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Kapitel 3

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Alberts Hand schlich sich heran, um unter Emmis Nachthemd zu kriechen.

»Hör auf damit!« Sie stieß ihn zurück und machte vollends dicht.

»Bist du nun meine Frau oder nicht?«

»Ich kann jetzt nicht. Ich muss immer noch an Helga denken …«

In den letzten zweieinhalb Jahren hatte es zwei Dutzend Sittlichkeitsverbrechen in den Laubenkolonien ringsum gegeben, und gestern Nacht hatte es Emmis Freundin erwischt.

»Und wie ich ihm neulich gerade noch entkommen bin …« Die Erinnerung daran riss sie mit wie die starke Strömung eines Flusses einen schwachen Schwimmer. Sie begann, am ganzen Körper zu zittern.

»Ich bin doch nicht der …« Albert wälzte sich wieder auf die andere Seite des Bettes, um Emmi zu streicheln und mit seinem Körper zu wärmen. Dann schrie er auf, denn ihre abwehrende Hand hatte sein schon hartes Glied wie mit einem Sichelhieb getroffen.

»Du Unhold!« Sie glaubte, er hätte die Vergewaltigungsszene vor Augen gehabt und sich seine Lust dabei geholt.

Albert wusste wie sich die meisten Männer in einer solchen Lage verhielten: Sie schlugen ihre Frauen windelweich und zwangen sie danach, ihnen zu Willen zu sein. Er nicht. Er war ein sanfter Charakter und sich absolut sicher, dass Emmi ihn liebte und keine Schuld an allem hatte. Die Verhältnisse, die waren halt so. Und was konnten sie beide dafür, dass sie so waren.

Aber dennoch war er von Emmis Zurückweisung erheblich gekränkt. Und der Samen wollte ausgestoßen werden. Außerdem: Morgen konnte er im Felde stehen, und was dann, wenn er fiel, ohne vorher Manfred gezeugt zu haben oder Marianne.

Emmi weinte. Albert knipste die 15-Watt-Nachttischlampe an und starrte gegen die Decke. Wenn es noch lange regnete, konnte der Wasserfleck um Mitternacht Moskau eingenommen haben. Warschau, Budapest, Belgrad, Rom, Bordeaux, London, Kopenhagen und Oslo waren schon erfasst. So oft er sein Dach auch teerte, immer wieder lief es durch, und in der weißen Schlemmkreide zeichneten sich nach dem Trocknen viele schmutzigbraune Linien ab. Mit einiger Phantasie ließen sie sich als die Umrisse verschiedener Kontinente deuten. Über Alberts Augen dehnte sich Europa, und genau da, wo man sich Berlin zu denken hatte, war die undichte Stelle.

Er versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. Wie er als Kind vorn im hölzernen Boot seiner Eltern gesessen hatte und wie sie überall umhergepaddelt waren. Von Schmöckwitz, wo es gelegen hatte, den Zeuthener See hinunter. Durch die Schleuse bei Neue Mühle hindurch, die Bootsschleppe benutzt. Dann über den Krimnick- und den Krüpelsee die Dahme hinauf. Bis zum Dolgensee. Der konnte, wenn Sturm aufkam, gefährlicher als die Ostsee werden. Einmal waren sie auch umgekippt, als sie die Ausfahrt bei Dolgenbrodt nicht mehr erreichen konnten. Wenn er da nun ertrunken wäre … Was machte es für einen Unterschied, ob man als Vierjähriger starb oder jetzt mit einunddreißig Jahren, wenn einen eine Fliegerbombe traf oder die Kugel eines SS-Mannes im KZ. In dem Moment, in dem man gestorben war, konnte es einem doch völlig egal sein, ob man vier oder vierundneunzig Jahre gelebt hatte.

Albert erschrak. Wie aufgebahrt lag seine Frau jetzt da. Er strich ihr mit den Fingerspitzen über Kinn, Lippen und Wangen.

»Lass mal, es wird schon wieder.«

»Ich hab Onkel Paul daliegen sehen, ganz verkohlt …« Ihr Lieblingsonkel war während eines Luftangriffs bei lebendigem Leibe verbrannt.

»Wir leben doch noch«, sagte Albert.

»Ja. Dann komm …« Es hatte so flehentlich geklungen, dass sie sich einen Ruck gab und ihn unter ihre Bettdecke zog.

Sie lagen eine Weile schweigend da, dann trieb es ihn zu einem neuen Versuch. Er fuhr mit seiner Hand sanft ihre Schenkel hinauf, um sie endlich wieder zu öffnen.

Doch Emmi presste sie zusammen. »Ich kann jetzt nicht …«

»Immer kannst du nicht.«

»Ich hab mir gerade vorgestellt, wie sie Berthold in den Stacheldraht jagen und erschießen.«

Das KZ Sachsenhausen lag im Norden vor den Toren Berlins, ein paar hundert Meter von jenem Bahnhof entfernt, an dem die S-Bahn-Linie Wannsee–Oranienburg ihren einen Endpunkt hatte. Albert hatte es nicht ertragen können, auf dieser Strecke Dienst zu tun und alles darangesetzt, einer anderen Zuggruppe zugeteilt zu werden.

»Meinst du, ich …« Albert erzählte ihr von dieser Geschichte.

Sie nahm seine Hand. »Ich weiß, du bist kein grober Klotz …«

Albert wurde seinem Zorn auf sie und alles nicht mehr Herr.

»Und du bist nicht Frau Jesus, du musst nicht alles Elend dieser Welt auf dich beziehen und daran leiden. Daran geh’n wir beide zugrunde!«

Sie sah ihn hilflos an. »Was soll ich denn machen?«

»Alles mal für zehn Minuten vergessen!«

»Dass von Frau Lewandowski nebenan der Sohn gefallen ist? Dass wir ausgebombt sind? Dass Berthold im KZ sitzt? Dass mein anderer Bruder im Krieg ist und jeden Tag fallen kann? Dass hier in der Laubenkolonie einer wie ein Tier über uns Frauen herfällt? Das soll ich vergessen?«

»Jaaa!«, schrie er. »Für ein paar Minuten mal.«

»Das kann ich nicht.«

Albert sprang aus dem Bett. »Dann kann ich mich ja gleich entmannen lassen.«

Damit stürzte er zur Tür, entriegelte sie und trat ins Freie hinaus. Es mochte kurz vor Mitternacht sein, und da eine dichte Wolkendecke das Mond- und Sternenlicht verschluckte, herrschte eine derart totale Finsternis, dass Albert unwillkürlich dachte, die Erde hätte sich aus ihrer Bahn gelöst und sei irgendwo in den Tiefen des Weltalls für immer verschwunden.

Es war Herbst, und die feuchte Erde wie die vielen Astern bewirkten, dass es wie auf einem Friedhof roch. Ende und Verwesung überall. Albert fühlte, dass das ein Zeichen war für das, was kam und kommen musste. Die ganze Welt war jetzt an Krebs erkrankt, und Heilung gab es nicht.

So stand er lange da und beneidete die, die noch einen Gott hatten und an ihn glauben konnten.

Wie versteinert war er, als Emmi plötzlich hinter ihm stand, sich an ihn schmiegte und ihre weichen Arme vor seiner Brust verschränkte.

»Wir lassen uns nicht unterkriegen«, sagte sie. »Jetzt gerade nicht!« Und damit meinte sie, dass es Zeit wäre, an Manfred oder Marianne zu denken. »Es wird weitergehen.« Sie nahm ihn an die Hand.

Als sie wieder nebeneinanderlagen, war es an Albert, zu zögern. Er schaffte es nicht mehr, hart zu werden. Wenn es Manfred wurde, dann machten sie ihn womöglich zum SS-Obersturmführer oder zum KZ-Aufseher. Und wenn es Marianne war, dann wuchs sie vielleicht zum willigen BDM-Mädel heran und diente der SS im Lebensborn zur Aufzucht der deutschen Herrenrasse. Viel wahrscheinlicher aber krepierten beide nach einem Volltreffer anglo-amerikanischer Bomberverbände.

Dann aber siegte das Leben. Er lag auf ihr und rang dieser Welt stöhnend-schreiend das ab, was sie an Lust noch geben konnte.

Doch kaum war sein Samen in Emmis Schoß geströmt, da stieß sie ihn in wilder Panik zur Seite.

»Da steht einer am Fenster!« Und richtig, Albert sah das Gesicht genau wie sie. Unbemerkt hatte der Mann den einen Fensterflügel aufzudrücken vermocht.

Albert stürzte zum Fenster, um es vollends aufzureißen und sich in den Garten zu schwingen, dann aber fiel ihm ein, dass er nackend war und sich erst zumindest eine Hose anzuziehen hatte. So schrie er nur aus Leibeskräften nach Hilfe, nach der Polizei.

Als er dann in einer Trainingshose steckte und rausgesprungen war, verhakte er sich im Stacheldraht des Nachbargrundstücks und hörte nur, wie mehrere Männer dabei waren, dem Täter fürchterliche Prügel zu verschaffen. Albert stürzte zum Hauptweg, um sicherzustellen, dass er auch wirklich überwältigt und der Polizei übergeben wurde.

Zu spät. Als Albert zur Stelle war, hatte es der Täter tatsächlich geschafft, sich wieder loszureißen und ins Dunkel abzutauchen. Albert schimpfte mit den drei Männern, die das zugelassen hatten. Sie gingen alle auf die Sechzig zu und verteidigten sich mit Argumenten, die nicht von der Hand zu weisen waren.

»Wir sind gerade aus der Kneipe gekommen und …« Albert roch es. Sie hatten eine ziemliche Fahne.

»Wenn ’ne Frau geschrien hätte, dann … Aber du als Mann, da ham wa nur jedacht, det et ’n Eibrecha jewesen is!«

»Vielleicht ooch bloß ’n Ritzenkieker.«

Albert konnte es nicht fassen. »Quatsch, das wird der Kerl gewesen sein, der … Wo wir ihn schon gehabt haben! Soll das denn ewig so weitergehen hier mit den Überfällen hier!? Unsere Frauen, die …«

»Nach dem Denkzettel heute lässt der sich nicht mehr blicken hier.«

Albert war da skeptisch. »Dein Wort in Gottes Ohr. Hoffentlich behältste recht.«

Wie ein Tier

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