.

„Das ist Liebe!“, sagte Michael und zuckte mit den Schultern. Knut und Arne schmunzelten.

„Jetzt habt ihr aber Glück gehabt, dass ihr nichts gegen Eva gesagt habt. Sonst hättet ihr mich aber kennen gelernt“, schimpfte Julia.

Die beiden Brüder sahen Julia an und Arne sagte lachend: „Oh ja, wir vor Angst zittern.“

Etwas ernst fügte Knut hinzu: „Eva ist wie Schwester von uns. Wehe dem, der böse ist zu ihr. Ich sie beschützen.“

„Ich auch!“, ergänzte Arne.

„Danke!“, hauchte Eva. Laura sah Martin und Harald an. „Das ist Norwegen. Willkommen im Norden von Europa.“ Knut und Arne reichten sich die Hände mit Harald und Martin. Außer der Sprache trennte sie nichts mehr.

Einen Tag später gingen Harald und Eva mit Martin und Laura am Nachmittag tief in den Wald. Knut hatte ihnen eine Stelle beschrieben, an der man in der Dämmerung bestimmt Elche treffen könne, wenn man leise wäre.

So wanderten sie durch den Wald, um auf dem Rückweg an dieser Stelle zu warten. Es dauerte auch gar nicht lange, da kam eine einzelne Elchkuh. Sie kam langsam auf die Vier zu, blieb in gewissem Abstand stehen und beobachtete die vier. Die Freunde wagten kaum zu atmen. So nah waren selbst Eva und Laura noch keinem Elch gekommen. Nach einer Weile trabte die Elchkuh wieder weiter. Die vier Freunde sahen sich an und waren begeistert. Aber sie waren auch zugleich froh, dass sie dieses Abenteuer so problemlos überstanden hatten. Nun konnte Martin seinen Eltern berichten, dass er tatsächlich einen Elch gesehen hatte.

Auf dem Rückweg gestand Laura: „So ganz geheuer war mir das nicht. Zum Glück war die Elchkuh friedlich.“

„Oma sagt immer, wenn man sich ruhig verhält, dann tun uns die Elche nichts“, sagte Eva.

Da meinte Martin: „Hoffentlich wissen das die Elche auch. Mein Bedarf an Elchbesichtigung ist erst einmal gedeckt.“ Zufrieden gingen sie jetzt wieder zurück ins Dorf. Zum Glück kannten sich Eva und Laura im Wald bestens aus, denn die Dunkelheit nahm ständig zu. Als sie im Dorf ankamen, war es schon völlig dunkel.

„Darf ich euch zu mir einladen?“, fragte Harald.

„Klar“, antwortete Martin für alle. So gingen sie zuerst auf Haralds Zimmer im Schlafenden Elch. Selbst Eva und Laura kannten diese Zimmer noch nicht. Alles war sehr klein gehalten, aber hochmodern. Da es zu eng für alle vier war, gingen sie runter in die alte Gaststube und setzten sich dort an einen Tisch. Harald gab einen aus. Er wollte so wenigstens in dieser kleinen Runde seinen Einstand geben. „Meinst du nicht, dass es auffällt, wenn du keinen Alkohol trinkst?“, fragte Harald Eva flüsternd.

Sie schüttelte den Kopf und meint: „Hier wissen alle, dass mein Vati nie Alkohol trinkt. Deshalb werden sie das sicher auch bei mir als normal empfinden. Spätestens im Sommer werden sie dann wissen, dass es einen anderen Grund hatte“, fügte sie lächelnd hinzu.

„Du willst wirklich schon im Sommer die Reise bis hierher mit dem Kind machen?“, fragte er erstaunt.

Eva nickte. „Wir sind jedes Jahr im Sommer für zwei Wochen hier. Du kommst doch sicher mit, oder willst du nicht? Im Sommer ist es hier noch viel schöner.“

„Ich habe nicht viel Urlaub“, gestand Harald.

„Na zwei Wochen wirst du doch wohl haben.“

„Zwei sind jetzt schon für diesen Urlaub drauf gegangen und ich bekomme nur drei Wochen und drei Tage. Da ist dann mein ganzer Urlaub weg. Aber ich komme gern mit, wenn ich kann. - Fährst du auch im Sommer mit, Martin?“

„Ich denke schon. Dann sind ja Semesterferien. Bei mir hängt es eher am Geld.“

„Bis dahin werden wir schon noch eine Lösung finden“, meinte Laura lachend. Sie wusste, dass ihr Vati immer eine Lösung hat; auch für diesen Fall.

Die nächsten beiden Tage verbrachten Harald, Martin und die beiden Schwestern zusammen, wenn die Jugendgruppe im Dorf anderes vorhatte. Ab und zu kamen auch Michael und Julia mit zu den täglichen Ausflügen in den endlosen norwegischen Wald.

Abends trafen sie sich dann im Freizeitbad am Hotel. Seit Harald mit Baden ging, fand auch Eva wieder Gefallen an dem Rumtollen im Wasser und auf der Riesenrutsche.

Einmal nahm Eva ihren Harald mit in den botanischen Teil des Bades. Hier genossen sie die Ruhe im Kreis der Blumen und Gemüsepflanzen. Als sie so eine Weile auf der Bank saßen sagte Eva: „Harald. Ich bin so froh, dass es dich gibt. Wieso bist du mir nie auf dem Saal aufgefallen? Wahrscheinlich, weil du doch nur für Ordnung gesorgt hast.“

„Dafür bist du mir umso mehr aufgefallen. Ich wusste nur nicht, wie ich dich ansprechen sollte. Und als ich mich mal durchgerungen hatte, war Laura allein zur Disko gekommen.“ Harald holte tief Luft und sah Eva unentschlossen an. Da umarmte und küsste sie ihn.

„Ach Harald, ich könnte tagelang mit dir so hier sitzen.“

„Auch, wenn sie das Licht abschalten und es dunkel ist?“

Eva strahlte ihn mit großen Augen an und nickte heftig. Da nahm auch er sie in seinen Arm und hielt sie ganz fest.

Trotz seiner 23 Jahre hatte Harald noch nicht viele Mädchen näher gekannt. Er hielt sich eher zurück, denn das Draufgängertum war nicht seine Art. So war Eva genau genommen seine erste wahrhafte Liebe. Bei ihr wollte er jetzt nichts falsch machen und genau das hemmte ihn. Eva spürte das. Deshalb fragte sie ihn: „Warst du schon oft verliebt?“

Harald schüttelte den Kopf. „So richtig erst einmal“, gestand er.

„Ich auch“, antwortete sie. „Und war das Mädchen hübsch?“, fragte Eva weiter.

Er nickte.

„Warum habt ihr euch dann getrennt?“

„Das haben wir nicht.“

Entsetzt rückte Eva von ihm ab.

Erschrocken sagte Harald: „Aber Eva. Das einzige Mädchen, was ich wirklich geliebt habe, sitzt hier neben mir.“

Ungläubig schaute sie ihn an. „Ich?“

Er strahlte sie an und nickte. Da war für Eva die Welt wieder in Ordnung. Wie konnte sie nur an ihm zweifeln? „Bitte verzeih mir, weil ich für einen Augenblick glaubte, da gäbe es noch ein anderes Mädchen.“

Er nahm sie wieder in den Arm und sagte: „Wozu brauche ich noch ein anderes Mädchen, wenn du bei mir bist. Man kann doch immer nur ein Mädchen lieben.“

„Manche Jungs können schon mehrere zur gleichen Zeit lieben“, antwortete Eva nun besserwissend.

Da schüttelte Harald den Kopf. „Nein, Eva. Die lieben überhaupt nicht. Diese Jungs wissen oft gar nicht, was Liebe wirklich ist. Sie haben die Liebe nie kennen gelernt.“

Eva seufzte. „Da könntest du recht haben. - Und du hast nie vor mir ein Mädchen geliebt?“

Harald lächelte und sah sie ganz lieb an. „Doch schon. Im Urlaub mit meiner Mutter, als ich dreizehn war. Da traf ich dort ein Mädchen. Sie war erst zwölf. Das war meine erste große Liebe. Doch nach dem Urlaub haben wir uns nie wieder gesehen. Zwei Jahre später lernte ich auf dem Gymnasium ein Mädchen kennen. Auch in sie war ich verliebt. Ich war inzwischen fünfzehn und sie war dreizehn. Wir sind ein Jahr zusammen gegangen und dann war plötzlich Schluss. Ich weiß bis heute nicht so richtig warum. Das tat damals schon weh. Na ja, das Leben ging weiter. Da war erst mal das Abitur wichtiger und dann der Beruf. Zwischendurch starb meine Mutter und ich war ganz allein.“

Harald holte tief Luft, hob die Schultern und sah Eva unschuldig an. Sie sagte verträumt: „Dann bist du ja fast ein Heiliger. Oh Harald, ich liebe dich. Mir ist so, als würden wir uns schon ewig kennen.“

Da wurde er plötzlich ernst und meinte: „Vielleicht ist es so. Hast du schon einmal etwas von Reinkarnation gehört?“

Eva schüttelte den Kopf und er erklärte ihr: „In Asien glauben die Menschen, dass man immer wieder geboren wird und der Tod nur eine Inkarnation beendet, bevor man eine neue beginnen kann. Vielleicht kennen wir uns aus einem vergangenen Leben. Mir kommt es auch so vor, als kennen wir uns schon sehr lange.“

„Und du glaubst, dass es so etwas gibt?“, fragte Eva unsicher.

„Ja. Meine Mutter hat sich viel mit solchen Dingen befasst. Sie hat mir alles darüber erzählt. Alle Völker glauben an Reinkarnation. Nur die Juden, Christen und Muslime nicht. Alle anderen glauben daran. Glaubst du, dass sich so viele Menschen irren können?“

Eva zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Vielleicht unterhältst du dich mal mit meinem Vati darüber. Der weiß über solche Sachen sicher mehr als ich.“ Harald nickte. Als ihn Evas Vater nach der Göttlichen Nummerologie fragte, hatte Harald auch das Gefühl, dass er mehr über Esoterik wusste.

Da fing Eva erneut an: „Was machen wir, wenn wir wieder in Sonnenberg sind? Da musst du arbeiten und bei mir gehts aufs Abi zu. Wann sehen wir uns dann?“

„Ich habe nach der Arbeit immer viel Zeit und sonnabends können wir uns doch auch auf dem Saal treffen.“

Sie nickte. „Arbeitest du am Montag wieder?“

„Ja, natürlich. Ich muss doch. Warum fragst du?“

„Darf ich dich am Werkstor abholen?“

„Ja willst du das wirklich?“

Eva nickte heftig. Da schlang er seine Arme um ihre Schultern und küsste sie. Als er locker ließ, sah Eva, dass aus seinen Augen Tränen liefen. Erschrocken fragte sie: „Was ist mit dir?“

Und Harald antwortete: „Mich hat noch nie jemand nach der Arbeit abgeholt; außer meiner Mutter. Und du willst mich wirklich abholen?“

„Ja.“ Und Eva schmiegte sich noch fester an ihn. Er war so gefühlvoll, so völlig anders als André. Sie fühlte, dass sie nur mit Harald wirklich glücklich werden konnte.

Plötzlich standen Julia und Michael vor ihnen und Julia fragte: „Ihr kommt wohl nicht wieder rüber zu uns?“

Eva sah Harald an und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Warum eigentlich nicht? Willst du auch, Harald?“

„Klar.“ Sie standen auf und folgten Michael und Julia zu den anderen.

Am 5. Januar feierten sie wie jedes Jahr den Geburtstag von Marias und Andreas Mutter. Doch dieser 67. Geburtstag stand in einem völlig neuen Licht. Es war das erste Mal, dass auf ihrer Geburtstagsfeier nur deutsch gesprochen wurde, da ja Martin und auch Harald kein Norwegisch verstanden. Annefried freute sich sogar darüber. War es doch die Sprache ihres Vaters, den sie nie kennen gelernt hatte. Durch Maria und ihre Kinder verband sie immer mehr mit diesem Land, von dem auch ihre Mutter damals nur aus den Erzählungen von Hermann Berger wusste. Das, was ihrer Mutter damals nicht vergönnt war, lebte dafür jetzt ihre Tochter Maria. Annefried gönnte ihrer Tochter dieses große Glück in Deutschland von ganzem Herzen. Wehmütig dachte sie daran, was wohl aus ihrem Leben geworden wäre, wenn sie damals nach dem Krieg nach Deutschland zu ihrem Vater gezogen wären.

Weil die Gratulanten inzwischen auf elf Personen angewachsen waren, feierten sie ab Mittag im Sovende Elg. Der Wirt hatte seit vier Jahren für Familienfeiern einen Extraraum. Im Wohnzimmer von Sven und Andrea hatten einfach nicht so viele Personen Platz. Für Harald hingegen war das sehr praktisch. Wohnte er doch im gleichen Haus.

„Ich begrüße euch alle an meinem Geburtstag“, begann Annefried. „Dass meine Familie einmal so zahlreich wird, hätte ich mir vor zwanzig Jahren nicht vorstellen können. Leider hat mein lieber Mann das nicht mehr erleben können. Trotzdem weilt sein Andenken an diesem Tag immer unter uns.“

Wolfram Junior stöhnte schon in sich hinein. Erwartete er jetzt den Rückblick auf die vergangenen zwanzig Jahre. Er kannte dies schon fast auswendig, so oft hatte er dies gehört. Uwe, sein Cousin, ging es ebenso. Doch beide hatten sich diesmal geirrt. Ihre Großmutter verzichtete auf den Rückblick. „Ich begrüße heute Harald und Martin mit an meiner Geburtstagstafel. Sie zeigen, dass das Leben weiter geht. Und so Gott will, wird nächstes Jahr auch mein erster Urenkel mitfeiern.“ Dabei sah sie Harald und Eva mit warmherzigem Blick an. „Es ist der größte Segen für eine Großmutter, wenn sie miterleben kann, dass ihre Kinder und Enkel glücklich sind.“ Da wurden ihre Augen feucht. „Ich freue mich jedes Jahr, dass ihr es immer möglich macht und alle meinen Geburtstag mitfeiert.“ Mit Tränen in den Augen schloss sie ihre kurze Rede ab.

Nun standen alle außer Annefried auf und erhoben ihr Glas auf ihre Gesundheit. Dann setzten sie sich wieder und der Wirt servierte das Mittagessen. Harald fragte Eva leise: „Deine Verwandten wissen wohl alle von dem Kind?“

Eva nickte. „Aber deine Oma glaubt sicher, dass ich …“

Eva unterbrach ihn und schüttelte den Kopf. „Sie weiß es. Ich habe es ihr kurz vor Silvester erzählt.“

Martin, der das Gespräch teilweise mitbekommen hatte, erklärte Harald: „Daran wirst du dich gewöhnen müssen. In dieser Familie ist manches anders, als man es normal gewöhnt ist. Ich hatte da am Anfang auch ein paar Probleme. Aber jetzt finde ich es großartig. Geheimnisse gibt es kaum und alle halten zusammen, wenn es mal ein Problem gibt. Ich hatte mal mit Laura ein Problem. Da standen gleich Eva und Michael vor meiner Tür. Auch Lauras Eltern wurden sofort aktiv. Aber nicht, dass sie mir den Kopf gewaschen hätten. Nein! Sie halfen uns, dass wir wieder zusammenfanden. Kein Vorwurf, kein böses Wort; … einfach eine tolle Familie.“

Nach dem Essen gingen sie alle in Andreas Haus, in dem ja seit Kjelds Tod auch Annefried wohnte. Dort verteilten sie sich im Wohnzimmer.

Auf einmal setzte sich Andrea neben Harald und legte ihren Arm um seine Schulter. „Na, Harald. Wie gefällt es dir bei uns in Norwegen? Meine Schwester hat mir gesagt, du bist das erste Mal in unserem Land.“

Harald war zuerst erschrocken über Andreas Geste, aber da Eva dazu lächelte, beruhigte er sich schnell wieder und nickte etwas schüchtern. „Ja. Ich bin zum ersten Mal in Norwegen und ich finde es hier wunderschön.“

„Und hier hast du auch dein Glück gefunden, wenn ich das so sagen darf“, sprach Andrea weiter. „Weißt du, dass es Evas Vati vor fast zwölf Jahren genau so ging?“ Eva riss die Augen auf und schüttelte vorsichtig mit dem Kopf, aber ihre Tante reagierte nicht. „Als sich Evas Eltern kennen lernten, war Eva sechs Jahre alt. Evas Vati kam damals auch das erste Mal nach Norwegen und traf unten am Fjord an der Brücke das erste Mal auf Evas Mutti. Er verliebte sich spontan in sie, obwohl sie schon drei Kinder hatte. Das haben damals viele hier im Dorf nicht verstanden. Du bist Evas Vati sehr ähnlich. Auch du hast dich für eine Frau mit Kind entschieden. Ihr beide seid wunderbare Männer.“

Harald war von dieser Offenheit beeindruckt. Da fiel ihm Martins Hinweis ein, dass in dieser Familie manches anderes ist. Und so ergänzte Harald: „Ich habe Eva im Grunde genommen auch auf einer Brücke richtig kennen gelernt. Es war auf der kleinen Brücke unterhalb vom Hotel.“

Jetzt erstarrte Andrea, sah Harald mit großen Augen an und stammelte: „Die gleiche Brücke! So viel Zufall gibt es doch nicht.“

„Ist das wirklich die gleiche Brücke, Eva?“

Die Angesprochene nickte und dann plötzlich fiel ihr der kreisrunde Regenbogen ein, den sie vom Flugzeug aus gesehen hatte. Da lief es ihr eiskalt den Rücken runter. Was passiert hier?, fragte sie sich erstaunt und schüttelte mit dem Kopf. „Harald.“

„Ja, Eva.“

„Harald. Wir müssen unbedingt mit meinen Eltern darüber reden, aber nicht heute. Dafür brauchen wir sicher viel Zeit. - Tante Andrea. Du glaubst, dass Harald und Vati viel gemeinsam haben.“ Die Schwester von Evas Mutti nickte. Da liefen Tränen aus Evas Augen.

Andrea bemerkte das sofort und fragte besorgt: „Eva. Was ist mit dir?“

Überglücklich antwortete sie: „Ich habe mir immer so sehr einen Mann wie Vati gewünscht und nun ist er da.“ Eva umarmte ihn und Harald wusste noch nicht so richtig, worum es ging. Also ließ er es einfach geschehen.

Da forderte Sven zum Aufbruch in die Dorfschenke auf. Kaffeetrinken und Abendbrot gab es wieder im Sovende Elg. Der Wirt hatte inzwischen den Tisch schon wieder neu gedeckt, so dass alles reibungslos vonstatten gehen konnte.

Nach dem abendlichen Essen fragte Harald seine Eva, ob sie mit auf sein Zimmer kommen würde. Eva nickte und sie gingen nach oben. Dort fragte sie: „Warum hat mich deine Tante … sie ist doch deine Tante?“

„Tante Andrea? Ja.“

„Warum hat sie mich mit deinem Vati verglichen?“

„Weil mein Vati der beste Mann ist, den es gibt“, schwärmte Eva. „Und du bist fast genau so. Tante Andrea hat ja so recht. Du bist ein Traummann.“ Sie umarmte und küsste ihn.

Harald war noch immer von dieser Aussage etwas verwirrt. „Nur leider hat mir das in der Vergangenheit bei Frauen nicht viel genützt“, meinte er etwas enttäuscht und hob die Schultern.

„Das braucht es jetzt nicht mehr. Für mich bist du ein wundervoller Mensch. Ich liebe dich so sehr. Bitte verlass mich nie!“

Da streichelte Harald seine Eva und sagte liebevoll: „Ganz bestimmt nicht. Ich bin so froh, dass wir endlich zusammen sind. Ich will keine andere Frau mehr außer dir.“

Wieder umarmte sie ihn und Freudentränen verließen Evas Augen. Sie war so unsagbar glücklich. „Willst du, dass ich heute bei dir bleibe?“, fragte Eva vorsichtig.

Harald nahm Eva wieder in den Arm, sah sie eine Weile stumm an und antwortete dann: „Bitte verstehe mich nicht falsch, wenn ich das jetzt nicht möchte. Glaube mir, ich habe dich wirklich sehr gern. Deshalb denke ich, es ist vielleicht besser so. Ich befürchte, dass etwas kaputt gehen könnte. Eine Beziehung ist wie eine Pflanze. Ist sie noch sehr jung, dann ist sie auch sehr empfindlich. Wir kennen uns zwar schon mindestens ein Jahr, aber stimmt denn das auch wirklich? Im Grunde genommen kennen wir uns doch erst seit einer Woche. Wollen wir das junge Pflänzchen nicht noch etwas gedeihen lassen?“

Eva sah ihn jetzt mit großen Augen an. Sie war überrascht von dieser Meinung. Alles, was sie über Männer wusste, schien bei ihm anders zu sein. Harald fühlte, dass sie ihn nicht verstand. Deshalb fügte er hinzu: „Ich habe dich wirklich sehr, sehr lieb und dich jetzt in meinem Arm zu haben, finde ich im Moment schöner.“

Als sie wieder runter zu der Geburtstagsgesellschaft kamen, war diese so langsam in Aufbruchsstimmung. Es dauerte gar nicht lange und sie beendeten die Geburtstagsfeier. Harald verabschiedete sich von allen und stieg wieder nach oben in sein Zimmer. Die anderen gingen zurück zum Haus und beendeten ebenfalls den Tag.

Am nächsten Vormittag passte Maria eine Gelegenheit ab, in der sie mit Eva allein war. Ohne Vorrede fragte sie ihre Tochter: „Du warst gestern mit bei Harald auf seinem Zimmer?“

Eva nickt und sagte: „Aber es war ganz anders, als du denkst.“

Maria lächelte leicht und sagte verständnisvoll: „Du bist achtzehn Jahre alt. Da ist es völlig unwichtig, was ich denke. Aber ich finde es für eine Beziehung nicht gut, wenn man so schnell alles ausschöpft, was eine Partnerschaft bietet.“

„Genau das ist es ja“, entgegnete Eva. „Da war gar nichts.“

Maria zog die Augenbrauen zusammen. „Das verstehe ich nicht? Ihr ward doch zusammen.“

„Ich habe ihn sogar gefragt, ob er möchte, dass ich bis heute bei ihm bleibe“, antwortete Eva schuldbewusst und sah nach unten.

„Und warum bist du nicht geblieben? Dir hätte doch daraus niemand einen Vorwurf gemacht.“

„Harald meinte, dass unsere Liebe wie ein empfindliches Pflänzchen wäre und er befürchtete, dass es Schaden nehmen könne. Er meinte, es solle erst einmal wachsen.“

„Das hat er so wirklich gesagt?“, fragte Maria überrascht. Ihre Tochter nickte. Da nahm Maria ihre Eva fest in den Arm, schüttelte den Kopf und Tränen standen ihr in den Augen.

„Was hast du, Mutti?“

„Das … das gibt es einfach nicht. Alles wiederholt sich.“

„Wie meinst du das?“, fragte Eva.

Da sah Maria ihrer Tochter in die Augen und berichtete: „Ich habe Vati damals, als wir uns kennen lernten, genau das Gleiche gefragt und er hat fast so wie dein Harald reagiert. Damals habe ich das genau so wenig verstanden wie du heute, aber inzwischen bin ich froh, dass Vati damals so war. Es ist ein Zeichen von ehrlicher Liebe. Ich glaube, dass Harald dich mehr liebt, als du dir vorstellst.“

„Mutti! Glaubst du das wirklich?“, fragte Eva aufgeregt.

Ihre Mutti nickte. „Er ist Vati wahrscheinlich ähnlicher, als wir glauben. Eva! Du wolltest einen Mann wie Vati haben. Ich glaube, dein Wunsch hat sich erfüllt.“ Und wieder umarmte sie ihre Tochter.

„Ich hatte große Angst um dich. Du bist so sensibel. Ganz anders als Laura. Aber jetzt sagt mir mein Gefühl, dass du mit Harald sehr glücklich werden kannst.“

„Ja, Mutti. Ich könnte ihn heute noch heiraten.“

Da streichelte Maria über das Haar ihrer Tochter. „Gehe es langsam an. Umso stabiler wird eure Beziehung. Überlass einfach Harald das Tempo. Ich glaube, dass er genau weiß, was er will. Er ist nicht der Mann, der mit einem Mädchen nur spielt. Ich glaube, er meint es ernst.“ Eva nickte sinnend und ihre Mutter sagte jetzt: „So, nun wollen wir uns wieder um die anderen kümmern, sonst glauben sie noch, wir hätten Geheimnisse.“

Nach dem Mittagessen holte Eva ihren Harald im Gasthof ab und sie machten wieder eine große Runde durch den Wald. Harald erzählte vom Leben mit seiner Mutter und Eva klärte ihn über ihre Vergangenheit auf. So erfuhr Harald nun konkreter von dem Leben im Dorf, bevor sie nach Sonnenberg gezogen waren. Sie zeigte ihm auch das Haus, in dem sie damals lebten. Dann erzählte sie über das neue Leben im Häuschen am Huggl. Nur alles, was auf die Villa deutete, ließ Eva bewusst weg. So erfuhr Harald, dass auch Eva, genau so wie er, ledig geboren war. Diese Gemeinsamkeit schweißte die Beiden noch enger zusammen.

Am Abend traf sich die Clique von Koschs, Schulzes, Jansens und Aglunds Kindern wieder im Freizeitbad. Es war der letzte Abend, den sie vorläufig zusammen verbrachten, denn am nächsten Tag flogen Koschs wieder zurück nach Sonnenberg. Haralds Flug ging erst einen Tag später.

Herzensöffnung (4). Neue Familien

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