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Letzte Trendansage

Ich will mir eine fürchterliche Zerstreuung machen.

Schiller: Die Räuber

Als die Ministerin, in Gedanken eigentlich bei der Perlhuhnbrust in Wirsingsoße, die sie für den Abend bei ihrer Köchin in Auftrag gegeben hatte, aber stark abgelenkt durch den Latexpenis ihres mit Minineuronalnetzen ausgestatteten Orgasmusslips, der ihr gegenwärtig die Scheidenmuskulatur massierte, durchs polarisierte Seitenfenster der gepanzerten Staatskarosse einen Blick ins Freie warf, überschaute sie im Ozon-Sommersmog einen Querschnitt der pseudoexotischsten Zeitgenossinnen und -genossen, eine kolossale Ansammlung von Alltagskarnevalisten, allesamt wohl brauchbare KandidatInnen für die Talkshow Hausfrauen fragen – Perverse antworten: Dauergäste der öffentlichen Kontaktbörse, Prostituierte sämtlicher Geschlechter, Penner, Schulschwänzercliquen, Obdachlose, Herumsteher, islamische sprechende Mumien, eine Blondine im Kosakenrock, Rollstuhlfahrer und sonstige Amputierte, Zigarettenmafiosi, ein Häuflein Elender waiting for the man, Tussengangs, einen Jesus-Adoranten mit vergilbtem Pappschild (Slogan: Errichtet 1en Damm d. Gebets geg. d. Schmutzflut d. Höllenmächte), diverse Möchtegern-Ayatollahs und wahrhaftig auch ein paar Reisende, alle fast ausnahmslos erkrankt an Telefonitis. Durch die Sicherheitsglasscheiben der Limousine drangen gedämpft Stimmengewirr in hundert Sprachen und Trommelklang, bildeten die Geräuschkulisse eines gewöhnlichen deutschen Bahnhofsvorplatzes.

Manchmal blieben Leute vor der seitlich des Bahnhofsvorplatzes entrollten Großbildwand stehen, die noch kein Bild zeigte; sie staunten sie einige Augenblicke lang an, dann wandten sie sich merklich enttäuscht ab, als hätten sie sich ein unterhaltsameres Spektakel erhofft. Noch eine Verarschung, sagten ihre gebeugten Schultern.

Abgestoßen durch die Sodom-und-Gomorrah-Szenerie wandte die Ministerin die Augen ab und heftete sie auf den linken Ärmel ihres traditionell rotstiftroten SmartClothes-Solarenergie-Hosenanzugs Marke Nano Magnat. Sofort projizierte das multifunktionelle Nanoflux-Induktionsgewebe die Uhrzeit, der integrierte Blutdruckmesser auch den Blutdruck: 11 Uhr 09, und ihr Blutdruck stieg.

Neun Minuten Verspätung.

Eine Blamage. Die Ministerin fasste die Verzögerung als persönliche Kränkung auf, also konnte das Ansteigen ihres Blutdrucks gar nicht befremden. Sie empfand das Ärgernis als dermaßen peinlich, dass sie am liebsten Amnestan inhaliert und von vorn angefangen hätte. Aber der erste Einsatz des GR-TES (Großraum-Toxoiderkennungsscanners)-Systems Argus Panoptes sollte als offiziell-öffentliche Veranstaltung stattfinden. Folglich wartete die Ministerin keineswegs als Einzige: Die Ordnungsamt-Techniker im mit dem AP-Pfauenschwanzlogo geschmückten telemetrischen Messdienstwagen, Dutzende von Mitarbeitern mehrerer privater Sicherheitsdienste und des Ordnungsamtes in ihren Mannschaftsfahrzeugen, eine Schar Medienreptilien, die mit Mienen der Ratlosigkeit ihre Übertragungswagen umstanden, alle warteten sie auf den neuen Hightech-Erlöser Argus Panoptes, ein Spinoff-Produkt der Krause-Sprengstoffscanner für Flughäfen. Doch wie jeder waschechte Erlöser ließ offenbar auch Argus Panoptes sich Zeit mit seinem Erscheinen. Der erdstrahlenfeste Rollbildschirm des Bordcomputers blieb dunkel.

Zwölf Minuten Verspätung.

Ungehalten schaute die Ministerin hinüber zum Messdienstwagen und aktivierte durch zweimaliges Zwinkern mit dem linken Lid die Teleskopzellen der Seitenscheibe. Die Vergrößerung ließ Köpfe hinter den Wagenfenstern erkennen, gab jedoch keinerlei Aufschluss über die Vorgänge im Innern. Frech schien das überlegen vieläugige Emblem des Wagens den Blick der Ministerin zu erwidern. Ihr Missmut wuchs.

Sie sah den Staatssekretär an. Obwohl er einen tres chic Nanoflux-Anzug in der Modefarbe Russian Night trug, damit er mit ihrem offensiven Imagestyling harmonisierte (selbstverständlich ermutigte sie ihre Untergebenen zum Tragen von SmartClothes mit vollintegrierter nanoelektronischer Ausrüstung, allerdings maximal bis zur Marke Nano Markant Plus), wirkte er, wie er da in einen Winkel der antistatisch imprägnierten Sitzpolsterung geschmiegt saß, ziemlich eingeschüchtert. Neben offensivem Imagestyling betrieb die Ministerin nämlich eine aggressive Körperpolitik. Sie beanspruchte viel Platz. Dreieinhalb Sitze für sich, Clutchbag, Rollcompu und Waffentresor.

Sobald die Ministerin den Staatssekretär anblickte, zog er ein Gesicht, als stockte ihm der Atem. Er handelte in Vertretung und fühlte sich offensichtlich unsicher im Umgang mit selbstbewussten Frauen. Eine unvermutete Sauerstoffallergie hatte die Pressesprecherin befallen, und der Oberstaatssekretär, der hatte einspringen sollen, litt seit einigen Tagen an diffusen Koliken. Heutzutage galten alle Krankheiten als diffus. Und diffus blieb auch die Gesundheit.

»Fragen Sie mal nach, was los ist.«

Sofort entrollte der Staatssekretär ein Telefon, kontaktierte per Kurzwahl den Messdienstwagen und fragte die Techniker nach dem Stand der Dinge.

Fünfzehn Minuten Verspätung.

Der Ministerin drohten die Nerven zu zerfransen. Inzwischen fiel ihr das Geschiebe des Latexpenis lästig. Sie berührte am linken Ärmel des Nanoflux-Hosenanzugs einen kleinen weißen Punkt, und es kam Ruhe in ihren Unterleib, der Latexpenis schrumpfte, als hätte er seine Schuldigkeit getan. Mit dem Fingernagel tippte die Ministerin auf einen anderen, grünen Effektor. Unverzüglich diffundierte das Anzugfutter naturbelassenes Kamelienöl (das sie auf Anraten der Diplom-Kosmetologin ihres Vertrauens benutzte) auf ihre Haut und ergänzte es um die Wirkstoffe Rejuvenil und Revitarium.

Es half nichts. Die Ministerin verkrampfte sich innerlich und äußerlich immer stärker.

Achtzehn Minuten Verspätung.

Während der Staatssekretär telefonierte, dachte die Ministerin darüber nach, ihre Köchin anzurufen und zum Nachtisch Weichselkirschen mit Schokoüberzug zu bestellen, gelangte jedoch zu der Auffassung, damit vielleicht einen schlechten, nämlich den Eindruck der Verfressenheit zu erregen. Alternativ zog sie in Erwägung, sich vom Fahrer, einem älteren ADAC-Exfunktionär, der sich in einer Haltung gänzlicher Teilnahmslosigkeit, in der er dem Standbild eines Stoikers glich, neben dem Wagen ins Abwarten schickte, aus dem Bahnhof ein biologisch gereiftes Matjesfilet holen zu lassen, hegte aber Bedenken gegen den unvermeidlichen Teflon-Beigeschmack der Robot-SnackMaker-Fressalien.

Im Laufe des Telefonats sagte der Staatssekretär viele Male »Ja«, auch »Ja-ja«, äußerte häufig ein »Aha« oder »Aha-aha«, bis er es schließlich mit einem satten »Ach so« beendete. »Es wird nicht mehr lange gebraucht«, erklärte er der Ministerin. »Die Inbetriebnahme des AP-Systems steht unmittelbar bevor.«

Die Ministerin wölbte die Brauen. »Ach wirklich?!«

Zwanzig Minuten Verspätung.

Inzwischen gewannen Ungeduld und Nervosität beider Fahrzeuginsassen einen so hohen Grad, dass ihre Stressausdünstungen den Bordcomputer automatisch veranlassten, die Aromaspender zu aktivieren und Benignatoren, Aerosole der psychotropen Pharmakologie, zu verstäuben, vor allem Frustkiller wie Euphorasol, Altruisan und Felixol. Gleich darauf wurde die Ministerin von schönen Gefühlen geradezu überwältigt. Entspannung lockerte ihren Muskelapparat, ihre Atmung ging leichter, ihr wurde froh und licht zumute, ihr kam alles nicht mehr so schlimm vor. Sie hätte den Staatssekretär umarmen und den Fahrer befördern können. Doch zur Verhütung eben solcher Nebenwirkungen durften derartige Wohlgefühle nicht zum Dauerzustand werden. Darum stellte der Bordcomputer die Aerosolversprühung schon nach wenigen Sekunden ein.

Da zum Glück beliebte Argus Panoptes – mit zweiundzwanzig Minuten Verspätung – endlich zu funktionieren. Auf dem Monitor erschien kurz das Pfauenschwanzlogo, dann eine virtuelle, dreidimensionale Rasterdarstellung des Hauptbahnhofs mitsamt Vorplatz. Zwischen den gelben Linien bewegten sich winzige Punkte und kleine Pünktchenkonglomerate in Rot, das Bahnhofpublikum. Auch auf der Großbildwand prunkte jetzt das AP-Logo.

Die Idee zu Argus Panoptes beruhte auf dem legendären Radevormwalder Modell: Im Jahre 2007 begab sich der Bürgermeister der bis dahin der Welt unbekannten Ortschaft Radevormwald gemeinsam mit Ordnungsdienstlern auf die Straße, um durchs Verteilen von Bußgeldern das öffentliche Alkoholtrinken zu unterbinden. Diese Aktion hatte der Ministerin schon damals, als sie erst noch Ministerin hatte werden müssen, so vorzüglich gefallen, dass sie sich vornahm, das Gleiche eines Tages flächendeckend auf ganz Deutschland auszudehnen. Doch sie wusste, dass es sich empfahl, so etwas streng wissenschaftlich anzupacken. Erst die jüngsten Fortschritte auf dem Gebiet der Messtechnik hatten es möglich gemacht.

Sobald Wellenlinien durchs 3D-Abbild des Bahnhofsgeländes wallten, öffnete der Staatssekretär seinen Wagenschlag, stieg mit einer gewissen Erleichterung aus und strebte hinüber zum Pulk der längst dösig gewordenen Medienvertreter. Die Wellen verwiesen auf Argus Panoptes’ laserspektroskopische Tätigkeit. Mit nickelfreien Computern vernetzte Sensortechnik-Infrarotlaserdetektoren erfassten per Molekülspektroskopie Alkoholgase, die Emissionen des Alkohols und des Suffs. Störsubstanzen wie Parfüm, Deodorants, Desinfektionsmittel und Plastiksahne konnte das AP-System einwandfrei unterscheiden. Es hatte eine Reichweite von 800 Metern.

Während der Staatssekretär dem muffig gelaunten Medienklüngel eine kurze Einführung vortrug, wechselte das Rot mehrerer Pünktchen zu Blau. Die Teledetektoren hatten Verüber mit Alkohol korrespondierender Ordnungswidrigkeiten entdeckt. Aus Entrüstung schwollen der Ministerin von Neuem die Adern.

Ohne Verzug leerten sich die Mannschaftswagen, hallten in Form markiger Kommandos dienstliche Anweisungen über den Bahnhofsvorplatz. Sicherheitsdienstler aller beteiligten Firmen und Ordnungsamtskräfte schwärmten aus, um der Übeltäter habhaft zu werden. Vorsichtshalber hatte man ihnen Herkulin injiziert, vielleicht sogar Rabiatin, aber Letzteres hieß die Ministerin nicht gut und mochte darüber auch gar nicht Bescheid wissen. Ihr genügte es, wenn man die Schluckspechte mittels Augenschein identifizierte und ihnen Bußgelder aufbrummte.

Pünktlich beendete der Staatssekretär seine Darlegungen, gerade als sich die Großbildwand senkrecht in zwei Fenster teilte. Das AP-Logo schrumpfte in die linke Hälfte, auf der rechten Seite sah man mit einem Mal die Ministerin. Freundliche Glöckchenklänge, die an Weihnachten gemahnten, warben um die Aufmerksamkeit des Bahnhofspöbels. Viele Dutzend Konsumsklaven, arme ebenso wie reiche, hoben die Glubscher und glotzten hoffnungsvoll ins Große Maul der Staatsmacht.

Die Rede der Ministerin kam vom Speicherkristall. Ihres Erachtens sprachen alle Argumente für die Konserve. Man konnte beim Aufzeichnen jedes »Äh«, jedes Stocken und alle verräterisch widersprüchlichen Gebärden einfach löschen oder korrigieren. Für Politiker, die nach wie vor live auftraten, fehlte der Ministerin seit Langem jegliches Verständnis. Außerdem hielt sie sich für ein bisschen mollig. Und Kabinettssitzungen fanden ohnehin bloß noch als Videokonferenzen statt.

Klipp und klar redete die Ministerin Tacheles mit den Leuten: Am besten sollten sie gar keinen Alkohol mehr trinken. Wegen der Volksgesundheit. Aber künftig auf gar keinen Fall mehr in der Öffentlichkeit. Wegen des allgemeinen Anstands, des Vorbilds für die Kinder und der öffentlichen Sauberkeit. Zahllose Bürgerinnen und Bürger hätten es so gewünscht. (Diese Behauptung stimmte zwar nicht, die Ministerin jedoch wusste genau, was die Bürgerinnen und Bürger zu wünschen hatten.)

Die Ministerin hörte der eigenen Ansprache gerne zu; sie flößte ihr Zufriedenheit ein. Ihre Worte klangen mütterlich-fürsorglich, als ginge es darum, Kindern die Folgen übertriebenen Verzehrs von Süßigkeiten zu erläutern. Auch das Bild behagte ihr: Dank der megamorphischen BeautyficationSmartware hatte sie Idealmaße und eine augenfällige Ähnlichkeit mit Kate Beckingsale, von der niemand mehr wusste, dass sie einmal eine Vampirin gespielt hatte. Schon von Kindheit an hatte die Ministerin gerne Vampirfilme gesehen. Leider hatte sie kürzlich bei Wikipedia über die Stamokap-Theorie der 70er und 80er Jahre recherchiert und dort Äußerungen über den parasitären Charakter des Staates gelesen. Da hatte sie sich auf seltsame, ja wohl auch absurde Weise ertappt gefühlt. Seither mochte sie von Vampiren nichts mehr wissen. Der bloße Gedanke daran verdarb ihr die Laune.

Nach einem abschließenden Appell an Vernunft und Einsichtsfähigkeit der »lieben Mitbürgerinnen und -bürger« wich die Aufnahme einer Übersicht des pfiffig gestaffelten Bußgeldkatalogs für Alkohol-Ordnungswidrigkeiten. Um eine wirksame Abschreckung zu erreichen, hatte die Ministerin die Bußgelder recht hoch angesetzt.

Von da an klappte alles wie am Schnürchen. Aufgrund ihrer Anordnung, ihr die krassesten Missetäter persönlich vorzuführen, erhielt die Ministerin kurz darauf eine SMS des Ordnungsamtseinsatzleiters, der zufolge das fein differenzierte AP-Bewertungsraster vier Alkoholextremisten erkannt hatte: Eine Paniktrinkerin, einen Amoktrinker, einen Gamma-Alkoholiker und einen Exzesstrinker. Letzterer hatte einen Blutalkoholspiegel, wie man ihn im Normalfall nur bei Leichen ermittelte. Sogar ein Raucher war gestellt worden. Ein dermaßen verantwortungsloses Subjekt wie einen Nikotinknecht indessen mochte die Ministerin sich nicht einmal von Weitem besehen.

Durch das erneute Warten ergab sich nochmals eine gewisse Anspannung, die die Ministerin sehr stresste. Sie dachte an Brathähnchen mit Spinatfüllung und Kroketten. Und Aprikosenkompott.

Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis die Ordnungsdienstler die vier VersagerInnen vorführten. Soeben hatte sich der Staatssekretär im Wagen wieder auf selbstverzwergende Weise in die Ecke gedrückt, der Fahrer hinterm Lenkrad Platz genommen, da wurden sie von acht bulligen Ordnungskräften neben der Limousine aufgereiht wie eine Gruppe von Delinquenten. Und aus der Sicht der Ministerin hatten sie tatsächlich einen präkriminellen Status.

Aus Triefaugen stierte das Quartett des Grauens, die Bußgeldbescheide, die banalen Kassenzetteln glichen, schon in den zittrigen Säuferklauen, die stattliche Staatskarosse an. So ein Auto hatten sie bestimmt noch nie aus der Nähe gesehen. In dem Vorsatz, ihnen ein richtig sauschlechtes Gewissen zu machen, schaltete die Ministerin das Bordmikrofon ein. Die nanomultifunktionale Autoglasbeschichtung der Seitenscheibe zeigte die gleiche beautyficierte Version der Ministerin wie vorhin die Großbildwand.

Die Ministerin hielt den völlig entgeisterten Alkoholwracks wegen ihres asozialen und krankenkassenfeindlichen Verhaltens eine gehörige Standpauke. »Sie müssen doch wissen«, sagte sie zum Schluss, »dass Alkoholkonsum Schuppenflechte, Verfolgungswahn, Gedächtnisschwund und vorzeitige Ejakulation verursacht.«

Niemand wagte ein Widerwort zu stammeln.

Damit war die Aktion abgeschlossen. Vor der Großbildwand zerstreute sich die Menschenmenge, sämtliche Ordnungskräfte marschierten ab, die Bußgeldpflichtigen durften ihres traurigen Weges ziehen. Zwar gab es vereinzelt noch lebhafte Diskussionen, im Wesentlichen jedoch normalisierte sich die alltagskarnevalistische Situation auf dem Bahnhofsvorplatz. Von Neuem geriet die öffentliche Kontaktbörse in Schwung, die Tussengangs setzten den Zickenkrieg fort, die Elendigen fügten sich samt und sonders erneut ins waiting for the man, und wieder dröhnte Trommelklang. Auch weiter verlief alles so wie auf einem gewöhnlichen deutschen Bahnhofsvorplatz.

Was für eine Hammelherde, dachte die Ministerin. Also wirklich, spränge jemand so mit mir um, ich würde vor Wut kotzen.

Ungeachtet der Anfangsschwierigkeiten fühlte sich die Ministerin mit der heutigen Premiere hochzufrieden. Auch die psychosensitiven Nanofasern ihres SmartClothes-Hosenanzugs Marke Nano Magnat spürten es, während die Limousine auf die Straße fuhr, und er nahm für ein Momentchen die Koloratur eines Pfauenschwanzes an. Darin erblickte die Ministerin sogar ein gewissermaßen wahres Wunder.

Auf der Heimfahrt aber – um 14 Uhr 30 musste die Ministerin sich in ihrer Villa einer voraussichtlich wieder einmal total strapaziösen Videokonferenz zuschalten – trübte sich nach einer Weile ihre Stimmung. Sie dachte an die Erniedrigung, die ihr abermals bevorstand, heute zum zweiten Mal: Infolge ihrer Korpulenz konnte sie den Dienstwagen nicht durch die Türen besteigen oder verlassen. Vielmehr musste das spezialgefertigte Dach abgeschraubt werden, dann hob ein Kran sie hinein oder hinaus. Sie dachte an die demütigende Prozedur, die sie erwartete, an die scheußlichen Minuten der Entwürdigung, die verstrichen, bis der Kran sie auf der Gartenterrasse absetzte. Plötzlich war sie den Tränen nahe. Zwar aktivierte der Bordcomputer die Aromaspender, linderte mit aerosolförmigen Benignatoren den Kummer der Ministerin, aber noch einige Zeit lang verspürte sie einen dumpfen Groll, der sie quälte wie wetterfühlige Hornhaut am dicken Zeh.

Vor einer Kreuzung verlangsamte der Fahrer die Limousine, um abzubiegen. An der Ecke stand eng umschlungen ein Pärchen und küsste sich. Dieser Anblick verdross die Ministerin. »Widerlich, dieses pubertäre öffentliche Rumgeknutsche«, meinte sie in bissigem Tonfall. Manchmal nahmen die Belästigungen einfach kein Ende.

Anscheinend hatte ihre Bemerkung über Gedächtnisschwund sich dem Staatssekretär nachhaltig eingeprägt. Er entrollte sein Palmtop und schrieb eine Notiz.

Flüsterasphalt

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