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Der Yachtbesitzerunddie Barista - Kapitel 1 von Holly Rose

Erwin seufzte leicht. Er verbrachte den Nachmittag damit, seine Yacht wieder in Schuss zu bringen. Er hatte sie etwas vernachlässigt in der letzten Zeit, doch nun konnte er sich ihr nach Kräften widmen. Luise, seine über alles geliebte Frau, war vor drei Wochen für immer von ihm gegangen. Plötzlich, unerwartet und wie aus dem Nichts. Gerade mal siebenundsechzig war sie geworden, Herzinfarkt – aus und vorbei.

Erwin hatte sich auf seine Lieblingsinsel geflüchtet, wo auch seine Yacht ihren Liegeplatz hatte. Hier würde er seinen Schmerz verarbeiten, hier würde er darüber nachdenken müssen, wie sein Leben ohne Luise weitergehen würde. Luise … die Frau, die ihm alle Wege geebnet hatte. Luise, die immer da gewesen war, wenn man sie gebraucht hatte.

Erwin zählte mittlerweile siebzig Jahre, fühlte sich aber bei Weitem noch nicht alt und gebrechlich. Im Gegenteil! Er war immer viel an der frischen Luft gewesen, war gesegelt und durch die Welt getourt – mit Luise –, und er war alles andere als eine Couch-Potato. Er hatte Spaß an seinem Rentnerdasein, und das hatte man ihm bis vor wenigen Wochen auch angemerkt.

Jetzt saß er zusammengesunken auf seiner Yacht und bekam plötzlich unbändigen Durst auf etwas Hochprozentiges. Rasch griff er sich seinen Pullover und machte sich auf zu der kleinen Strandbar, die unweit des Liegeplatzes Cocktails anbot.

»Hi«, sagte die niedliche kleine Bedienung zu ihm, »was darf’s denn sein?«

Erwin blieb der Mund offen stehen. Dieses Mädchen hatte eine Ausstrahlung und war wohl eher für die Laufstege dieser Welt gedacht, als hier auf Fuerteventura Getränke an einer Strandbar auszuschenken.

»Einen Daiquiri, bitte«, sagte Erwin und setzte sich auf einen der Barhocker.

»Kommt sofort«, meinte die Bedienung, die sich Erwin als Tina vorstellte.

»Ich habe Sie hier noch nie gesehen, Tina. Neu hier, oder war ich einfach blind?«

»Das Erstere«, meinte Tina forsch und lachte Erwin offenherzig an. Auf Anhieb war ihr der melancholisch dreinblickende Mann sympathisch. Ihn hatte sie die letzten Tage schon öfter auf seiner Yacht beobachten können – sie wusste allerdings nichts über ihn. Die Yacht war riesig, also schloss Tina daraus, dass der Typ durchaus über Geld verfügte. Vielleicht würde da ja was laufen? Ein bisschen Liebe, ein bisschen Sex, das wäre schon schön.

Erwin fragte sie, wie sie hier gelandet sei, und Tina lachte. »Ich brauchte das Geld und wollte von zu Hause weg. Da bin ich hier gestrandet.«

»So ähnlich ist es auch bei mir«, erwiderte Erwin und stellte sich Tina vor. »Ich bin Arzt im Ruhestand und habe im Augenblick ein bisschen viel zu verdauen. Meine Frau ist vor drei Wochen von mir gegangen. Es tut weh, unglaublich weh.«

»Oh, das tut mir sehr leid«, meinte Tina und sah Erwin erschüttert an. »Ein Abschied ist aber auch immer ein Neuanfang, zumindest nach einer gewissen Zeit«, sagte sie in ihrer jugendlichen Unbedarftheit zu ihm.

Erwin sah sie erst leicht pikiert an, doch dann nickte er seltsam erleichtert. »Da ist was Wahres dran«, meinte er, »darf ich dich zu einem Drink einladen?«

»Warum nicht?«, meinte Tina und biss sich leicht auf ihre Lippen. Der Mann hatte etwas, was sie magisch anzog. Es war sowieso nichts los heute Morgen, also konnte sie sich mit Erwin ruhig ein wenig unterhalten.

Tina unterbrach das Schweigen, was momentan noch herrschte, indem sie Erwin fragte, ob er sich bereits Gedanken über seine Zukunft gemacht hätte. Erwin hätte am liebsten gesagt: Ja, ich will dich! Du bist so herrlich jung, so unbedarft und unglaublich sexy – Entschuldigung, Luise, aber es handelt sich hier um eine echte Zuckerschnitte! –, doch Erwin antwortete: »Tja, so recht weiß ich das auch noch nicht. Die Yacht müsste dringend auf Vordermann gebracht werden. Es gäbe also viel zu tun in diesem Sommer – allein mir fehlt im Augenblick die Kraft dazu. Ist halt alles noch sehr frisch.«

»Natürlich«, erwiderte Tina und fixierte den Arzt. Wie alt mochte er wohl sein. Sechzig, siebzig? In Zeiten von Botox und Co. wusste man das ja gar nicht mehr so genau zu sagen. Als sie die Drinks gemixt hatte, fragte Tina ihn frei heraus: »Wie alt bist du eigentlich?«

Und als Erwin ihr sein Alter verriet, pfiff Tina anerkennend durch die Zähne. »Da hast du dich aber sehr gut gehalten«, meinte sie, »ich bin übrigens fünfundzwanzig.«

Mein Gott, dachte Erwin, das könnte meine Enkeltochter sein. Und da verschwendest du einen Gedanken dran?

Tina sah noch mal genauer hin. Pluspunkte gab’s dafür, dass der Typ Kohle hatte, Punkt zwei ging an Erwin, weil er überaus gepflegt war und eine gewisse Sinnlichkeit ausstrahlte. Zu früheren Zeiten musste er ein sehr attraktiver Mann gewesen sein. Nein, stopp, er war es immer noch.

»Zum Wohl!«

Erwin hielt Tina sein Glas entgegen, und sie stießen miteinander an. Als Erwin den ersten Schluck durch den Strohhalm gezogen hatte, meinte er: »Köstlich, das habe ich jetzt gebraucht.« Und er erzählte noch mehr von sich, und Tina hörte sehr genau zu.

Erwin hatte vor, auf der Yacht zur Ruhe zu kommen, abzuschalten und einen Weg zu finden, ohne Luise klarzukommen. Sicherlich täte ihm auch ein wenig Arbeit gut – doch natürlich würde er auch viel nachdenken müssen.

»Ist nicht immer gut, das viele Nachdenken«, meinte Tina da. Je mehr Erwin über sich erzählte, desto neugieriger wurde sie auf diesen Mann.

Siebzig, sinnierte Tina, wahrscheinlich ein schrumpeliges Geschlecht, ein hängender Bauch und ein Hühnerhals. Nicht wirklich ihre Baustelle! Selbst wenn der Typ Geld wie Heu hatte, was für die Optik wäre ja nun auch nicht das Schlechteste gewesen. Doch ein Rest von Zweifel blieb. Tina konnte nicht wirklich sagen, was es war, das sie weiterhin zu Erwin hinzog – vielleicht waren es ja doch die herrlich altmodisch wirkenden Manieren. Vielleicht auch, weil der Typ sie wirklich und wahrhaftig faszinierte – oder doch, weil er offenbar im Geld zu schwimmen schien. Sie wusste es einfach nicht.

Zwischenzeitlich hatte Erwin ihr auch noch berichtet, dass er in Köln ein großes Haus sein Eigen nannte, das nun völlig verwaist war. Er würde es wohl verkaufen, für ihn allein wäre es viel zu groß.

Ohnehin hatte er sein Geld mit Aktienfonds und hochspekulativen Börsengeschäften gemacht – seine Praxis als Hautarzt war zwar hervorragend gelaufen, doch das große Geld – wie Erwin sagte – hatte er mit anderen Dingen verdient. Auf einem Bein kannst du nicht stehen, hatte sich Erwin stets gesagt, also hatte er beschlossen, an der Börse zu spekulieren, und hatte nur gewonnen!

An Geldmangel würde Tina in einem Fall der Zuwendung also nie mehr zu leiden haben, so viel war klar.

Erwin machte sich auf den Weg zurück zu seiner Yacht. Über vieles hatte er nachzudenken. Da hatte er sich so ein junges Ding an Land gezogen, das ihn dermaßen in Bann zog und ihn völlig verwirrte.

Als Luise noch lebte, hatte Erwin auch die ein oder andere Liaison gehabt – das hatten sie sich beide zugestanden und waren immer gut damit gefahren. Doch seit ein paar Jahren herrschte Funkstille.

Sein Baumstamm, auf welchen immer Verlass gewesen war, war mittlerweile nur noch ein starker Ast. Erwin lächelte leicht. Ein starker Ast, genau, das war sein Lustspender. Doch er war immer noch gut dabei.

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