Читать книгу Perry Rhodan 332: Kampf um den Neptunmond - H.G. Ewers - Страница 4
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Die beiden Oxtorner sahen die Sperre im gleichen Augenblick. Ein Gitter zog sich von einer Wand des Tunnels zur anderen, und zwischen zwei Kampfrobotern trat ein Milizsoldat hervor und schwenkte eine rote Lampe.
Perish Mokart bremste das Geländefahrzeug ab und stieß eine Verwünschung aus.
»Immer mit der Ruhe, Junge!« sagte Cronot Mokart. Er ließ das transparente Kuppeldach der »Superschildkröte« zurückfahren und beugte sich hinaus.
»Hallo, Herr General! Was ist los? Kennen Sie uns nicht?«
Der Milizsoldat schaltete seine rote Lampe aus und trat näher. Er war ein junger Mann mit den Rangabzeichen eines Sergeanten.
»Hallo, Mr. Mokart!« gab er den Gruß zurück. »Tut mir leid. Die Zufahrt zur subtritonschen Stadt ist gesperrt. Befehl vom Militärkommandanten.«
Perish Mokart kletterte auf seinen Sitz und schwang sich über den Rand der Kuppel. Er trug, wie sein Vater, eine enganliegende, glänzende schwarze Kombination mit eingerollter Druckhelmkapuze, dazu einen signalroten Kombigürtel mit einem mächtigen Schockblaster im Halfter und darüber einen silberfarbenen, losen Umhang.
Als er vor dem Sergeanten stand, erhielt man eine Ahnung von seinen überragenden Körperkräften. Er wirkte nur wenig größer, aber bedeutend massiver als der Milizsoldat.
Dennoch hätte jeder Uneingeweihte ihn noch bei weitem unterschätzt, denn seine durch Umweltanpassung hervorgerufene Kompakt-Konstitution befähigte ihn, sich unter der oxtornischen Schwerkraft von 4,8 Gravos, bei Sandstürmen von 1000 Stundenkilometern und Temperaturschwankungen zwischen minus 120 Grad Celsius und plus 95 Grad Celsius völlig ungeschützt und mit derselben Leichtigkeit zu bewegen wie ein Erdgeborener unter normalen irdischen Bedingungen.
Perish zog einen Plastikausweis hervor und reichte ihn dem Sergeanten.
»Das ist unsere Sondergenehmigung zum Betreten der alten lemurischen Zufluchtssiedlung!«
Der Sergeant schüttelte bedauernd den Kopf.
»General Ifros hat alle Sondergenehmigungen für ungültig erklärt, Mr. Mokart. Ausnahmezustand – wegen OLD MAN.«
»OLD MAN steht zur Zeit weit außerhalb der Plutobahn und schmollt!« entgegnete Perish voller Sarkasmus. »Außerdem glaube ich nicht, daß er sich bei einem eventuellen Angriff ausgerechnet nach Triton verirrt. Sein Ziel ist die Erde.«
»Ich habe nur meine Befehle auszuführen«, erwiderte der Milizsoldat standhaft. »Beschweren Sie sich bitte beim General, vielleicht zeigt er sich geneigt, bei Ihnen eine Ausnahme zu machen.«
Perish Mokart stieß eine Verwünschung aus.
Er wandte sich um.
»Was sollen wir tun, Vater? Am liebsten würde ich durch dieses lächerliche Gitter hindurchfahren.«
Cronot Mokart lächelte.
»Mit zweiundvierzig Erdjahren solltest du dir eigentlich die Hörner abgestoßen haben, Perish. Komm, kehren wir um und suchen den General!«
Der Milizsoldat atmete erleichtert auf. Er wußte genau, daß er die beiden Oxtorner trotz der Kampfroboter nicht hätte aufhalten können, wenn sie einen gewaltsamen Durchbruch versucht hätten.
»Nichts für ungut, meine Herren!« rief er den Oxtornern nach.
Perish winkte ab und ging ein wenig in die Knie. In der nächsten Sekunde stand er auf dem Rand der Fahrerkuppel. Das Fahrzeug schwankte ein wenig, als das Gewicht des Umweltangepaßten die Federung belastete.
Vorsichtig, damit der Kontursessel nicht zusammenbrach, ließ Perish Mokart sich in die Kabine gleiten. Das Fahrzeug wendete auf der Stelle, überschüttete den Sergeanten und die beiden Kampfroboter mit einem Hagelschauer losgerissener Gesteinssplitter und ruckte mit aufheulenden Elektromotoren an.
Hinter ihm verklang das Schimpfen des Milizsoldaten.
»Ich möchte wissen, was diesem General einfällt!« murrte Perish.
Sein Vater wiegte den völlig kahlen Schädel.
»Moshe Ifros tut nichts ohne triftigen Grund, mein Junge. Vielleicht hat er Nachrichten vom Flottenkommando erhalten, die wir noch nicht kennen.«
»Dann hätte er uns davon unterrichten können, anstatt einfach nur den Zugang zur Stadt zu sperren!«
Wütend trat Perish den Beschleunigungshebel bis zum Anschlag durch. Die breiten Gleitketten der Superschildkröte zermahlten das Triton-Gestein zu Staub und ließen das zweihundertfünfzig Tonnen Erdgewicht schwere Fahrzeug pfeilschnell dahinrasen. Nur in den Kurven hatte der Oxtorner Mühe, es auf Kurs zu halten, denn unter tritonschen Schwereverhältnissen wog es nur fünfzig Tonnen – und sein Fusionsgenerator, seine Elektrotriebwerke und das Fahrwerk waren für oxtornische Verhältnisse konstruiert, unter denen die Superschildkröte zwölfhundert Tonnen wog.
Mehrmals schrammte einer der drei Meter breiten Ketten tiefe Furchen in die Seitenwände.
»Ich möchte wissen, warum es hier unten so warm ist, daß Erdgeborene ohne Klimaanzüge auskommen. Bis hierher reicht doch die Wirkung der Fernheizung nicht, oder ...?« murmelte Cronot.
Perish warf seinem Vater einen kurzen Seitenblick zu, dann kratzte er sich gedankenverloren die Schädeldecke, die bei ihm im Unterschied zu allen anderen Oxtornern von dichtem, flachsblondem Haar bedeckt war.
»Das werden wir jedenfalls nicht erfahren, wenn wir nicht die alte Lemurerstadt untersuchen. Auf alle Fälle dürfte es nicht weniger ungewöhnlich sein, daß es im Innern dieses Mondes Wasser gibt, Wasser, das trotz der geringen Schwerkraft erst bei hundert Grad Celsius siedet.«
Er starrte düster auf den Weg.
»Ich wollte, wir hätten das Sperrgitter einfach zusammengefahren. Wer weiß – vielleicht greift OLD MAN doch Neptun und seine Monde an. In diesem Fall würden wir keine Chance besitzen, die Stadt zu untersuchen.«
»Fahr langsamer«, riet ihm sein Vater. »Wir kommen jetzt auf den Hauptverkehrsstrang, und ich möchte es möglichst vermeiden, einen Verkehrsunfall zu verursachen.«
Perish bremste gehorsam ab.
Sekunden später schoß die Superschildkröte in eine spiralige Auffahrt hinein, verzögerte dabei ihre Geschwindigkeit noch mehr und glitt rasselnd und summend auf die achtspurige Verbindungsstraße zwischen der Stadt Tritona und den Materiewandlern des gigantischen Umformerwerkes auf dem Südpol des Neptunmondes. Triton deckte den gesamten Bedarf der Erde und der übrigen solaren Industrieplaneten mit Kupfer, obwohl dieses Metall von Natur aus nur in geringen Mengen vorkam. Aber die von den Posbis übernommene Technik der Materieumformung machte die Menschheit unabhängig von natürlichen Erzvorkommen.
Seit rund achtunddreißig Jahren arbeiteten Schürfrobots in immer größerer Zahl auf Triton, schabten die Oberfläche gleichmäßig ab und schütteten das taube Felsgeröll auf energetische Förderbänder, die strahlenförmig von den Schürfstellen zu dem einzigen Umformerwerk verliefen. Gigantische Materiewandler formten die atomare Struktur des Gesteins um – und aus den heißen Mäulern der Ausstoßkomplexe kamen die quaderförmigen Kupferrohlinge von je einer Tonne Erdgewicht hervor.
Auf der subtritonschen Verbindungsstraße übernahm eine Leitpositronik die Steuerung der Superschildkröte. Sie schaltete sich in das Robotsegment des Fahrzeuges ein und dirigierte den schweren Wagen auf die langsame Außenbahn, damit er nicht mit den vorbeirasenden Transportgleitern kollidierte.
Außer den beiden Oxtornern befanden sich keine Menschen auf diesem Verkehrsstrang. Die Kupfertransporter fuhren ausnahmslos robotgesteuert, und die Ablösung der Kontrollmannschaft des Umformerwerkes war erst in drei Stunden fällig.
Perish Mokart zog mit einem Ruck seine beiden leichten, geschmeidigen Terkoplaststiefel aus und kratzte sich unter den Fußsohlen.
»Ah! Das tut gut!« ächzte er.
Sein Vater sah ihn besorgt an.
»Was hast du? Phantomschmerzen?«
»Nein, Phantomjucken.«
Perish grinste und sah zu, wie seine Zehen sich bewegten. Sie waren, obwohl sie genau wie normale Zehen reagierten, nicht seine Zehen – wie es auch nicht seine Beine waren, mit denen er lief. Von der Mitte beider Oberschenkel an trug der oxtornische Kosmohistoriker Brutplasmaprothesen, organische Gebilde, die nach der Vorlage seines Gen-Kodes aus synthetischem Bioplasma gezüchtet worden waren. Eigentlich sollten sie absolut identisch sein mit den Beinen, die er während eines Einsatzes verloren hatte. Aber hin und wieder hatte er das Gefühl, als handle es sich um Fremdkörper – und die Erinnerung seiner Nervenfasern an die früheren Beine erzeugte dann ein Phantomjucken oder -zerren, das ihn glauben ließ, vier Beine zu besitzen. Er nahm es allerdings nicht tragisch.
»Ich habe dich damals gleich gewarnt«, sagte Cronot Mokart mürrisch, »als du unbedingt zur USO gehen wolltest. Aber du hörtest ja nicht auf mich. Und was hast du nun davon? Zwei künstliche Beine und eine Schädeldecke aus MV-Leichtstahl mit einer lächerlich behaarten Biohaut darüber!«
Unwillkürlich faßte sich Perish an seinen Haarschopf. Im Grunde genommen war der regelwidrige Haarwuchs das einzige, was ihn an seiner künstlichen Schädeldecke störte. Ein echter Oxtorner durfte einfach kein Haupthaar besitzen!
»Laß nur, Vater. Besser unpassende Haare auf der Schädeldecke als überhaupt keine Schädeldecke mehr. Wenn der Akone damals etwas tiefer gehalten hätte, wäre sogar den besten USO-Medizinern keine Hilfe mehr möglich gewesen.«
»Man hat dich gegen diese akonische Geheimorganisation angesetzt, gegen die Condos Vasac, nicht wahr ...?«
Perish zuckte die Schultern.
»Darüber darf ich nicht sprechen, Vater.«
»Unfug!« fuhr Cronot ihn an. »Geheimniskrämerei! Dieses Komplott mit Croton Manor und der Condos Vasac ist kaum ein paar Tage her. Es dürfte noch mehr Leuten als mir die Augen über den Kampf hinter den Kulissen geöffnet haben. Glücklicherweise haben sich die Reporter von Terrania-Television durch keine Rücksichten abhalten lassen, die Liquidierung des Marsstützpunktes der Condos Vasac zu filmen.«
Perish lachte leise.
Er zündete sich eine Zigarette an und reichte seinem Vater Feuer, als dieser eine gestopfte Pfeife hervorholte.
»Die Reportage wäre ohne Einverständnis der Galaktischen Abwehr niemals gesendet worden, Dad. Im übrigen möchte ich die zehn Jahre bei der USO nicht missen. Vielleicht melde ich mich später einmal wieder zum Dienst.«
»Den Teufel wirst du ...!« knurrte Cronot und stieß dichte Rauchwolken aus.
»Du bist eben schon ein wenig verkalkt«, spöttelte Perish gutmütig.
Cronot holte aus, besann sich dann aber anders.
Er grinste.
»Verkalkt! Nun höre sich einer diesen Bengel an! Ich mit meinen achtundsechzig Jahren könnte mit den Lausejungen in eurem Verein immer noch konkurrieren. Wetten, daß der Lordadmiral mich einstellen würde, wenn ich mich bewürbe?«
Perish lachte lauthals.
»Wie ich dich kenne, würdest du das niemals tun. Dafür bist du viel zu sehr mit deiner Arbeit verwachsen. Vor allem jetzt, wo wir eine fünfzigtausend Jahre alte Fluchtsiedlung der Lemurer untersuchen können.«
»Wenn wir dürften!« fügte Cronot Mokart ironisch hinzu.
»Ich stauche diesen General aus seiner Uniform, wenn er uns nicht läßt!« schimpfte Perish erbittert.
»Das wirst du bleiben lassen«, wies sein Vater ihn zurecht. »Aber jetzt solltest du lieber aufpassen. Wir verlassen gleich den Fernsteuerbereich.«
Perish Mokart blickte hoch und sah die Hinweisschilder unter der Decke.
Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und umfaßte die beiden Lenkknüppel. Sein Fuß suchte das Beschleunigungspedal.
Gleich darauf stieg die Straße an. Ein Gewirr von Abzweigungen huschte vorüber. Die Kupfertransporter verschwanden in den hell erleuchteten Schlünden der Tunnels, die zu den Lagerhallen des Raumhafens Tritona führten.
Und plötzlich donnerte die Superschildkröte zwischen den offenen Panzerschotten des Stadteingangs hindurch.
Hoch über ihr wölbte sich die transparente Kuppel der Stadtzone B von Tritona – und darüber schwamm düsterrot drohend der gigantische Ball des Planeten Neptun in der Schwärze des Raumes ...
*
Perish Mokart stoppte vor dem hochragenden Palast aus Glas und Plastik, in dem die Militärkommandantur Triton untergebracht war.
Die beiden schwerbewaffneten Posten vor dem Eingangsportal deuteten darauf hin, daß auf dem größten Neptunmond der Ausnahmezustand herrschte; normalerweise wurde die Kommandantur nicht bewacht.
»Wir möchten General Ifros sprechen!« sagte Cronot Mokart zu dem Ranghöchsten der beiden Raumsoldaten, einem Leutnant.
Der Offizier bat die Oxtorner, zu warten und verschwand in der leeren Pförtnerloge. Nach kurzer Zeit kam er zurück.
»Es tut mir leid, aber General Ifros ist nicht hier. Mir wurde gesagt, daß er die Verteidigungsanlagen inspiziert.«
»Und sein Stellvertreter?« warf Perish ein.
»Ebenfalls, Mr. Mokart. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
»Ich glaube nicht«, erwiderte Cronot. »Wir brauchen eine neue Genehmigung zum Betreten der alten Lemurerstadt.«
»Die ist seit heute morgen gesperrt, soviel ich weiß«, sagte der Leutnant.
»Eben deshalb sind wir hier«, gab Cronot mit unverkennbarem Spott zurück.
Der Leutnant machte ein verlegenes Gesicht.
»Vielleicht wenden Sie sich an den Zivilgouverneur, meine Herren. Mr. van Geldern befindet sich in seinem Amtssitz, soviel mir bekannt ist.«
»Na, schön«, meinte Cronot. »Versuchen wir es dort.«
Er nickte seinem Sohn zu und stieg wieder in den Wagen.
Perish folgte ihm und nahm hinter dem Steuer Platz.
Gleich darauf rollte die Superschildkröte wieder an.
Vorbei an Verwaltungsbauten der Vereinigten Solaren Kupferhütten, der Architektenbüros und den verschiedenen wissenschaftlichen Instituten, an Schulen und Laboratorien, Versuchsgärten und Tierfarmen steuerte Perish Mokart auf den Ausgang der Stadtzone B zu.
Durch eine von vier Schleusen abgesicherte Röhre ging es hinüber zur gigantischen Kuppel der Stadtzone C. Hier wohnten zwei Drittel der insgesamt rund zwanzigtausend Männer und Frauen von Tritona. Ausgedehnte Parks, kleine künstliche Seen und Bäche mit glasklarem Wasser trennten die einzelnen sternförmig konstruierten Wohnhäuser voneinander.
Die Sternform der etwa hundert Meter hohen Gebäude garantierte den Familien und Einzelpersonen eine ungestörte Intimsphäre. Keine der dreieckig angelegten Großraumwohnungen grenzte an eine andere, und im Zentrum des Sterns befanden sich die Schnellifts, Versorgungsleitungen und Abfallrohre.
Der Amtssitz des Gouverneurs glich einem großen Fliegenpilz. Die stielförmige Röhre mit den Lifts und Versorgungsleitungen trug den pilzförmigen »Hut« mit den Verwaltungsräumen, der Positronik und der Dienstwohnung Piet van Gelderns. Das Gebäude war nur zur Hälfte belegt, sozusagen auf »Zuwachs« berechnet, denn in wenigen Jahren sollte Tritonas Einwohnerschaft sich verdreifacht haben.
Oben auf dem Dach des »Fliegenpilzes« aber befanden sich die großartigsten Dachgärten, die Cronot und Perish Mokart jemals zu Gesicht bekommen hatten.
Nachdem sie sich beim Robotpförtner angemeldet hatten, fuhren die beiden Oxtorner mit einem Schnellift in die siebzehnte Etage. Hier lag das Sekretariat des Zivilgouverneurs.
Die beiden Vorzimmerdamen tranken Kaffee.
»Mr. van Geldern befindet sich in den Dachgärten, meine Herren«, sagte eine dralle, junge Dame mit gesunden roten Wangen, die sich als Chefsekretärin vorgestellt hatte. »Gehen Sie nur ruhig hinauf. Der Herr Gouverneur wird sich freuen, wenn Sie seine neuen Züchtungen bewundern.«
Perish blickte ein wenig verwirrt drein, aber sein Vater zog ihn am Ärmel nach draußen.
»Komm, mein Junge«, flüsterte er. »Der Tip dürfte nicht schlecht sein. Überall auf Tritona weiß man schließlich, daß van Geldern ein Blumennarr ist. Wenn wir seine Schützlinge gebührend loben, wird er uns bestimmt zu einer neuen Sondergenehmigung verhelfen.«
Perish zuckte die Schultern. Er glaubte nicht recht daran, daß der Gouverneur ihnen helfen konnte.
Ein sehr langsam steigender Pneumolift brachte sie nach oben.
Erstaunt blickten die Oxtorner sich um. Für ihren Geschmack stellte die Üppigkeit der Vegetation schon so etwas wie ein Anzeichen von Dekadenz dar.
Rote, gelbe und gemusterte turkestanische Bergtulpen sowie Hybriden einer zentralasiatischen Wildform zauberten farbenfrohe bunte Tupfen zwischen die Blättermeere goldfarbener, blaugrüner und blasser Funkienarten. Von tritonschen Schaumfelsenblöcken winkten die hochgereckten Blütenstände der Nabelwurz. Der weißschäumende Flor von Schleifenblumen kontrastierte wohltuend mit den niedrigen buttergelben Teppichen der Goldprimel.
Durch den Hohlweg eines Heidegärtchens hindurch erblickten die beiden Kosmohistoriker die gebückte Gestalt eines Gärtners in blauem Kittel.
»Den werden wir nach dem Gouverneur fragen!« entschied Cronot Mokart.
Er duckte sich unwillkürlich, als ein bunter Vogel mit klatschendem Flügelschlag dicht über seinen Kopf flatterte und sich auf dem Rücken des Gärtners niederließ.
Als die Oxtorner näherkamen, flüchtete er auf einen Zweig eines blattlosen, weißblühenden Seidelbaststrauches und klappte zornig mit dem gebogenen Schnabel.
»Hallo!« rief Cronot. »Wie geht es, Alter? Wollen die Blümchen nicht wachsen?«
Der vermeintliche Gärtner richtete sich zu imposanter Größe auf. Das volle, rotwangige Gesicht wandte sich den Besuchern zu. Unter strohblonden Brauen blickten zwei wasserhelle Augen prüfend und ein wenig indigniert.
»Mr. van Geldern ...!« stieß Cronot verblüfft hervor.
»Ah, die beiden Barbaren von Oxtorne!« rief Gouverneur Piet van Geldern. »Sie scheinen mich mit jemand verwechselt zu haben, wie?«
Er wischte sich die mit Erde beschmierten Hände an dem Gärtnerkittel ab.
»So alt bin ich wohl noch nicht«, grollte er. »Und was die Iris bakeriana atropurpurea betrifft, so macht sie sich ausgezeichnet. Aber von Blumen haben Oxtorner bekanntlich keinen blassen Schimmer.«
»So ist es, leider«, erwiderte Cronot in reumütigem Tonfall. »Dennoch muß ich gestehen, daß Ihr Dachgarten berauschend und verwirrend schön ist. Diese Iris bak... bakeri...«
»... bakeriana atropurpurea«, ergänzte van Geldern. »Ein Juwel aus dem Libanon, meine Herren. Sehen Sie dieses intensive Dunkelviolettrot! So stark kommen die Farben nicht einmal in ihrer Heimat zum Vorschein.«
»Ein großartiger Erfolg Ihrer gärtnerischen Arbeit«, lobte Perish. »Und wie sie duftet!«
»Unsinn! Sie duftet überhaupt nicht.«
Piet van Geldern grinste plötzlich übers ganze Gesicht.
»Ihre Schmeicheleien lassen mich vermuten, daß Sie mit einer Bitte zu mir kommen. Na, schön! Setzen wir uns auf die Steinbank dort drüben.«
Über einen Plattenweg führte er sie zu einer aus rohem Vulkangestein geschlagenen Bank, deren Sitzfläche allerdings geglättet und mit einer Schicht Iso-Spritzguß versehen war. Dahinter ragte eine Trockenmauer auf. Zwergefeu und Gabelsteinbrech kletterten wie von ungefähr daran empor, und von oben hingen die immergrünen Ranken einer Schwarzstern-Felsenmispel herab.
Der Gouverneur zog ein Lederetui hervor und bot seinen Besuchern lange, hellbraune Zigarren an.
»Import aus meiner Heimat«, sagte er träumerisch. »Nur mit dem Unterschied, daß sie dort einen Solar pro zwanzig Stück kosten und ich auf Triton einen Solar für das Stück bezahlen muß.«
»Ihre Heimat?« fragte Perish Mokart verwundert. »Sind Sie denn kein Erdgeborener?«
Piet van Geldern lachte behäbig.
»Diese Frage kann nur ein Oxtorner stellen! Natürlich bin ich auf der Erde geboren, aber dort gibt es eben im Gegensatz zu den Kolonialwelten viele unterschiedliche Landschaften mit ihren besonderen Spezialitäten. Mit meiner Heimat meinte ich die niederländische Region des Bundesstaates Europa.«
Er nahm dankend das Feuer, das Cronot ihm reichte und paffte genüßlich blauweiße Wolken in die künstliche Atmosphäre der Kuppelstadt.
»Sie müßten einmal im Frühjahr dort hinfliegen, meine Herren. Dann ist das ganze Land ein einziger Teppich aus den verschiedensten Tulpen und Narzissen. So etwas gibt es auf Ihrer Heimatwelt bestimmt nicht.«
Perish rutschte unruhig auf der Bank hin und her.
Cronot warf ihm einen verweisenden Blick zu und räusperte sich.
»Vielleicht machen wir einen Abstecher zur Erde, wenn die Gefahr beseitigt ist, die von OLD MAN droht. Im Augenblick steht uns noch eine andere Aufgabe bevor. Wir möchten die lemurische Stadt untersuchen.«
Van Geldern nickte.
»Ah, ja! Sie sind ja beide Kosmohistoriker. Wenn ich Zeit hätte, würde ich Sie begleiten. Aber so ...«
Er seufzte und blickte auf seine Hände.
»Hier oben wartet viel Arbeit für mich.«
»Eine wundervolle Arbeit«, schmeichelte Cronot. »Aber vielleicht gelingt es uns, in der Stadt die Samen oder Zwiebeln unbekannter Pflanzen aufzutreiben. Wir würden Sie selbstverständlich sofort davon unterrichten ...«
»Oh! Das wäre sehr freundlich von Ihnen! Wirklich, die alten Lemurer sollen teilweise fanatische Blumenliebhaber gewesen sein. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie in dieser Richtung ein wenig forschten.«
»Wir werden daran denken«, erwiderte Cronot. »Leider hat General Ifros den einzigen Zugang absperren lassen.«
»Ich denke, Sie besitzen eine Sondergenehmigung von ihm?«
»Die ist ungültig wie alle Sondergenehmigungen. Der General denkt anscheinend, OLD MAN würde ausgerechnet Triton angreifen, sobald er sich wieder in Bewegung setzt. Dabei soll er noch immer außerhalb der Plutobahn stehen.«
»Aber das ist doch Unsinn!«
Piet van Geldern drehte seine Zigarre nervös zwischen den erdverkrusteten Fingern.
»Könnten Sie uns nicht eine neue Sondergenehmigung verschaffen?« fragte Perish ungeduldig.
»Ich ...?« fragte der Gouverneur zurück. »Das ist leider unmöglich. Über diese Angelegenheit entscheidet nur der Militärgouverneur.«
Er deutete auf einen halbschattigen Platz unter dem nackten Zweiggewirr eines Wildrosenbusches.
»Cyclamen coum, das früheste aller Alpenveilchen. In diesem Jahr blüht es zum erstenmal. Sechs Jahre lang habe ich herumprobiert, welcher Platz ihr zusagt. Diese Pflanze ist ein wählerisches Frauenzimmer«, sagte er voller Stolz über den endlichen Erfolg.
Perish zog eine Grimasse und ballte die Fäuste.
Aber sein Vater schüttelte den Kopf.
Er stand auf und hockte sich neben die rosa und weißblühenden, niedrigen Pflanzen.
»Phantastisch!« murmelte er.
Begeistert folgte ihm van Geldern.
»Manchmal gehorchen die Pflanzen hier auf Triton scheinbar überhaupt keinen Naturgesetzen mehr«, flüsterte er. »Ich habe schon Frühblüher gehabt, die erst im Herbst blühten und Kurzblüher, die das ganze Jahr über remontierten. Wenn ich Ihnen einmal etwas ganz Besonderes zeigen darf, eine Fritillaria meleagris, die unter der Einwirkung der geringen Schwerkraft Tritons über drei Meter hoch wurde, obwohl sie auf der Erde höchstens vierzig Zentimeter erreicht ...?«
Cronot seufzte entsagungsvoll.
»Sehr gern, Mr. van Geldern, wirklich, sehr gern. Aber wir müssen zuerst sehen, daß wir eine neue Sondergenehmigung vom General erhalten. Danach ...«
»Ah! Diese Sondergenehmigung!« schimpfte der Gouverneur. Er blickte nachdenklich über seinen Dachgarten hinweg. Plötzlich zog er eine flache Taschenuhr hervor, öffnete den Deckel der Rückseite und drückte auf einen winzigen Knopf.
Verblüfft sahen die Oxtorner, daß die rückwärtige Hälfte der Uhr ein Minikom war, wie es sonst nur Abwehrspezialisten erhielten.
Nach einigen Sekunden meldete sich eine rauhe Stimme, der man die Ungeduld anhörte.
»Hier General Ifros! Was ist los?«
Van Geldern lächelte in die Aufnahmeoptik und schaltete erst dann die Bildübertragung ein. Das verkniffene Gesicht von Moshe Ifros erschien auf dem winzigen Bildschirm.
»Hier van Geldern. Mein lieber General, ich brauche dringend zwei Sonderausweise zum Betreten der alten Lemurerstadt. Würden Sie die Freundlichkeit besitzen und Ihre Kommandantur anweisen, Sie möchten mir umgehend die Papiere ausstellen?«
Das harte Gesicht des Generals verzog sich zu einem ironischen Grinsen.
»Sind die beiden Oxtorner bei Ihnen? Dann sagen Sie ihnen, sie ...«
»Warten Sie, General!« rief van Geldern. »Ich benötige dringend einen sicheren Platz für die Geheimdokumente der Kupfererzeugung. Wie Sie wissen, dürfen die Unterlagen über die Materieumformung dem Feind unter keinen Umständen in die Hände fallen. Aus dem Grund sollen Mr. Cronot Mokart und sein Sohn in die Stadt fahren und die Dokumente dort unterbringen. Es ist sicher, daß der Gegner die alte lemurische Fluchtsiedlung niemals findet.«
»Das ist etwas anderes«, gab General Ifros zurück. »Ich gebe meinen Leuten sofort Bescheid. In einer halben Stunde können die Mokarts ihre Sonderausweise dort abholen. Aber ich muß darauf bestehen, daß sie von einer Eskorte begleitet werden.«
»Vielen Dank, mein lieber Ifros«, sagte van Geldern herzlich. »Ich wußte doch, daß Sie ein vernünftiger Mensch sind. Falls Sie Zeit haben, besuchen Sie mich doch einmal auf meinem Amtssitz; ich habe da eine neue Iris-Züchtung ...«
Er brach ab, als General Moshe Ifros die Verbindung löschte.
»Dieser Mann ist ein tüchtiger Offizier, aber ein Banause, was die Blumenzucht angeht«, murmelte der Gouverneur enttäuscht.
Die Oxtorner hatten Mühe, ein Grinsen zu verbergen.
»Vielen Dank jedenfalls, Mr. van Geldern«, sagte Cronot und hielt dem Gouverneur die Hand hin. »Sagen Sie uns bitte noch, wo wir die Dokumente in Empfang nehmen können ...?«
»Dokumente?« fragte van Geldern erstaunt. »Aber, meine Herren, das war doch nur eine Kriegslist. Oder glauben Sie, der General hätte Ihnen sonst die Pässe bewilligt?«
Plötzlich lachten sie alle drei.
»Aber nun kommen Sie«, sagte van Geldern danach, »wir wollten uns ja noch die Riesenform der Fritillaria meleagris ansehen ...«
*
Captain Arturo Geraldi war ein kleiner, drahtiger Mann mit schwarzem Haar und ebensolchen Augen.
Perish Mokart musterte ihn unauffällig und genau, als er sich mit einer Gruppe von sieben Soldaten bei seinem Vater und ihm meldete.
Mit dem scharfen Blick des ehemaligen Spezialoffiziers erkannte er, daß in dem braunhäutigen Körper des Captains ein Vulkan gärte. Bestimmt war Arturo Geraldi ein verwegener Kämpfer, der stets alles einsetzte. Perish Mokart war froh, daß sie beide auf der gleichen Seite standen.
»So!« sagte er. »Sie sollen uns also begleiten. Ich freue mich auf unseren gemeinsamen Einsatz, Captain!«
Er streckte die Hand aus.
Captain Geraldi griff zu.
Seine Hand fühlte sich hart und sehnig an; in ihr pulste das heiße Blut seiner südländischen Vorfahren.
»Ich gebe das Kompliment zurück, Sir!« Geraldi lachte, und sein braunes Gesicht legte sich dabei in Hunderte von schmalen Falten. »Es ist das erstemal, daß ich leibhaftige Oxtorner zu Gesicht bekomme.«
Ein wenig verlegen zuckte Perish die Schultern. Ihn berührte es immer etwas unangenehm, wenn man solches Aufheben um seine Abstammung machte.
»Wir Oxtorner sind auch nur Menschen«, erwiderte er. »Und im Grunde genommen fühlen wir uns recht einsam, wenn wir nicht gerade unter unseresgleichen sind. Es ist nicht besonders erhebend, als Wundertier betrachtet zu werden.«
Die sieben Soldaten grinsten. Es waren allesamt Männer im Alter zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahren, und die Ordensschnallen an ihren Kombis zeugten davon, daß sie ihre Feuertaufe längst hinter sich hatten. Perish hätte jede Wette gehalten, daß es sich um hochintelligente Spezialsoldaten handelte.
»Immerhin«, wandte Geraldi ein, »könnte man Sie leicht für einen Erdgeborenen halten. Darf ich fragen, ob Ihr Haar echt ist oder nur eine Perücke?«
»Keines von beiden«, entgegnete Perish unwillig. Er liebte es nicht, wenn die Rede auf seinen gänzlich unoxtornischen Haarwuchs gebracht wurde. »Jemand hat mir die Schädeldecke mit einem Strahler säuberlich abgetrennt, und die Biomediziner züchteten mir eine neue Haut auf der Leichtstahlprothese; leider unterlief ihnen dabei der Fehler, sie mit den Anlagen zum Haarwuchs zu versehen.«
Der Captain errötete leicht.
»Das wußte ich nicht, Sir.«
»Ist auch unwichtig.« Perish Mokart winkte ab. »Können wir jetzt aufbrechen?«
»Selbstverständlich, Sir!«
Geraldi gab seinen Leuten einen Wink, und die sieben Soldaten nahmen ihr Marschgepäck auf. Sie ließen sich von Cronot Mokart in den Laderaum der Superschildkröte führen und bewunderten die Innenausstattung des Geländefahrzeuges gebührend. Besondere Aufmerksamkeit zollten sie dem fast mannshohen Sportbogen, der neben einem Pfeilköcher und einer Zielscheibe an der Wand hing.
»Sammeln Sie altertümliche Waffen, Sir?« fragte einer der Soldaten verwundert.
Perish grinste.
»Das ist keine altertümliche Waffe, auch wenn sie nach einem Prinzip arbeitet, das schon in der Vorzeit bekannt war. Der Bügel beispielsweise besteht aus Elastonit, die Sehne aus Terkonitstahldraht. Die Schäfte der Pfeile sind aus Leichtstahl, die Pfeilspitzen aus MV-Metall und abnehmbar; man kann sie durch Spezialspitzen mit verschiedenen Ladungen ersetzen. Mein Vater betreibt das Bogenschießen als Freizeitbeschäftigung.«
Cronot lächelte.
»Es ist ein guter und nützlicher Sport. Auf Alyra beispielsweise überlebte ich nur deshalb, weil ich einen Nachtangriff der Achuurs, das sind gigantische Raubsaurier, mit dieser Waffe abschlagen konnte. Die Pfeile durchdringen selbst die stärkste Panzerhaut, und mit einer Atothermladung in der Spitze könnte ich sogar einen terranischen Flugpanzer vernichten.«
Captain Geraldi strich bewundernd über die Pfeilschäfte.
»Ich hätte nie gedacht, daß mit einem so uralten Waffenprinzip heute noch erfolgreich gekämpft werden kann, aber bei euch Oxtornern muß man wohl mit den unwahrscheinlichsten Dingen rechnen ...«
Er blickte Perish prüfend an.
»Und was haben Sie für ein Hobby?«
»Meinen Sie, ich müßte eins haben?«
Geraldi nickte ernsthaft.
»Wenn ich das Muskelspiel unter dem Schulterteil Ihrer Kombination sehe, tippe ich auf Ringen oder Rudern.«
»Falsch getippt, mein lieber Captain. Kennen Sie Dragonflying ...?«
»Was?« rief ein hünenhafter Soldat. »Sie sind Dragonflyer? Und da haben Sie noch nie an unseren Wettkämpfen teilgenommen?«
»Sie mit Ihrem Körpergewicht können fliegen?« fragte der Captain verblüfft. »Mit solchen Fledermausflügeln, mit denen man unter den Kuppeln Tritonas herumflattert?«
»Mit Drachenflügeln!« verbesserte ihn Perish lächelnd. »Natürlich benötige ich bedeutend mehr Flughautfläche als ein Erdgeborener, aber es geht; sogar auf Oxtorne betreiben wir diesen Sport. Die 4,8 Gravos werden durch die starken Aufwinde unter den Gewitterwolken mehr als ausgeglichen. Der Rekord liegt bei zweihundertvier Stunden – Erdzeit natürlich.«
»Und wenn ich mich nicht irre, sind Sie der Rekordhalter«, warf der hünenhafte Soldat wieder ein.
Perish Mokart zuckte verlegen die Schultern.
»Man tut, was man kann.«
Er verschloß die Heckluke der Superschildkröte, forderte die Soldaten auf, während der Fahrt auf den herabklappbaren Bänken Platz zu nehmen und kletterte zur Fahrerkuppel hinauf.
Sein Vater blieb unten. Dafür folgte ihm der Captain.
Mit einem heftigen Ruck zog das Gleiskettenfahrzeug an und schoß auf den Kuppelausgang zu.