Читать книгу Perry Rhodan 1554: Kinder des Monos - H.G. Francis - Страница 4
Оглавление1.
»Er hat es gewagt«, sagte Ailka. Sie trat an den Schreibtisch des Generals heran und legte vier fingerdicke, vertrocknete Triebe vor ihn hin. Sie waren bräunlichgelb und etwa einen halben Meter lang. »Leider hat er keinen Erfolg gehabt. Diese Triebe sind nicht angewachsen.«
»Willst du damit sagen, dass es noch mehr gibt?«, fragte der alte Mann schockiert.
Beim Anblick der jungen Frau stockte ihm gleich der Atem, und für einige Atemzüge schien er die vertrockneten Triebe der Asor-Pflanze vergessen zu haben, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Sie war nur wenig kleiner als er selbst und hatte keine äußerlich sichtbaren Missbildungen, abgesehen davon, dass sie zu groß geratene Ohrmuscheln besaß, die sie unter dem dunklen Haar zu verbergen versuchte. Ihre Haut war glatt, jung und makellos. Sie trug ein blaues Top, das ihr nur knapp bis über die Brüste reichte, und eine eng anliegende Hose, deren Gürtelsaum eine Handbreit unter dem Bauchnabel endete. Das Stück zwischen ihm und dem Top war unbedeckt. Es zog seine Blicke magisch an, und er wünschte sich nichts mehr, als seine Hände auf ihre Hüften legen zu dürfen und sie an sich zu ziehen.
Ein spöttisches Lächeln schwebte auf ihren Lippen, und in ihren Augen schimmerte es eigenartig.
Dem General war, als wolle sie ihm mit jeder Geste, mit jeder Bewegung, mit jedem Blick zu verstehen geben, dass er zu alt für sie war. Doch so alt war er noch nicht.
Ein schrecklicher Verdacht kam in ihm auf. Hatte sie ihm die vertrockneten Asor-Triebe auf den Tisch gelegt, um ihm damit zu bedeuten, was sie von ihm hielt?
Nein!
Er verwarf diesen Gedanken. Es konnte nicht sein. Kein Monkin hätte es gewagt, ihn derart zu provozieren.
»Danke!«, sagte er mit dunkler Stimme. »Du hast gute Arbeit geleistet, Ailka, auch wenn es dir nicht gelungen ist, eine männliche Asor zu uns zu bringen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass du eine nahezu unlösbare Aufgabe zu bewältigen hattest. Damit bist du im engeren Kreis der Rose-Kandidaten – zumal du mir diese Triebe als Beweisstücke gebracht hast.«
»Das hatte ich gehofft.« Jetzt entblößte sie ihre Zähne zu einem strahlenden Lächeln. »Es tut mir Leid, dass ich keine lebende Asor auf Skiagatan landen konnte.«
»Ich weiß«, erwiderte er. »Es bleibt das Geheimnis der Asor, weshalb sie eine Landung nicht überstehen. Ich selbst wäre daran fast verzweifelt.«
»Shohank hat es mir erzählt«, eröffnete sie ihm. Dann hob sie entschuldigend eine Hand, als wolle sie im Vorhinein seine Vorwürfe abwehren. »Ich soll dir ausrichten, dass er gleich kommen wird. Er möchte mit dir reden.«
»Das muss er wohl auch«, entgegnete der General mit einem bezeichnenden Blick auf die vertrockneten Triebe.
Rückwärtsschreitend begab sie sich zur Tür, dort neigte sie kurz ihren Kopf und eilte hinaus.
Der alte Mann lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er spürte eine Kraft in sich, die er schon lange vermisst hatte, und mehr denn je wurde er sich dessen bewusst, dass er nicht mehr lange leben würde. Der Schatten des Todes lauerte schon irgendwo hinter ihm, doch er war entschlossen, ihn zurückzudrängen.
Vielleicht half ihm das Licht dabei, das diese junge Frau in sein Leben bringen würde – wenn es ihm gelang, sie für sich zu gewinnen.
Der General wusste nicht genau, wie alt er war. Irgendwann hatte er es aufgegeben, die Jahre zu zählen. Ihm war jedoch klar, dass er ungefähr 70 Jahre alt sein musste. Doch zuweilen fühlte er sich wie ein Greis.
Er erhob sich und trat durch eine Glastür auf eine Empore hinaus, von der aus er nahezu die ganze Schlucht einsehen konnte, in der die Monkin, wie sie sich nannten, ihr kleines Paradies errichtet hatten.
Skiagatan war eine der zwölf Monkin-Stützpunkte, und sie hatten sein Herz, die Schlucht Parais, zu einer eigenen, besonders schönen Welt gemacht, die so gut wie nichts mehr mit der lebensfeindlichen Umwelt auf dem Planeten gemein hatte.
Skiagatan war der fünfte Planet der Sonne Plaun. Er war annähernd 1200 Lichtjahre in Richtung Milchstraßenperipherie von Arkon entfernt und lag etwa 1000 Lichtjahre außerhalb von M 13. Es war eine karge, sauerstoffarme Welt, in der sich Menschen ohne Hilfsmittel kaum lange halten konnten. Parais war die einzige Oase in dieser Welt, und in ihr lebten über neunzig Prozent aller Monkin, die es auf Skiagatan gab.
Der General blickte zu dem lichtgrünen Geflecht hinauf, das die Schlucht etwa tausend Meter über ihm überspannte. Es reichte von Gipfel zu Gipfel und schloss die Schlucht nahezu hermetisch gegen die Außenwelt des Planeten ab. Er selbst hatte die beiden Asor-Pflanzen aus einem fernen Sonnensystem mitgebracht, nachdem er von ihren Eigenschaften erfahren hatte. Mehr als tausend Pflanzen beiderlei Geschlechts hatte er an Bord seines Raumschiffs gehabt, als er nach Skiagatan zurückgekehrt war, doch nur zwei hatten die Landung überlebt. Alle anderen waren eingegangen, noch bevor er die Schleusen geöffnet hatte. Doch diese beiden hatten sie auf den Gipfeln der Berge eingepflanzt, die die Parais-Schlucht begrenzten, und das Wunder war geschehen. Die Pflanzen waren gediehen, und sie waren schnell gewachsen. Sie hatten zwei riesige Schirme gebildet, die sich schließlich mitten über der Schlucht getroffen und miteinander vereinigt hatten.
Von diesem Tag an hatte Parais ein gewaltiges, natürliches Dach gehabt, das nicht nur vor der Außenwelt schützte, sondern auch Kohlendioxyd in organische Produkte verwandelte, die es nach unten abgab. Auf diese Weise war ein blühendes Paradies entstanden, in dem sich alle Monkin ohne Atemhilfsgeräte bewegen konnten, und in denen alles wuchs, was die Bewohner von Parais zum Leben brauchten.
Das war der Anfang gewesen. Von da an war es aufwärts gegangen. Der General hatte einen kühnen Entwicklungsplan entworfen, den er in den folgenden Jahren nicht nur eingehalten, sondern sogar noch um wesentliche Teile erweitert hatte.
Parais war danach nicht nur zu einem landwirtschaftlichen Zentrum geworden, in dem buchstäblich alles erzeugt werden konnte, was verlangt wurde, sondern Skiagatan war darüber hinaus auch in die Lage versetzt worden, die anderen Stützpunkte der Monkin mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Ein blühendes Gemeinwesen war entstanden, das sich auf dem Tauschweg alle Güter für den täglichen Bedarf beschaffen konnte, und das darüber hinaus Luxusgüter erstand, die auf anderen Stützpunkten weitgehend unbekannt waren.
Kleine Fabrikations- und Entwicklungsstätten waren entstanden, die technische Dinge für den Handel entwickelten, mit deren Hilfe der Wohlstand von Parais weiter gesteigert werden konnte.
Mehr als fünfundzwanzig Jahre lang hatte der General an der. Spitze der Todgeweihten gestanden, unermüdlich für sie gearbeitet und nur selten an sich gedacht. Die Arbeit war ihm Erfüllung gewesen und hatte ihm über all die Jahre hinweg nicht nur hohes Ansehen, sondern auch eine tiefe Befriedigung verschafft.
Der Wohlstand der Monkin von Skiagatan hatte den Neid anderer erregt und für einen steten Zustrom von Siedlern gesorgt. Zunächst hatten sich die Skiagataner gegen die Zuwanderung gesträubt, doch da sie selbst keine Nachkommen zeugen konnten, hatten sie nach und nach eingesehen, dass sie ihren Wohlstand nur erhalten konnten, wenn die immer wieder entstehenden Lücken in ihren Reihen von außen aufgefüllt wurden.
Doch vielen Monkin war immer noch nicht gut genug, was sie in Parais hatten. Sie sahen sich als Todgeweihte, und sie wussten, dass ihr Leben nur kurz sein würde. Sie entflohen der Sicherheit nur zu gern, um auf anderen Welten Raubzüge durchzuführen und dabei ihre Abenteuerlust zu befriedigen.
Der General hatte sie stets gewähren lassen, und einige Male hatte er selbst an solchen Piratenüberfällen teilgenommen. Er hatte keine Gewissensbisse dabei empfunden. Sollten die »Normalen« ruhig etwas von ihrem Besitz abgeben. Sie würden lange genug leben, um die Verluste hundertfach wieder ausgleichen zu können.
Mit dem Zusammenwachsen der beiden Pflanzen über Parais aber war auch Streit entstanden. Sehr bald hatte man gemerkt, dass es zwei weibliche Pflanzen waren. Eine Fortpflanzung war nicht möglich, solange ein männliches Exemplar fehlte. Daran aber hatten sich die Auseinandersetzungen entzündet. Die Monkin mit Shohank an der Spitze wollten mehr. Die Todgeweihten wollten sich nicht mit der Tatsache zufriedengeben, dass es auf dem ganzen Planeten Skiagatan nur diese eine Schlucht mit so wundervollen Lebensbedingungen gab. Sie wollten nicht nur eine Oase des Wohlstands. Sie hätten am liebsten den ganzen Planeten erschlossen, damit alle Monkin auf Skiagatan leben konnten.
Der General drehte sich um und betrachtete sich in der spiegelnden Scheibe der Tür. Er war 1,86 Meter groß, aber das feuerrote Haar, das seinen Schädel als mächtige Mähne umgab, ließ ihn größer erscheinen. Seine linke Schulter hing merklich tiefer als die rechte. Auf der Stirn trug er die Ansätze zwei weiterer Augen, die jedoch nicht funktionsfähig waren. Er war ein wenig füllig geworden, wobei vor allem die kurzen Beine Fett angesetzt hatten, so dass sie noch stämmiger wirkten als in seinen jüngeren Jahren.
Er trat ein wenig näher an die Tür heran, und seine Fingerspitzen strichen sanft über die tiefen Falten, die sich von den Augenwinkeln über die Wangen bis zu den Kinnladen herabzogen. Die gelblich schimmernden Augen lagen tief in den Höhlen, umgeben von Kränzen zahlloser Falten. Sie ließen ihn alt aussehen, jedoch nicht greisenhaft.
Er atmete tief durch und richtete sich zugleich höher auf.
Er war stolz auf das, was er geleistet hatte.
Parais war allein sein Werk. Niemand außer ihm hatte es geschafft, eine lebende Asor-Pflanze auf einen anderen Planeten zu bringen und dort anzusiedeln.
Seit es ihm vor nahezu drei Jahrzehnten gelungen war, sich zum General über die Monkin von zwölf Stützpunkten zu machen, hatte er seine Macht ausgebaut. Jetzt war er ihr unumschränkter Herrscher. Über ihm stand nur noch der Stratege, aber von dessen Existenz wusste kaum jemand außer ihm. Noch weniger bekannt war, dass der Stratege ein ehemaliger Mitarbeiter der Organisation WIDDER war.
Ein bitteres Lächeln glitt über die Lippen des Generals, als er an den Strategen dachte. Sein ursprüngliches Ziel war gewesen, selbst Stratege zu werden, doch er wusste, dass seine Lebenskraft dafür nicht mehr ausreichte. Das Ende nahte. Er konnte die Schatten des Todes vielleicht noch einmal zurückdrängen, aber endgültig verbannen konnte er sie nicht. Das konnte niemand.
Wirklich niemand?
Ein Gedanke durchzuckte ihn, und er fühlte, wie ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief.
Oh, doch, es gab jemanden, der das konnte!
Er hörte, dass Shohank sein Arbeitszimmer betrat. Der junge Mann war leicht an seinem Gang zu erkennen. Sein rechter Fuß war nahezu doppelt so groß und schwer wie der linke. Daher trat er mit ihm viel kräftiger auf und schleifte ihn dann hinter sich her.
Der General presste die Lippen zusammen, und seine Augen schlossen sich für einen kurzen Moment. Er wusste, dass Shohank Ailka umwarb und für sich gewinnen wollte. Sein einziger Vorteil war seine Jugend, und den glaubte der General durch vieles andere wettmachen zu können.
Aber das war nicht das einzige Ziel Shohanks. Der General war sich dessen sicher, dass er auch sein Nachfolger werden wollte. Sein Verhalten deutete darauf hin, und die Tatsache, dass er einer der beiden Asor-Pflanzen Triebe entnommen hatte, war ein untrügliches Anzeichen dafür.
Er blickte ins Tal und freute sich über die grünenden Wälder, die goldgelben Kornfelder und die blau, rot und gelb blühenden Nuss-Plantagen, auf denen die wohl wichtigsten Nahrungsmittel der Monkin gezogen wurden. Sie waren sein Werk. Ohne seinen Ideenreichtum, ohne seine Überzeugungskraft und ohne seine Initiative wäre dies alles nicht entstanden. Alle Monkin wären rund um die Uhr damit beschäftigt gewesen, für ihre Ernährung zu sorgen und dem unwirtlichen Planeten irgendetwas Essbares abzuringen. Niemand hätte Zeit für ein paar Mußestunden gehabt, die allen nun schon selbstverständlich geworden waren, und an Luxus hätte niemand zu denken gewagt.
Er drehte sich um und kehrte in sein Arbeitszimmer zurück, wo Shohank in trotziger Haltung vor dem Schreibtisch wartete.
Der General setzte sich, beugte sich vor und blickte den jungen Mann schweigend an.
Shohank hatte schwarzes Haar, das er straff von links nach rechts über den Schädel gekämmt hatte, um es über dem rechten Ohr mit einer Metallspange zu einem Zopf zusammenzuklemmen. Seine blauen Augen waren groß und ausdrucksvoll. Ein wenig zu groß, wie der General fand. Er hatte zwei Mundöffnungen. Eine auf der linken, eine auf der rechten Wange. Beide waren lippenlos, und wenn er sprach, dann bewegte er mal den einen, mal den anderen Mund.
»Was hast du dir dabei gedacht?«, fuhr der General den jungen Mann an. Schwer ließ er seine Hand auf die Schreibtischplatte herabfallen. »Ich habe dir und allen anderen verboten, die Asor-Pflanzen anzurühren. Aber du wolltest dich nicht fügen. Du hast Triebe entnommen.«
»Ich bin noch nicht tot«, erwiderte Shohank.
»Was willst du damit sagen?«
»Genau das, was ich gesagt habe. Du hast Parais geschaffen. Oh, ja! Und wir alle sind dir dankbar dafür. Wir können in einer angenehmen Umwelt leben. Aber was geschieht mit uns? Wir leben nicht, sondern wir richten uns auf ein langsames, aber unausweichliches Sterben ein.«
Shohank trat einen Schritt vor. Er beugte sich nach vorn und stützte sich mit beiden Fäusten auf die Schreibtischplatte.
»Sieh doch mal hinaus!«, rief er. »Und achte nicht nur auf die grünen Bäume, auf die Felder und die Blumen. Sieh dir die Monkin an. Überall begegnen dir Sterbende. Niemand hat die Kraft, sich gegen das Schicksal aufzulehnen. Niemand ist bereit zu kämpfen. Wach endlich auf! Wir sind in einem Paradies der Sterbenden! Wir stagnieren in unserer Entwicklung, und Stagnation ist für uns gleichbedeutend mit Sterben.«
»Na und?«, fragte der General. »Willst du lieber draußen in der Wildnis leben, wo nur wenige ohne Atemhilfsgeräte überleben können, wo es kaum Vegetation gibt, wo du so gut wie keine Tiere siehst?«
»Nein«, erwiderte Shohank. »Ich will, dass wir weitere Schluchten erschließen. Ich will, dass wir weitere Paradiese schaffen, in denen viele von uns leben können. Ich will, dass wir Aufgaben haben, für die wir uns einsetzen können. Ich will, dass wir Skiagatan zu einer Welt aufbauen, auf der wir mehr tun können, als uns auf das Sterben vorzubereiten.«
»Und was wäre das?«
»Forschung!« Der junge Mann schrie ihm diesen Begriff förmlich entgegen. »Wir müssen endlich herausfinden, warum wir eine so niedrige Lebenserwartung haben. Wir müssen klären, was uns umbringt. Wir müssen uns einen Weg in die Zukunft öffnen. Wir müssen hoffen!«
»Flammende Worte!« Spöttisch verzog der General die Lippen. »Wie schön sich das alles doch anhört. Da möchte man ja sofort in Begeisterung ausbrechen.«
»Und was hindert dich daran?«
»Die Realität!«
Shohank war verwirrt. Er blickte den General unsicher an.
»Was für eine Realität?«, fragte er besorgt.
»Unsere Realität.« Der Alte erhob sich. Er trug lange Lederstiefel, eine enge Hose und eine weite Bluse mit großen Taschen. »Wir sind keine Wissenschaftler. Wir haben einige Schulen, um allen, die etwas lernen wollen, das Nötige beizubringen. Aber niemand von uns ist qualifiziert genug, Forschung zu betreiben. Es würde Jahre dauern, Mediziner auszubilden, die in der Lage wären, sich mit unserem Problem zu befassen und der Ursache der rapiden Alterung auf den Grund zu kommen.«
Shohank lachte höhnisch.
»Das ist es eben«, sagte er. »Genau das habe ich gemeint, als ich betonte, dass ich noch nicht tot bin. Ich denke nicht daran, solche Überlegungen aufzugeben, bevor ich sie zu Ende gedacht habe. Ich gebe nicht auf. Ich resigniere nicht vor unseren Problemen. Ich fühle eine ungeheure Kraft in mir. Sie wird mich ans Ziel führen.«
»Ach, tatsächlich?« Der General blickte ihn kühl und abweisend an. »Hoffentlich verrechnest du dich nicht. Du hast den Hals bereits in der Schlinge, und sie wird sich zuziehen, falls den Asor-Pflanzen etwas geschieht. Dann wird dich niemand und nichts mehr vor dem Tod retten.«
Shohank erbleichte.
»Du drohst mir?«, fragte er.
»Das ist keine Drohung«, antwortete der Alte. »Es ist eine Feststellung. Wir haben das Asor-Gesetz. Es besagt, dass niemand die Pflanzen beschädigen darf. Schneidet etwa jemand Triebe ab, dann ist das eine Beschädigung, und wenn die Pflanze darauf reagiert, womöglich eingeht, dann ist die Todesstrafe zwingend vorgeschrieben.«
»Sie wird nicht eingehen. Im Gegenteil. Jeder, der etwas von Pflanzen versteht, weiß, dass Pflanzen hin und wieder beschnitten werden müssen, damit sie umso besser gedeihen können.«
»Wir warten ab«, erklärte der General. »Schon morgen kannst du dich davon überzeugen, ob du leben oder sterben wirst. Verfärben die Asor-Pflanzen sich, bilden sich Risse oder gar faulige Stellen, dann kannst du dir den Strick schon um den Hals legen.«
Der Alte blickte Shohank an, und seine Augen wurden schmal.
»Und jetzt raus!«, befahl der General. »Verschwinde, oder ich sorge dafür, dass du die nächste Stunde nicht mehr erlebst!«
Shohank war bleich geworden und seine Lippen zitterten. Er schien nicht damit gerechnet zu haben, dass der General so hart reagierte. Auch schien er nicht daran geglaubt zu haben, dass die abgeschnittenen Triebe so rasch vertrockneten. Er war vielmehr davon überzeugt gewesen, dass sie im Boden anwachsen würden. Mit ihrer Hilfe hatte er gehofft, eine weitere Schlucht erschließen und zu einem Paradies für die Monkin machen zu können. Wenn eine Vermehrung durch Samen schon nicht möglich war, so musste sie doch durch Ableger erreichbar sein.
»Geh jetzt!«, befahl der General, und Shohank gehorchte.
Der alte Mann ließ sich in seinen Sessel sinken. Er blickte auf die geschlossene Tür und überlegte verzweifelt, was er tun konnte, um den Stützpunkt Skiagatan zu retten.
Wir haben zu lange in Frieden gelebt, erkannte er. Hin und wieder ein Überfall auf eine Stadt anderer Welten, das war alles. Es genügt nicht. Es gibt zu viele unter uns, die nicht zufrieden sind mit dem, was sie haben. Den allzu frühen Tod vor Augen, wollen viele lieber etwas riskieren, als in Sicherheit und Bequemlichkeit zu leben.
Er horchte in sich hinein, und er musste zugeben, dass es ihm nicht anders erging.
Ich bin eben nicht das, was man normal nennt!, durchfuhr es ihn. Und ich bin noch nicht tot. Ich lebe!
Obwohl er es nicht wollte, schweiften seine Gedanken zu der jungen Ailka ab, und er spürte ein immer stärkeres Verlangen in sich.
Noch einmal eine so junge und schöne Frau in den Armen halten, bevor es endgültig zu spät war! Ailka einmal besitzen! Dafür lohnte es sich, aus seinem eigenen Schatten herauszutreten und etwas zu wagen.
Er musste an die Worte denken, die Shohank ihm ins Gesicht geschleudert hatte.
Ich bin noch nicht tot!
Er erhob sich und verließ den Raum. Wenig später trat er durch das Portal des Palasts ins Freie hinaus. Tief atmete er die würzige Luft ein, die von den Plantagen herüberwehte.
Er hatte unendlich viel geleistet in den letzten Jahren. Mit einer wahren Besessenheit hatte er um Parais gekämpft, dem Boden buchstäblich jeden Grashalm abgerungen, bis ein kleines Paradies entstanden war.
Hatte er darüber vergessen zu leben? Hatte er den Schatten des Todes übersehen, der immer größer und bedrohlicher geworden war?
Siebzig Jahre und schon ein Greis!
Ohnmächtiger Zorn kam in ihm auf, wenn er daran dachte, dass sogenannte normale Terraner mühelos ein Alter von 200 Jahren und mehr erreichten. Warum durften sie mit 70 Jahren noch Männer voller Saft und Kraft sein, während er in diesem Alter tagtäglich mit dem Tod rechnen musste? Warum war das Schicksal zu ihnen so gnädig und zu den Monkin so grausam? Hatten sie nicht alle den gleichen Ursprung?
Einmal wieder aus voller Lebensfreude lachen können, einmal völlig unbeschwert und frei von dem Gedanken an den nahen Tod sein!
Das waren die Wünsche, die ihn beseelten und die ihn keine Sekunde lang losließen. Was auch immer er tat oder dachte, sie waren stets im Hintergrund.
Ein Todgeweihter aus der Linie der Topsider schleppte sich heran. Er hatte drei Beine, und der Unterkiefer war unterentwickelt. Mächtige Hauer ragten aus dem Oberkiefer.
»Sie sind nach oben gegangen, General«, meldete der Topsid-Abkömmling und zeigte dabei zu den Gipfeln der südlichen Bergflanke hinauf. »Sie haben gesagt, dass heute ein neuer Tag beginnt, der Tag, an dem wir aufbrechen, um uns den ganzen Planeten untertan zu machen.«
Der Alte begriff. Shohank hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen. Er wollte nach Ablegern der Asor-Pflanze suchen, um sie abzutrennen und in anderen Gegenden von Skiagatan anzusiedeln. Es war ein Experiment, das scheitern musste.
Der General blickte zu den weißen Häusern hinüber, die sich in der Tiefe der Schlucht zusammendrängten. Sollte er Hilfe holen? Sollte er die anderen Monkin auffordern, sich an seine Seite zu stellen, um Shohank zur Ordnung zu rufen?
Er entschied sich dagegen, denn plötzlich kamen ihm Zweifel, ob die Monkin ihm überhaupt noch folgen würden.
Während der Topsider sich humpelnd entfernte, blieb der General wie angewurzelt auf der Stelle stehen. Er spürte, dass ihm die Macht entglitt, und er wurde sich dessen bewusst, dass er sich seiner Entscheidungen nicht mehr so sicher war wie früher, dass er nicht mehr so konsequent war wie in den vergangenen Jahren. Er dachte zu lange über die Argumente der anderen nach, auch wenn er glaubte, erkannt zu haben, dass sie falsch waren.
So wirst du Ailka nie für dich gewinnen können, begriff er. Du brauchst eine große, spektakuläre Aktion, die dich heraushebt aus der Masse der anderen, vielleicht gar eine, die geschichtliche Dimensionen hat!
Er eilte zu seinem Gleiter. Noch wusste er nicht, was er tun sollte, doch er hatte sich entschlossen, etwas zu unternehmen – auch wenn es möglicherweise falsch war.
Er stieg in die Maschine, die alt und verrostet war, und plötzlich musste er lachen.
»So was nennt man Imponiergehabe«, rief er sich zu, während er startete. »Wenn das den jungen Leuten gefällt, muss ich wohl darauf zurückgreifen.«