Читать книгу Mambés Heimat - Hilaire Mbakop - Страница 4

I.

Оглавление

Nachdem Mambé zwanzig Jahre in Amerika verbracht hatte, kehrte er in seine Heimat zurück. Er kam, den Gepäckkuli anschiebend, aus der Flughafenhalle. Es war heiß. Mambé ging bis zum Taxistand und nahm seinen Aktenkoffer aus dem Gepäckkarren. Ein Taxifahrer trug den Reisekoffer in das Auto. Mambé setzte sich auf den Rücksitz und zog sich die Jacke aus.

»Fahren Sie mich zu einem Reisebüro, wo ich einen Reisebus nach Yaoundé nehmen kann«, sagte er, als der Taxifahrer ins Auto einstieg. Sie fuhren los.

»Warum wollten Sie nicht nach Yaoundé weiterfliegen? Dort gibt es auch einen Flughafen.«

»Das stimmt, aber der Preisunterschied ist schon beträchtlich. Ich werde eine Menge Geld sparen, wenn ich mit dem Bus fahre.«

»Gute Idee!«, meinte der Fahrer. Er hieß Kodi. Kaum hatte man den Flughafen verlassen, da konnte man schon Häuser sehen. Es waren lauter Holzhäuser. Der Flughafen lag mitten in der Stadt. Mambé fragte sich, wie die Leute, die so nah am Rollfeld wohnten, den tagtäglichen Fluglärm ertragen konnten. War es ihnen nicht möglich, den Wohnort zu wechseln? Weshalb konnte man diesen Flughafen nicht sperren und einen neuen in einem unbewohnten Gebiet außerhalb der Stadt bauen? In diesem Fall wäre es notwendig gewesen, einen Radius zu bestimmen, innerhalb dessen der Wohnungsbau verboten wäre.

»Wenn ich mal fragen darf, woher kommen Sie?«, sagte Kodi.

»Ich komme aus Amerika«, antwortete Mambé.

»Aus Amerika! Es lebt sich gut dort, nicht? Die Bilder sehen wir im Fernsehen und im Kino. Dort gibt es viel Geld! Hier dagegen nagen die meisten Menschen am Hungertuch. Unsere Währung ist abgewertet worden. Eigentlich ist es für Sie von Vorteil, wenn Sie Ihre Währung gegen die unsere wechseln. Denn ein 1 Dollar zum Beispiel kostet fast 515 Francs CFA! Bevor Sie nach Amerika zurückfliegen, werden Sie hier einen wunderbaren Urlaub machen.«

»Ich bin nicht hierher gekommen, um Urlaub zu machen, sondern um für immer zu bleiben«, sagte Mambé gelassen.

»Was? Für immer? Sie werden es bedauern, ja Sie werden es bedau…«, rief Kodi, der plötzlich seine Ausführungen unterbrechen musste, um das Auto von einem Schlagloch wegzusteuern, das auf der Fahrbahn war. Bei solchen Ausweichmanövern konnte ein Auto einen Fußgänger umfahren, denn viele Straßen hatten keinen Bürgersteig. Autos, Zweiräder und Fußgänger benutzten alle die Fahrbahn.

»Ich habe eben gesagt«, fuhr Kodi fort, »dass Sie Ihre Entscheidung bedauern werden. Die Regierung hat uns immer versprochen, dass wir bald das Licht am Ende des Tunnels sehen würden. Aber die Lage der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung wird immer schlimmer. Deshalb wandern viele Menschen in die westliche Welt aus. Die Mehrheit der Bevölkerung träumt nur davon. Ich würde auch nach Amerika emigrieren, wenn ich über die notwendigen Mittel verfügte, und zwar für immer, glauben Sie mir! Wenn Sie zumindest ein alter Mann wären, könnte ich Ihre Entscheidung noch verstehen … Wie gesagt, Sie werden sie eines Tages bedauern.«

»Es gibt zwei Kategorien von Menschen: diejenigen, die selbstsicher sind, und diejenigen, die zu Selbstzweifeln neigen. Ich gehöre zu den Ersteren. Meine Entscheidungen bedaure ich nie, zumal sie immer richtig sind. Nach zwanzig Jahren Aufenthalt in Amerika habe ich das Ziel erreicht, das ich mir gesetzt hatte. Wozu hätte ich dort weiterleben sollen?«

»Sie sagen schon interessante Dinge, aber ich bin nicht überzeugt. Sie sind zu optimistisch, verkennen die Lage, die hierzulande herrscht. Und das kann man jetzt verstehen, denn Sie haben sich mehrere Jahre im Ausland aufgehalten. Spätestens nach zehn Monaten werden Sie Ihren Fehler einsehen!«, sagte Kodi.

»Im Ausland kann man das große Geld machen, aber man fühlt sich dort trotzdem fremd. Geld allein macht nicht glücklich, und nichts kann die Heimat ersetzen«, entgegnete Mambé.

»Ah! Die Heimat! Ich denke, wenn man irgendwohin geht, wo es sich gut lebt, sollte man daraus seine Wahlheimat machen … Die Nomaden zum Beispiel, die Viehzüchter sind, haben ihre Heimat nur dort, wo sie Weide für ihre Herden finden, verstehen Sie?«

»Für mich hat die Heimat mit Herkunft zu tun. Es ist etwas, das einem fehlt, wenn man sich im Ausland befindet. Man ist heimwehkrank«, gab Mambé zur Antwort.

Kurz darauf befanden sie sich in einer Straße, in der es einen Verkehrsstau gab.

»Verdammt!«, rief Kodi aus und fuhr fort: »Der Stau ist eine der Plagen dieser Stadt. Man kann ihm nie entgehen!«

Die Motorrad-Taxis schlängelten sich mit ihren Fahrgästen zwischen den Autos hindurch. Einige Fahrer beschimpften sich gegenseitig. Es war ein kleiner Krieg. Der Ärger lag in der Luft und vermischte sich mit der Hitze und dem Benzingeruch. Mambé und sein Taxifahrer saßen darin fest wie in einer Falle.

»Mir ist heiß«, sagte Mambé.

»Sie haben Glück, dass Sie nach Yaoundé fahren. Dort ist es warm, relativ angenehm. Aber hier in Douala ist das Klima eher heiß. Wenn die Männer tagsüber zu Hause sind, tragen sie nur kurze Hosen. Sie laufen mit nacktem Oberkörper herum. Frauen haben nur ein Stück Stoff an, das oberhalb der Brüste befestigt ist und bis zu den Schenkeln reicht. Die Leute bleiben lieber vor ihren Häusern, denn darin ist es noch heißer. Und wenn es Nacht ist, gehen sie widerwillig ins Bett, als gingen sie in ein Gefängnis. Dann fangen sie an, mit blutrünstigen Moskitos zu kämpfen, die es ihnen zusätzlich zu der Hitze unmöglich machen zu schlafen. Der Kampf dauert die ganze Nacht. Gott weiß, woher die Leute die Kraft nehmen, um zur Arbeit zu gehen. Ein ungestörter Schlaf ist einer der größten Wünsche der Menschen in dieser Großstadt. Doch dieser Wunsch erfüllt sich nie.«

Die Autos bewegten sich nur ruckartig, als ob sie eine Panne hätten. So fuhren Mambé und Kodi weiter. Nach einer Kreuzung floss der Verkehr wieder. Sie fuhren noch eine Weile und bogen in eine Straße ein, die voller Schlaglöcher war. Der Asphalt war streckenweise gebrochen. Der Fahrer wurde wieder nervös.

»Solche Straßen sind keine Straßen! Sie machen die Wartung der Autos noch teurer. Fast jeden Tag bringe ich dieses Taxi in die Werkstatt. Jeden Monat müssen die Stoßdämpfer gewechselt werden. Dabei sind sie nicht billig. Der schlechte Zustand der Straßen wirkt sich auch negativ auf die Gesundheit der Verkehrsteilnehmer aus, insbesondere auf die der Taxifahrer, denn die Straßen sind unser Arbeitsplatz … Meine Wirbelsäule ist ruiniert. Außerdem habe ich ständig Kreuzschmerzen … Auf diesen Straßen arbeiten ist ein einziges Martyrium, glauben Sie mir! … Ich weiß nicht, was die Leute vom Straßenbauamt tun. Eigentlich sollten sie unsere Straßen instand setzen. Wir Taxifahrer arbeiten viel, doch am Ende erwirtschaften wir keinen Profit. Die Reparaturkosten, die Polizei und nicht zuletzt die hohen Benzinpreise machen uns das Leben schwer. Die Regierung erhöht den Benzinpreis fast jeden Monat, obwohl wir ein Erdöl exportierendes Land sind. Ist das normal?«

»Nein«, antwortete Mambé lapidar.

»Die Führung des Landes wird immer reicher, während die Masse der Armen immer ärmer wird. Es gibt zum Beispiel Tausende Familien in dieser Großstadt, die nicht in der Lage sind, jeden Tag essen zu können. Und wenn sie krank werden, fehlt ihnen das Geld, um zum Arzt zu gehen. So sterben sie langsam. Ist dieses Unrecht nicht himmelschreiend?«

»Sie haben Recht«, sagte Mambé. Dann warf er einen Blick auf die Uhr. Es war fünf vor sechs. Die Sonne sollte in Kürze untergehen.

»Das Reisebüro ist nicht mehr weit. In fünf Minuten sind wir dort.«

»Kann ich Sie in Dollar bezahlen?«, wollte Mambé wissen.

»Haben Sie ihr Geld nicht am Flughafen gewechselt?«

»Nein.«

»Hören Sie, ich kenne einen Kerl, der Ihr Geld zu einem guten Kurs umtauschen kann. Sie haben Glück, denn er wohnt gleich um die Ecke«, schlug Kodi vor und parkte. Mambé gab ihm einen Dollarschein und er verschwand im Zwielicht zwischen den eng nebeneinanderstehenden Häusern.

Nach etwa sechs Minuten tauchte er lächelnd wieder auf. Als er dann des Polizisten gewahr wurde, der inzwischen angekommen war und neben dem Auto wartete, hörte er auf zu lachen.

»Sie wissen, dass Sie nur auf dem Bürgersteig parken dürfen«, sagte der Polizist, sobald Kodi das Auto erreichte.

»Aber wo ist der Bürgersteig?«, fragte Kodi.

»Da!«, antwortete der Polizist, indem er mit dem Finger auf ein Haus zeigte.

»Ihre Papiere!«, forderte er, als Kodi ins Auto eingestiegen war. Letzterer holte seine Dokumente aus einem Kasten hervor, schob etwas zwischen die Seiten und reichte sie dem Polizisten. Dieser blätterte darin. Nach einigen Seiten stoppte er unvermittelt, nahm etwas aus den Papieren und steckte es in seine Tasche. Dann sagte er zu Kodi: »Ihre Papiere sind in Ordnung!«, und gab sie ihm zurück.

»Haben Sie es bemerkt? Der Polizist hat etwas aus Ihren Papieren herausgeholt und in seine Tasche getan. Was war es denn?«, wollte Mambé wissen.

»Der Schweinehund hat mir wieder Geld weggenommen. Es war eine Banknote. 500 Francs. Haben Sie nicht gesehen? … So sind unsere Polizisten. Im Kopf haben sie immer fiktive Bürgersteige. Nur da darfst du parken! Und wenn du auf dem Bürgersteig in einer Straße parkst, die über einen verfügt, dann heißt es wieder, dass dort Halteverbot sei. Diese Halunken finden immer einen Grund, uns Taxifahrern Geld abzunehmen. Wenn wir ihnen die 500 Francs nicht geben, nehmen sie uns den Führerschein weg, schleppen unsere Autos ab und verhängen gegen uns wegen verkehrswidrigem Benehmen eine Geldbuße in Höhe von 15.000 Francs, die wir im Polizeirevier zahlen müssen. Also ziehen wir es vor, ihnen 500 sofort zu geben, anstatt 15.000 zahlen zu müssen. Pro Tag stößt jeder Taxifahrer mindestens zehn Mal auf diese Scheißkerle. Und jedes Mal kassieren sie Geld von uns, stellen Sie sich das vor! Auf diese Weise kommen diese Schmarotzer über die Runden, denn wie die Mehrheit der Beamten beziehen sie ein kärgliches Gehalt.«

»Die Lage ist wirklich schlecht!«

»Sie fahren ja in die Hauptstadt Yaoundé, das ist auch eine Großstadt. Dort ist die Situation nicht anders als hier. Sie werden schon sehen. Genau wie hier haben die Armut und das Geld die Menschen verändert … Wir sind angekommen. Sehen Sie das Reisebüro da? Hier können Sie einen Bus nach Yaoundé nehmen«, sagte Kodi und stoppte davor. Mambé bezahlte ihn und stieg aus. Ein Gepäckträger in Uniform kam und nahm den Reisekoffer aus dem Auto heraus.

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass die Armut einige Menschen in Diebe verwandelt hat. Luxusartikel wie Ihr Aktenkoffer faszinieren sie. Passen Sie also gut auf!«, riet Kodi noch, bevor er davonfuhr.

Mambé ging ins Büro und kaufte sich eine Fahrkarte. Auf dem Hof stand der Reisebus abfahrbereit. Im Bus gab es nur noch einen freien Platz. Mambé stieg ein. Eine Minute später fuhr der Bus ab. Die Sonne war bereits gesunken.

Nach einer Viertelstunde kam der Bus aus der Stadt heraus, deren Lichter bei Anbruch der Dunkelheit anfingen zu leuchten.

»Baguettes mit Salat? Gekühlte Getränke?«, schrie eine Frau, die mit einer Kühlbox und einem durchsichtigen Eimer den Mittelgang zwischen den Fahrgästen entlanglief. Als sie Mambés Platz erreichte, kaufte er sich eine Cola und ein halbes Baguette mit Salat. Der Mann, der neben ihm saß, bestellte nur Wasser. Die Frau gab ihm einen butterweichen Wasserbeutel, als wäre er ein Patient, dem sie einen Tropf anlegen wollte. Mambé trank aus der Flasche. Einige Fahrgäste kauften nichts. Die Autos rasten. Man befand sich mitten im Äquatorialwald. Ab und zu sah man Glühbirnen auf den Veranden scheinen. Außer diesen vereinzelten Lichtern sah man rechts und links nur die Finsternis. Vorn schienen die Scheinwerfer auf die Straße. Der Reisebus überholte ständig die Privatfahrzeuge. Die Fahrgäste hatten die Fenster öffnen müssen, um frische Luft zu bekommen, denn der Bus besaß keine Klimaanlage. Überdies waren die Sitze unbequem. Das Polster war dünn, sodass man den Eindruck hatte, auf dem nackten Eisen zu sitzen. An den Stellen, wo die Straße uneben war, spürte man Schmerzen im Gesäß. Der Abstand zwischen den Sitzen war so klein, dass man meinen konnte, dieser Bus wäre ausschließlich für die Beförderung von Zwergen und kleinen Kindern bestimmt. Die Kniescheiben waren zermürbt. Es konnte ja nicht ausbleiben, dass die Fahrgäste Krämpfe bekamen. Die Reise war eine einzige Qual.

»In diesem Bus vermisst man jeden Komfort, nicht?«, sagte Mambé zu seinem Nachbarn, der Sobi hieß.

»Oh! Mein Lieber, so sind die meisten Busse hier in Kamerun. Diese verdammten Sitze sind hier gebastelt worden. Die Reisebüros lassen sie in ihren Bussen so eng nebeneinander montieren, um so viele Plätze wie möglich zu schaffen und somit den größtmöglichen Profit daraus zu ziehen. Diese Profitjäger pfeifen auf den Sitzkomfort. Wenn ich reich wäre, würde ich mir ein Auto kaufen.«

In einer Kurve setzte der Reisebus wieder zum Überholen an. Da tauchte plötzlich vor ihm ein anderes Fahrzeug auf, das in die entgegengesetzte Richtung fuhr. Die Straße war nur zweispurig. Der Busfahrer führte ein riskantes Manöver durch, um sich wieder rechts einzuordnen. Damit vermied er einen Frontalzusammenstoß, aber er fuhr zwei Sekunden lang in Schlangenlinien und wäre um ein Haar von der Fahrbahn abgekommen. Die Fahrgäste bekamen Angst.

»Oh mein Gott! Beinahe hätte es einen Unfall gegeben!«, rief Mambé entsetzt.

»So sind die Fahrer der Reisebüros«, sagte Sobi und fügte hinzu: »Sie rasen und überholen immer auf dieser Straße, obwohl sie wissen, dass sie nicht breit ist. Wissen Sie, die haben keinen festen Lohn, sondern werden nach der Zahl der Hin- und Rückfahrten, die sie machen, bezahlt. Die Draufgänger fahren so unvernünftig, um die normale Fahrtdauer zu unterschreiten, und so spielen sie mit unserem Leben. Es kommt oft vor, dass sie am Steuer dösen, weil sie überanstrengt sind. Das gilt auch für die meisten Fernfahrer. Deshalb kommt es ständig zu Verkehrsunfällen. Es vergeht keine Woche, ohne dass es Unfälle gibt! Und sie fordern fast immer viele Menschenleben! Diese Strecke Douala – Yaoundé wird zu Recht ›die Straße des Todes‹ genannt!«

Bald erreichte Mambés Bus die Stadt Edéa. Man überquerte den Sanaga, einen Fluss, auf dem ein Staudamm errichtet wurde. Kurz danach fuhr man eine Allee entlang und sah wieder viele Häuser und Menschen. Der Bus hielt nicht an. Nach einiger Zeit kam man aus der Stadt heraus und tauchte erneut in die Dunkelheit des Regenwaldes ein. Bisher hatte der Bus nur an den Mautstellen angehalten. Kurz bevor er die Häuschen, in denen die Personen saßen, die die Gebühren einnahmen, erreichte, musste er jeweils über mehrere konvexe Betonstangen fahren. Sie glichen halben Baumstämmen, die man quer über die Straße gelegt hatte. Während er diese Hürden nahm, spürten die Fahrgäste starke Schmerzen im Rücken. Die meisten von ihnen schrien sogar. Wenn der Fahrer gezahlt hatte, entfernten die Polizisten ein mit Nägeln beschlagenes Brett von der Fahrbahn. Damit war der Weg frei für die Weiterfahrt.

Plötzlich hielt der Bus mitten im Regenwald an und schaltete die Scheinwerfer aus. Man sah keine Betonstangen, keine Lichter, keine Häuser. Kein Auto fuhr vorbei. Man sah nichts, nicht einmal die Hand vor Augen. Die Dunkelheit hüllte alles ein. Die Fahrgäste wunderten sich darüber, dass der Fahrer ohne Grund angehalten hatte. Wie hieß der Ort, wo sie sich befanden? Sie hatten Angst. Aber konnten sie fliehen? Wohin in der Schwärze der Nacht? Was hatte der Fahrer vor? Man stellte ihm Fragen, aber er hüllte sich in Schweigen. Die Insassen des Busses hatten den Eindruck, in einem Kinosaal ohne Licht zu sitzen und voller Spannung die Vorführung eines Überraschungsfilms zu erwarten. Minutenlang verharrten sie so … Dann gingen auf einmal die Lichter auf beiden Straßenseiten an. Was für eine Überraschung! Man war in einem Dörfchen! Viele Frauen kamen aus der Nacht hervor und boten den Fahrgästen Mandarinen, Orangen, Kokosnüsse, Wassermelonen, gekühltes Wasser, Maniokstangen, Erdnüsse, Jamswurzeln und Wild an. Ein reichhaltiges Angebot. Die Mehrheit der Fahrgäste kaufte sich etwas. Man teilte sich sein Essen gern mit denjenigen, die nichts kaufen konnten, sodass niemand mit leerem Magen blieb. Man ergriff auch die Gelegenheit, um seine Notduft zu verrichten. Die Männer pinkelten in die Rinnen und die Frauen ins Gras. Es roch penetrant nach Urin. Eine öffentliche Toilette gab es nicht. Nirgends. Jeder war froh, seine Beine zu entspannen. Zehn Minuten lang waren alle gut gelaunt, sie vergaßen die Schmerzen, die sie während der zurückgelegten Strecke erlitten hatten. Aber als der Fahrer sie bat, in den Bus einzusteigen, wurden sie wieder traurig. Mit gesenktem Kopf schlurften sie ins Auto. Wenn man sie sah, konnte man leicht glauben, dass es sich um einen Trauerzug handelte. Sie hätten sich gern länger in diesem Dörfchen aufgehalten.

Die Fahrt ging weiter. Die zurückzulegende Fahrstrecke war lang. Der Bus mit seinen unbequemen Sitzen raste wie zuvor durch den Regenwald. Man begegnete einigen Privatfahrzeugen. Mambé döste schon vor sich hin, als Sobi ihn wachrüttelte und ihm etwas zeigte, das er bisher noch nicht gesehen hatte. Die Szene, die sich da draußen abspielte, war beeindruckend. Sattelfahrzeuge fuhren in einer Kolonne in die entgegengesetzte Richtung, jedes davon mit drei Holzklötzen beladen. Innerhalb von fünfzehn Minuten fuhren ungefähr dreißig vorbei.

»Ach du liebe Güte!«, rief Mambé erstaunt.

»Was Sie jetzt sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs«, sagte Sobi. »Denn die Holzklötze werden jeden Tag zum Hafen Doualas transportiert. Ein Teil davon wird auf dem Schienenweg befördert. Unsere Regierung ist dabei, den Regenwald abzuholzen. Das ist ein verantwortungsloser Umgang mit der Natur. Wir wissen, dass der tropische Regenwald die Lunge der Erde ist.«

»Ja, wir haben in der Schule gelernt, dass die Bäume das Kohlendioxid in Sauerstoff verwandeln.«

»Sehen Sie? Dies bedeutet, die massive Holzwirtschaft im Regenwaldgebiet wirkt sich negativ auf das Weltklima aus. Bei dem Tempo, in dem die Dinge sich entwickeln, wird der Regenwald hier in Kamerun in zwanzig Jahren komplett verschwunden sein. Das würde einen verheerenden Effekt auf das Leben der Menschen haben.«

»Wenn unsere Regierung so viele Bäume fällt, forstet sie die entwaldeten Gegenden wieder auf?«, erkundigte sich Mambé.

»Oh, das wäre schön! Sie denkt nicht an die Wiederaufforstung. Sehen Sie, jeder dieser riesigen Bäume, die zum Hafen befördert werden, wird innerhalb von nur fünf Minuten abgesägt. Aber bevor ein Baum so groß wird, braucht er mindestens neunzig Jahre! Stellen Sie sich das vor!«

»Hat das Volk jemals gegen diese fabrikartige Abholzung seines Waldes protestiert?«, wollte Mambé wissen.

»Das Volk? Welches Volk? Was kann es gegen den Moloch Staat tun? Nur er verfügt über das Bajonett.«

»Ich spreche nicht von einem Aufstand des Volkes. Es kann zum Beispiel eine Friedensdemonstration veranstalten, denn dieses Recht ist durch die Verfassung garantiert, nicht?«

»Neulich ist eine Dörflergruppe auf die Straße gegangen, um gegen die massive Abholzung ihrer Gegend zu demonstrieren. Wissen Sie, was ihnen passiert ist?«

»Nein.«

»Die Regierung hat die Demonstranten durch die Polizei niederknüppeln, festnehmen und direkt ins Gefängnis stecken lassen.«

»Mein Gott! Was für eine Ungerechtigkeit!«, rief Mambé entsetzt.

»Harte Strafen erwarten jeden Bürger, der das Handeln des Staates öffentlich kritisiert. Der Holzhandel, den dieser betreibt, wirft viel Gewinn ab. Das gilt auch für andere Rohstoffe. Ferner exportiert das Land Erdöl, Erdgas, Gold, Bauxit, Eisen, Zinn, Baumwolle, Gummi, etc. Aber nur der Staat zieht Profit aus dem Handel mit diesen Produkten. Kamerun ist so reich an Naturschätzen, dass es gemeinhin als ›Afrika in Miniatur‹ bezeichnet wird. Doch lebt die Mehrheit seiner Bevölkerung in bitterer Armut. Es ist traurig, dass viele Eltern es zum Beispiel nur mit großer Mühe schaffen, Schulhefte für ihre Kinder zu kaufen, und das in einem Land, das Holz exportiert …«

»Man hat uns auch in der Schule gelehrt, dass die Pygmäen, deren Lebensraum der tropische Regenwald ist, Jäger und Sammler sind. Sie sind unmittelbar bedroht, wenn so viele Bäume gefällt werden, nicht wahr?«, fragte Mambé.

»Genau! Wir wissen, die Pygmäen leben bis heute nur von der Jagd und dem Pflücken. In der Tat sind viele von ihnen angesichts der intensiven Ausbeutung des Regenwaldes dazu gezwungen, ihre Dörfer zu verlassen. Manche lassen sich woanders im Wald nieder, während andere in die Städte gehen, wo sie meist ein kümmerliches Dasein fristen müssen … Der Regenwald ist nicht zuletzt der Lebensraum von vielen Tierarten und medizinischen Pflanzen. Er ist letztendlich ein Gut der Menschheit«, betonte Sobi.

»Was kann man Ihrer Meinung nach tun, damit dieser Wald gerettet wird und damit die Bevölkerung am Gewinn des Exports des Holzes und anderer Rohstoffe beteiligt wird?«

»Ich denke«, sagte Sobi, »eine Gruppe oder das Volk allein kann die Regierung nicht umstimmen. Da der tropische Regenwald die Lunge des ganzen Planeten darstellt, sollte sich die Weltöffentlichkeit in diese Angelegenheit einmischen. Sie sollte Druck auf unsere Regierung machen, damit diese verantwortungsvoll mit der Umwelt umgeht und ihren Verpflichtungen gegenüber dem Volke nachkommt.«

»Ich pflichte Ihnen in allen Punkten bei«, sagte Mambé.

Mambés Heimat

Подняться наверх