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Оглавление1. Was ist Analytische Philosophie?
Begriffsklärung
Drei Antworten
Eine systematische Einführung in die Analytische Philosophie sollte zunächst einmal das leisten, was sie von anderen Disziplinen erwartet: Sie sollte die Begriffe klären, die sie verwendet. In erster Linie also die Frage „Was ist Analytische Philosophie?“ beantworten.
Erstaunlicherweise ist dies in unserem Fall gar nicht so einfach. Auf die Leitfrage dieses Kapitels gibt es in den Zirkeln der analytischen Philosophen augenscheinlich keine Antwort, die von allen unterschrieben würde.
Drei Antworten bieten sich zunächst einmal an:
1. Bei der Analytischen Philosophie handelt sich um eine Schule oder Tradition, die sich auf einen (oder mehrere) Lehrer zurückverfolgen lässt;
2. es handelt sich um eine besondere Methode, die die Analytische Philosophie von anderen philosophischen Hauptströmungen abgrenzt;
3. es gibt einen besonderen (Problem-)Bereich, der der Analytischen Philosophie zugeordnet ist.
Frege, Russell, Moore
Für alle Alternativen gibt es vorderhand gute Argumente. Als Begründer der Analytischen Philosophie lassen sich beispielsweise Gottlob Frege, Bertrand Russell und G. E. Moore ausmachen. Die Methode der Analytischen Philosophie macht sehr stark von Logik und Sprachanalyse Gebrauch. Und der Bereich ihrer Zuständigkeit lässt sich, einer verbreiteten Ansicht zufolge, zumindest negativ bestimmen: Jegliche Metaphysik ist verboten.
Die Analytische Philosophie ist eine Schule
Beginnen wir mit der ersten Alternative. Mit der Entwicklung der modernen Logik durch Gottlob Frege (1848–1925), Bertrand Russell (1872–1970) und Alfred North Whitehead (1861–1947) sowie die damit verbundenen sprachanalytischen Arbeiten Freges und Russells begann in der Philosophie der so genannte linguistic turn, die Hinwendung der Philosophie zur Sprachanalyse.
Frege hatte in seiner Begriffsschrift die Prädikatenlogik (Kapitel 2) entwickelt und dabei deutlich gemacht, dass sich die logische Form von singulären Aussagen der Form „Sokrates hat eine Stupsnase“ von generellen Sätzen der Form „Alle Griechen haben eine Stupsnase“ bzw. „Es gibt einen Griechen, der eine Stupsnase hat“ unterscheidet. In der Tradition der aristotelischen Syllogistik hatten alle diese Sätze eine einfache Subjekt-Prädikat-Form. (Siehe dazu auch Kapitel 5.)
Bertrand Russell und Alfred North Whitehead haben das Programm des Logizismus – die Rückführung der Mathematik auf die Logik –, das Frege begonnen hatte, in ihrem Werk Principia Mathematica fortgeführt. Mit Hilfe dieser neuen Logik konnte Russell 1905 in seinem berühmten Aufsatz ‚On Denoting‘ eine Theorie der logischen Analyse von Kennzeichnungen, also Ausdrücken der Form ‚der, die, das so-und-so‘ vorschlagen, die deutlich machte, wie sehr sich die logische Form eines Satzes, der eine Kennzeichnung beinhaltet, von dessen grammatischer Oberflächenstruktur unterscheidet.
Philosophie der Idealen Sprache
Die Aufgabe der Philosophie, wie sie von den frühen Analytikern verstanden wurde, besteht vorrangig in der Transformation der normalen Sprache in eine logisch korrekte. Oder, wie es Frege formulierte: „So besteht denn ein großer Teil der Arbeit des Philosophen […] in einem Kampfe mit der Sprache.“ (Frege (1983, S. 289))
Dieser Kampf des Verstandes gegen die „Verhexung durch die Sprache“ (Wittgenstein (1953, §109)) war allerdings z.B. für Russell kein Selbstzweck, sondern diente dazu, die sprachlich induzierten Schwierigkeiten herauszuarbeiten und auszuräumen, damit die eigentlichen philosophischen Probleme bearbeitet werden konnten. Dazu ein Beispiel:
Ist Existenz eine Eigenschaft?
Der berühmte ontologische Gottesbeweis, zuerst formuliert von Anselm von Canterbury (1033–1109), beruht auf der Annahme, dass Existenz eine Eigenschaft ist und sinnvoll Gegenständen zugesprochen werden kann. Gott ist das ‚ens perfectissimum‘ (René Descartes), das perfekte Wesen, und daher besitzt es alle (positiven) Eigenschaften, also auch die Eigenschaft der Existenz. Frege und Russell gelang es, den Status des Begriffs‚Existenz‘ bzw. des Prädikats ‚existieren‘ logisch zu klären: Existenz ist keine Eigenschaft erster, sondern eine Eigenschaft zweiter (oder höherer) Ordnung, ebenso wie beispielsweise die Begriffe ‚Farbe‘ oder ‚Form‘. Das heißt, dass der Begriff‚Existenz‘ auf Mengen von Objekten, nicht aber auf einzelne Objekte zutrifft. Entsprechend ist die Aussage „Mein Lieblingsbuch ist rot“ sinnvoll, die Aussage „Mein Lieblingsbuch ist Farbe“ aber sinnlos, denn ‚Farbe‘ ist ein Begriff zweiter Stufe, der nicht einzelnen Objekten zugesprochen werden kann. Sinnvoll ist der Satz „Elefanten existieren“, da hier von einer Menge (der Menge der Elefanten) behauptet wird, dass sie nicht leer ist. Sinnlos hingegen ist der Satz „Sokrates existiert“, da hier einem Gegenstand eine Eigenschaft zweiter Stufe zugesprochen werden soll.
Konsequenterweise haben Frege, Russell und Whitehead daher in der von ihnen entwickelten Prädikatenlogik Existenz auch als Quantor ausgedrückt. Ein Satz wie „Sokrates existiert“ lässt sich somit überhaupt nicht formalisieren. Auf diese Weise lässt sich das Problem lösen, ob ein Objekt wie der König von Nevawaza nicht zumindest subsistieren muss (siehe Kapitel 3), damit in einem Satz wie „Der König von Nevawaza existiert nicht“ zutreffend seine Existenz bestritten werden kann. (Vgl. Rehkämper (2003).)
In letzter Konsequenz diente die Sprachanalyse Russell und dem frühen Ludwig Wittgenstein (1889–1951) auch der Offenlegung der Struktur der Welt, denn beide waren fest davon überzeugt, dass zwischen der Welt und einer logisch korrekten Sprache eine Abbildbeziehung besteht. (Kapitel 3)
Philosophie der Normalen Sprache
Während sich diese Arbeiten um eine ‚Sprachbereinigung‘ bemühten und dabei eine fehlerfreie Idealsprache anstrebten, legte G.E. Moore (1873–1958) die Grundlagen für eine ‚Philosophie der Normalen Sprache‘. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Alltagssprache im Grunde nicht fehlerhaft und unvollständig ist. Eine genaue Analyse führt auch hier zu Erkenntnissen insbesondere darüber, ob es sich bei dem jeweils zur Diskussion stehenden Problem tatsächlich um ein (philosophisches) Problem handelt, oder nur um eine Sprachverwirrung. Diese philosophische Richtung wurde dann – neben anderen – von Wittgenstein in seiner späten Schaffensphase entscheidend vorangetrieben. Philosophie in dieser Tradition versteht sich in erster Linie als Sprachkritik. Viele Vertreter dieser Richtung nehmen (wie der späte Wittgenstein) an, dass es genuin philosophische Probleme gar nicht gibt: Die Aufgabe der Sprachkritik besteht darin, philosophische Scheinprobleme aufzulösen und zum Verschwinden zu bringen. So verweisen in der aktuellen Diskussion in der Philosophie des Geistes Bennett (*1939) und Hacker (*1939) (2003) darauf – wie schon Gilbert Ryle (1900–1976) (1949) in ähnlicher Form vor ihnen –, dass viele Ausdrücke entgegen ihrer eigentlichen Grammatik verwendet werden. Insbesondere Eigenschaften, die auf eine Person zutreffen, werden auf einen Teil übertragen (mereologischer Fehler). So ist es korrekt zu sagen, dass eine Person etwas sieht, fühlt oder entscheidet; es ist aber sinnlos, dies von einem Auge oder dem Gehirn zu behaupten. Hier liegt ein gravierender Kategorienfehler (Kapitel 4; Kapitel 8) vor, der durch eine – im Wittgensteinschen Sinne – ‚ungrammatische‘ Verwendung der Verben ‚sehen‘, ‚fühlen‘ oder entscheiden‘ hervorgerufen wird.
Die Philosophie der Normalen Sprache lenkte aber auch das Augenmerk darauf, dass wir Sprache nicht ausschließlich zur objektiven Beschreibung von Fakten verwenden, dass dies noch nicht einmal die Hauptaufgabe von Sprache sei.
Sprache ist eine Aktivität
Sprache ist eine Aktivität, die verschiedene Facetten umfasst. So können wir etwa im Falle einer Trauung mit der Sprache Fakten schaffen. Zudem geht das sprachlich Gemeinte meist weit über den semantischen Gehalt des Gesagten/Geschriebenen hinaus. So ist die Äußerung „Es zieht“ im Allgemeinen nicht als Beschreibung einer Tatsache gemeint, sondern als Aufforderung, die Türe oder das Fenster zu schließen.
Analytische Philosophie ohne Logik
Sicherlich stehen viele analytische Philosophen in diesem sprachphilosophischen Erbe und viele ihrer Gedanken lassen sich auf diese Urväter der Analytischen Philosophie zurückführen. Aber es sind eben doch nicht alle. So argumentiert Dagfinn Føllesdal (*1932) (1997) überzeugend, dass Bernard Bolzano (1781–1848) ein analytischer Philosoph ist. Seine Schaffenszeit liegt jedoch deutlich vor der des oben genannten Quartetts und seine Arbeiten wurden von ihnen auch nicht rezipiert. Obendrein gibt es in der Gegenwart genügend Philosophen, die Analytische Philosophie betreiben (und natürlich die Werke von Frege, Russell, Moore und Wittgenstein kennen), ohne dass sie Frege-, Russell-, Moore- oder Wittgensteinianer wären. Hier ist es zumeist die Art und Weise des Philosophierens, die sie als analytische Philosophen kennzeichnet.
Die Tradition in Form einer durchgehenden Lehrer-Schüler-Beziehung lässt sich daher nicht in allen Fällen als definierendes Kriterium für die Auszeichnung eines Philosophen als analytischen Philosophen verwenden.
Analytische Philosophie ist eine Methode
Logik als Methode
Verwenden nun alle analytischen Philosophen dieselbe Methode? Es ist sicherlich zutreffend, dass sich alle analytisch arbeitenden Philosophen um begriffliche Klärung und eine rationale Argumentation bemühen. Hierbei ist die Verwendung der modernen Logik zwar von unschätzbarem Wert, aber dennoch nicht zwingend notwendig. Manchmal, wie im Falle Bolzanos, war dies gar nicht möglich, da sie noch gar nicht entwickelt war.
Sprachanalyse ohne Logik
Im Bereich der Philosophie der Normalen Sprache findet man sogar die Ansicht, dass Logik bei der Analyse geradezu fehl am Platze sei, da die Umgangssprache – so etwa Peter Strawson – nicht den Regeln der klassischen Logik folgt.
Ansgar Beckermann (*1945) konstatierte in seiner Einleitung zu Peter Prechtls Grundbegriffe der analytischen Philosophie den lautlosen Untergang der traditionellen Analytischen Philosophie:
Rückblickend kann man also sagen, dass die Analytische Philosophie ursprünglich durch zumindest eine der folgenden Thesen gekennzeichnet war:
1.Ziel der Philosophie ist die Überwindung der Philosophie durch Sprachanalyse.
2. Die einzige (legitime) Aufgabe der Philosophie ist die Analyse der (Alltags- oder Wissenschafts-)Sprache.
3. Die einzige Methode, die der Philosophie zur Verfügung steht, ist die Methode der Sprachanalyse.
Aber spätestens seit 1975 gab es kaum noch jemanden, der auch nur eine dieser Thesen unterschrieben hätte. (Beckermann (2004, S. 6))
Selbst die Sprachanalyse, in welchem Verständnis auch immer, ist – wenn sie es denn jemals war – heute kein entscheidendes Kriterium mehr, ob es sich um Analytische Philosophie handelt oder nicht. Zu viele Philosophen, die das Prädikat ‚analytisch‘ verdienen, wie zum Beispiel John Rawls (1921–2002), der in seinem Buch A Theory of Justice (1971) Analytische Philosophie par excellence präsentiert, würden heute keinen der drei von Beckermann angegebenen Sätze mehr unterschreiben.
Analytische Philosophie ist ein besonderer Bereich in der Philosophie
Keine Metaphysik?
Auch die dritte Alternative – die Analytische Philosophie wird durch einen bestimmten Problem- oder Themenbereich definiert – trifft nicht zu. Selbst die Ablehnung jeglicher Metaphysik, die sicherlich mit dem Logischen Positivismus und dem Wiener Kreis eine vorherrschende Auffassung in der Analytischen Philosophie war (siehe Kapitel 5), kann heute nicht mehr als definierendes Kriterium dienen; dies zeigt sich auch anschaulich daran, dass sich zum Beispiel auf den Kongressen der Gesellschaft für Analytische Philosophie eine Sektion ‚Metaphysik‘ findet. Aber schon Poppers Unterscheidung von Entdeckungs- und Begründungszusammenhang gibt den Bereichen, denen man in der Analytischen Philosophie skeptisch gegenüber stand, wieder einen gewissen Raum in der Philosophie; zudem waren ontologische Überlegungen auch zur Zeit des Wiener Kreises niemals vollständig von der Bildfläche der Analytischen Philosophie verschwunden.
Es gibt heute keinen Bereich der Philosophie mehr, in dem nicht analytisch philosophiert wird. Das reicht von der analytischen Ontologie (Kapitel 5) über die analytische Sprachphilosophie (Kapitel 3 und 4), die analytische Philosophie des Geistes (Kapitel 8), die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie (Kapitel 6 und 7) bis hin zur analytischen Ethik (Kapitel 9); und selbst die Wendung ‚analytische Phänomenologie‘ kann heute sinnvoll gebraucht werden.
Analytische Philosophie ohne feste Grenzen
Der Versuch, die Analytische Philosophie mittels eindeutiger Kriterien exakt zu definieren, muss daher als gescheitert angesehen werden. Es handelt sich weder um eine Schule, noch um eine genau umrissene und immer anzuwendende Methode, noch um einen (oder mehrere) festgelegte Problembereiche. Dennoch gibt es sie und jeder meint zu verstehen, was der Ausdruck ‚Analytische Philosophie‘ bedeutet. Was charakterisiert sie also?
Eine neue Definition
Es ist sicherlich richtig, dass sich die Analytische Philosophie ohne die Entwicklung der modernen Logik niemals in der Form entwickelt hätte, wie dies tatsächlich geschehen ist. Und es ist sicherlich ebenfalls richtig, dass die Sprachanalyse am Anfang einen prominenten Platz eingenommen hat und auch heute noch aus der Analytischen Philosophie nicht wegzudenken ist. Dennoch gilt, dass selbst die Verwendung von Logik und Sprachanalyse weder notwendig noch hinreichend für analytisches Philosophieren ist.
Genau in dieser Formulierung – ‚notwendig und hinreichend‘ – liegt aber auch das Problem. Obwohl schon Wittgenstein in seinen Philosophischen Untersuchungen (1953, S. 66f.) darauf aufmerksam gemacht hat, können sich die modernen Philosophen von ihrem platonischen Erbe nicht trennen. Sie versuchen jeden Begriff dadurch zu erfassen, dass sie ihn klar von anderen abgrenzen. Haben alle Objekte, die unter einen Begriff fallen, etwas (nicht triviales) gemeinsam? Sind die Grenzen unserer Begriffe immer scharf? Letzteres gilt nach Russell höchstens in himmlischen Sphären wie möglicherweise der Mathematik, aber nicht in unserem normalen erdverbundenen Leben. In diesem Sinne ist selbst die Analytische Philosophie erdverbunden.
Familienähnlichkeiten
Wittgenstein gebrauchte in den Philosophischen Untersuchungen den Begriff ‚(Sprach-)Spiel‘, um seine Vorstellung von Familienähnlichkeiten zu illustrieren. Eben diese Vorstellung kann uns hier weiterhelfen. Viele Begriffe kreisen Wittgenstein zufolge um ein oder mehrere Zentren. Die Kognitionspsychologie spricht hier von ‚Prototypen‘. So gibt es sehr häufig typische und weniger typische Vertreter einer Kategorie.
Klavier, Geige oder Flöte sind typische Musikinstrumente, ein Theremin ein eher untypisches, eine Ukulele liegt irgendwo dazwischen. Die Forderung, alle diese Objekte sollten etwas gemeinsam haben, das sie zu Musikinstrumenten macht (außer der Trivialität, dass man mit ihnen Musik machen kann), erscheint schon bei flüchtigem Hinsehen absurd. Selbst so typische Instrumente wie Klavier – ein Tasteninstrument –, Geige – ein Streichinstrument – oder eine Flöte – ein Blasinstrument – sind höchst unterschiedlich. Hier nicht-triviale Eigenschaften zu erwarten, die allen gemeinsam sind, erscheint von vornherein aussichtslos.
Es wäre auch der falsche Weg!
Typisch
Føllesdal hat das Grundproblem in seiner Arbeit „Was ist analytische Philosophie?“ schon zutreffend beschrieben: „Wir haben hier ein Mischmasch diverser Kriterien“ (1997, S. 20). Viele verschiedene Eigenschaften machen einen Philosophen zu einem mehr oder weniger analytischen. Der Begriff ‚analytisch‘ ist graduell und unterscheidet sich daher deutlich von solchen, die sich mittels notwendiger und zusammen hinreichender Eigenschaften definieren lassen. Er ähnelt damit mehr dem Begriff ‚Musikinstrument‘ als dem Begriff ‚Quadrat‘. Möglicherweise erscheinen daher zwei Philosophen als typisch analytisch, ohne dass sie dieselben Eigenschaften aufweisen, die zu dieser Einschätzung führen.
Die Anwendung der Logik beispielsweise ist eine Eigenschaft, die man typischerweise bei einem analytischen Philosophen findet, die Anwendung der Sprachanalyse eine andere, Verbundenheit mit einem typisch analytischen Philosophen eine dritte. Keine solche Eigenschaft ist notwendig, keine hinreichend.
Logiker können auch Logiker sein, ohne gleich als ‚richtige‘ analytische Philosophen zu gelten. Aber sie können dennoch analytischer sein als andere.
Es gibt Bereiche, die eher typisch sind für die Analytische Philosophie: Logik, Sprachanalyse, Philosophie des Geistes. Aber dies bedeutet eben nicht, dass jeder, der in diesen Bereichen arbeitet, automatisch ein analytischer Philosoph ist.
Ein Charakteristikum von Analytischer Philosophie
Argumentieren und Begründen als Charakteristikum
Føllesdal (1997) identifiziert dennoch etwas, das er als charakteristisch für Analytische Philosophie ansieht: Die Analytische Philosophie ist durch ihre Zugriffsweise auf philosophische Probleme gekennzeichnet. Hiermit ist gemeint, dass Argumentation und Begründung eine zentrale Rolle im analytischen Philosophieren einnehmen. Hier schließt sich Beckermann (2004, S. 7) an, wenn er schreibt: „Begriffliche Implikationen und argumentative Zusammenhänge so klar wie möglich herauszuarbeiten, ist also ein wesentliches Merkmal des Analytischen Philosophierens.“
Analytische Philosophen sehen philosophische Probleme hierbei wie naturwissenschaftliche und behandeln sie ebenso: Philosophische Probleme sind Sachprobleme, die einen sachlichen Umgang mit ihnen erfordern.
Licht und nicht Nebel
Klarheit ist hierbei, wie von Beckermann gefordert, unumgänglich. Die Schweizer Philosophin Jeanne Hersch (1910–2000) erläuterte ihre Vorstellung von guter Philosophie im Anschluss an einen sehr blumigen Vorredner einmal so: „Will man in einen tiefen Brunnen schauen, braucht man Licht und keinen Nebel.“ Eben dieses Licht ins Dunkle zu bringen, ist das erklärte Ziel der Analytischen Philosophie.
So erklärt sich auch die Vorrangstellung der Sprachanalyse: Nur wenn klar herausgearbeitet wurde, was sprachlich gemeint ist, also wenn Unklarheiten und Vieldeutigkeiten vermieden bzw. beseitigt wurden, kann man sich den eigentlichen Problemen nähern. Sprachanalyse ist daher nicht Selbstzweck, sondern wesentlich Voraussetzung für Analytisches Philosophieren.
Ebenso ist Argumentieren und Begründen nicht ohne Logik möglich. Hierbei zeigt aber die Praxis, dass nicht nur die klassische, monotone, zweiwertige Logik gemeint sein kann, die üblicherweise in den Logikkursen des Philosophiestudiums gelehrt wird. Es gibt Kontexte, in denen ein Modell angemessener ist, das auf einer mehrwertigen oder einer nicht-monotonen Logik beruht, denn manchmal führen wir während der Diskussion neue Prämissen ein, die zuvor gemachte Konklusionen möglicherweise zu Fall bringen, oder unsere Sätze sind eben nicht einfach nur entweder wahr oder falsch.
Logik und Sprachanalyse sind mit der Analytischen Philosophie so eng verbunden, weil sie die Grundvoraussetzungen für Argumentation und Begründung darstellen.
Analytische Philosophie = gute Philosophie?
Gelingt mit dieser Beschreibung, was die Analytische Philosophie ausmacht, denn nun überhaupt eine Grenzziehung? Zum Negativen sicherlich. Philosophen, die sich nicht um Argumentation und Begründung bemühen, sind bestimmt keine Analytiker. Sie sind aber unseres Erachtens auch keine guten Philosophen. In solchen Fällen kann nur eine Rekonstruktion des Fehlenden zeigen, ob dennoch philosophische Einsichten vorliegen.
Es sind aber auf der anderen Seite nicht nur analytische Philosophen, die sich um Klarheit und Rationalität in der Argumentation bemühen. Hier wären als (Gegen-)Beispiele unter anderen Platon, Aristoteles, Descartes, Kant oder Husserl zu nennen.
Begriffliche Analyse und Klarheit gab es auch schon früher
Schon der platonische Sokrates zwingt sich und seine Gesprächspartner zur begrifflichen Analyse und Klarheit. Seine Definition von Wissen als wahrer, gerechtfertigter Meinung ist ein Musterbeispiel logischer Begriffsklärung. Erst mit Hilfe der modernen Sprachanalyse gelang es Edmund Gettier (*1927) in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts – also über 2300 Jahre später –, diese Definition zu kritisieren.
Muss man daher nicht zugeben, dass die hier angebotene Beschreibung, was Analytische Philosophie ausmacht, zu weit ist? Ja und nein. Es wurde oben schon betont, dass das Bemühen um Argumentation und Begründung als Zugriffsweise charakteristisch für Analytische Philosophie ist, aber es ist eben nicht hinreichend. Diese Zugriffsweise findet sich in jeder guten Philosophie.
Analytische Philosophie ist gewiss gute Philosophie, aber es kommt eben das eine oder andere noch hinzu, um gute Philosophie zu Analytischer Philosophie in vollem Sinne zu machen. Aber dieses eine oder andere ist nicht strikt festgelegt. (Wir hoffen, dass es dem geneigten Leser nach der Lektüre dieses Buches wie dem amerikanischen Richter Potter Stewart – in einem anderen Zusammenhang – gehen wird. Er kennt zwar keine exakte Definition, was Analytische Philosophie ist, aber er erkennt sie, wenn er sie sieht.)
Analytisch/nichtanalytisch liegt quer
So betrachtet sieht man aber auch, dass die herkömmlichen Unterscheidungen ‚analytisch/kontinental‘, ‚analytisch/hermeneutisch‘, ‚analytisch/phänomenologisch‘ etc. unzutreffend sind und wir schließen uns Føllesdal gerne an, wenn er schreibt:
Man sollte lieber sagen, daß die analytisch/nicht-analytisch Einteilung quer zu den anderen Einteilungen steht. Man kann analytischer Philosoph sein, und zugleich Phänomenologe, Existentialist, Hermeneutiker, Thomist usw. (Føllesdal (1997, S. 27))
Beckermanns Ansicht, dass die traditionelle Analytische Philosophie untergegangen ist, können wir uns aber nicht so ohne Weiteres anschließen. Sie ist erwachsen geworden. In ihrer Kindheit und Jugend hat sie ihr Terrain sondiert und ihr Instrumentarium – Logik und Sprachanalyse – entwickelt. Hierbei hat sie sich immer wieder, und das unterscheidet sie von den Fachwissenschaften, reflektierend mit sich selbst beschäftigt und sich Rechenschaft über das eigene Tun gegeben. Sicherlich ist sie im jugendlichen Überschwang auch manchmal über das Ziel hinaus geschossen, wenn sie beispielsweise die Sprachanalyse verabsolutierte und zur alleinigen philosophischen Tätigkeit erhob. Aber sie hat auch wertvolle, beinahe verloren gegangene Standards wieder in die Philosophie zurückgebracht.
Heute haben wir einen Punkt erreicht, an dem die Voraussetzungen für gutes Philosophieren (beinahe) selbstverständlich geworden sind und die Philosophen sich mit den eigentlichen Sachproblemen auseinandersetzen können. Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen und eine der Hauptaufgaben der Analytischen Philosophie besteht darin, Philosophiestudenten in die Lage zu versetzen, durch eigenes Nachdenken (nicht nur!) philosophische Positionen zu prüfen, zu akzeptieren oder zu verwerfen.