Читать книгу Endlich glücklich, endlich frei - Holger Kiefer - Страница 4

Оглавление

Letztes Kapitel

Franz Bebiotai hatte sein Leben gelebt. Er saß im Sessel, nahm behutsam das Glas in die rechte Hand und trank den letzten Schluck. Er setzte die Spritze an und drückte die gesamte Luft aus dem 2,5ml-Zylinder in die Verbindungsvene der linken Ellenbeuge. Er zog die Kanüle aus der Vene, legte die Spritze neben sich auf den Tisch und hielt eine Druckwatte ein paar Sekunden lang auf die Einstichstelle. Er legte auch dies auf den Tisch und atmete entspannt durch. Kurz darauf stellte das gesunde Herz nach fünfzig Jahren seine Funktion ein. Und der Kerzendocht ertrank neben ihm im geschmolzenen Restwachs, das nun erkaltete. Die CD spielte weiter, und der dritte Satz begann. Aber das hörte er schon nicht mehr.

Die Liebe

Was ist Liebe? Am Ende war die Antwort klar. Aber er hatte lange gebraucht, um sie zu finden – die Antwort und die Liebe. Mit 50 Jahren konnte er sich sicher sein, dass all das, was die Literatur und die Menschen unter Liebe verstehen, ein Trugschluss und eben nicht die Liebe ist. Hansi hatte immer gesagt: Die Liebe ist ein Scheißdreck. Dem stimmte Franz aber nicht zu.

Liebe hat nichts mit zwei Menschen zu tun. Liebe war für ihn die Hingabe an eine Sache um ihrer selbst willen, ohne etwas von ihr zu erwarten. Er liebte zum Beispiel die klassische Musik, hatte als Kind und Jugendlicher Querflöte und Klavier und später als reifer Mann noch Cello gelernt, also blasen drücken streichen. Schlagen mochte er nicht.

Er genoss die traurigen Arien, wenn sie von Cecilia Bartoli oder Gundula Janowitz gesungen wurden und konnte sie wieder und wieder hören, leise und laut, so dass manchmal der Nachbar gegen die Wand schlug oder nachts vor die Haustür ging und die Klingel mit dem Namen „Bebiotai“ betätigte. Sprechen mochte er nicht.

Er liebte die Erkenntnis und das Wissen, Informationen im Allgemeinen, auf Griechisch: Philosophie. Auch wenn in den Büchern viel Unbrauchbares steht, findet sich doch auf der Straße, wenn man genau hinsieht, genug Philosophie, mit der man etwas anfangen kann. Manchmal findet man aber auch einen Wissensgenossen wie zum Beispiel Lucius Annaeus Seneca, Michel de Montaigne oder Friedrich Nietzsche, die einem beweisen, dass nichts neu und man mit den eigenen Gedanken auf dem richtigen Weg ist („the one less travelled by“).

Er liebte den Himmel in bestimmten Farben, wenn er wie ein Aquarell in die Höhe gemalt scheint, oder wenn der Mond von einem Halo umgeben über einem Fluss oder einem Meer steht und sein Licht trichterförmig über die Oberfläche zu ihm hinfunkeln lässt.

Er liebte die Ruhe, die nicht gestört wurde vom unterschiedlichen Treiben der Mitbewohner und Mitbürger: Kindergeschrei und Säuglingsgejammer, Motoren-geräusche aller Art und Stimmen, die unwichtiges Gewäsch von sich gaben. Daraus ergibt sich automatisch, dass natürlich die Momente in der Nacht, wenn er bei einem Glas Wein oder Whiskey in seinem Sessel musikhörend in einem Buch las, für ihn mit Gold nicht aufgewogen werden konnten.

Menschen liebte er nicht.

Was die anderen als Liebe bezeichnen, ist oft genug nur Befriedigung von Trieben oder Eitelkeiten, ist Prostitution, Bequemlichkeit oder gespielte, unwahre Abhängigkeit, ist Hunger oder Versagen. Es gibt treffendere Worte. Warum alles mit dem Wort „Liebe“ bezeichnen? Was die anderen als „Liebe“ bezeichnen, ist oft genug nur ein Schlachterladen, vor dem Realität und Ehrlichkeit draußen bleiben müssen.

Endlich glücklich, endlich frei

Подняться наверх