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4Verwaltungshandeln 4.1Arten 4.1.1Öffentlich-rechtliches und privatrechtliches Verwaltungshandeln – Übersicht

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73Das Verwaltungshandeln lässt sich nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen. Nach den Rechtsformen, mit denen die Staatsziele von der Verwaltung verwirklicht werden, lassen sich öffentlich-rechtliche (hoheitliche) und privatrechtliche (fiskalische) Verwaltung unterscheiden. Die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit vollzieht sich nach den Rechtsnormen des öffentlichen Rechts, insb. des Verwaltungsrechts, die privatrechtliche Verwaltungstätigkeit nach den Rechtsnormen des Privatrechts. Welchem Bereich eine Tätigkeit der Verwaltung zuzuordnen ist, hat große praktische Bedeutung, z. B. für die Frage, welches Recht anzuwenden ist und welcher Rechtsweg im Streitfall gegeben ist.

Beispiele:

a) Ein Gastwirt, der von der Stadt Emden (Niedersachsen) den Ratskeller gepachtet hat, hat eine ihm zum Schutz der Gäste nachträglich erteilte gaststättenrechtliche Anordnung nach § 5 NGastG nicht erfüllt. Auch ist er seinen vertraglichen Verpflichtungen (Pachtvertrag) gegenüber der Stadt mehrfach nicht nachgekommen.

Die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der Anordnung sowie eine mögliche Untersagung des Gaststättengewerbes wegen Nichtbefolgung der Anordnung (Stichwort: fehlende Zuverlässigkeit des Gastwirts) sind nach öffentlichem Recht zu beurteilen. Für daraus entstehende Streitigkeiten ist nach § 40 VwGO der Verwaltungsrechtsweg gegeben.

Das Pachtverhältnis unterliegt dagegen den Regeln des Privatrechts. Für Klagen auf Vertragserfüllung oder auf Schadenersatz ist nach § 13 GVG der Zivilrechtsweg eröffnet.

b) Ansprüche aus öffentlich-rechtlichen Verträgen sind im Verwaltungsrechtsweg, Ansprüche aus privatrechtlichen Verträgen im Zivilrechtsweg geltend zu machen. Auf öffentlich-rechtliche Verträge sind insb. §§ 54 ff. VwVfG, auf privatrechtliche Verträge die Bestimmungen des BGB anzuwenden.

73aFür die Zuordnung einer Rechtsnorm zum öffentlichen Recht oder aber zum Privatrecht spielen die folgenden drei Abgrenzungstheorien eine große Rolle.


Die drei Theorien haben unterschiedliche Stärken und Schwächen. Sie können nebeneinander zur Anwendung kommen. Die modifizierte Subjektstheorie gilt als die leistungsstärkste Theorie.197

Beispiele:

a) § 3 StVG ist eine öffentlich-rechtliche Norm, da nur ein Träger öffentlicher Gewalt berechtigt ist, die Fahrerlaubnis zu entziehen.

b) § 7 StVG ist eine Norm des Privatrechts, da Gläubiger und Schuldner auch Privatpersonen sein können.

74Innerhalb des öffentlich-rechtlichen Verwaltungshandelns wird unterschieden zwischen „obrigkeitlicher“ und „schlicht-hoheitlicher“ Verwaltung. „Obrigkeitlich“ wird die Verwaltung tätig, wenn ein Träger öffentlicher Verwaltung eine Angelegenheit in der Form des Verwaltungsaktes einseitig und verbindlich regelt und damit entweder in die Rechte des Bürgers eingreift (etwa durch Abgabenbescheide oder Verwaltungsakte zur Gefahrenabwehr) oder aber – negativ oder positiv – über einen Antrag auf Gewährung von Leistungen (z. B. Wohngeld, Ausbildungsförderung, Erlaubnisse) entscheidet.

75Als „schlicht-hoheitliches“ Verwaltungshandeln (schlichtes Verwaltungshandeln) wird die öffentlich-rechtliche Tätigkeit der Verwaltung bezeichnet, bei der Träger öffentlicher Verwaltung nicht „obrigkeitlich“ handeln, sich also nicht der Handlungsart „Verwaltungsakt“ bedienen, sondern ihre Aufgaben durch andere Mittel wahrnehmen, z. B. durch Errichtung öffentlicher Einrichtungen, schlichte Gewährung – öffentlich-rechtlicher – Leistungen, rein tatsächliche Vollzugshandlungen, Erteilung von Auskünften.198

76Die Verwaltung kann sich auch, wie jedermann, der Gestaltungsmöglichkeiten des Privatrechts bedienen; dann liegt privatrechtliches Verwaltungshandeln vor. Insb. kann sie privatrechtliche Verträge (Miet-, Kauf-, Werkverträge usw.) schließen. Das geschieht häufig dann, wenn öffentlich-rechtliche Formen entweder nicht zur Verfügung stehen (Grundstückskauf) oder die Voraussetzungen für öffentlich-rechtliches Handeln nicht erfüllt sind (Enteignung eines Grundstücks) oder aber das private Recht größere Gestaltungsfreiheit gewährt.

76aDem privatrechtlichen Verwaltungshandeln kommt eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung zu. Allein im Bereich der sog. Beschaffungsverwaltung werden in Deutschland jährlich öffentliche Aufträge im Wert von über 200 Milliarden Euro vergeben. Es stellt sich daher die Frage, ob der Staat – ohne jede Einschränkung – die Gestaltungsmöglichkeiten der Privatautonomie nutzen kann. Dies ist zu verneinen. Die öffentlich-rechtlichen Bildungen sind aber von unterschiedlicher Intensität, so dass eine differenzierte Betrachtung geboten ist:


77Die stärksten öffentlich-rechtlichen Bindungen ergeben sich in den Fällen des sog. Verwaltungsprivatrechts. Verwaltungsprivatrecht liegt vor, wenn (1) ein Träger öffentlicher Verwaltung (2) in privatrechtlicher Form handelt und (3) dem Bürger gegenüber unmittelbar eine öffentliche Aufgabe erfüllt. Die erste Voraussetzung ist erfüllt, wenn entweder ein Träger öffentlicher Verwaltung selbst (z. B. eine Kommune) oder über eine von ihm beherrschte juristische Person (z. B. Stadthallen-GmbH, deren Anteile allein der Kommune gehören) handelt. In privatrechtlicher Form wird dieser Träger tätig, wenn er die in den Rechtsbeziehungen zum Bürger die Handlungsformen des Privatrechts (z. B. Kaufvertrag, Darlehensvertrag) nutzt. Zu den öffentlichen Aufgaben gehören einerseits die durch Gesetz übertragenen und andererseits die freiwillig übernommenen Aufgaben (z. B. Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen). Grundsätzlich gilt hier das Privatrecht. Die öffentlichen Beschränkungen ergeben sich aber aus der Beachtung der Grundrechte, insbesondere Art. 3 I GG, den Zuständigkeitsvorschriften des öffentlichen Rechts und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Zudem gilt das Verbot, eine von der öffentlichen Hand zu erbringenden Leistung von der Gegenleistung des Bürgers abhängig zu machen, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Verwaltungsleistung steht (sog. Koppelungsverbot). Die öffentlich-rechtlichen Überlagerungen der primär privat-rechtlichen Rechtbeziehungen sollen verhindern, dass der Staat durch die „Flucht ins Privatrecht“ sich der Bindung der Grundrechte entziehen kann.199

Beispiel:

Eine Gemeinde hat von einem Landwirt ein größeres, für den Wohnungsbau geeignetes Grundstück erworben, das sie Bauwilligen für die Bebauung mit Familienheimen überlässt. An den Bauwilligen Moll, der nach der von der Gemeinde geführten Bewerberliste an sich zu berücksichtigen wäre, will sie eines der letzten noch verfügbaren Grundstücke nicht verkaufen, weil dieser gegen die Gemeinde wegen der Höhe der Kanalbenutzungsgebühren einen Prozess führte. Der Bürgermeister meint, die Gemeinde sei beim Grundstücksverkauf ebenso frei wie jeder private Verkäufer. Diese Ansicht ist nicht richtig. Die Wohnungsbauförderung ist eine öffentliche Aufgabe der Verwaltung, u. a. der Gemeinden. Der Wohnungsbau wird insb. u. a. dadurch gefördert, dass Bauland bereitgestellt wird. Die Überlassung der Baugrundstücke liegt im Rahmen einer der Gemeinde obliegenden öffentlichen Aufgabe, die sie auch dem Berechtigten Moll gegenüber zu erfüllen hat. Da Art. 3 I GG zu beachten ist, müssen alle Bauwilligen gleichbehandelt werden. Der Umstand, dass Moll einen Prozess gegen die Gemeinde führte, ist kein sachlicher Grund, ihm ein Baugrundstück nicht zu verkaufen. Moll hat also Anspruch darauf, dass die Gemeinde ihm ein Baugrundstück überlässt.

Für Streitigkeiten zwischen den Parteien ist der Zivilrechtsweg (§ 13 GVG) gegeben. Die öffentlich-rechtlichen Bindungen ändern nicht die zugrunde liegende privatrechtliche Rechtsbeziehung.

78Im Gegensatz zum Verwaltungsprivatrecht spricht man von Fiskalprivatrecht, wenn die Verwaltung als Fiskus am Privatrechtsverkehr teilnimmt, um ihr Verwaltungs- oder Finanzvermögen (z. B. Schulen, Krankenhäuser, Dienstfahrzeuge, Grundstücke) zu erwerben, zu erhalten oder zu veräußern. Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben wird hier nur mittelbar gefördert, etwa dadurch, dass ein vermietetes oder verpachtetes Grundstück Erträge erbringt. Obgleich die öffentliche Hand hier keiner unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegt, gelten für sie doch – gegenüber einem Privaten – strengere Maßstäbe. So ist es dem Staat verwehrt, willkürlich zu handeln.200 Zudem sieht das Wettbewerbsrecht für die Vergabe öffentlicher Aufträge besondere Regelungen vor (§§ 97 ff. GWB).201

78aDer Staat nimmt ferner als Unternehmer am Wirtschaftsleben teil. Er wird entweder als Unternehmer tätig (z. B. Porzellanmanufaktur) oder aber er beteiligt sich an Unternehmen (z. B. Banken; Energieversorger [RWE; Volkswagen AG]). Die erwerbswirtschaftliche Betätigung des Staates richtet sich grundrechtlich nach dem Privatrecht. Sofern sich Kommunen wirtschaftlich betätigen wollen, sehen regelmäßig die jeweiligen Kommunalverfassungen besondere Regelungen vor.202

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