Читать книгу Die Burg von Otranto - Horace Walpole - Страница 4

Erster Abschnitt

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Manfred, Fürst von Otranto, hatte einen Sohn und eine Tochter. Diese, ein sehr schönes Fräulein von achtzehn Jahren, hieß Matilde. Corrado, der Sohn, war drey Jahr jünger, übel aussehend, kränklich, und ohne versprechende Anlagen; dennoch der Liebling seines Vaters, der selten Spuren einiger Zuneigung gegen Matilde blicken ließ. Manfred hatte eine Heirath für seinen Sohn mit Isabellen, der Tochter des Markgrafen von Vicenza besprochen; und ihre Vormünder hatten sie bereits in Manfreds Hände abgeliefert, damit er die Hochzeitfeyer vollziehen könne, sobald Corrado’s schwacher Gesundheitszustand es erlaubte. Manfreds Hausgenossen und Nachbarn bemerkten seine Ungeduld, die Feyer zu vollziehen. Jene freylich scheuten seine Strenge, und unterstanden sich daher nicht, ihre Muthmaßungen über diese Eilfertigkeit zu äußern. Hippolite, seine Gemahlin, eine liebenswürdige Dame, wagte zuweilen ihm die Gefahr vorzustellen, die mit einer frühen Verheirathung ihres Sohnes, in Rücksicht seiner großen Jugend, und größeren Schwachheit, verbunden wäre. Aber sie erhielt nichts zur Antwort, als Vorwürfe über ihre eigne Unfruchtbarkeit, da sie nur einen Erbherrn gebohren habe. Manfreds Vasallen und Unterthanen nahmen sich in ihren Reden minder in Acht: sie schoben diese hastige Vermählung, auf Rechnung der Furcht ihres Fürsten, eine alte Weissagung erfüllt zu sehn, nach welcher es hieß: die Burg und Herrschaft Otranto, sollten dem Geschlecht ihrer gegenwärtigen Einhaber entwendet werden, wenn dem wirklichen Besitzer seine Behausung zu enge würde. Es war schwer in dieser Weissagung einen Sinn zu finden; und noch schwerer zu begreifen, was sie mit der vorseyenden Vermählung für eine Verbindung habe. Doch blieb das Volk, dieses Räthsels oder Widerspruchs ohngeachtet, nicht minder fest auf seiner Meinung.

Corrado’s Geburtstag war zum Trauungsfest bestimmt. Die Gesellschaft befand sich in der Burgcapelle versammelt, und alles zur priesterlichen Einsegnung bereit, als man Corrado selbst vermißte. Manfred konnte keinen Verzug ertragen, er hatte nicht bemerkt daß sein Sohn sich entferne, und sandte einen seiner Begleiter den jungen Fürsten herbeyzurufen. Der Bediente blieb nicht so lange weg, als er Zeit bedurfte über den Hof nach Corrado’s Zimmern zu gehn, sondern lief athemlos zurück, und sah aus wie ein Wahnwitziger, seine Augen starrten, Schaum stand vor seinen Lippen. Er sprach kein Wort, und zeigte auf den Hof. Die Gesellschaft ergrif Schauder und Entsetzen. Die Fürstin Hippolite wuste nicht was vorgefallen seyn konnte, aber aus Angst um ihren Sohn fiel sie in Ohnmacht. Manfred, minder besorgt, als aufgebracht über die Verzögerung der Trauung, und die Albernheit seines Bedienten, fragte gebieterisch, was es gäbe? Der Bursch antwortete nicht, sondern fuhr fort nach dem Hofraum hinzudeuten; und rief endlich, nachdem er sich zu wiederholtenmalen fragen lassen: O weh! der Helm! der Helm! Unterdessen waren schon einige der Gesellschaft in den Hof gelaufen, woher man ein verwirrtes Getöse von Schrecken, Abscheu und Entsetzen vernahm. Endlich ward Manfred bestürzt als sein Sohn nicht erschien, und ging selbst, um der Ursache dieser seltsamen Verwirrung nachzuforschen. Matilde blieb zum Beystand ihrer Mutter, und Isabelle leistete ihr darin Gesellschaft, die ohnedem keine Ungeduld nach einem Bräutigam bezeigen wollte, für den sie in der That wenig Neigung besaß.

Was Manfreds Augen zuerst auffiel, war ein Kreis seiner Bedienten, die etwas in die Höhe zu heben sich bemühten, das einem Berge schwarzer Federn ähnlich sah. Er staunte und traute seinem Gesicht nicht. Was treibt ihr da? rief Manfred wütend: wo ist mein Sohn? Ein Chor von Stimmen antwortete: O, gnädigster Herr! der Prinz! der Prinz! der Helm! der Helm! Ihn erschütterten die Klagetone, die Furcht unbekannter Dinge überfiel ihn, er trat hastig hinzu – was erblickten die Augen des Vaters? – er sah sein Kind zerschmettert, begraben gleichsam, unter einem ungeheuren Helm, hundertmal größer als irgend eine Sturmhaube die je für einen Sterblichen geschmiedet ward, und von einem verhältnißmäßig großen Busch schwarzer Federn beschattet.

Dieser grauenvolle Anblick, die Unwissenheit aller Umstehenden auf was Art sich der Unfall ereignet habe, und über alles, die furchtbare Erscheinung vor ihm, benahmen dem Fürsten die Sprache. Doch schwieg er länger, als selbst der Kummer schweigen kann. Seine Augen starrten auf das hin, was er vergebens wünschte für ein Gesicht halten zu können; und er schien minder empfindlich gegen seinen Verlust, als in Betrachtung verlohren, über den erstaunenswürdigen Gegenstand der ihn veranlaßte. Er berührte, untersuchte, den unglückbringenden Helm; selbst die blutenden zerstückelten Ueberreste des jungen Prinzen, konnten Manfreds Blicke von diesem Schreckenswunder nicht abziehn. Wer seine partheyische Zärtlichkeit für den jungen Corrado gekannt hatte, war eben so verwundert über die Unempfindlichkeit des Fürsten, als betroffen über das Zeichen des Helms. Man trug den entstellten Leichnam in die Halle, ohne darüber im geringsten Manfreds Befehl zu erhalten. Eben so wenig achtete er seiner Gemahlin und Tochter, die in der Capelle zurück blieben. Die ersten Worte aus seinem Munde waren: Sorgt für Fräulein Isabelle!

Den Bedienten fiel dieser sonderbare Befehl nicht auf. Liebe zu ihrer Herrschaft ließ sie annehmen, daß von ihr allein die Rede seyn könne: sie eilten zu ihrem Beystand. Man brachte sie in ihr Schlafzimmer mehr todt als lebendig, und gleichgültig gegen alles seltsame das man ihr hinterbrachte, ausgenommen gegen den Verlust ihres Sohnes. Matilde, kindlicher Zärtlichkeit voll, erstickte eignen Schmerz und Entsetzen, und dachte nur darauf ihre betrübte Mutter aufzurichten und zu trösten. Isabelle, die wie eine Tochter von Hippoliten behandelt war, und diese Zuneigung mit gleicher Erkenntlichkeit und Liebe erwiederte, war kaum weniger thätig um die Fürstin; und suchte zu gleicher Zeit das Gewicht des Grams mit zu tragen und zu vermindern, das ihre Matilde zu unterdrücken strebte, für welche sie das wärmste Mitgefühl der Freundschaft empfand. Doch konnte sie gleichfalls nicht umhin an ihre eigene Lage zu denken. Corrado’s Tod that ihr weiter nicht leid, als weil er schmerzlich war; und es durfte ihr nicht unangenehm seyn, einer Heyrath entbunden zu werden, die ihr wenig Glückseligkeit versprach, sowohl in Ansehung des Mannes den man ihr bestimmte, als in Rücksicht auf Manfreds strenge Stimmung, der trotz der großen Nachsicht, wodurch er sie auszeichnete, ihre Seele mit Schrecken erfüllte, indem er ohne Veranlassung gegen so liebenswürdige Fürstinnen, als Hippolite und Mathilde, hart war.

Während die Damen der unglücklichen Mutter zu Bette halfen, blieb Manfred im Hofe, betrachtete unverwand den Verderben, verkündenden Helm, und kehrte sich nicht an die Menge, welche dieser seltsame Vorfall nach und nach um ihn versammelt hatte. Nur von Zeit zu Zeit fragte er mit kurzen Worten: ob niemand wisse, woher der Helm gekommen seyn möge? Niemand konnte darüber die geringste Auskunft geben. Da dies aber der einzige Gegenstand seiner Neugierde schien, so ahmten ihm die übrigen Zuschauer bald darin nach, deren Vermuthungen eben so ungereimt und unwahrscheinlich waren, als beyspiellos der Vorgang selbst. Mitten unter ihrem unvernünftigen Rathen, bemerkte ein junger Bauer aus einem benachbarten Dorf, den der Lärmen herbeygelockt hatte, der wunderbare Helm sehe dem außerordentlich ähnlich, welchen die schwarze marmorne Bildsäule ihres hochseligen Fürsten Alfonso des Guten, in der San Nicola Kirche trage. Bube! was sagst du? rief Manfred, der aus seiner Betäubung zu stürmischer Wuth erwachte, und den jungen Mann bey dem Kragen packte; wie darfst du solchen Hochverrath aussprechen? dein Leben büße dafür! Die Zuschauer begriffen den Grimm des Fürsten eben so wenig als alles was sie sonst gesehen hatten, und wusten sich diesen neuen Umstand nicht zu enträthseln. Noch betroffener war der junge Bauer, der gar nicht einsah, wie er den Fürsten beleidigt habe. Doch faßte er sich, entzog, ohne Anstand oder Unterwürfigkeit zu verletzen, seinen Hals dem Griffe Manfred’s, beugte seine Knie vor ihm, und fragte ehrfurchtsvoll, aber freylich mehr im Gefühl der Unschuld als niedergeschlagen: worin er schuldig sey? Manfred, mehr aufgebracht über die Stärke, wie schonend sie auch gebraucht ward, womit der Jüngling sich seiner Hand entledigt hatte, als versöhnt durch seine Demuth, befahl seinen Dienern ihn anzuhalten, und würde ihn in ihren Armen erstochen haben, hätten die Freunde, die er zum Hochzeitmale eingeladen, ihn nicht zurückgehalten.

Während dieses Wortwechsels, rannten einige der gemeinen Zuschauer in die große Kirche, die der Burg nahe stand, und kamen mit aufgesperrten Mäulern zurück, zu melden, Alfonso’s Bildsäule habe ihren Helm verlohren. Manfred gerieth bey dieser Nachricht vollends außer sich; und, als sucht’ er einen Gegenstand an welchem er den Sturm in seiner Brust auslassen könnte, stürzt’ er von neuem auf den jungen Landmann zu, und rief: Sclave! Ungeheuer! Zauberer! du hast dies gethan! du hast meinen Sohn erschlagen! Dem Pöbel fehlte lange ein Vorwurf, dem Maas seiner Fähigkeiten angemessen, um seine in der Irre laufenden Gedanken daran fest zu halten, er schnappte das Wort aus dem Munde seines Herrn, und hallte wieder: Ja! ja! er ist es, er ist es! Er hat den Helm vom Denkmal des guten Alfonso gestohlen und unsers jungen Prinzen Gehirn damit zerschmettert! Daran dachten sie nicht, welch ein ungeheurer Unterschied sey, zwischen dem Marmorhelm der in der Kirche gewesen war, und dem stählernen vor ihren Augen; auch wie unmöglich es sey, daß ein Jüngling, dem man noch nicht zwanzig Jahre ansah, ein Rüststück von so erstaunlichem Gewicht handhaben können.

Die Albernheit dieser Ausrufungen brachte Manfred wieder zu sich. Doch verdroß es ihn, daß der Bauer der Aehnlichkeit beyder Helme erwähnt, und dadurch Gelegenheit gegeben habe, die Abwesenheit des kirchlichen zu bemerken; vielleicht wünschte er auch, jedes Gerücht davon unter eine so ungereimte Vermuthung zu begraben; also sprach er das ernste Urtheil: der junge Mann sey gewiß ein Schwarzkünstler, und bis die Kirche von der Sache Kundschaft nehmen könne, wolle er den Zauberer, der sich so verrathen habe, unter dem Helme selbst gefangen halten. Diesen ließ er daher von seinen Dienern empor heben und den Jüngling darunter stecken; mit der Erklärung: man solle ihm dort keine Nahrung reichen, damit möge seine eigne höllische Kunst ihn versehen. Vergeblich machte der Jüngling Vorstellungen, gegen diesen Richterspruch ohne Untersuchung, vergeblich suchten Manfreds Freunde ihn von diesem wunderlichen und ungegründeten Entschluß abzuziehn. Der große Hause war entzückt über die Entscheidung seines Gebieters. Seiner Meinung nach war sie in hohem Grade gerecht, sie strafte ja den Zauberer durch das nemliche Werkzeug, womit er gesündigt hatte. Auch empfand er nicht das geringste Beyleid, durch den Gedanken an die Möglichkeit, daß der Jüngling verhungern könne, denn er glaubte festiglich, den werde seine teuflische Geschicklichkeit gar leichtlich mit Nahrung versorgen. Dergestalt sah Manfred seine Befehle freudig befolgt; bestellte eine Wache, mit gemeßnem Befehl, dem Gefangenen keine Lebensmittel zukommen zu lassen; entließ seine Freunde und Diener, und ging auf sein Zimmer, nachdem er die Thore der Burg verschlossen, worin er nur seinen Hausgenossen zu bleiben verstattete.

Unterdessen hatten die Sorgfalt und der Eifer der jungen Damen die Fürstin Hippolite wieder zu sich gebracht, die mitten in der Heftigkeit ihres eignen Schmerzes oft Nachricht von ihrem Gemahl zu haben verlangte, ihr Gefolge gern verlassen hätte um über ihn zu wachen, und endlich Matilden gebot sie zu verlassen, um ihren Vater zu besuchen und zu trösten. Matilde, der es an liebevoller Ergebenheit gegen ihren Vater nie gebrach, obwohl sie vor seinem rauhen Wesen zitterte, gehorchte den Befehlen Hippolitens, die sie ihrer Freundin mit Thränen empfahl. Sie fragte die Bedienten nach ihrem Vater, und erfuhr, er sey auf sein Zimmer gegangen, woselbst er verboten habe irgend jemanden vor ihm zu lassen. Sie schloß, er sey im Gram über den Tod ihres Bruders verlohren, und fürchtete seine Thränen mögten sich bey dem Anblick des einzigen ihm übrig gebliebenen Kindes erneuern, darum stand sie an, ob sie sich zu seiner Betrübnis drängen solle; doch ihre Besorgniß für ihn, und die Zuversicht auf die Befehle ihrer Mutter, gaben ihr den Muth seinem Gebot nicht zu gehorchen. Diesen Fehler beging sie zum erstenmal. Die zarte Schüchternheit ihrer Seele verweilte sie einige Minuten an seiner Thüre. Sie hörte ihn in unregelmäßigen Schritten das Zimmer auf und abgehen; dieser Unmuth vermehrte ihre Bedenklichkeit. Dennoch war sie eben im Begrif um Zulassung zu bitten, als Manfred plötzlich die Thür aufriß, und, da es Dämmerung war, die zu der Verwirrung seines Gemüths hinzukam, die Person nicht gleich erkannte, sondern zornig fragte: wer ist da? Matilde antwortete zitternd: Mein theurer Vater, ich bin es, Ihre Tochter. Manfred trat hastig zurück, und rief: Geh, ich bedarf keiner Tochter! und damit wandte er sich um, und warf die Thür vor der erschrockenen Matilde zu.

Sie kannte ihres Vaters Heftigkeit zu gut, um eine zweyte Unterbrechung zu wagen. Als sie sich von der Erschütterung über eine so bittere Aufnahme ein wenig erholt hatte, wischte sie ihre Zähren weg, um der Wunde zuvorzukommen, welche die Wahrnehmung derselben dem Schmerz Hippolitens hätte hinzufügen müssen, die sich sehr ängstlich nach Manfreds Gesundheit erkundigte, und wie er seinen Verlust ertrüge? Matilde versicherte sie: er sey wohl, und fasse sich in sein Unglück mit männlicher Stärke. Will er sich mir denn nicht zeigen? sprach Hippolite traurend. Will er mir nicht erlauben, meine Thränen mit den seinigen zu vermischen, und den Gram einer Mutter in den Busen des Gatten aufnehmen? Oder hintergeht mich Matilde? Ich weiß wie Manfred an seinem Sohne hieng. Ist der Streich zu schwer für ihn? ist er darunter erlegen? du antwortest mir nicht? Ach, ich fürchte das schlimmste! richtet mich auf, Kinder, ich will, ich will zu meinem Gemahl, bringt mich gleich zu ihm. Er ist mir theurer als alles! Matilde winkte Isabellen, Hippolitens Aufstehen zu verhindern; und beyde liebliche Mädchen boten jede sanfte Gewalt auf, die Fürstin zurück zu halten und zu beruhigen, als ein Diener Manfreds hereintrat, Isabellen kund zu thun, sein Herr begehre mit ihr zu reden.

Mit mir! rief Isabelle. Gehen Sie, sagte Hippolite, für welche eine Botschaft von ihrem Gemahl wohlthätig war: Manfred kann den Anblick seiner eignen Familie nicht ertragen. Er traut Ihnen mehr Fassung zu als uns, und fürchtet den Ausbruch meiner Schmerzen. Trösten Sie ihn, theure Isabelle, und sagen Sie ihm; ich wolle lieber meinen Gram unterdrücken, als den seinigen vermehren.

Da es jetzt Abend war, trug der Bediente, der Isabellen berief, eine Fackel vor ihr her. Als sie zu Manfred kamen, der ungeduldig in der Gallerie umher ging, stutzte er und sprach hastig: Nimm das Licht mit dir und geh! darauf zog er die Thür heftig zu, warf sich auf eine Bank an der Wand, und bat Isabellen, sich neben ihm zu setzen. Sie gehorchte zitternd. Ich schickte zu Ihnen, sprach er – und darauf schwieg er, und schien sehr verwirrt. Gnädiger Herr! – Ja, ich schickte zu Ihnen, wegen einer wichtigen Angelegenheit, fing er wieder an, – trocknen Sie Ihre Zähren, liebenswürdiges Fräulein, – Sie haben Ihren Bräutigam verloren, – grausames Schicksal! und ich die Hofnung meines Stammes! aber Corrado war Ihrer Schönheit nicht wehrt – Wie, gnädiger Herr? sagte Isabelle; können Sie mich in Verdacht haben, unempfindlich zu seyn? Nie würd’ ich meiner Pflicht und Liebe so vergessen. – Denken Sie nicht mehr an ihn, unterbrach sie Manfred, er war ein kränklicher, schwächlicher Knabe, den mir der Himmel vielleicht genommen hat, damit ich die Ehre meines Hauses auf so zerbrechlichen Grund nicht bauen möge. Manfreds Geschlecht erfordert zahlreiche Sprossen. Meine thörichte Zärtlichkeit für den Knaben hat die Augen meiner Klugheit geblendet – aber jetzt ist alles besser. In wenig Jahren hoff’ ich Ursache zu haben, mich über den Tod Corrado’s zu freuen.

Worte schildern Isabellens Erstaunen nicht. Anfangs fürchtete sie, der Gram habe Manfreds Verstand zerrüttet. Ihr nächster Gedanke war, diese seltsame Rede habe zur Absicht, ihr eine Schlinge zu legen; sie fürchtete, Manfred habe ihre Gleichgültigkeit gegen seinen Sohn bemerkt; und in dieser Voraussetzung erwiederte sie: gnädiger Herr, seyn Sie so gütig, keine Zweifel in meine Gefühle zu setzen; ich hätte meine Hand nicht ohne mein Herz vergeben. Corrado würde meine ganze Zuneigung besessen haben; und wohin mich auch mein Schicksal trägt, da werd’ ich immer sein Gedächtnis theuer halten, und Ihre Hoheit und die würdige Fürstin Hippolite, als meine Eltern verehren.

Verflucht sey Hippolite! rief Manfred, vergessen Sie ihrer mit mir von diesem Augenblick an. Kurz, Fräulein, Sie haben einen Gemahl verlohren der Ihrer Reize nicht wehrt war: jetzt sollen sie einen bessern Besitzer finden. Statt eines siechen Knaben, erhalten Sie einen Mann in der Fülle seiner Kraft, der Ihre Schönheit zu schätzen weiß, und Ihnen eine zahlreiche Nachkommenschaft gewähren wird. Ach! gnädigster Herr, sagte Isabelle, das Unglück welches Ihrer Familie zugestoßen ist, beschäftigt meine Seele mit so traurigen Vorstellungen, daß ich an keine andere Heyrath denke. Kommt mein Vater jemals zurück, so werde ich mich in seinen Willen fügen, wie ich that, da ich meinen Willen darin gab, Ihren Sohn zu ehelichen. Bis zu seiner Rückkehr aber, erlauben Sie mir unter Ihrem gastfreyen Dache zu verweilen, und meine trübe Stunden damit zuzubringen, daß ich Ihren Kummer, Hippolitens und Matildens zu lindern suche.

Ich bat Sie schon einmal, sagte Manfred unruhig, daß Sie den Namen dieser Person nicht aussprechen mögten: sie muß Ihnen von dieser Stunde an so fremd werden als mir; – Kurz, Isabelle, da ich Ihnen meinen Sohn nicht geben kann, so biete ich mich an seine Stelle. – Himmel! rief Isabelle, die aus ihrem Irrthum erwachte, was hör’ ich? Sie, gnädiger Herr? Sie? mein Schwiegervater! Corrado’s Vater! der zärtlichen liebevollen Hippolite Gemahl! – Ich sage Ihnen, erwiederte Manfred herrisch, Hippolite ist nicht länger meine Gattin; ich scheide mich in dieser Stunde von ihr: zu lange trage ich den Fluch ihrer Unfruchtbarkeit, mein Schicksal hängt von männlicher Nachkommenschaft ab, – und diese Nacht eröfnet, ob Gott will! meinen Hofnungen eine neue Aussicht; bey diesen Worten ergrif er Isabellens kalte Hand. Sie war halbtod vor Schrecken und Abscheu, sie schrie auf und fuhr zurück. Manfred erhob sich sie zu verfolgen, als der Mond der jetzt aufgegangen war, und durch das entgegenstehende Fenstergeschoß fiel, seinem Anblick die Federn des unglücksweissagenden Helms zeigte, die sich zu der Höhe der Fenster erhoben, und wie im Sturm, vorwärts und rückwärts schwankten; ein holer rasselnder Ton begleitete sie. Isabelle schöpfte Muth aus ihrer Lage, und scheute nichts so sehr, als daß Manfred in seiner Erklärung fortfahren mögte. Sehn Sie, gnädiger Herr! rief sie; bemerken Sie, daß selbst der Himmel Ihren sündigen Absichten widerspricht! – Himmel und Hölle sollen meinem Vorsatz nicht einhalten, sprach Manfred, und nahte sich aufs neue der Prinzessin, sie zu ergreifen. In dem Augenblick erseufzte das Bildniß seines Großvaters, das über der Bank hing, wo sie gesessen hatten, aus tiefer Brust. Isabelle, die dem Gemälde den Rücken zukehrte, sah die Bewegung nicht, noch wuste sie von wannen dieser Laut kame, aber sie fuhr zusammen und sprach: hören Sie, gnädiger Herr? welch ein Laut ist das? zu gleicher Zeit ging sie auf die Thür zu. Manfred, getheilt zwischen dem Vorsatz Isabellens Entweichung zu verhindern, die jetzt bis an die Treppe gekommen war, und der Unmöglichkeit, seine Augen von dem Gemälde abzuwenden, das sich zu bewegen anfing, war ihr dennoch einige Schritte gefolgt, mit beständigem Rückblick auf das Bildniß, als er es seinen Rahmen verlassen sah, und ernst und schwermüthig zum Boden herabsteigen. Träum’ ich? rief Manfred zurückkehrend; oder sind die Teufel selbst gegen mich verbunden? Rede, Gespenst der Hölle! oder bist du mein Ahnherr, warum verschwörst auch du dich, gegen deinen unglücklichen Abkömmling, der zu theuer büßt was – Ehe er seine Rede endigen konnte, seufzte die Erscheinung von neuem, und winkte Manfred ihr zu folgen. Voran! rief Manfred, ich folge dir in den Abgrund der Verdammniß! Das Gespenst ging langsam und traurig bis ans Ende des Ganges, in ein Zimmer rechter Hand. Manfred folgte ihm in kleiner Entfernung, voll Bekümmerniß und Abscheu, aber entschlossen. Da er in das Zimmer treten wollte, schlug eine unsichtbare Hand die Thür gewaltsam vor ihm zu. Des Fürsten Muth wuchs durch dieses Hinderniß, er strebte die Thür mit dem Fuß aufzusprengen, aber sie widerstand seinen Kräften. Will die Hölle meine Neugier nicht befriedigen, sprach Manfred, so sollen menschliche Mittel, die in meiner Hand stehen, meinen Stamm erhalten; Isabelle darf mir nicht entgehen.

Des Fräuleins Entschlossenheit wich, sobald sie Manfred verließ, dem Schrecken; sie floh bis an den Fuß der Haupttreppe. – Hier stand sie einen Augenblick still, und wuste nicht wohin sie ihre Schritte wenden solle, oder auf was Art der Gewaltthätigkeit des Fürsten entkommen. Die Thore der Burg waren bekanntlich geschlossen, und Wächter im Hofe ausgestellt. Ihr Herz trieb sie zu Hippoliten zu gehen, und sie auf das grausame Schicksal vorzubereiten, das ihrer wartete: ab er dort würde sie Manfred ohne Zweifel suchen, seine Heftigkeit könnte ihn verleiten, das Unrecht, das er vorhatte, zu verdoppeln, und ihnen bliebe kein Raum, den Ausbruch seiner Leidenschaft zu vermeiden. Aufschub hingegen würde ihm Zeit geben, die Abscheulichkeit seiner Entwürfe einzusehen, oder einen günstigen Umstand für Isabellen herbeyführen, wenn sie nur wenigstens diese Nacht seinem verhaßten Vorsatz entzogen würde. Wohin aber sollte sie sich verbergen? wie seiner Nachforschung entrinnen, die sich ohne Zweifel durch die ganze Burg erstrecken würde? Von diesen Gedanken bestürmt, die sich einer den andern jagten, erinnerte sie sich eines unterirrdischen Ganges, der von den Gewölben der Burg zu der San Nicola Kirche führte. Konnte sie den Altar erreichen, ehe man sie einholte, so wuste sie, selbst Manfreds Gewaltthätigkeit werde nicht wagen, eine so heilige Stätte zu entweihen; auch faßte sie den Entschluß, wenn sich kein ander Mittel zu ihrer Befreyung darböte, sich auf immer unter die heiligen Jungfrauen einzusperren, deren Kloster an den Dom stieß. In diesem Vorsatz ergrif sie eine Lampe, die am Fuß der Treppe brannte, und eilte zu dem geheimen Durchgang.

Der untere Theil der Burg war in verschiedene sehr durcheinander laufende Kreuzgänge ausgehölt; und es war nicht leicht, für jemanden der so geängstigt ward, die Thüre zu finden, welche die Höle aufschloß. Eine schauerliche Stille herrschte in diesen unterirrdischen Gegenden. Zuweilen nur erschütterte ein Windstoß die Thüren, durch die sie gekommen war, und das Scharren ihrer rostigen Angeln hallte durch das lange Labyrinth der Finsterniß wieder. Jedes Geräusch erfüllte sie mit neuen Schrecken; und doch fürchtete sie noch viel mehr Manfreds wütende Stimme zu vernehmen, wie er seine Bedienten antriebe, sie zu verfolgen. Sie trat so leise auf als ihre Ungeduld nur erlauben konnte, und doch stand sie oftmals still und horchte, ob man ihr auch folge? In einem dieser Augenblicke kam es ihr vor, sie höre einen Seufzer. Sie schauderte und trat einige Schritte zurück. Gleich darauf schien es ihr, sie vernehme einen Fußtritt. Ihr Blut erstarrte, sie schloß es sey Manfred. Jede Vorstellung, die das Entsetzen eingeben kann, bestürmte ihre Seele. Sie verurtheilte ihre rasche Flucht, die sie seiner Wuth an einem Ort blos gegeben habe, wo ihr Geschrey wahrscheinlich niemandes Beistand herzurufen könne. Doch schien das Geräusch nicht von hintenher zu kommen. Wuste Manfred wo sie war, so muste er ihr gefolgt seyn. Noch war sie in einem der Kreuzgänge, und hatte den Fußtritt zu deutlich gehört, als daß er dort her kommen sollte, wo sie gewesen war. Diese Betrachtung gab ihr Muth. Wer nicht der Fürst war, in dem hofte sie einen Freund zu finden. Schon wollte sie vorwärts gehen, als eine Thür, die in einiger Entfernung zur linken angelehnt war, leise geöfnet ward: aber bevor ihre Lampe, die sie in die Höhe hielt, ihr entdecken konnte wer sie geöfnet habe, ging der Oefner, bey dem Anblick des Lichtes, schnell zurück.

Jeder Vorfall war hinreichend, Isabellens Muth zu erschüttern. Sie stand an, ob sie weiter gehen sollte. Aber bald überwog jeden andern Schrecken, die Furcht vor Manfred. Selbst der Umstand, daß man sie vermeide, gab ihr eine Art Herzhaftigkeit. Sie schloß daraus, es könne nur jemand seyn, der zur Burg gehöre. Ihre Sanftmuth hatte sie vor aller Feindschaft bewahrt, und das Bewußtseyn ihrer Unschuld ließ sie hoffen, die Diener des Fürsten würden, ohne ausdrücklichen Befehl ihres Herrn, sie zu suchen, ihre Flucht vielmehr befördern als verhindern. Durch diese Betrachtung gestärkt, und in dem Glauben, so weit ihre Bemerkungen reichten, daß sie dem Eingang der unterirrdischen Höle nahe sey, ging sie auf die Thür zu die man geöfnet hatte; aber ein plötzlicher Windstoß fuhr auf sie los, eben da sie hereintreten wollte, löschte ihre Lampe aus, und ließ sie in völliger Finsterniß.

Es ist unmöglich, die entsetzliche Lage der Prinzessin auszudrücken. Allein, an einer so fürchterlichen Stäte, ihre Seele belastet mit den schrecklichen Begebenheiten des Tages, entsagend aller Hofnung auf Rettung, jeden Augenblick in Erwartung daß Manfred erscheinen werde, und weit entfernt ruhig zu seyn, bey dem Bewußtseyn einer Nachbarschaft, die sie nicht kannte, die ihre Ursachen haben muste sich dort zu verbergen: alle diese Gedanken, bedrängten ihr aus seiner Fassung gebrachtes Gemüth, sie war nahe daran unter solchen Besorgnissen zu erliegen, da war kein Heiliger des Himmels den sie nicht anrief, dem sie nicht in stillem Herzensgebet sich empfahl. So blieb sie lange Zeit, in der Todesangst der Verzweiflung. Endlich fühlte sie so leise sie konnte nach der Thür, fand sie, und trat zitternd in das Gewölbe, woher sie Seufzer und Fußtritte vernommen hatte. Es gewährte ihr eine Art augenblicklicher Freude, einen gebrochenen Strahl des bewölkten Mondes durch die Decke des Gewölbes schimmern zu sehn, welches von oben eingedrängt schien, und woran noch ein Theil Erde oder Mauerwerk hing; was es war, konnte sie nicht unterscheiden. Hastig trat sie auf diese Oefnung zu, als sie eine menschliche Gestalt an die Mauer gedrückt erblickte.

Sie schrie auf, indem sie glaubte, den Geist ihres Bräutigams Corrado zu gewahren. Die Gestalt näherte sich, und sprach mit unterwürfigem Ton: Erschrecken Sie nicht, Signora, ich will Ihnen nichts zu Leide thun. Isabelle, der des Fremden Worte und Stimme etwas Muth gaben, erinnerte sich, daß er es seyn müsse, der die Thür geöfnet habe, und konnte so viel Sinnen sammeln ihm zu antworten: Wer Sie auch seyn mögen, erbarmen Sie sich einer unglücklichen Fürstin, die am Rande ihres Verderbens steht. Helfen Sie mir, aus dieser verhaßten Burg entrinnen, oder ich mag in wenig Augenblicken verlohren seyn. Weh mir! sagte der Fremde, was kann ich thun das Ihnen helfe? Ich will sterben zu Ihrer Vertheidigung; aber die Burg ist mir unbekannt, und ich weiß – O unterbrach ihn Isabelle hastig, helfen Sie mir nur eine Fallthüre finden, die hier herum liegen muß; das ist der gröste Dienst, den Sie mir erzeigen können, denn ich habe keinen Augenblick zu verlieren. Bey diesen Worten fühlte sie auf dem Boden herum, und wieß den Fremden an, gleichfalls nach einem glatten Stück Kupfer zu suchen, das einem der Steine eingelegt sey. Das, sagte sie, ist das Schloß, welches durch eine Feder aufspringt, deren verborgenen Druck ich kenne. Finden wir das, so mag ich entkommen – wo nicht, gefälliger Fremdling, muß ich befürchten, Sie in mein Unglück eingeflochten zu haben: Manfred wird Sie in Verdacht ziehen, der Mitschuldige meiner Flucht gewesen zu seyn, und Sie fallen, ein Opfer seiner Rache. Ich achte mein Leben nicht, antwortete der Fremdling, und kann mich trösten, daß ich es verliere, wenn es im Versuch geschieht, Sie von seiner Tyranney zu befreyen. Großmüthiger Jüngling, erwiederte Isabelle, bin ich je im Stande – da sie diese Worte aussprach, fiel ein Mondstrahl, durch die Spalte der obern Trümmer, grade auf das Schloß das sie suchten. – O Glück! rief Isabelle, hier ist die Fallthür! Sie berührte seine Feder, die zur Seite sprang, und einen eisernen Ring entdeckte. Heben Sie die Thür auf, sagte die Prinzessin. Der Fremde gehorchte; und unten erschienen einige steinerne Stufen, die in ein ganz dunkles Gewölbe führten. Wir müssen hier hinabsteigen, sprach Isabelle: folgen Sie mir. So finster und unheimlich es aussieht, können wir doch unsers Weges nicht verfehlen; er führt gerade in die Kirche San Nicola. Aber vielleicht, setzte die Prinzessin bescheiden hinzu, haben Sie keine Ursach die Burg zu verlassen? Auch bedarf ich Ihrer Hülfe nicht weiter, in wenig Augenblicken bin ich vor Manfreds Wuth gedeckt – nur lassen Sie mich wissen, wem ich so viele Verbindlichkeit schuldig bin? Ich will Ihre Hoheit nie verlassen, sagte der Fremde mit Nachdruck, bis ich Sie in Sicherheit sehe; doch halten Sie mich nicht für großmüthiger als ich bin. Sie zwar sind meine vorzüglichste Sorge – Hier ward der Fremde durch ein plötzliches Geräusch von Stimmen unterbrochen, die sich zu nähern schienen, und bald vernahmen sie diese Worte: Schwazt mir nur nicht von Schwarzkünstlern! sie muß in der Burg seyn, sag’ ich euch; ich finde sie trotz aller Zauberkraft! –

O Himmel! rief Isabelle, es ist Manfreds Stimme! eilen Sie oder wir sind verlohren! schliessen Sie die Fallthüre hinter sich! So sprach sie, und ging hastig die Treppe hinunter; und da der Fremde ihr folgen wollte, glitt ihm die Thür aus der Hand, fiel nieder, und die Feder sprang zu. Vergeblich suchte er sie zu eröffnen, denn er hatte nicht bemerkt wie Isabelle sie aufgedrückt hatte, auch ließ man ihm nicht lange Zeit Versuche zu machen. Manfred hörte das Getöse der Fallthür, der Ton leitete ihn des Weges, er eilte hinzu, seine Bedienten mit Fackeln um ihn. Das ist sicherlich Isabelle, rief Manfred, ehe er in das Gewölbe trat, sie entwischt durch den unterirrdischen Gang, aber weit kann sie noch nicht gekommen seyn. –

Wie groß war des Fürsten Erstaunen, als statt Isabellens, das Licht der Fackeln ihm den jungen Landmann entdeckte, den er unter dem verwünschten Helm gefangen glaubte. Verräther! sprach Manfred, wie kommst du hieher? ich dachte du wärest oben auf dem Hofe eingesperrt. Ich bin kein Verräther, antwortete kühnlich der junge Mann, und nicht verantwortlich, für das was Ihre Hoheit denken. Unverschämter Sclave! rief Manfred, reizest du meinen Zorn? sprich, wie bist du oben entkommen? du hast deine Wache bestochen, sie büßt mit ihrem Leben dafür. Meine Armuth, antwortete ruhig der Landmann, wird ihre Unschuld beweisen. Die Diener Ihres grausamen Zorns sind Ihnen getreu, und nur zu willig die Befehle zu erfüllen, die Ihre Ungerechtigkeit ihnen auflegt. Bist du so verstockt meiner Rache zu trotzen, sprach der Fürst, so soll die Folterbank dir die Wahrheit abzwingen! Rede, wer sind deine Mitschuldigen? Der ist mitschuldig, antwortete der Jüngling lächelnd, und wieß auf die Decke. Manfred befahl die Fackeln empor zu heben, und ward gewahr, daß ein Bodenstück der bezauberten Sturmhaube das Pflaster des Hofes durchbrochen habe, als seine Diener sie über den Landmann fallen liessen, und in das Gewölbe eingebrochen sey. Durch diese Oefnung hatte sich der Gefangene einige Minuten vorher gezwängt, ehe Isabelle ihn fand. Bist du da herunter gekommen? fragte Manfred. Ja, antwortete der Jüngling. Woher aber kam das Geräusch, sagte Manfred, das ich bey meinem Eintritt in den Kreuzgang vernahm? Ich hörte eine Thür zuschlagen, erwiederte der Landmann. Welche Thür? fragte Manfred hastig. Ich bin unbekannt in Ihrer Hoheit Burg, sagte der Gefangene, ich betrat sie heute zum erstenmal, und bin nie weiter gekommen als in dieses Gewölbe. Ich sage dir aber, versetzte Manfred, der gerne erforschen wollte, ob der Jüngling die Fallthür entdeckt habe, von hier kam das Geräusch, meine Diener vernahmen es wie ich. Gnädiger Herr, unterbrach ihn ein dienstwilliger Beyläufer, es war sicherlich die Fallthür, durch die er eben entwischte. Schweig Dummkopf, fuhr der Prinz ihn zornig an, wenn er entwischt wäre, so ständ er nicht an dieser Seite. Aus seinem Munde will ich wissen, welches Geräusch ich hörte. Sprich die Wahrheit, dein Leben hängt davon ab. Wahrheit ist mir theurer als mein Leben, antwortete der Landmann; ich mögte dieses nicht damit erkaufen, daß ich jenes aufgäbe. Wirklich, du Tugendheld? sprach Manfred verächtlich; nun so sag’ an, welch ein Geräusch hab’ ich gehört? Fragen Ihre Hoheit mich nach Dingen die ich beantworten kann, antwortete jener, und lassen Sie mich auf der Stelle tödten, wenn ich lüge. Manfreds Geduld ermüdete, bey dem standhaften Muth und der Gleichgültigkeit des Jünglings. Nun dann, rief er, Mann der Wahrheit! antworte! hab’ ich das Geräusch der Fallthüre gehört? Ja, sagte der Jüngling. Ja, fuhr der Fürst fort, und wie wußtest du, daß eine Fallthür hier sey? Ich sah die Kupferplatte bey dem Licht des Mondscheins, versetzte er. Wer sagte dir, es sey ein Schloß? versetzte Manfred. Wer lehrte dich das Geheimniß es zu öfnen? Die Vorsehung, die mich aus dem Helm erlöste, war wohl im Stande, mir die Feder eines Schlosses anzudeuten, war seine Antwort. Die Vorsehung hätte ein wenig weiter gehen sollen, und dich auch der Erreichung meiner Rache entziehn, versetzte Manfred: die Vorsehung lehrte dich das Schloß öfnen; und gab dich wieder auf, weil du ein Narr warst, der ihre Gunst nicht zu gebrauchen verstand. Warum folgtest du dem Pfade nicht, der sich deiner Flucht öfnete? Warum schlossest du die Fallthür, ehe du die Stufen hinunterstiegst? Ich könnte Sie fragen, gnädiger Herr, antwortete der Bauer, wie ich, dem ihre ganze Burg unbekannt ist, wissen sollte, daß diese Stufen mich herauslassen würden? Aber ich mag Ihren Fragen nicht ausweichen. Wohin diese Stufen auch führen, ich hätte den Weg erkundet, ich konnte mich nie in einer schlimmern Lage befinden, als in der ich war. Aber die Wahrheit zu gestehn, die Fallthüre glitt mir aus der Hand, und unmittelbar darauf erschienen Ihre Hoheit. Ich hatte Lärm gemacht, was half es mir jetzt, eine Minute früher oder später ergriffen zu werden? Du bist für deine Jahre ein sehr entschloßner Frevler, sprach Manfred; doch scheint es mir, nach reifer Ueberlegung, du treibst deinen Spott mit mir: du hast mir noch nicht gesagt, wie du das Schloß eröfnetest? Das will ich Ihnen zeigen, gnädiger Herr, sprach der Bauer, ergrif einen Stein der von oben herab gefallen war, kniete auf die Fallthür, und hämmerte über dem Stück Kupfer, das sie bedeckte. Dadurch hofte er, der Prinzessin Zeit zur Flucht zu gewinnen. Diese Gegenwart des Geistes, und seine jugendliche Freymüthigkeit, machten Manfred wankend. Er fühlte sogar eine Neigung dem zu verzeihen, der sich nie eines Verbrechens schuldig gemacht hatte. Manfred war kein wilder Tyrann, der sich an ungereizter Grausamkeit ergötzt. Nur hatte die Lage seines Schicksals, die natürliche Milde seiner Stimmung rauh gemacht. Seine Tugenden waren immer bereit zu wirken, wenn Leidenschaften seine Vernunft nicht verfinsterten. In dem sich der Fürst in dieser Unentschlossenheit befand, hallte ein verwirrtes Geräusch von Stimmen durch entfernte Gewölbe. Wie sich das Getöse näherte, unterschied er den Ruf einiger Diener, die er durch die Burg zerstreut hatte, Isabellen zu suchen. Wo ist unser gnädiger Herr? Wo ist der Fürst? Hier bin ich, sagte Manfred, als sie in der Nachbarschaft waren; habt ihr die Prinzessin gefunden? O gnädiger Herr! erwiederte der erste der ankam, ich bin froh Ihre Hoheit zu finden. Mich zu finden! sagte Manfred, habt ihr die Prinzessin gefunden? Das glaubten wir, gnädiger Herr! antwortete der Mensch, der ganz erschrocken aussah, aber – Aber was? rief der Fürst; ist sie entflohen? Jago und ich, gnädiger Herr – Ja, Diego und ich, unterbrach ihn der andere, der noch viel verstörter hinzutrat – Sprecht nur einer auf einmal, gebot Manfred; ich frage euch, wo ist die Prinzessin? Das wissen wir nicht, antworteten beyde zugleich; vor Schrecken haben wir fast den Verstand verlohren – Das kann euch nicht schwer fallen, erwiederte Manfred; aber was hat euch jetzt verwildert? O gnädiger Herr, sprach Diego, Jago hat eine solche Erscheinung gesehn! Ihre Hoheit werden unsern Augen nicht trauen – Welch ein neues Mährchen? rief Manfred, gebt mir grade Antwort, oder, beym Himmel! – Wenn Ihre Hoheit geruhen wollen mich anzuhören, versetzte der arme Mensch, Jago und ich – Diego und ich sagte sein Kamerad – Verbot ich euch nicht, fiel Manfred ein, beyde zugleich zu reden? Antworte, Diego, denn der andere Narr scheint noch weniger von seinen Sinnen zu wissen, als du; was giebts? Gnädiger Herr, sagte Diego, wenn Ihre Hoheit geruhen wollten mich anzuhören; Jago und ich giengen umher, wie Ihre Hoheit befohlen hatten, das Fräulein zu suchen; aus Besorgniß aber daß wir dem Geist unsers jungen gnädigen Herrn begegnen mögten, Gott hab’ ihn selig! der kein christlich Begräbniß erhalten hat – Tropf! rief Manfred wütend. Hast du weiter nichts gesehen als einen Geist? Ach, etwas viel schlimmeres, viel schlimmeres, gnädiger Herr! rief Jago, ich möchte lieber zehn Geister in Leib und Leben sehn – Gieb mir Geduld! sagte Manfred, die Pinsel bringen mich um meinen Verstand: mir aus dem Gesicht, Jago! und du Diego, sag’ mir mit einem Wort, bist du besoffen? bist du toll? du pflegtest sonst einigen Verstand zu haben: hat sich jener Gimpel schrecken lassen, und dich mit erschreckt? sprich: was bildet er sich ein, gesehen zu haben? Gnädiger Herr, erwiederte Diego zitternd, ich wollte Ihrer Hoheit nur sagen, daß seit dem jämmerlichen Unfall des jungen gnädigen Herrn, Gott wolle ihm sein ewig Freudenreich verleihen! keiner von uns, Ihrer Hoheit treuen Dienern, das sind wir wahrhaftig, gnädiger Herr, obschon arme Leute, keiner von uns, sag’ ich, es wagt in der Burg einen Fuß von der Stelle zu setzen, außer zween und zween: so gingen denn auch Diego und ich in die große Gallerie, weil wir glaubten, das Fräulein könnte da seyn, um ihr zu sagen, daß Ihre Hoheit etwas mit ihr zu sprechen hätten – Dummköpfe und kein Ende! rief Manfred: und so hat sie Zeit gehabt zu entkommen, weil euch vor Poltergeistern bange war! Wustest du nicht, Schurke, daß ich euch in der Gallerie verließ? Daß ich selbst dorther kam? Darum weiß ich doch nicht, ob sie drinnen ist oder nicht, sagte Diego; aber der Teufel soll mich holen, wenn ich sie wieder dort suche. Der arme Jago wird es in seinem Leben nicht verwinden! Was verwinden? fragte Manfred. Soll ich nie erfahren, was euch Lumpen so erschreckt hat? ich verliere nur Zeit. Folge mir Sclave, ich weiß schon was in der Gallerie vorgeht; – Um Gottes willen! lieber gnädiger Herr! rief Diego, gehen Ihre Hoheit nicht den langen Gang hinunter. In den Zimmern am Ende des Ganges haust, denk’ ich, der leidige Satan. – Bisher hatte Manfred den Schreck seiner Bedienten als eine eitle Furcht behandelt, dieser neue Umstand fiel ihm auf. Er erinnerte sich der Erscheinung des Bildnisses, und daß die Thür am Ende des Ganges vor ihm zugemacht worden. Seine Zunge stammelte, und unruhig fragt’ er: was ist in dem großen Zimmer? Gnädiger Herr, erwiederte Diego, als Jago und ich in die Gallerie kamen, ging er voran, denn, sagt’ er, er habe mehr Herz als ich. Da wir also in die Gallerie kamen, fanden wir niemand. Wir guckten unter alle Stühle und Bänke, und fanden doch niemand. – Waren die Gemälde alle auf ihrer Stelle? fragte Manfred. Ja, gnädiger Herr, antwortete Diego, aber es fiel uns nicht ein, dahinter zu schauen. – Gut, gut, sagte Manfred, weiter! Als wir an die Thür des großen Zimmers kamen, fuhr Diego fort, fanden wir sie zugemacht – Konntet ihr sie nicht öfnen? sagte Manfred. O ja, gnädiger Herr! wolte Gott wir hättens nicht gethan! versetzte er: aber ich öfnete sie nicht. Diego thats, der Narr war übermüthig geworden, er wollte alles wagen, so sehr ich ihm abrieth; wenn ich jemals wieder eine Thür öfne, die zu steht – Halt dich nicht auf, sprach Manfred schaudernd, und sprich, was saht ihr in der großen Kammer, als die Thür geöfnet war! Ich, gnädiger Herr? sagte Diego, ich sah nichts, ich stand hinter Jago, aber das Getöse hört’ ich – Diego, sagte Manfred mit feyerlicher Stimme, ich beschwöre dich bey den Seelen meiner Vorfahren, sprich, was sahst du? was hörtest du? Ich sah nichts, gnädiger Herr, versetzte Diego, Jago sah, ich hörte nur das Getöse. Kaum hatte Jago die Thür eröfnet, so schrie er, und lief zurück. Ich lief auch zurück, und fragte, ist es der Geist? Nein, nein, kein Geist, antwortete Jago, das Haar stand ihm zu Berge, es ist ein Riese glaub’ ich; er ist über und über geharnischt; ich sah nichts als seinen Fuß und ein Stück vom Bein, die sind so groß als der Helm unten im Hofe. Wie wir diese Worte sprachen, gnädiger Herr, hörten wir sichs heftig bewegen und Waffen rasseln, als ob der Riese aufstände. Denn Jago hat mir nachher gesagt, er glaube der Riese habe gelegen, Fuß und Beine waren am Fußboden ausgestreckt. Ehe wir das Ende des Ganges erreichten, hörten wir die Thür des großen Zimmers zuschlagen. Wir hatten das Herz nicht umzusehn, ob der Riese uns folge; aber jetzt fällt mir ein, wir müsten ihn ja gehört haben, wenn er uns nachgesetzt wäre. Aber ums Himmels willen, gnädiger Herr, schicken sie zum Caplan, und lassen sie ihn die Teufel aus der Burg treiben, sie ist sicherlich behext. Ach, thun sie das ja, gnädigen Herr! riefen alle Bedienten zugleich, wir können sonst nicht in Ihrer Hoheit Diensten bleiben! – Schweigt, einfältiges Volk, sprach Manfred, und folgt mir, ich will erfahren, was alles dies bedeutet. Wir, gnädiger Herr? riefen alle einstimmig, wir wollen nicht in die Gallerie gehn, um Ihrer Hoheit Güter nicht! Jetzt fragte der junge Bauer, der bisher geschwiegen hatte: Wollen Ihre Hoheit mir erlauben, dies Abentheuer zu bestehn? An meinem Leben ist niemand gelegen, böse Geister fürcht’ ich nicht, und gute hab’ ich nicht beleidigt. Dein Betragen ist besser als dein Ansehn, sagte Manfred, und betrachtete ihn mit Bewunderung und Beifall. Dein Muth soll zu seiner Zeit belohnt werden: jetzt aber, fuhr er mit einem Seufzer fort, bin ich in der Lage, keines Augen trauen zu dürfen als meinen eignen. Aber ich erlaube dir, mir zu folgen.

Die Burg von Otranto

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