Читать книгу Perry Rhodan 1012: Der programmierte Mann - H.G. Francis - Страница 4
ОглавлениеDer Hanse-Spezialist tippte eine Kodezahl in die Tastatur des Videogeräts, das über eine zentrale Computeranlage gesteuert und mit Informationen versehen wurde. Die Zentraleinheit reagierte auf den Befehl und blendete die von Terra kommende und schon vor mehreren Stunden aufgegebene Meldung ein:
»Aufgrund der jüngsten Ereignisse – wie etwa der Angriff von Seth-Apophis-Agenten mit Computerbrutzellen – hat das HQ-Hanse in Terrania angeordnet, möglichst alle bekannten potentiellen Seth-Apophis-Agenten zu überwachen, damit von ihnen keine weiteren Computerbrutzellen verteilt werden können.
Zur Erinnerung: Nur, wenn Seth-Apophis ihre Agenten aktiviert, sind diese sich ihrer Zugehörigkeit und ihrer Aufgabe bewusst. Nach dem Ende der Aktivierung wissen sie nichts mehr. Sie sind dann so, wie sie vorher waren – brave und biedere Bürger, pflichtgetreue Beamte, genialische und eigenwillige Künstler, untadelig erscheinende Persönlichkeiten von hohem oder niederem Rang und in jedem Alter. Auch ein Kind oder ein Greis kann ein potentieller Seth-Apophis-Agent sein. Sie tragen eine Maske, die schwer oder gar nicht zu durchschauen ist.
Deine Aufgabe: Finde heraus, wer in deinem Verantwortungsbereich Seth-Apophis-Agent ist. Nach uns vorliegenden Informationen ist sicher, dass es dort einen gibt.«
1.
Missmutig blickte Bruke Tosen in den Regen hinaus, der gegen die Fenster des Raumhafengebäudes peitschte. Die Sicht reichte nicht weit. Er konnte die walzenförmige XIN-I, das Flaggschiff der Raumflotte der Xingar-Springersippe, gerade noch sehen. Es erhob sich wie eine düstere Wand auf der einen Seite des Raumhafens von Jarvon und schien Teil der mächtigen Vulkane zu sein, die die Stadt umgaben.
Bruke Tosen hasste es, bei dieser Witterung nach draußen gehen zu müssen. Aber er hatte keine andere Wahl. Die Dienstvorschriften steckten ihm einen engen Rahmen, innerhalb dessen er sich zu bewegen hatte. Er streifte einen Regenmantel über und stülpte sich einen Hut aus leuchtend gelbem Kunststoff über den Kopf. Dann drehte er sich nach dem Halkonen Primas um. Das Wesen kauerte unter einer Bank neben Tosens Arbeitstisch und hatte den langgestreckten Kopf unter den Pelzpranken vergraben.
»Was ist mit dir, Primas?«, fragte Tosen seufzend. »So müde kannst du doch gar nicht sein. Ich brauche dich.«
Er erzielte nicht die geringste Reaktion, und er wusste, dass es sinnlos war, den Halkonen wecken zu wollen.
»Hast ja recht«, murmelte er. »Bei diesem Wetter mag man nicht einmal einen Hund hinausjagen.«
Er hielt verwundert inne.
»Weißt du eigentlich, was ein Hund ist?«
Vergeblich hoffte er, dass der Halkone zumindest ein Auge öffnen würde. Wenn das der Fall war, dann wäre es vielleicht möglich gewesen, ihn zu einem Arbeitseinsatz zu überreden.
»Na schön«, seufzte der Beamte. »Dann eben nicht.«
Er legte die Atemmaske an, die ihn vor schädlichen Stoffen in der Atmosphäre von Jarvith-Jarv schützte, und ging in den Regen hinaus. Fluchend blickte er zu den Trümmern des Daches hinauf, das beim letzten Sturm hinweggeflogen war. Da die Mühlen der Bürokratie auf Jarvith-Jarv allzu langsam arbeiteten, war es nicht möglich gewesen, das Dach innerhalb einer Woche zu reparieren. Und so musste er es sich gefallen lassen, dass der Regen auf ihn herabprasselte, während er zu seinem Spezialgleiter ging.
Die Vorstellung, dass Xingar und seine Leute an den Bildschirmen ihres Schiffes saßen und ihn beobachteten, verursachte ihm Magenschmerzen. Er meinte, sie schadenfroh lachen zu hören.
»Na wartet«, sagte er, als sich die Gleitertür neben ihm schloss. »Ich werde eure Freude ein wenig dämpfen.«
Er startete die Maschine und steuerte sie auf den Walzenraumer zu. Der Gleiter war mit modernsten Spür- und Untersuchungsgeräten ausgestattet, die die Fabriken der Erde zu liefern vermochten. Sie versetzten ihn in die Lage, den Walzenraumer weitgehend zu durchsuchen und dabei alles aufzuspüren, was auf der Verbotsliste stand.
Bruke Tosen war Einfuhrkontrolleur. Er überwachte den Importhandel im Namen des Hanse-Kontors auf Jarvith-Jarv, und er war stolz darauf, dass er bei den Händlern gefürchtet war. Ihm haftete der Ruf an, dass es sinnlos war, verbotenes Handelsgut nach Jarvith-Jarv schmuggeln zu wollen, solange er Dienst hatte. Und er wusste, dass mancher Händler bemüht war, die Zollkontrollen auf einen Zeitpunkt hinauszuzögern, an dem seine Dienstzeit vorbei war. Das war häufig gar nicht so schwierig, da Bruke Tosen nur drei Stunden pro Tag arbeiten musste. Er teilte sich die anfallenden Aufgaben mit drei Kollegen, auf die er mit einer gewissen Herablassung hinabblickte, weil er überzeugt davon war, dass sie ihren Dienst nur nachlässig versahen.
Glücklicherweise landete nicht alle paar Minuten ein Handelsraumschiff auf dem Raumhafen Jarvon. So groß waren der wirtschaftliche Bedarf und der Exportwille der Bevölkerung nicht, deren Zahl alles in allem nur wenig über zweihunderttausend lag. Davon lebten allein achtundvierzigtausend in der Hauptstadt. Tatsächlich kamen täglich nicht mehr als zwei bis drei Raumschiffe, und auch sie wurden nicht vollständig entladen und wieder beladen. Jeweils nur ein Teil der Ladung wurde ausgetauscht und auf Jarvith-Jarv umgeschlagen.
Dennoch galt der Planet, der nahe dem Zentrum der Großen Magellanschen Wolke lag, als bedeutende Handelswelt, denn es kam nicht nur auf die Menge der umgeschlagenen Waren, sondern vor allem auch auf die Qualität an.
Wichtigstes Exportgut war die Schwemmasche, die von den zahllosen Vulkanen des Planeten ausgeworfen wurde. Sie war wegen ihrer kristallinen Struktur außerordentlich begehrt und fand vor allem in der Mikrotechnik Anwendung.
Bruke Tosen hielt den Gleiter etwa hundert Meter von dem Walzenraumer entfernt an, der wie ein Berg vor ihm aufwuchs, und dessen obere Rundung im Dunst der tiefhängenden Wolken verschwand.
Der Importkontrolleur tippte eine Kodezahl in den Bordvideo, und augenblicklich erschien das bärtige Gesicht eines Springers im Projektionsfeld des Geräts.
»Importkontrolle«, erklärte Bruke Tosen. »Bitte, öffne die Hauptschleuse für mich.«
»Du, Tosen?«, fragte der Springer erstaunt. Seine Augenbrauen wölbten sich. »Wieso hast du Dienst? Wir haben Formier erwartet.«
»Das geht dich überhaupt nichts an und sollte dich nicht überraschen. Wenn du unsere gesetzlichen Bestimmungen beachtet hast, kann es dir egal sein, wer zu dir an Bord kommt.«
»Das ist doch immer das gleiche mit euch verfluchten Zöllnern«, schimpfte der Springer. »Anstatt dem freien Handel die Tore zu öffnen, kommt ihr kleinkarierten Geister daher und werft uns Knüppel in den Weg, wo immer ihr könnt.«
Bruke Tosen glaubte, sich verhört zu haben. Bisher hatte noch niemand gewagt, so mit ihm zu reden.
»Öffne die Hauptschleuse«, forderte er.
»Ist schon offen.« Der Springer schaltete ab.
Bruke Tosen wollte den Gleiter steigen lassen und blickte nach oben. Da sah er ein armlanges Stahlstück aus dem Dunst der Wolken auftauchen und auf ihn herabfallen. Bevor er reagieren konnte, war es auch schon an ihm vorbei und prallte laut klirrend auf den Kunststoffbeton. Es prallte davon zurück und hüpfte fast drei Meter in die Höhe, und stürzte klirrend und klappernd auf den Bug der Maschine.
Der Importkontrolleur erbleichte.
Er war sich darüber klar, dass der Stahl das Dach des Gleiters glatt durchschlagen und ihn getötet hätte, wenn es nur ein wenig mehr zur Seite gefallen wäre. Er presste die Lippen zusammen und jagte den Gleiter steil in die Höhe. Sekunden später landete er in der Hauptschleuse des Walzenraumers, die so groß war, dass mehr als zwanzig ähnliche Maschinen darin Platz gefunden hätten. Der Springer, der eben über Video mit ihm gesprochen hatte, kam ihm grinsend entgegen.
»Mann, Tosen«, sagte er, als der Kontrolleur ausstieg. »Mir ist ein Ding passiert. Als ich das Schott aufgefahren habe, ist ein Stahlstück runtergefallen.«
»Das habe ich gesehen«, erwiderte Tosen grimmig.
Der Springer lachte dröhnend.
»Wenn ich mir vorstelle, dass es dir auf den Kopf gefallen wäre ...!«
»Ich weiß nicht, was daran witzig sein soll«, schnappte Tosen zurück.
Der Springer blickte ihn erstaunt an.
»Tatsächlich«, sagte er. »Du hast keinen Humor. Na, dann komm. Ich will dir zeigen, was wir zu verzollen haben.«
Er wandte sich ab und ging auf eine Tür zu, so als sei es ganz selbstverständlich, dass Tosen ihm folgte.
»Warte«, sagte der Importkontrolleur energisch. »So einfach ist das nicht, Olof Xingar.«
Der Springer blieb stehen und drehte sich zu ihm um.
»Nicht?«, spöttelte er. »Was gibt es denn noch?«
»Was passiert ist, sehe ich als Totschlagversuch an, der gegen mich gerichtet war«, erklärte Tosen ärgerlich. »Das kann nicht ohne Folgen bleiben.«
Der rothaarige Händler schob beide Hände in die Hosentaschen. Er musterte Bruke Tosen, als sehe er ihn zum ersten Mal.
Tosen war ein mittelgroßer, etwa vierzigjähriger Mann, der sehr kräftig wirkte, ein wenig fettleibig, aber auch muskulös war. Die Schultern pflegte er nach vorn zu schieben, so dass er ein wenig gebeugt aussah. Er hatte dünnes, weizenblondes Haar, das er über der rechten Schläfe scheitelte. Die wasserblauen Augen wirkten erstaunt und befremdet, und zusammen mit der kleinen, spitzen Nase verliehen sie seinem Gesicht den Ausdruck eines Uhus. Dieses Aussehen war auch der Ursprung seines Spitznamens. Die anderen Beamten und die Händler nannten ihn fast nur die Eule.
Sie begegneten ihm zumeist mit einer gewissen Hochachtung, da sie wussten, dass er auf seinem Fachgebiet als Importkontrolleur ein absoluter Könner war, dem so leicht niemand etwas vormachte. Von ihm hieß es, dass ihm nichts durch die Finger schlüpfte, was nicht den Handelsbestimmungen entsprach.
Das Verhalten des Springers war daher ungewöhnlich. Es überraschte Tosen, und es veranlasste ihn zu allerlei Spekulationen.
Sie haben etwas an Bord, was sie an mir vorbeibringen wollen, dachte er. Sie versuchen, mich zu provozieren, weil sie sich einbilden, mich dadurch ablenken zu können. Aber sie sollen sich getäuscht haben.
»Totschlag?«, fragte der Springer. Er lächelte ungläubig. »Mann, Tosen, das ist nicht dein Ernst. Das Stahlstück ist mir versehentlich runtergefallen. Verlass dich darauf, dass ich dich getroffen hätte, wenn ich es gewollt hätte.«
Bruke Tosen fühlte, wie es ihn kalt überlief.
Das war deutlich, schoss es ihm durch den Kopf. Eine klare Kriegserklärung.
Er erinnerte sich daran, dass er mit der Xingar-Sippe schon seit geraumer Zeit Schwierigkeiten hatte. Immer wieder kam es vor, dass diese Sippe Dinge auf Jarvith-Jarv umzuschlagen oder einzuführen versuchte, die auf der Verbotsliste standen.
Xingar, der Patriarch der Sippe, war darüber hinaus ein hochpolitischer Mann, der mit ungemeiner Härte gegen die Kosmische Hanse kämpfte. Er dachte gar nicht daran, sich mit dem Verlust von Märkten abzufinden, die über mehr als zweitausend Jahre fest in den Händen der Springer gewesen waren. Für ihn – wie für viele andere Springer – war es ein Schock gewesen, dass die Kosmische Hanse auf diesen Märkten erfolgreicher war als er selbst.
Amby hat es dir angekündigt, dachte er, und ihm fiel ein, mit welcher Geringschätzung er die Warnung des Mädchens zur Seite geschoben hatte.
Er war auch jetzt nicht bereit, sich Sorgen zu machen.
Wer war er denn schon? Ein kleiner, unbedeutender Zöllner auf einem unwichtigen Planeten weitab von der Erde. Sein Einfluss auf das kosmische Geschehen war gleich Null. Und wenn er Xingar kontrollierte und an ungesetzlichen Manipulationen hinderte, so verringerte er höchstens den Gewinn des Springers. Das war aber auch alles.
Dafür, dass er sich streng an seine Vorschriften hielt, brauchte er keinen Mordanschlag auf sich zu befürchten. Selbst dann nicht, wenn der Sohn des Patriarchen so etwas sagte. Oder doch? Verbarg sich hinter dem Verhalten Xingars noch etwas anderes?
Er seufzte und nahm die Atemschutzmaske ab, als sich das Schleusenschott hinter ihm geschlossen hatte.
»Hör auf mit dem Unsinn«, forderte er. »Zeige mir lieber, was ihr einführen wollt.«
*
Ein sanfter Gong übertönte das Geklapper der Bestecke im Speiseraum des Luxusliners.
»Wir nähern uns dem Ende unserer Reise«, ertönte eine angenehme Frauenstimme. »In wenigen Minuten landen wir auf Jarvith-Jarv, dem vierten Planeten der Sonne Jarvith, einem gelben Stern, der nahezu im Zentrum der Magellanschen Wolke steht.«
Gruude Vern schob seinen Teller zurück, griff zur Serviette und tupfte sich die Lippen ab. Die grauen Augen, die einen seltsam anmutenden Kontrast zu dem braunen, faltigen Gesicht bildeten, blitzten auf. Sie blickten das junge Mädchen an, das ihm gegenüber am Tisch Platz genommen hatte, und sich in einen vergeblichen und kurios anmutenden Kampf mit einem exkaltischen Schalentier eingelassen hatte. Sie schob die Speise mit einem entsagungsvollen Seufzer von sich.
»Darf ich dir behilflich sein?«, fragte er höflich und zog den Teller an sich. Während sie ihn noch unsicher musterte, setzte er zwei Messer an und brach die Schale des Tieres mühelos auf. Der Duft des weißen Fleisches stieg ihr verführerisch in die Nase.
»Beeile dich«, riet er ihr. »Wir sind gleich da.«
»Jarvith-Jarv ist ein erdgroßer Planet, der einen äquatorialen Meeresgürtel hat. Dieser wird an einer Stelle durch eine riesige Landbrücke vom Nordkontinent zum Südkontinent unterbrochen«, fuhr die Frauenstimme aus dem Lautsprecher fort. »Auf der Mitte dieser Landbrücke liegt das Handelskontor der Kosmischen Hanse. Jarvith-Jarv hat eine Gravitation von 1,24 Gravos, eine mittlere Temperatur von 35 Grad und eine Eigenrotation von 28 Stunden. Es herrscht eine Treibhausatmosphäre, von der Sie jedoch innerhalb der Ansiedlungen wenig merken werden, weil alle Anlagen klimatisiert sind. Außerhalb der Gebäude müssen Sie Atemschutzfilter tragen, da die Atmosphäre schädliche Stoffe enthält.«
Amby Törn hörte nicht hin. Sie wusste schließlich, wie ihre Heimat aussah. Sie widmete sich lieber dem Schalentier, dessen Fleisch wahrhaft köstlich war.
»Fauna und Flora von Jarvith-Jarv ähneln jener der Erde im Mittleren Tertiär. Das Land ist weitgehend vulkanisch. Der Planet hat einen Mond, der wegen seiner Form, eine Art Doppelkugel, auch als Erdnuss bezeichnet wird.«
Gruude Vern beobachtete das Mädchen, das ihm gegenüber saß. Sie war ungewöhnlich schön. Sie war schlank und hatte tiefbraunes Haar, das ihr schmales Gesicht eng umschloss. Die ebenfalls braunen Augen waren groß und ungemein ausdrucksvoll. Sie verrieten viel Herzenswärme. Er spürte zu seinem Bedauern, dass sie ihm lediglich mit Höflichkeit begegnete und dass er keinen großen Eindruck auf sie machte.
»Das Handelskontor ähnelt allen Niederlassungen dieser Art. Es ist eine Stadt, die hufeisenförmig um einen Raumhafen angelegt ist. In der Stadt Jarvon leben etwa 48.000 Menschen und Nichtmenschliche. Der Bürgermeister ist ein Arkonide namens Kulgar Hars. Wichtigstes Handelsgut von Jarvith-Jarv ist die Schwemmasche, die ob ihrer kristallinen Substanzen für alle möglichen Dinge benutzt werden kann. Wir wünschen euch einen angenehmen Aufenthalt auf Jarvith-Jarv.«
Die Stimme verstummte, und ein weiterer Gong zeigte an, dass das Raumschiff auf Jarvith-Jarv gelandet war.
Gruude Vern lachte leise.
Auf einem Bildschirm über der Tür sah er den Raumhafen. Ein Walzenraumer parkte dort.
»Wichtigstes Handelsgut ist die Schwemmasche«, wiederholte er spöttisch. »Das Mädchen hat keine Ahnung.«
Amby Törn lächelte.
»Aber es ist so«, bestätigte sie. »Was könnte Jarvith-Jarv denn sonst noch verkaufen?«
Gruude Vern beugte sich vor. Seine Hand legte sich an den mit Diamanten besetzten Stern, der an einer Kette vor seiner Brust baumelte.
»Weißt du, weshalb ich hier bin?«
»Woher sollte ich?«
»Jarvith-Jarv hat eine Schwerkraft von 1,24 Gravos«, erwiderte er augenzwinkernd. »Sie ist tatsächlich noch etwas höher. 1,2446 Gravos, wenn wir's genau nehmen.«
»Ja – und?«
Der schlanke Mann mit dem braunen Gesicht schien nicht glauben zu wollen, dass sie nicht wusste, wovon er sprach. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und strich sich mit den Fingerspitzen über den Oberlippenbart. Er hatte sich während der gesamten viertägigen Reise um sie bemüht, zunächst auch einen gewissen Eindruck auf sie gemacht, hatte jedoch nichts erreicht. Jetzt schien es, als sei er ihr völlig gleichgültig, und als sei er dadurch verunsichert. Er sprach mehr und wortreicher als sonst. Bisher hatte sie ihn als Mann kennen gelernt, der eine kurze, fast abgehackt klingende Sprache hatte.
»Amby«, sagte er. »Auf der Erde ist eine Sportart groß im Kommen, die über Jahrhunderte hinweg völlig vergessen war: American Football.«
»Tut mir leid. Davon weiß ich nichts.«
»Ein Sport, der stahlharte Männer erfordert, Kämpfer, die bis zum Letzten gehen.«
»Ach, und die willst du auf Jarvith-Jarv finden?«, fragte sie lachend.
Er nickte ernsthaft.
»Die gesetzlichen Bestimmungen legen fest, dass die Sportler nicht von Welten kommen dürfen, die mehr als 1,25 g haben. Die Überlegenheit dieser Kämpfer wäre zu groß. Ich hoffe, dass ich hier einige Talente entdecke.«
»Verrückt«, entgegnete sie und erhob sich. »Dennoch – viel Erfolg.«
»Du hast recht. Wir sollten uns um unser Gepäck kümmern. Wir sind bereits gelandet und werden von Bord gehen.«
»Noch lange nicht.«
Er blickte auf den Bildschirm. Ziffern zeigten an, dass der Luxusliner bereits seit vier Minuten gelandet war. Gewöhnlich verließen zu einem solchen Zeitpunkt die ersten Passagiere bereits das Schiff.
»Du wirst ja sehen«, sagte sie und ging.
Gruude Vern konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendeinen Grund gab, länger als unbedingt notwendig an Bord zu bleiben. Er wollte jedenfalls so schnell wie möglich nach draußen, auch wenn es auf Jarvith-Jarv weitaus ungemütlicher war als an Bord. Er war nicht ungeduldig, aber an Bord war es langweilig geworden, und er wollte etwas anderes sehen. Zudem hatte er die Hoffnung aufgegeben, Amby Törn erobern zu können. Er spürte, dass da ein anderer Mann war, dem sie sich offenbar so stark verbunden fühlte, dass kein anderer Aussichten hatte, sie für sich zu gewinnen. Das war etwas, was er nicht nur bedauerte, sondern was ihn auch schmerzte. Gemeinhin hatte er ein recht oberflächliches Verhältnis zu Frauen. Das lag daran, dass er wenig Verständnis für andere hatte. Zwar verfügte er über sehr viel Einfühlungsvermögen, so dass er die Verhaltensweisen anderer erklären konnte, das hieß jedoch nicht, dass er es grundsätzlich auch akzeptierte. Er verlangte sich selbst sehr viel ab, war außerordentlich kritisch und war bereit, sich für seinen Beruf zu quälen. Das erwartete er allerdings auch von anderen, und er war nicht in der Lage, vor anderen Hochachtung zu empfinden, wenn sie in dieser Hinsicht anders waren als er.
Gruude Vern erhob sich. Er blieb noch einige Sekunden lang am Tisch stehen und betrachtete nachdenklich seine Hände.
Unter seinen Ärmeln lugten Spitzen hervor, und blitzende Ringe zierten seine Finger.
Sollte er den Schmuck zumindest vorübergehend ablegen, weil die Bewohner von Jarvith-Jarv womöglich einfacher und ursprünglicher waren als die anderer Welten? Hatten sie kein Verständnis für seinen Hang, sich mit schönen Dingen zu umgeben?
Er dachte an Amby Törn.
Auch sie war schön, und es hätte ihm gefallen, sie an seiner Seite zu sehen. Das jedoch nicht nur, um sich mit ihr zu schmücken, sondern weil er für sie mehr empfand als für andere Frauen. Sie machte Gefühle in ihm frei, über die er sich erhaben gefühlt hatte, und die ihn nun verunsicherten.
Als er zehn Minuten später mit seinem Gepäck, einem schwebenden Antigravkoffer, an der Hauptschleuse des kugelförmigen Luxusschiffs erschien, wartete Amby Törn mit einigen geschwätzigen Touristen darauf, das Schiff verlassen zu können. Einige von ihnen beschwerten sich lauthals darüber, dass sie immer noch warten mussten. Dabei hatten sie Zeit. Die Tempelruinen der ausgestorbenen Ureinwohner von Jarvith-Jarv standen seit Jahrtausenden in einer vulkanfreien Ebene im Norden. Sie würden auch in ein paar Stunden noch dort sein.
Gruude Vern war allerdings ebenfalls unruhig und ungeduldig.
»Warum steht der Antigravtunnel noch nicht?«, fragte er. »Das hätte doch längst erledigt sein können.«
Amby Törn lachte.
»Du bist auf Jarvith-Jarv«, erwiderte sie, als sei damit alles erklärt.
Vern gab sich damit jedoch nicht zufrieden.
»Ja – und?«
»Ja – und!«, äffte sie ihn nach. Sie deutete auf eines der beiden quadratischen Fenster im Schleusenschott. »Sieh doch hindurch. Drüben im Raumhafengebäude sitzt der Mann, der den Tunnel aufbauen soll.«
Gruude Vern folgte ihrem Rat. Er sah einen alten Arkoniden, der in einer blauen Prunkuniform an einem Tisch saß, Tee trank und sich mit zwei anderen Männern unterhielt.
»Der Mann macht nicht die geringsten Anstalten, den Tunnel zu errichten«, stellte er fest.
»Das ist Goron«, erläuterte sie belustigt. Die Touristen verstummten und hörten ebenfalls zu. »Er entstammt jener Arkonidenfamilie, die Jarvith-Jarv vor mehr als vier Jahrhunderten besiedelt hat. Diese Familie hat hier immer allein gelebt und den Planeten als ihr Eigentum betrachtet. Vor etwa zweihundert Jahren aber hat das Oberhaupt der Familie, die aus siebenundzwanzig Köpfen bestand, einen Vertrag mit der LFT geschlossen. Danach wurde Jarvith-Jarv unter terranische Verwaltung gestellt und ist nun auf dem Wege der Selbständigkeit. Die Goron-Familie hat sich jedoch einige Privilegien vertraglich absichern lassen.«
»Ich verstehe«, sagte Vern.
»Ich auch«, bemerkte ein korpulenter Tourist. Er fuhr sich mit einem Taschentuch über das gerötete Gesicht. »Und dieser Trottel da drüben hat das alleinige Recht, den Antigravtunnel aufzubauen, durch den wir das Raumschiff verlassen und die Stadt betreten können.«
»So ist es«, bestätigte das Mädchen lächelnd.
»Und wie lange kann es dauern, bis dem verdammten Narren einfällt, uns von Bord zu lassen?«
»Als ich das letzte Mal zurückkam, hat es vier Tage gedauert«, antwortete sie lachend. »Goron hatte gerade seinen Geburtstag gefeiert.«
Die Reisenden stöhnten entsetzt, und auch Gruude Vern spürte, dass es in ihm zu kribbeln begann. Auf eine derartige Verzögerung war er nicht vorbereitet, und von solchen Regelungen hatte er auch noch nicht gehört. Er sah Amby Törn an und schloss aus ihrer Anwesenheit in der Schleuse, dass sie davon überzeugt war, bald von Bord gehen zu können.
Er ging erneut zur Sichtluke.
Goron, der prachtvoll gekleidete Arkonide, hatte sich erhoben. Er hielt eine Teetasse in der Rechten und gestikulierte heftig mit der Linken. Lachend plauderte er mit den beiden anderen Männern, die noch am Tisch saßen. Er schien es zu genießen, dass die Passagiere des Raumschiffs auf ihn warten mussten.
»Der soll nur in meine Nähe kommen«, drohte der korpulente Tourist. »Dem trete ich ins Hinterteil, dass er sich erst auf der anderen Seite des Ozeans wiederfindet.«
Die anderen Reisenden lachten beifällig. Die Stimmung unter ihnen wurde immer gereizter. Keiner von ihnen hatte Verständnis für das Verhalten des alten Arkoniden, und auch Gruude Vern mochte sich nicht damit abfinden, durch das närrische Gehabe eines Greises so lange aufgehalten zu werden. Er war in einer Mission hier, in der er es sich nicht leisten konnte, unnötig Zeit zu verlieren.
»Erzähle von dem Spiel«, bat Amby Törn. »Wieso ist es wichtig für dich, dass du Sportler dabei hast, die von einer Welt mit fast 1,25 g kommen?«
»Es ist ein Spiel Mann gegen Mann. Und wer unter höherer Schwerkraft aufgewachsen ist, hat Vorteile, die ein anderer selbst durch härtestes Training nicht ausgleichen kann.«
»Viel Glück bei deiner Suche.«
Am Schleusenschott entstand Unruhe. Gruude Vern schloss daraus, dass der Arkonide endlich bereit war, den Antigravtunnel zu errichten. Tatsächlich erschien wenig später der Chefsteward, stellte sich am Schott auf und wünschte den Reisenden einen guten Aufenthalt auf Jarvith-Jarv. Dann schob sich das Schott zur Seite, und Vern sah den alten Arkoniden, der sich ihnen durch einen rötlich schimmernden Antigravtunnel näherte. Goron hatte seine Uniformjacke geschlossen. Er ging hoch aufgerichtet und legte den Kopf stolz in den Nacken. Kein Muskel zuckte in seinem faltigen Gesicht, und die roten Augen schienen von innen heraus zu leuchten.
Goron genoss seinen Auftritt.
Hinter der meterhohen Glaswand des Raumhafengebäudes drängten sich die Menschen. Neugierig blickten sie zu dem Raumschiff hinüber.
»Willkommen auf Jarvith-Jarv«, sagte Goron mit tiefer Bassstimme. »Wir hoffen, dass ihr euch hier wohl fühlen werdet.«
Die Touristen murmelten leise Verwünschungen. Sie waren ungeduldig wegen der unnötigen Verzögerung. Keiner von ihnen aber wagte, sich laut zu beschweren.
Gruude Vern trat auf den Arkoniden zu.
»Was ist denn das da drüben?«, fragte er und zeigte zu dem Raumhafengebäude hinüber.
Goron drehte sich arglos um und Gruude Vern trat ihm kräftig in den verlängerten Rücken. Der Arkonide schrie erschreckt auf, warf die Arme in die Höhe und stürzte der Länge nach auf den Boden des Antigravtunnels.
Grinsend ging Gruude Vern an ihm vorbei.
Die meisten der anderen Reisenden brüllten vor Lachen, als sie sich dem Terraner anschlossen.
Keiner kam auf den Gedanken, dem alten Mann aufzuhelfen, und keiner war sich dessen bewusst, was der Vorfall für den Arkoniden bedeutete, zumal er von so vielen Zeugen beobachtet worden war.