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Als plötzlich wieder einer von den Fotografen im Zimmer stand, wurde Maul wütend, sprang auf und warf den baumlangen Kerl mitsamt seinem Kameralametta hinaus. Dann haute er mit der Faust zweimal auf die Mitte der Tür. Tatsächlich wurde die Meute im Flur leiser, und Maul fuhr Bußhards Trainer so laut an, daß jeder es hören mußte. "Wenn ich Sie hier schon zulasse, dann sorgen Sie gefälligst mit dafür, daß die Presse auch so lange abwartet, bis wir wirklich fertig sind! " Der Anwalt nickte, aber der Trainer grinste nur zum Flur und zuckte mit den Achseln. Maul knalle die Tür zu und setzte sich. Draußen Raunen. Bußhard saß nach wie vor mit hängendem Kopf, vorgebeugt, die Ellenbogen auf den Knien.

"Also, ich fange noch einmal von vorne an!" Der Trainer grinste unentwegt. Bußhards zerbrochener Schläger lag vor Maul auf dem Tisch. "Von der Schutzgruppe 79 vorgeführt, erscheint um 20.20 Uhr Herr Peter Bußhard, geboren 05.02.1970 in Leipzig, wohnhaft in Schaan, Fürstentum Liechtenstein, Nendelner Straße 778, von Beruf Tennisspieler.

Herr Bußhard soll in der Festhalle gegen 19.15 Uhr seinen Gegner, Jürgen Beck, nach einer Unterbrechung im Viertelfinale grundlos angegriffen und mit seinem Tennisschläger (als Asservat beigefügt) so schwer verletzt haben, daß Beck in die Notaufnahme der hiesigen Unfallklinik verbracht werden mußte. Bei der polizeilichen Vernehmung des Bußhard waren außer den Unterzeichnern auch der Anwalt des Angeschuldigten und sein Trainer anwesend.

Nach Belehrung sagt Herr Bußhard zur Sache wie folgt aus:

Es trifft zu, daß ich Herrn Beck geschlagen habe, aber er hat es sich selbst zuzuschreiben. Ich kenne Herrn Beck aus früheren Turnieren, auch als es die DDR noch gab. Meistens habe ich gegen Herrn Beck verloren, aber er war auch im Vorteil, weil er die neuesten Racks und ausländische Trainer hatte. Außerdem glaube ich, daß Beck auch Kampfrichter gekauft hat. Nach der Öffnung der Mauer sind große Sportfirmen an mich herangetreten und haben mir Material und Verträge und Trainingspartner, auch in ausländischen Lagern, und eine Wohnung bei Vaduz angeboten. Ich konnte mich ganz darauf konzentrieren, gegen Beck zu gewinnen und auf der Rangliste nach vorne zu kommen. Die Verträge waren gut und meine Auftritte im Fernsehen kamen an. Sogar Banken und Molkereien machten Fototermine oder Kundenseminare mit mir. Auch die Meldungen zu den wichtigsten Turnieren klappten ohne weiteres, so daß ich immer häufiger die Chance hatte, gegen Beck zu gewinnen. Und ich gewann auch.

Ich bin sicher, daß Beck allmählich Angst vor mir bekam, denn er begann, etwas über meine sportliche Entwicklung in der DDR in die Presse zu bringen, meine Parteizugehörigkeit zum Beispiel, und die Behauptung, in Döberitz wären verbotene Schnupfenmittel ausgegeben worden. Ich selbst habe aber dort überhaupt nie trainiert.

Auf Nachfrage erläutere ich, daß nur Beck oder seine Presseberater diese Meldungen oder Behauptungen verbreitet haben können, weil das anfing, als ich eine Serie von wichtigen Spielen gegen Beck gewann. Und gleichzeitig kam auch der bekannte Werbespot 'raus mit seinem Aufschlag von Houston. Mir war klar, daß Beck versuchte, mich außerhalb des Courts fertigzumachen, als er die meisten Spiele gegen mich verlor.

Auf Vorhalt muß ich zugeben ..."

Der Anwalt räusperte sich, sagte aber nichts.

"... muß ich zugeben, daß Berichte zutreffen, wonach ich es in dieser Zeit vermied fernzusehen. Ich ließ mich auch meistens mit zugezogenen Gardinen zum Match fahren, um die Reklametafeln nicht zu sehen. Meine Proteste gegen die Bandenwerbung in einigen großen Austragungsorten in Amerika waren jedoch nicht erfolgreich. Andererseits konnte ich nicht nur auf den wenigen Plätzen spielen, die keine solche Werbung zuließen, weil ich vor allem Beck besiegen wollte.

Ich verbesserte deshalb auch mein autogenes Training und lernte,automatisch zwischen einem Bericht im Radio und der folgenden Werbung zu unterscheiden. So konnte ich es fast immer vermeiden, die Werbung mit diesem zischenden Ball zu hören. Richtig ist allerdings, daß meine Prozesse gegen Beck erfolglos waren, mit denen ich versuchte, ihm die Werbung mit dem Aufschlag von Houston zu verbieten.

Trotz meiner Konzentration auf die Spiele gegen Beck hatte ich jedoch den Eindruck, daß er mich mit einer riesigen Schmutzkampagne, einer gemeinen, unsportlichen Rufmordwerbung überzog und daß ich ihm unterlegen war, weil ich da nicht mithalten wollte. Obwohl ich also immer häufiger gewann, wurde ich immer verschlossener, fühlte mich zurückgesetzt und mit Gemeinheiten beworfen. Mein Spiel wurde deshalb auch immer aggressiver. Und ich sah, daß ich in meiner Wut viel mehr erreichte als früher, wenn ich vernünftig spielte.

Aber natürlich forderte meine Spielweise auch Beck immer mehr heraus, obwohl ich häufig den Eindruck hatte, daß er mich mit Wonne hetzte und meine Schwäche auf Tartan-Plätzen nutzte, um meine Bänder so zu überdehnen, daß man aus den Lautsprechern meinen Schrei hörte und tagelang in den Sportsendungen sah, wie ich die Zähne zusammenbiß, daß die Halsschlagader hervortrat.

In den letzten Spielen brüllten wir uns auch schon mal an und bekamen Verweise. Aber als er zum Netz kam, um, wie es aussah, mir zum Sieg zu gratulieren, riß er unerwartet an meiner Hand und hat mir fast den Arm ausgekugelt. So ist der Beck."

"Nu ja, wenn man gewinnen will..." Der Trainer wartete einen Moment, bis alle ihn ansahen und fuhr dann im breiten Wienerisch fort:

"... wenn man gewinnen will, braucht man einen Feind, das hab ich Dir doch immer gesagt, Peter. Auf dem Court! auf dem Court natürlich nur. " Im Treppenhaus wurde es wieder lauter. Maul hatte keine Zeit, sich mit diesem Stenz aufzuhalten.

"Ich fahre fort, wenn Sie sonst nichts zu sagen haben: Das letzte Mal, als er gegen mich gewonnen hatte, in Pretoria, da hat er vor Freude seinen Schläger in die Luft geworfen, und ich kam vorgelaufen, um ihm zu gratulieren. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit, sondern er hat natürlich nach mir gezielt, und als ich fast bei ihm bin, schlägt er mir den Griff vom Rack aufs Schlüsselbein.. Und was zeigen die Fernsehanstalten? Den Freudentanz von Beck, den Schläger in der Luft, seine ausgestreckte Hand und dann dieser Schlag. Ich versuche natürlich instinktiv auszuweichen, lasse mich zu Boden fallen und alles lacht. So ist es immer, seit ich hier im Westen spiele. Das hat doch mit Sport nichts mehr zu tun, das ist brutalster Kapitalismus, vor dem man uns immer gewarnt hat.

Auf Ermahnung, zur Sache zurückzukommen, entgegne ich, daß genau dies die Sache ist. Mit meiner Schilderung des Turniers heute fahre ich wie folgt fort: Gleich zu Anfang hat Beck einen Return wieder so gesetzt, daß ich ganz weit ausgrätschen mußte. Ich ahnte schon, was mit meiner Wade passiert und bat sofort um Unterbrechung, beziehungsweise mein Trainer bat darum, weil ich am Boden liegenblieb. Der Arzt brauchte nicht mehr viel zu sehen und hat mich mit dem Trainer in die Kabine getragen.

Und da wurde mir sofort klar, wie Beck spielt. Rundum waren Fernsehapparate aufgestellt, - in meiner privaten Kabine! Alle zeigten, wie ich am Boden war, und in Großaufnahme den Beck, wie er sein Mitleid ausdrückt. Das schlimmste waren aber die vier großen Fernseher vor der Wand, auf denen unablässig der Aufschlag von Houston lief. Alle 20 Sekunden von vorn. Ich an der Grundlinie, klein, weit weg, vorgebeugt, den Schläger in beiden Händen, nervöse Beinarbeit. Dann Großaufnahme: Beck reckt sich, wird immer größer, höher, dann nur noch der Ball, steigt zur Hallendecke auf, kommt ganz langsam runter. Becks Rack in Zeitlupe, drischt auf die gelbe Kugel, die Bespannung beult sich aus, der Ball wird zur Halbkugel, schießt los. Das Zischen, - dann das Zischen! Die ganze Zeit der Ball und dahinter die Zuschauer, zucken Bild für Bild nach rechts. Und dieses Zischen. Ich bin überhaupt nicht zu sehen, aber jeder weiß ja schon, was kommt. Erst meine Hand, dann der Schläger, die Kante streift den Ball, der dreht sich wie wild, springt steil nach oben, die ganze Zeit dieses Zischen. Mein Gesicht kommt ins Bild. Von unten der Ball, kommt näher, landet auf meinem Ohr, wird platt, mein Ohr quetscht sich oben und unten und rechts raus. Platzt. Blut spritzt. Der Ball bleibt wie angeklebt. Hat rote Spritzer am Rand. Das Bild bleibt stehen. Jetzt hört das Zischen auf, und dann diese Männerstimme: 'Gewinner brauchen Konkurrenz. Man muß sie nur wecken.'

Da wußte ich endlich, wie das Spiel läuft, bin ganz ruhig raus und rüber zu Beck. Der dachte wahrscheinlich, ich wollte mich sportlich verabschieden. Ich habe also seine Hand festgehalten und ihm so richtig einen übergezogen, mit dem Schläger da. Vielleicht auch zwei. Ich hatte nur immer an diesen Aufschlag gedacht. Mehr als Hundert Sachen hatte der Ball noch drauf. Das kann ich auch, wenn es sein muß.

Natürlich habe ich Beck nicht ernsthaft verletzen wollen, aber ich bereue meine Tat auch nicht.

Vorgelesen und... Hatte ich nicht ausdrücklich...?" Maul fuhr herum. Hinter dem Pressemann stand Holtz in der Tür, sagte: "Beck ist tot." – Dann das Blitzlichtgewitter…

MAUL VERNIMMT

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