Читать книгу Perry Rhodan 431: Energie aus dem Jenseits - H.G. Ewers - Страница 4

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1.

Oberst Elas Korom-Khan saß reglos wie eine Statue in dem geschwungenen Kommandantensessel. Die braune Haut seines Gesichtes schimmerte matt im gedämpften Licht der Zentrale. Obwohl frisch mit Antibartkrem behandelt, lagen blauschwarze Schatten über Hals, Kinn und Wangen.

Über dem Kommandanten der INTERSOLAR hing die silbrig glänzende SERT-Haube an ihren Zuführungsleitungen. Die rote Kontrolllampe leuchtete wie das Auge eines Zyklopen und zeigte an, dass die Haube aktiviert war und nur darauf wartete, von dem Emotionauten benutzt zu werden.

Korom-Khan schien zu schlafen. In Wirklichkeit aber waren alle seine Sinne angespannt, lauschten auf das monotone Gemurmel der Offiziere vor den Schaltpulten, das schwache Summen des aktivierten Hyperkoms und das Wispern aus dem Positronikanschluss.

Die fugenlos ineinander übergehenden Bildschirmsegmente der Panoramagalerie zeigten ein Bild, wie es nur wenige Menschen gesehen hatten. Es war weder das Bild des solaren Systems mit dem diffusen rötlichen Glühen der Labilzone noch das Bild des freien Weltraums mit seinen zahllosen Sternen, Sternkonstellationen und Materiewolken, sondern ein weißes pulsierendes Leuchten.

Das Flaggschiff Perry Rhodans stand dicht hinter der Gegenwartsschwelle der Temporalschleuse, die zwischen dem fünf Minuten in der Zukunft ausharrenden Ghost-System und dem in die Normalzeit eingebetteten übrigen Universum eine Brücke aus Temporalenergie bildete, ein geheimnisvolles Etwas, das sich mit normalen physikalischen Begriffen nicht erklären ließ und das doch nach den Berechnungen der Menschen funktionierte.

Schräg vor der INTERSOLAR »schwamm« ein Gebilde von gigantischen Ausmaßen, der stationär an der Zeitschwelle verankerte Riesentender und Transmitterträger DINOSAURIER. Seine rotleuchtenden Energieschenkel waren vor einiger Zeit erloschen; die Containtransverbindung zwischen dem Solsystem und dem Planeten Olymp arbeitete nicht mehr. Dafür herrschte »draußen«, bereits in der »Normalzeit« und doch von den unsichtbaren Ausstrahlungen der Gegenwartsschwelle überlappt, hektische Betriebsamkeit. Die Ortungsstationen, vorgeschobene – in der Zeit vorgeschobene – Wächter der solaren Menschheit, tasteten den Raum vor der Gegenwartsschwelle ab. Zwar hatten in den mehr als drei Jahren, die das Ghost-System sich außerhalb des vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums befand, die Anflüge fremder Suchschiffe so gut wie aufgehört, aber die Vorsichtsmaßnahmen waren nicht eingeschränkt worden. Die verantwortlichen Männer, an ihrer Spitze der SolAb-Chef Galbraith Deighton, gingen kein Risiko ein.

Aus den Augenwinkeln nahm Korom-Khan eine Bewegung schräg hinter sich wahr. Lord Zwiebus, der aus der energetischen Konservierung befreite Neandertaler, durchquerte mit seinem typischen wiegenden Gang die Kommandozentrale und gesellte sich zu Perry Rhodan und Atlan, die vor den Kommandeurpulten des Kartentisches saßen und sich flüsternd mit Alaska Saedelaere unterhielten.

Korom-Khans Brust hob und senkte sich in einem tieferen Atemzug. Der Oberst hatte bei Zwiebus' Anblick unwillkürlich an die kaum vorstellbaren Abenteuer gedacht, die hinter den Männern am Kartentisch lagen.

Korom-Khan spürte ein Prickeln unter der Kopfhaut. Sein ganz auf pragmatische Sachlichkeit ausgerichteter Verstand sträubte sich trotz aller Informationsfilme und Berichte noch immer, das Ungeheuerliche als Wahrheit anzuerkennen. Es gehörte mehr als Unvoreingenommenheit und Phantasie dazu, das meiste über Bord zu werfen, was die Menschheit bisher als geschichtliche Tatsachen gekannt hatte. Dabei war Elas Korom-Khan so aufgeschlossen gegenüber neuen Erkenntnissen, wie es ein Terraner des 35. Jahrhunderts nur sein konnte. Aber Schauergestalten der altgriechischen Mythologie, wie Zentauren und Zyklopen, plötzlich als geschichtliche Wirklichkeit anerkennen zu müssen, das entsprach einer geistigen Kehrtwendung um hundertachtzig Grad.

Der Oberst war froh, als eine sachliche Stimme aus dem Hyperkomempfänger seine Gedanken abschnitt.

»Normalraum jenseits der Gegenwartsschwelle frei von verdächtigen Objekten«, meldete die Stimme nüchtern. »Koordinieren Sie auf Start bei X minus dreißig Sekunden. Achtung: X-Zeit läuft!«

Korom-Khan senkte seine Rechte auf eine Schaltplatte. Das dumpfe Rumoren im 2500 Meter durchmessenden Kugelleib der INTERSOLAR schwoll zu einem tiefen Dröhnen an. Über dem Schaltpult des Kommandanten begann der Synchronzähler mit seinem harten Ticken; bei X minus zehn Sekunden hallte ein dumpfer Gongschlag durch das gewaltige scheibenförmige Rund der Zentrale.

Die silbrig glänzende SERT-Haube (SERT stand für »Simultane Emotio- und Reflex-Transmission«) senkte sich über Korom-Khans Schädel; die Kontaktplatten pressten sich gegen die Kopfhaut. Der Kommandant verschmolz mit seinem Schiff zu einer Handlungseinheit.

*

Perry Rhodan unterbrach sich und blickte auf, als ein dumpfer Gongschlag den bevorstehenden Start der INTERSOLAR ankündigte. Er sah, wie sich die SERT-Haube über Korom-Khans Schädel senkte.

Unwillkürlich schlossen sich seine Hände fester um die gepolsterten Armlehnen seines Schalensessels. Der Sesselcomputer reagierte darauf mit einer Formveränderung; Rhodan wurde zu zwei Dritteln sanft von der schützenden Hülle des Sessels umschlossen.

Durch das Rumoren der Energieerzeuger vernahm Perry Rhodan das harte Geräusch eiliger Schritte. Eine hochgewachsene Gestalt hastete durch sein Blickfeld: Oberst Hubert S. Maurice, Chef des »Sicherheitskommandos Großadministrator« und in dieser Funktion rast- und ruheloser »Schutzengel« des wichtigsten Mannes der Menschheit. Feine Schweißperlen glänzten auf Maurices Stirn; die bevorstehende Mission der INTERSOLAR stellte den Chef des SGA wieder einmal vor eine nach menschlichem Ermessen unerfüllbare Aufgabe: nämlich den Großadministrator des Solaren Imperiums inmitten von Millionen Menschen und anderen intelligenten Lebewesen zu beschützen.

Rhodan lächelte. Hubert Selvin Maurice war unbestreitbar der beste Mann für diese Aufgabe: er vergaß nur manchmal, dass es keinen perfekten Schutz gab und niemals geben würde. Erreichbar war lediglich ein Maximum an Sicherheitsvorkehrungen.

»Es ist ein großes Risiko«, sagte Lordadmiral Atlan, als hätte er die Gedanken des Freundes erraten. »In Trade City leben ebensoviel Feinde wie Freunde.«

»Ich weiß«, erwiderte Perry gelassen. »Aber die Berichte der SolAb und die Studien unserer Kosmopsychologen beweisen, dass es wieder einmal höchste Zeit ist, den Völkern der Galaxis – und besonders unseren lieben Mitmenschen unter ihnen – einen gewissen Großadministrator vorzuzeigen ...«

»Aus deinen Worten klingt Bitterkeit, Freund ...«, murmelte der Arkonide.

Perry Rhodan lachte trocken.

»Soll ich mich vielleicht darüber freuen, dass die außersolare Menschheit immer noch nicht klüger geworden ist, als es die terranischen Völker zur Zeit Alexanders des Großen waren! Noch immer brauchen sie ihren Abgott, einen Fetisch, den sie lieben und hassen, fürchten und verehren können!«

»Was gut werden soll, braucht seine Zeit, Perry«, sagte Atlan wissend. »Du kannst die Masse nicht mit klugen Worten und erhobenem Zeigefinger ändern, sondern nur, indem du ihr gibst, was sie von dir erwartet. Außerdem beweist dir die solare Menschheit täglich, dass die Gattung Homo sapiens kein hoffnungsloser Fall ist.«

Rhodan antwortete nicht darauf. Außerdem brüllten in diesem Moment die mächtigen Triebwerksaggregate des Schiffes auf und degradierten alle anderen Lautäußerungen zu einem wesenlosen Nichts. Gewaltige Energien stießen die INTERSOLAR über die Gegenwartsschwelle ins Kontinuum der Normalzeit hinaus. Von einer Sekunde zur anderen verschwand das weiße Leuchten des Zeittunnels; nicht einmal mit den besten Ortungsgeräten hätte das, was die INTERSOLAR eben verlassen hatte, mehr festgestellt werden können. Hinter dem Schiffsgiganten blieb nur ein mathematisch ermittelbarer Koordinatenschnittpunkt zurück, dessen wandernde Position automatisch von der großen Bordpositronik errechnet wurde.

Mit einer Beschleunigung von 720 Kilometer pro Sekundenquadrat jagte Rhodans Flaggschiff durch den Normalraum, in dem es effektiv kein Solsystem mehr gab. Nach kurzer Zeit schaltete die Automatik den ersten Waring-Konverter hoch. Über den Schaltbildwänden der Kontrollstände entstand ein hektisches Feuerwerk kalter Lichter. Die seelenlose Stimme eines Robotaggregats kündigte den Übergang in den Zwischenraum an.

Schlagartig verschwand das vertraute Universum von den Bildschirmen. Die undefinierbaren Schemen und Leuchteffekte der interdimkontinualen Zone wirbelten, huschten, jagten draußen vorbei. Mit einer Geschwindigkeit, die innerhalb des Linearraums unter der des Lichts lag, jedoch relativ zum vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum ein Millionenfaches der spezifischen Lichtgeschwindigkeit erreichte, schoss die INTERSOLAR auf den ersten Orientierungspunkt zu.

Innerhalb des Schiffsgiganten herrschten die gewohnten Bedingungen des Einstein-Raumes. Die unsichtbare Energieblase, erzeugt vom Waringschen Linearkonverter, umgab das Schiff lückenlos, hielt die Einflüsse des Zwischenraumes von ihm fern und ermöglichte durch seine artverwandte Struktur ein Verweilen in der Halbraumzone.

Unvermittelt riss Lord Zwiebus seinen Mund auf und gähnte herzhaft, wobei er sein scharfes Gebiss entblößte.

Der Neandertaler langweilte sich offensichtlich.

Alaska Saedelaere stand auf und räusperte sich.

»Ich lege mich jetzt ein wenig hin, Sir«, sagte er, zu Rhodan gewandt. Die starre Halbmaske mit der zur Zeit nur schwach leuchtenden Aura verlieh dem Transmittergeschädigten etwas Sphinxhaftes.

Der Großadministrator nickte.

»Gehen Sie nur, Alaska. Wir haben noch vierzehn Flugstunden vor uns. Nehmen Sie einmal Ihre Maske ab; sie muss doch sehr unbequem zu tragen sein.«

»Das ist sie – in der Tat«, antwortete Saedelaere. »Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis, Sir.«

»Danken Sie mir nicht für etwas Selbstverständliches, Alaska. Rügen Sie mich, falls ich es einmal nicht aufbringen sollte. – Übrigens, Zwiebus: Du solltest auch ein wenig schlafen, anstatt uns ständig dein Urmenschengebiss zu zeigen ...!«

Der Neandertaler schrak auf und klappte den Mund zu, den er soeben wieder aufgerissen hatte.

»O, Verzeihung, Rhodan. Aber diese Linearflüge langweilen mich immer fürchterlich.« Er stemmte sich hoch.

Atlan lachte leise und schüttelte den Kopf, so dass seine langen silberweißen Haare in Bewegung gerieten.

»Das von einem Vertreter der Gattung Homo neandertalensis zu hören, hätte ich mir früher nie träumen lassen!«

Lord Zwiebus grinste breit und wirbelte seine Keule (die nur noch äußerlich eine Keule war) um den Zeigefinger.

»Sie werden es demnächst früher geträumt haben, sobald wir erneut mit dem Deformator in die Vergangenheit starten – vor Ihrer Geburt sogar, Lordadmiral ...«

Er kniff ein Auge zu, legte die mächtige Keule über seine Schulter und stapfte davon.

Der Arkonide sah ihm unter halbgesenkten Lidern nach. Als Saedelaere und Zwiebus die Kommandozentrale verlassen hatten, drehte er sich mit seinem Sessel zu Rhodan um und murmelte: »Welche Überraschungen hält wohl die Geschichte dieses kleinen Planeten Erde noch für uns bereit, Perry? – Ich habe neuerdings die Ahnung, als hätten wir bisher nur einen winzigen Zipfel des Vorhangs angehoben, der über unserer gemeinsamen Vergangenheit liegt, und was ich bisher sehen konnte, scheint mir weitaus phantastischere Abenteuer zu versprechen – oder anzudrohen – als die Eroberung des Raumes.«

Perry Rhodan erschauerte.

»Das war mir aus der Seele gesprochen, Atlan. Manchmal wollte ich, wir wären niemals gezwungen worden, den Nullzeitdeformator zu bauen. Ich glaube, ich fürchte mich davor, alles über die Vergangenheit des Menschengeschlechtes zu erfahren.«

»Eine ganz natürliche Sache, kleiner Barbar«, erwiderte der Arkonide lächelnd. »Eine Scheu, die ich mit dir teile. Aber was bleibt uns übrig! Wir können schließlich nicht untätig darauf warten, dass der Todessatellit der Cappins das solare Zentralgestirn zur Nova macht.« Er seufzte. »Hoffentlich gelingt Waringer die Konstruktion eines funktionstüchtigen Dakkar-Tastresonators.«

Rhodans Gesicht nahm einen verlorenen Ausdruck an. Er hatte den Schmerz über den Tod der drei Cappins noch immer nicht überwunden, die der Menschheit so wertvolle Hilfe geleistet hatten, und er hielt es für eine Tragödie, dass so viel wertvolle Zeit hatte verstreichen müssen, bis Menschen und Cappins eine Verständigungsbasis fanden – zuviel Zeit ...

»Wenn es einem Menschen gelingt, dann Geoffry«, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu dem Freund. »Mich ärgert es nur, dass ich eine Show abziehen soll, während auf Last Hope ...«

»Stopp!«, unterbrach Atlan ihn fast brutal. »Nicht während auf Last Hope die Versuche mit dem Quintatron stattfinden, sondern damit sie unbehelligt von allen galaktischen Händeln stattfinden können!« Er rieb sich lächelnd die Hände. »Und wie ich unseren gemeinsamen Freund Argyris kenne, wird er eine Show organisiert haben, wie die Galaxis sie noch nie erlebt hat. Das sollte dich eigentlich von ihrer Notwendigkeit überzeugen, denn die unbestechliche logische Denkweise eines bio-positronischen Ultragehirns zieht nur dann emotional ansprechende Register, wenn sich das als unumgänglich notwendig erwiesen hat.«

Der Großadministrator hob lächelnd die Hand.

»Das genügt, mein Freund. Es ist wirklich nicht nötig, dass du mich psychologisch bearbeitest.«

Er erhob sich, und nun wirkte er mit einemmal nicht mehr bedrückt, sondern elastisch und energiegeladen. Sein Blick suchte das Gesicht von Oberst Hubert S. Maurice, der still, bescheiden und wachsam in der Nähe saß.

Als der Chef des SGA Rhodans Blick auf sich ruhen fühlte, sprang er auf und fragte dienstbeflissen: »Sir ...?«

»Ich lade Sie zu einem Essen ein, Oberst«, meinte der Großadministrator. »In meinen privaten Räumlichkeiten. Lordadmiral Atlan wird uns sicher gern Gesellschaft leisten, so dass wir während des Essens einige Programmpunkte durchsprechen können.«

»Ich stehe immer zu Ihrer Verfügung, Sir«, erwiderte Hubert Selvin Maurice so steif, als hätte er eine Einladung zu seiner persönlichen Hinrichtung erhalten.

Während er den beiden Größten der Menschheit folgte, erteilte er über seinen Armbandtelekom Befehle an seine Untergebenen auf der INTERSOLAR.

Es gab nichts, was Oberst Maurice von der Erfüllung seiner Pflicht abhalten konnte – nicht einmal die private Einladung des Großadministrators.

*

Das Hotel Olympos im Zentrum von Trade City stand erst seit anderthalb Jahren. Nicht etwa ein geschichtsbewusster Terraner, wie man dem Namen nach hätte vermuten können, hatte es errichten lassen, sondern ein geschäftstüchtiger Springerpatriarch mit dem Namen Baldem Sceed Mussam.

Arthur Buchanan musterte verächtlich die dorischen Säulen vor dem Haupteingang, die ein Gesims mit reicher Friesverzierung trugen. Das Ganze wirkte auf einen geborenen Terraner geschmacklos, weil es aus billigem Glasfaserbeton gegossen war. Sir Arthur Buchanan hielt es zudem für Geldverschwendung. Er raffte seinen großkarierten Umhang zusammen und vertraute sich der Kraftfeldrampe an, die über einer täuschend echten Treppenprojektion zum Portal führte. Seine Robotdiener waren ihm bereits mit dem Gepäck vorausgeeilt.

Vor einer grünlich oxydierten Kupferplatte neben dem Portal trat Buchanan aus dem Kraftfeld. Mit gerunzelter Stirn las er die auf Hochglanz polierte Platininschrift.

»Zeus, dem ewigen Vater, ihm, durch welchen die Menschen berühmt und unberühmt werden,

dass man von ihnen redet und schweigt – nach dem Schluss des Erhabenen.

Leicht wohl leitet er Gewalt und drückt den Gewaltigen nieder, leicht lässt Glänze er bleichen und Dunkles macht er erglänzen,

leicht macht Krummes er grade und krümmt Grades und Stolzes, Zeus, hochdonnernd im C 2 H 5 OC 2 H 5 , der droben wohnet in Wolken.«

Arthur Buchanan vermochte ein breites Grinsen nicht zu unterdrücken. Nur einem phantasielosen galaktischen Händler konnte der Lapsus unterlaufen, die Zeilen Hesiods zu verstümmeln, indem er das Wort »Äther« aus der Originalfassung in die chemische Formel für Diäthyläther übersetzte. Hesiod würde schön die Nase rümpfen, könnte er riechen, wogegen ein profitgieriger Springer seine »Himmelsluft« vertauscht hatte.

Er stopfte sich seine kurze Pfeife, einen ausgebrannten, zerstoßenen Räucherkolben mit beachtlichem Fassungsvermögen. Dann schob er das Mundstück zwischen die Zähne und knurrte: »Feuer!«

Ein blaues Flämmchen züngelte über dem groben Tabak auf, von einem verborgenen Thermalfokussator erzeugt. Die Falten in Buchanans Gesicht glätteten sich, als die Pfeife in Brand gesetzt war und blaue Rauchschwaden emporstiegen.

Eine junge Dame mit langem Leinenrock und hauchdünnem Peplos darüber huschte auf ihn zu, als er die Vorhalle betrat. Armbänder klirrten an den Handgelenken; das tiefschwarze Haar war kunstvoll aufgesteckt. So etwa mochte eine junge Dame des antiken Griechenland ausgesehen haben.

Das unterwürfige Benehmen einer Sklavin passte jedoch keineswegs zu den edlen Zügen und der Kleidung der Oberschicht. Buchanan fühlte sich unangenehm berührt, als die Pseudogriechin sich vor ihm verneigte und gedämpft fragte: »Sir Arthur Buchanan, darf ich Ihnen Ihre Gemächer zeigen?«

Er packte sie grob beim Oberarm und drehte sie so herum, dass sie ihm ins Gesicht sehen musste.

»Das Zeitalter der Sklaverei ist vorbei, denke ich. Wie heißen Sie, Miss?«

»Ich bin Pandora«, antwortete die Schönheit zwinkernd, »die den Bruder des Prometheus verführte und aus Neugier die Büchse öffnete, in der alles Unheil aufbewahrt wurde, so dass es in die Welt hinausströmte. Und nun, Sie schottischer Giftzwerg, lassen Sie meinen Arm los. Ich bin keine Hetäre.«

Arthur Buchanan gehorchte verblüfft und musterte die »Empfangsdame« genauer.

»Arlene Konstantin ...!«, hauchte er. »Sie hier – in dieser imitierten Lasterhöhle ...?«

Die Sonderagentin des SGA lachte, lachte Tränen darüber, dass Major Buchanan sie erst durch ihr Erkennungswort von der Pandora erkannt hatte. In Wirklichkeit hieß sie allerdings so wenig Arlene Konstantin wie der Major Sir Arthur Buchanan hieß, wenn sie auch tatsächlich gebürtige Griechin und er gebürtiger Schotte war.

»In die Sie von einem unwiderstehlichen Drang getrieben wurden, Sir Arthur«, entgegnete sie schnippisch. »Sie haben das Etablissement mit der Nummer dreitausendachtzig. Falls Sie Wert auf meine Gesellschaft legen, erwarte ich Sie in der Mokkabar.«

Fasziniert sah Buchanan ihr nach, wie sie mit schwingenden Hüften davonschwebte. Er seufzte entsagungsvoll.

Wann würde er einmal privat mit einer Frau wie Arlene zusammenkommen statt immer nur dienstlich ...?

Eine Viertelstunde später betrat er, in einen weißen Gesellschaftsanzug gekleidet, die Mokkabar.

Obwohl es früher Nachmittag war, waren gut zwei Drittel der Hocker an der langen Theke bereits besetzt. Würdig aussehende Handelsagenten vom Volk der Mathvis hängten ihre langen dünnen Bärte über die Theke und schlürften ihren Mokka aus winzigen hauchdünnen Porzellantassen. Zwischendurch aßen sie kandierte Früchte und tranken aus hohen schmalen Gläsern klares Eiswasser.

Doch nicht nur Mokka wurde getrunken.

Vier rotbärtige hünenhafte Springer sprachen echt terranischem Sekt zu, der in Kristallkelchen serviert wurde. Sie unterhielten sich in dem harten kehligen Zentrumsdialekt und lachten ständig über Bemerkungen, die sie für witzig hielten, über die jedoch Angehörige anderer galaktischer Völker keine Miene verzogen hätten.

Sir Arthur Buchanan hatte eine Silberschale mit harzig duftendem Wein vor sich stehen.

Der Major schwang sich auf den Hocker neben ihr und bestellte einen dreistöckigen Whisky pur.

»Schon etwas von Dan gehört?«, fragte er, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. Dan war der Deckname für Perry Rhodan. Buchanan und Arlene Konstantin hatten – wie zahlreiche andere Sonderagenten des Sicherheitskommandos Großadministrator auch – die Aufgabe, sich unauffällig in Trade City umzusehen und verdächtige Personen ausfindig zu machen und zu beschatten. Auf diese Weise sollten potentielle Attentäter rechtzeitig gefunden und kaltgestellt werden, bis Rhodan den Planeten Olymp wieder verlassen hatte.

»Er wird zum geplanten Zeitpunkt eintreffen«, erwiderte Arlene lächelnd. »Soviel ich weiß, bringt er einige neue Handelsartikel mit!«

Arthur runzelte die Stirn. Gedankenverloren nahm er seinen Whisky entgegen und leerte das schwere Glas mit einem Zug. Seine Pfeife war unterdessen ausgegangen; er schob sie in einen Mundwinkel und ließ sie herabhängen.

»Alles spricht davon, dass Kaiser Anson Argyris ein Fest geben will«, sagte er im Plauderton eines interessierten und gleichzeitig über alle Maßen gelangweilten Sternenwanderers.

»Ja«, meinte Arlene sinnend. »Man spricht sogar davon, dass dieser sagenhafte Terraner Rhodan zu dem Fest kommen will. Wissen Sie etwas davon, Sir Arthur?«

»Hm ...!«, machte Buchanan.

Er hatte aus den Augenwinkeln einen hochgewachsenen, elegant gekleideten Mann beobachtet, der sich ihnen näherte. Der Fremde war entweder ein gebürtiger Terraner oder ein Mensch von einer erdähnlichen Siedlungswelt, auf der die Umweltbedingungen keine genetischen Veränderungen hervorriefen.

Jetzt blieb er neben Buchanans Hocker stehen, verbeugte sich leicht und lächelte, wobei er zwei Reihen blendend weißer Zähne entblößte.

»Dr. Amund Lergisson, Planet Ofronoth, System Kasimir«, stellte er sich vor. »Ich hörte zufällig, dass Sie sich über die bevorstehenden Festlichkeiten unterhalten. Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

»Bitte, Dr. Lergisson!«, sagte Arlene Konstantin. »Ich hätte gewettet, dass Sie ein echter Terraner wären. Aber setzen Sie sich doch.«

»Ja, bitte, nehmen Sie Platz!«, fiel Buchanan ein. Er stellte Arlene und sich vor, dann fragte er: »Planet Ofronoth ...? Ist das nicht die Welt, von der das Solsystem, als es noch existierte, die berühmten Ofron-Häute bezog?«

Amund Lergisson, mochte er nun wirklich von Ofronoth stammen oder nicht, fiel jedenfalls nicht auf die Fangfrage des Sonderagenten herein.

Er schüttelte den Kopf.

»Wir exportieren keine Häute, Sir Arthur. Ofronoths Exportartikel Nummer eins ist positronisches Spielzeug, und ich bin überzeugt davon, dass er noch immer ins Solsystem geliefert wird, wenn auch auf Umwegen.«

Er blickte Buchanan prüfend an.

»Aber von welcher Welt stammen Sie? Sie sehen aus wie ein Erdgeborener.«

»Ganz recht«, murmelte Arthur und zwang sich zu einem trübsinnigen Lächeln. »Mein Geburtsort war Lochnagar im schottischen Hochland.« Er seufzte. »Nun bin ich heimatlos. Hätte ich mein Vermögen nicht gewinnbringend auf Bannholder im Paluch-System investiert, wäre ich auch noch mittellos.«

»Und ich wurde in Dombrona geboren, bin sozusagen eine Hellenin«, erklärte Arlene Konstantin. »Aber seit meinem zwanzigsten Lebensjahr lebte ich mit meinen Eltern auf Pulpos.« Sie lächelte ironisch. »Meinem Vater gehört dort ein Unternehmen, das eine Menge sehr gewinnbringender Häuser besitzt.«

Dr. Lergisson grinste verstohlen.

»Nun, Geld stinkt jedenfalls nicht, Miss Konstantin.« Er wurde wieder ernst. »Doch Sie scheinen beide zu glauben, das Solsystem existiere nicht mehr ...«

Buchanan wölbte die Brauen.

»Sie etwa nicht? Mein lieber Dr. Lergisson, mehr als drei Jahre lang haben immer wieder einzelne Raumschiffe und ganze Verbände die Umgebung der Koordinaten des Solsystems abgesucht, ohne die geringste Spur zu finden. Das kann doch nur bedeuten, dass es nicht mehr existiert!«

»Oder dass dieser galaktische Fuchs Rhodan die gesamte solare Menschheit evakuiert hat. Ich denke, er hat sie zu einem ähnlichen Sonnensystem geführt, einem zweiten Solsystem gewissermaßen.«

»Meinen Sie ...?«, fragte Arlene so atemlos, als hätte sie das in der Zukunft befindliche Solsystem nicht erst vor vier Tagen verlassen und sich über die Containerstraße nach Olymp begeben.

Amund Lergisson zuckte die Schultern und zog den Mokka zu sich heran, den er bei seiner Ankunft bestellt hatte.

»Vielleicht erfahren wir morgen mehr. Ich hörte gestern von einem meiner Geschäftspartner, dass Perry Rhodan persönlich zu Kaiser Argyris' Fest erscheinen soll. Möglicherweise eröffnet er bei dieser Gelegenheit den intelligenten Völkern der Galaxis, dass die solare Menschheit noch existiert.«

»Man müsste versuchen, eine Einladung zum großen Empfang zu bekommen ...«, murmelte Buchanan nachdenklich.

Dr. Lergisson lachte trocken.

»Dazu müssten Sie schon einen Diplomaten bestechen. Aber wenn Sie ungefähr zweitausend Solar anlegen wollen – auf dem schwarzen Markt werden Eintrittskarten für die große Militärparade und Musikshow im Innenhof des Kaiserpalastes zu diesem Preis gehandelt.«

Er deutete verstohlen mit dem Kopf zu der Gruppe von Mathvis, die immer noch mit der Feierlichkeit eines Zeremoniells ihren Mokka schlürften.

»Diese Burschen haben ein Syndikat auf Olymp, das sich mit allen möglichen legalen und illegalen Geschäften befasst. Wie ich hörte, hat das Syndikat den größten Teil aller Eintrittskarten zum normalen Preis zwischen fünf und fünfzig Solar aufgekauft und verkauft sie mit respektablem Gewinn weiter.«

»Und die Polizei unternimmt nichts dagegen?«, fragte Arlene Konstantin empört und so laut, dass sich einige der am nächsten Sitzenden umdrehten.

»Pst ...!«, machte Lergisson. »Die Mathvis haben gute Ohren, auch wenn sie sich nichts anmerken lassen, und es ist nicht gut, das Missfallen des Syndikats zu wecken.« Er senkte seine Stimme zu einem kaum verständlichen Flüstern. »Ich schlage vor, wir wechseln das Lokal. Sind Sie bereit, sich meiner Führung anzuvertrauen?«

Arlene und Arthur waren bereit dazu. Dieser Lergisson mochte ein feindlicher Agent sein oder nicht, auf jeden Fall war er ungewöhnlich vertraut mit den Verhältnissen der Unterwelt von Olymp. So ein Mann konnte für ihre Aufgabe unter Umständen sehr nützlich sein.

Sie bezahlten und verließen das Hotel Olympos.

Perry Rhodan 431: Energie aus dem Jenseits

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