Читать книгу Die großen Western 197 - Howard Duff - Страница 3

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Der Knall kommt in jenem Augenblick, als Kim Turner nur noch neun Meilen bis Rapid City zu reiten hat.

Das wilde Peitschen der Schüsse jagt links von Turner eine Schneewolke aus den Büschen. Vor einer Stunde hat es begonnen, sacht zu schneien. Und durch den beim Schuß aufgewirbelten Schnee weiß Turner, wo der Mann im Hinterhalt liegt. Es ist Kim Turners weiter Umhang, der den Schützen narrt. Die Kugel faucht durch den Umhang. Und kaum bekommt der Stoff einen Schlag, als sich Turner auch schon fallen läßt.

Er stürzt an der rechten Seite vom Pferd, nimmt sein Gewehr mit und holt noch im Fallen aus. Der Kolben der Waffe trifft das Pferd. Es springt erschreckt von diesem Hieb weiter, während sich Kim Turner nach links rollt. Vor ihm ist ein kleiner Erdaufwurf mit zwei, drei mageren Büschen. Turner rollt sich auf ihn zu, ehe der zweite Schuß fällt.

In diesen Sekunden erinnert sich Kim Turner an Wesley Corgan, den Chiefagenten der Wells Fargo und dessen Ratschläge. Nicht umsonst hat Turner über ein halbes Jahr unter Corgan geritten und von ihm gelernt.

Kim Turner streckt sein Gewehr an der rechten Seite des Erdaufwurfs und der Büsche vorbei. Dann drückt er blindlings ab, reißt die Waffe zurück, rollt sich zur linken Seite des Erdbuckels und kommt hoch.

»Narr!« sagt Turner grimmig, als der Schuß vom Bachlauf und den anderen Büschen her kracht. Die Kugel schlägt rechts in den Erdbuckel. »Da hast du etwas!«

Er sieht die weiße Schneewolke drüben zwischen den Büschen, nimmt sein Gewehr an die Schulter und zielt genau unter die Wolke.

Corgan, denkt Turner, als er den Finger durchzieht, Corgan, du hast recht behalten. Der Narr glaubt wirklich, ich liege rechts am Erdbuckel. Verdammt, sie müssen wissen, daß ich kein Prospektor bin.

Im selben Augenblick hört er das grelle, fauchende Peitschen keine dreißig Schritt hinter sich.

Der Schlag trifft seinen Rücken. Sein Zeigefinger zieht noch durch, und auch aus seiner Waffe bricht ein Schuß. Aber die Kugel jagt durch die Büsche am Bachufer.

Kalt, denkt Turner, während ihm das Gewehr aus den Händen gleitet und sein Körper auf die Seite kippt, es ist so kalt.

Corgan – Corgan, das sind ja zwei Mann.

Seine Gedanken verwirren sich. Er glaubt Corgans Stimme zu hören und das Gesicht des Chiefagenten über sich zu sehen.

»Jeden Freitag, Kim, hörst du? Melde dich jeden Freitag in Rapid City und bringe deinen Bericht schriftlich mit. Ich werde in zwei oder drei Wochen selbst kommen. Wage dich nicht zu weit vor, Kim. Du hast noch nicht genug Erfahrung. Du bist gut, Junge, du kennst eine Menge Tricks, aber noch lange nicht alle. Wage dich nicht zu weit vor.«

Corgan, denkt Turner und friert entsetzlich, Corgan, bist du schon in Rapid City, dann komm her, komm her und hilf mir. Die Kälte, Corgan, es ist so kalt. Corgan, glaube mir, ich hätte ihn erwischt, aber, da war noch einer am Hang, Corgan. Sie haben rechts und links des Weges gelauert. Und ich dachte, da wäre nur einer. Corgan, sie haben mich mit einem Trick hereingelegt.

Die Kälte nimmt zu, bis sie Turner vollständig lähmt. Er ist tot.

In den Büschen knackt es. Vom Bach aus kommt ein kleiner Mann keuchend angerannt.

»Mensch, Mensch, Luke!« keucht der kleine Steve verstört. »Der hätte mich beinahe erwischt! Alle Teufel, ist er…«

»Der erwischt niemanden mehr«, antwortet der hagere Luke. »Hol sein Pferd und dann weg hier. An den Büschen in Bachnähe ist genug Deckung, falls doch noch jemand kommt. Schätze nur, es wird bei dem Schneefall keiner mehr versuchen. Es riecht nach Dreckwetter!«

Der kleine Mann steht zwei Sekunden da.

»Los, geh schon, hol den Gaul, Mann.«

»Der hat ’n O’Hare Brand, was? Können wir den nicht…«

»Du bist wohl wahnsinnig, den Gaul mitnehmen zu wollen, Mann!« faucht der hagere Luke. »Los, verschwinde.«

Er bückt sich. Schnee fällt über Kim Turner.

Schnee wirkt auf manchen wie ein Totenlaken.

*

»Mr. Corgan.«

»Ja?« fragt der Mann am Stall und sieht sich kurz um. »Noch etwas, Flint?«

»Corgan, es riecht nach Schnee«, murmelt der Leiter der Hauptstation, Flint, leise. »Die letzte Stagecoach ist durch, na gut. Kim Turner kommt vielleicht mit seinem Pferd.«

»Die Kutsche ist keinem Reiter begegnet«, erwidert Wesley Corgan kühl. »Ich habe gefragt, Flint. Freitags hat sich Turner zu melden, entweder schriftlich oder persönlich. Schriftlich nur, wenn er aus dringenden Gründen selbst nicht kommen kann. Turner weiß genau, was dringende Gründe sind. Kein Brief, kein Turner.«

Flint schweigt, schüttelt nur den Kopf.

Als sich Corgan umwendet und das zweite Pferd heranzieht, fällt der Laternenschein auf sein Gesicht. Es ist ein längliches, hartes Gesicht mit hellen Augen, einem schmalen Mund und tiefen Falten von der kräftigen Nase bis zu den Mundecken.

Viel ist es nicht, was Flint von Corgan weiß. Angeblich soll Corgan im Indianergebiet New Mexicos aufgewachsen sein. Sein Vater war Handelsagent der Wells Fargo für den Indianerstreifen. Man sagt, Corgan sei schon über dreißig Jahre alt. Als er sich bewegt, macht er jeden Handgriff so ruhig, als hätte er vor einer Stunde bei Kutschenankunft keine plötzliche Eile an den Tag gelegt.

Dieser ruhige, beinahe träge wirkende Mann ist Chiefagent der Wells Fargo und soll fast alle Staaten kennen.

»Mr. Corgan, Schnee fällt in den Black Hills.«

»Ich weiß, was das heißt«, antwortet Corgan knapp. »Keine Sorge, Flint, noch gibt es keinen Sturm. Das sind erst seine Vorboten. Die Laternen, mein Freund.«

Flint bringt ihm schweigend die beiden Laternen und sieht zu Corgan hoch. Corgan überragt ihn um anderthalb Köpfe und wirkt in seiner Felljacke wie ein Riese. Dabei ist Corgan hager.

»Entweder sehen wir uns noch, oder ich gebe Nachricht mit der nächsten Kutsche aus Deadwood, Flint. Das ist alles.«

»Ja, Mr. Corgan.«

Corgan steckt die lange Holzstange unter die Sattelgurtschlaufe, schnürt sie am Sattelring mit einem Riemen fest und hebt kurz die Hand. Dann reitet er wortlos an.

»Verteufelt kalt«, sagt Flint, als er ins Haus zurückhastet. »Möchte nicht die ganze Nacht bei diesem Wetter unterwegs sein. Aber Corgan macht das anscheinend nichts aus. Bei Schneefall in den Bergen, da findet man keine Spur. Und dann bei Nacht? Was will er da schon sehen?«

*

Corgan zieht einmal hart an den Zügeln. Augenblicklich hebt das Pferd den Kopf und wiehert in die stiebenden Wirbel des Flockentanzes hinein.

Als er weitergeht und keine Antwort kommt, zieht Corgan die Kapuze wieder fest zu. Er starrt auf den Weg, aber die Furchen sind kaum zu sehen. Der Schnee liegt bereits sieben Zoll hoch. Dennoch rechnet sich Corgan eine Chance aus. Es ist vielleicht hart, das Pferd alle hundertfünfzig Yards zum Wiehern bringen zu müssen. Aber es ist die einzige Möglichkeit, ein anderes Pferd antworten zu lassen.

Wesley Corgan hat die Stange nun wie eine Deichsel an der rechten Flanke des Pferdes befestigt. An der Spitze der Stange baumelt die Laterne und wirft ihren Schein auf den Weg. Das Licht reicht nur nicht weit. Ein Hang ist links, dann kommt eine Biegung. Corgan hält wieder, lockert die Kapuzenschnur. Danach erfolgt das Zügelrucken.

Das Wiehern schallt durch die Stille. Einmal, zweimal prustet das Pferd störrisch, doch dann hört Corgan die Antwort. Augenblicklich zieht Corgan beide Pferde herum. Sie trotten etwa dreißig Yards. Lichtschein gaukelt über Büsche hinweg. Noch ein Rucken, das Wiehern klingt hell, und deutlich kommt die Erwiderung.

Zwei Minuten darauf steigt Corgan ab. Er stampft ein paarmal auf, nimmt die zweite Laterne, steckt sie an und geht los. Er sieht das Pferd vor sich. Die Zügel sind um ein paar Buschzweige geschlungen und straff verknotet worden. Wasser glänzt dunkel, Wellen plätschern leise. Am Ufer ist ein kleiner Buckel. Die Laterne schwenkt höher, bis der Strahl den Buckel voll erfaßt hat. Corgan kniet nieder.

»So ist das«, sagt Corgan danach heiser und hebt den Mann an. »Du warst auf irgend etwas gestoßen, Junge, ich wußte es, als ich deinen ersten Bericht vor mir hatte.«

Er blickt in das Gesicht, in dem nicht einmal ein Staunen steht. Danach sieht er die Taschen nach und findet sie alle nach außen gewendet. Selbst die Satteltaschen des Pferdes sind leer.

»Siebentausend Digger in der Deadwood Region«, murmelt Corgan bitter. »Vielleicht dreihundert Schurken, und zwei haben Kim aufgelauert, zwei oder mehr, denke ich. Eine Kugel von vorn, die andere von hinten. Raubmörder nehmen immer alles mit, manchmal sogar das Pferd, aber das ist oft zu gefährlich, weil man den Brand erst ändern muß. Ein H im Kreis? Das ist nicht sein Pferd, das er hatte, als er von Rapid City fortritt. Es muß ein Brandzeichen sein, das in dieser Gegend bekannt ist. Manche Leute erschießen einen Gaul und schneiden den Brand heraus, das ist auch eine Methode.«

Corgan ist sicher, daß dies kein Raubmord gewesen ist. Er kauert eine ganze Weile stumm neben seinem Mann und trägt ihn dann zum Pferd. Dort bindet er ihn fest, nimmt seine Decke und zurrt sie über ihm fest.

Nach kaum zehn Minuten reitet Corgan im scharfen Trab zurück.

Der Schneefall hört kurz vor Rapid City auf.

Corgan sieht sich nicht um. Er braucht auch nicht nach Spuren zu suchen, wenn es Tag wird, das weiß er. Der Schnee deckt alles zu, der Boden darunter ist steinhart gefroren.

Der Schlüssel zu den Überfällen, die Kim Turner herausfinden sollte, liegt in Deadwood.

Dort sind auch jene Männer zu finden, die bis jetzt neun Transporte der Wells Fargo überfallen und beraubt haben.

Jene Banditen hat Kim Turner gesucht. Er muß sie auch gefunden haben, denn sonst würde er noch leben.

Zuviel gewußt, daran ist Turner gestorben.

*

Der Mann ist klein, hat nur noch wenig Haare auf dem Kopf und muß sich gegen die Zimmertür stemmen.

Es gibt einen berstenden Knall vor ihnen in der Dunkelheit des Zimmers. Danach klirrt es wild, Schnee fegt in den Raum, Wind heult mit jähem Fauchen los.

»Das Fenster ist offen«, erklärt Corgan knapp und nimmt die Lampe hoch. »Schnell, Mann, die Tür wieder zu.«

Der kleine Mann flucht, als er gegen den hereinbrausenden Wind die Tür schließen und sie mit aller Macht festhalten muß. Dennoch kracht sie schwer ins Schloß. Im flackernden Lampenschein starrt der Mann nicht nur auf den hereinwirbelnden Schnee, sondern auch auf den Wirrwarr in diesem Raum. Draußen heult der Sturm. Gerade noch kann Corgan unterhalb des Fensters die Umrisse des Daches eines Schuppens oder Anbaues sehen. Die Sicht beträgt keine zwanzig Yards mehr. Was draußen tobt, das ist ein Schneesturm, durch den sich Corgan die letzten fünfzehn Meilen nach Deadwood und bis zu diesem Hotel gekämpft hat, in dem Turners Zimmer ist.

»Verdammt, verdammt«, sagt der Clerk des Hotels verstört und stolpert über die Matratze. Sie liegt mitten im Zimmer, und ihre Eingeweide hängen heraus. »Wer hat denn hier gehaust?«

Er schließt das Fenster. Jetzt bleibt wenigstens der Schnee draußen, der Wind hat keine so starke Gewalt mehr. Dann sieht der kleine Mann sich nach Corgan um und starrt auf das wüste Durcheinander.

»Er, ich meine, Turner, er sagte doch, er würde bald wiederkommen. Mister, hören Sie, wer hat das gemacht?«

»Nun, wer?« fragt Corgan kurz. »Moment, Mann, haben Sie den ganzen Tag unten gesessen?«

»Sicher, bis auf ein paar Minuten vielleicht, die ich in der Küche war, Mister. Hier ist immer Betrieb. Wer geht hier tagsüber hoch? Die sind doch durch das Fenster gestiegen.«

»Ja«, erwidert Corgan kühl. »Sie sind durch das Fenster hereingestiegen. Bei dem Schneesturm sieht man keine zwanzig Yards weit, wie? Sie konnten es unentdeckt tun und hier alles durchsuchen.«

Corgan sieht eine Sekunde dem kleinen Mann in die ungläubigen Augen. Dann geht er zum Packen, der in der Ecke liegt. Der Inhalt des Packens ist verstreut worden. Ein Buch hat keinen Rücken mehr, selbst der Umschlag ist abgerissen worden. Von einer Tasche aus Leder gibt es nur noch Fetzen. Gegenstände von Turners Prospektorausrüstung, die Turner zur Tarnung mitgenommen hatte, liegen auf dem Tisch und am Boden.

Der kleine Mann fragt: »Mister, ich verstehe nicht, was sie gesucht haben. Sicherlich hat Mr. Turner sein Geld bei sich gehabt. Sind Sie ein Freund von Turner?«

»Ja, ich sagte es schon einmal«, antwortet Corgan trocken. »Haben Sie hier einen Stallhelp?«

»No, Sir, keinen. Das mache ich nebenbei. Warum, Sir?«

»Ich dachte, der Stallhelp könnte die Burschen gesehen haben. Anscheinend hat sie kein Mensch bei dem Sturm hier einsteigen sehen, schätze ich, sonst hätte jemand seine Beobachtungen doch wohl unten im Hotel gemeldet, was?«

»Ja, Sir, sicher. Was haben die denn nur gesucht?«

Corgan tritt ans Fenster und blickt einen Moment hinaus.

»Ich weiß nicht«, sagt er leise. »Packen Sie das Zeug zusammen, Mister, und dann schaffen wir es zur Wells Fargo Station hinüber. Das Zimmer ist bezahlt?«

»Bis vorgestern, Sir.«

Corgan nimmt drei Dollar aus seiner Tasche und legt sie auf den Tisch.

»Turner braucht das Zimmer nicht mehr, Mister. Er kommt nicht mehr wieder«, murmelt er. »Das ist alles, mein Freund.«

»Turner, ist er weggeritten für immer? Ist er…«

Der kleine Mann sieht Corgan nach. Er blickt auf die sich von außen schließende Tür. Er hört die Schritte Corgans immer leiser werden, und dann ist das Klappen der Hintertür da.

Wesley Corgan steht im Hof und lehnt sich einen Augenblick im Windschatten an die Hauswand, ehe er zu seinem Pferd geht.

»Also gut«, sagt Corgan finster, »sie haben es gesucht und wahrscheinlich gefunden. Kims Aufzeichnungen befinden sich jetzt in ihren Händen. Sie wissen nun eine ganze Menge zuviel, denn Kim wird todsicher über jeden Tag eine Niederschrift gemacht haben. Das ist eine Anweisung. Und er hat sich an sie gehalten. Vielleicht hat er vorige Woche geschrieben, daß er einen Bericht an mich gemacht hat. Sie kennen also ganz sicher meinen Namen. Da ist nur dieses Mädchen, die Lady, die Kim erwähnt hat. Wenn der Narr doch wenigstens ihren Namen aufgeschrieben hätte. Jetzt weiß ich nicht einmal, wer die Lady ist, von der Kim sagte, sie hätte ihn auf eine heiße Fährte gebracht. Das ist eine verdammte Sache, ich muß von vorn anfangen.«

Er steigt auf, zieht die beiden Pferde herum und reitet dann in die Dunkelheit hinter dem Bretterzaun hinein. Die Gasse beginnt hier. Und obwohl Corgan vorher niemals in Deadwood war, besitzt er eine Beschreibung der Stadt. Nach dreißig Yards kommt eine Querstraße. Sie führt zur Main Street, die Corgan dann links hochreiten muß, damit er die Wells Fargo Station erreicht.

Kaum ist Corgan aus dem Schutz des Stalles, als ihn der Schneesturm wieder packt. Er biegt nach rechts um, hat die Querstraße erreicht und sieht irgendwo voraus ein zitterndes Licht durch die Dunkelheit schimmern. Im Schnee wirkt alles verschwommen, nur der Zaun rechts bietet etwas Windschutz. Die heranpeitschenden Flocken setzen sich in Augenblicken auf Corgans Jacke fest. Corgan blinzelt, glaubt ein paar Musikfetzen zu hören und hebt den Kopf. Fenster tauchen schemenhaft und matt erleuchtet vor ihm auf. Plötzlich ertönt ein abgerissener und schriller Schrei. Jemand stößt linker Hand einen Hilferuf aus.

Im nächsten Moment sieht Corgan links dunkle Schatten. Es sind drei Männer, von denen zwei gebückt stehen und sich über den dritten beugen, der bereits am Boden liegt.

»Hilfe!«

Einer der beiden Burschen hebt den Arm. Die Hand saust herunter, und der Hilfeschrei erstickt.

Im gleichen Augenblick treibt Corgan mit einem Doppeltritt der Hacken sein Pferd an.

Es ist der bereits einen halb Fuß hohe Schnee, der das Hufgeräusch verschluckt.

»Hat der Kerl eine dicke Jacke am Leib. Da kommt man ja kaum ran.«

Das ist alles, was der eine Mann sagt. Sie kauern beide neben dem zu Boden gesunkenen Mister und hören Corgans Pferde zu spät.

Wesley Corgan ist mit einem Pelzfutteral geritten, in dem das Gewehr unter einer Doppelklappe steckt. Es genügt jedoch ein Zug am Verschlußriemen, um das Gewehr aus dem Futteral zu ziehen.

Als die Pferde vorwärtsstürmen, nimmt Corgan die rechte Hand herunter. Ein Ruck am Riemen, dann schlägt Corgan die Klappen zurück und hat das Gewehr auch schon am Kolben gepackt. Er läßt die Hand kurz zucken. Dadurch gleitet das Gewehr im Hochfliegen durch Corgans aus dem Handschuh gefahrene Finger.

In der nächsten Sekunde hat Wesley Corgan seine Waffe am Kolbenhals gepackt.

Und dann ist er direkt hinter den beiden Burschen und ihrem Opfer.

*

Corgan hat genug von Deadwood gehört. Er weiß zu gut, daß diese Stadt ein Eldorado von gesetzlosen Elementen geworden ist, seit man Gold gefunden hat. Überfälle auf Digger und Leute, die Geld in den Taschen haben, passieren hier jeden Tag, es gibt jeden Monat ein Dutzend Tote.

In diesem Moment kümmert sich Corgan nicht mehr um seine Pferde. Er weiß genau, daß sie nicht auf den am Boden liegenden Mann trampeln werden. Corgans Gewehr fliegt herum, als der eine Bursche sich umsieht.

Der Mann sieht nicht mehr als den dunklen Schatten der Waffe auf sich zurasen und schreit.

»Paß auf, da…«

Mehr bekommt der Dieb nicht heraus. Corgans Gewehrlauf knallt ihm gegen den Kopf. Augenblicklich kippt der Bursche um und rollt in den Schnee.

Der andere stößt einen erschreckten Laut aus. Er dreht sich, richtet sich blitzschnell auf und reißt die rechte Hand hoch. Ehe er noch ganz herum ist, tritt Corgan mit seinem linken Stiefel zu. Der Tritt schleudert den Mann im Bogen in die Schneewächte am Bretterzaun. Aus der Hand des Banditen fällt etwas in den tiefen Schnee. Dann rafft sich der Mann mit einem heiseren Schrei auf und springt wie eine Katze los.

Der Kerl fliegt am Zaun hoch, liegt den Bruchteil einer Sekunde oben auf den Brettern und ist dann auch schon weg. Corgan ist zweieinhalb Yards an dem Überfallenen vorbei. Er wendet sich um, flucht und sieht nun auch den anderen Kerl wie einen verfolgten Wolf im Schneegewirbel untertauchen. Der Bursche erreicht das Ende des Zaunes und ist verschwunden. Lediglich sein Hut bleibt im Schnee liegen.

»He, da war doch etwas? Wer hat da geschrien, wer hat um Hilfe gerufen?«

Die Stimmen sind vor Corgan. Eine Tür wird geöffnet, Lichtschein fällt in den Flockenstrom heraus und läßt ihn noch undurchdringlicher erscheinen.

Jemand ruft: »He, wer ist da?«

Corgan erwidert knapp: »Hier liegt jemand. Zwei Burschen haben ihn niedergeschlagen.«

Der tanzende Schein einer Laterne nähert sich. Fluchend auf Kälte und Schnee erscheint ein Keeper mit drei Begleitern, anscheinend Digger. Sie sehen zu Corgan hoch, bücken sich dann zu dem Mann am Boden und drehen ihn um.

»Das ist Rayden, alle Teufel«, sagt der Keeper erschrocken. »He, wo sind die Kerle geblieben?«

»Einer flog in die Schneewächte dort, der andere auf die Straße. Sie sind beide weggerannt«, antwortet Corgan. »Der eine Bursche hat seinen Hut vergessen. Und der andere irgend etwas in der Schneewehe verloren. Seht einmal nach.«

Der eine Digger hebt mit Hilfe des Keepers Rayden auf die Beine. Ein Digger geht, hebt den Hut auf und sagt mürrisch:

»Ein Hut wie tausend andere. Der Teufel soll das Gesindel holen! Hier ist kein Mensch seines Lebens sicher, wenn er einmal am Pokertisch gewonnen oder eine Bonanza entdeckt hat. Verdammtes Packzeug! Joe, he, hast du etwas gefunden?«

Der andere Digger hat den Schnee mit den Händen beiseite geschaufelt und hält etwas hoch.

»Feiner Totschläger«, meldet er.

Rayden stöhnt, greift sich an den Kopf, und dann faßt er in seine lange, schwere Jacke und sagt keuchend:

»Ein Glück, die Brieftasche ist noch da. Oh, verdammt, mein Kopf.«

Er schwankt wie betrunken.

»Rayden, komm zurück in den Saloon, hier ist es verdammt zu kalt«, sagt der Keeper heiser. »Und das nennt sich April. Der Teufel soll das Sauwetter holen. Na, Mann, kannst du allein gehen?«

»Denke schon«, erwidert Rayden stöhnend. »Es waren zwei Männer, wo sind die Schurken?«

»Der Mister da hat sie verjagt und dir dein Geld gerettet«, sagt der Keeper. »Hör einmal, Rayden, hast du sie erkannt?«

»Erkannt?« keucht Rayden abgerissen. »Ich ging los, und da hörte ich den Schnee hinter mir knirschen. Als ich mich umdrehte, sah ich nur einen Kerl, aber nicht sein Gesicht. Dann knallte mir etwas auf den Kopf. Oh, mein Schädel platzt. Hallo, Fremder, kommen Sie mit auf einen Drink, ich bin Ihnen eine Menge schuldig.«

»Ja«, sagt Corgan kurz. »Keeper, sind meine Pferde sicher?«

»Auf der Straße vielleicht nicht. He, mach, mach das Hoftor auf. Sie bringen die Pferde besser in den Hof, mein Freund, wie?«

»Sieht so aus.«

Das ist alles, was Corgan sagt. Der eine Digger geht voraus. Und als er das Hoftor aufzieht, denkt Corgan daran, daß dieser Rayden anscheinend ein ziemlich bekannter Mann sein muß. Vielleicht ist es gut, mit Rayden ein Glas zu trinken und dem Mann ein paar Fragen zu stellen. Es kann sein, daß Rayden in der Stadt besser Bescheid weiß als manch anderer.

*

Es sind nur etwa ein Dutzend Männer im Saloon. An einem Tisch links sitzt eine rothaarige Lady in einem tief ausgeschnittenen Kleid. Sie hat zwar einen hellgrünen Schal um die bloßen Schultern gelegt, aber dennoch sieht man genug. Ihr gegenüber hockt ein großer, fleischiger Mann auf einem Stuhl. Die Lady redet leise auf ihn ein. Er schüttelt ihre Hand von seinem Arm und sagt heiser:

»Was geht das einen O’Hare an, he? Ich will von dem Überfall auf Rayden nichts mehr hören, sage ich. Komm, laß mich doch, Cora.«

Sie flüstert etwas, O’Hare grinst breit und legt ihr die Hand auf die bloße Schulter. Seine Finger streicheln über ihre Haut. Dann stemmt er sich hoch und hat Mühe stehenzubleiben. Als er losgeht, macht er es mit der seltsamen Steifheit des Betrunkenen, der ein Ziel anvisiert.

In diesem Augenblick schurrt hinter Corgan und dem halbgeschlossenen Vorhang zu einem größeren fast völlig dunklen Nebenraum, ein Stuhl.

»Boß, es kommt niemand mehr«, sagt jemand. »Kann ich jetzt aufhören?«

Der Mann tritt mit leisen Schritten in den Hauptsaloon.

O’Hare hält sich am Tresen fest, dreht den Kopf herum und fragt lallend:

»Die anderen, sind weg, eh? Mach, was du willst.«

»Sicher, Boß.«

Der Mann geht zum Tresen und stellt den üblichen Kartenkasten dort ab.

»Billy, schließ ihn weg, ich habe nachgesehen, ob jemand mit seinen Daumennägeln an den Karten herumgespielt hat. Sie sind alle in Ordnung. Lege sechs neue Spiele zu. Es könnte sein, daß das Wetter morgen schon anders ist und tausend Digger aus den Bergen in die Stadt kommen.«

Rayden zuckt zusammen, als sich Corgan erhebt. Corgan blickt den Spieler an, und sein Gesicht ist erstarrt.

Und dann sagt Corgan fauchend:

»Mickel, herum mit dir!«

Eine Sekunde bleibt der Spieler stehen, aber dann dreht er sich blitzschnell.

Im selben Augenblick fährt Corgans Hand unter die Jacke und reißt den Revolver heraus.

Großer Gott, denkt Rayden entsetzt, eine Schießerei.

Sie sehen alle, daß Corgan eine halbe Sekunde eher auf den Spieler zielt, als der seinen Derringer-Special hochbringen kann.

Im nächsten Moment stößt der Spieler ein Zischen aus. Und Corgan beginnt leise zu lachen.

Der betrunkene O’Hare sagt verstört: »Was soll das? Sie tun so, als wollten Sie sich schießen und dann, was habt ihr zu lachen, verdammt?«

Die Hand des Spielers verschwindet unter dem Rock, Corgans schwerer Revolver gleitet ins Halfter zurück.

»Allmächtiger«, sagt der Spieler dann grinsend. »Wesley Corgan, der alte Feuerfresser! So wahr ich Mickel Bronston heiße, es gibt doch noch Wunder auf dieser Welt.«

»Sie kennen sich, diese Narren!« keucht O’Hare bissig. »Macht solche verfluchten Späße woanders, aber nicht in meinem Saloon.«

Er stolpert mit der rothaarigen Cora aus der Hintertür und knallt sie wütend hinter sich zu. Mickel Bronston aber kommt zu Corgan an den Tisch, schlägt ihm die Hand auf die Schulter und setzt sich.

»Was ist denn mit dir los, Rayden?« fragt er glucksend. »Wesley, Alter, sieh dir Rayden an. Erst nimmt der Kerl mir an diesem traurigen Abend eine Menge Dollar ab, und jetzt versteht er die Welt nicht mehr. Well, Rayden, Corgan und ich waren einmal die besten Freunde, wir waren prächtige Burschen, was, Wesley? He, einen Drink für den Tisch hier!«

»Alle Teufel, ich sah schon jemanden am Boden liegen«, japst Rayden. »Mein Kopf, mein armer Kopf. Ich gehe in Walts Küche und lege mir einen nassen Lappen auf das Gehirn. Keinen Drink für mich, Mickel, mir platzt fast der Schädel.«

Er steht kopfschüttelnd auf und verschwindet. Corgan aber blickt den Spieler an und lächelt.

»Nun, Mickel? Hörte sich gerade an, als sei dieser Mr. O’Hare dein Boß. Ich dachte immer, du hättest längst deinen eigenen, prächtigen Saloon, du verdammter, wilder Bursche. Sitzt du immer noch an einem Spieltisch?«

Mickel Bronston hat gelächelt. Nun wird er ernst und sagt düster:

»Ich hatte nicht viel Glück, Wesley. Ich wollte nicht zum Kartenhai werden. Unehrliches Spiel ist nichts für mich. Frau, was machst du hier?«

Er starrt Corgan scharf an und zischt dann:

»Du bist doch nicht etwa immer noch bei der Wells Fargo wie damals? Verdammt, die hatten im letzten Halbjahr eine Menge Ärger mit ihren Transporten, Wesley, bist du darum hier?«

»Und wenn?« fragt Corgan. »Mickel, du arbeitest also für diesen O’Hare. Hat der einen Mietstall?«

Mickel Bronston antwortet nicht, weil der Keeper kommt und ihre Drinks bringt. Dann erst sagt er leise:

»Ich arbeite für ihn und beaufsichtige ein paar Spieler in diesem Saloon. Er hat keinen Mietstall, warum?«

»Ich habe ein Pferd gefunden, das ein H-im-Kreis-Brandzeichen trägt, Mickel. Und neben dem Gaul einen Mann.«

»H-im-Kreis?« murmelt Mickel. »Das ist das Zeichen der O’Hare Ranch, Wesley. Sagtest du, du hättest einen Mann neben dem Pferd gefunden? Warum hast du den nicht gefragt?«

»Er war tot, Mickel.«

»Tot?« Mickel erstarrt und holt tief Luft. »Jetzt schießen die verdammten Buschklepper auch schon auf Leute der O’Hare Ranch. Aber es wird Walt O’Hare verdammt wenig interessieren. Die Ranch gehört seiner Schwester Marcia, und eigentlich gehört ihr auch dieser Saloon. Sie besitzt auch einen Mietstall, aber mit dem hat Walt nichts zu tun. Es ist wegen Cora, du hast sie ja gesehen. Der alte O’Hare wollte sie nicht zur Schwiegertochter, weil sie in ’ner Tanzhalle auftrat.«

»Und O’Hare säuft, wie?« fragt Corgan. »Mickel, eigentlich sollten wir von früher reden und wie es uns seit damals ergangen ist, aber es gibt nun wichtigere Dinge. Es war kein Mann von der Ranch, den ich fand.«

Bronston kneift die Lider zusammen.

»Wer dann?«

»Ich hatte jemanden hergeschickt. Er sollte herausfinden, wer hinter den Überfällen auf die Wells Fargo steckt. Er hat es herausgefunden. Nur, ehe

er mir Meldung machen konnte, hat man ihn erschossen. Du könntest

ihn gekannt haben, er hieß Kim Turner.«

»Alle Teufel!« sagt Mickel bestürzt. »Einer deiner Männer? Turner, ich glaube, der wohnte drüben im Hotel. Er war wohl einmal hier und hat gespielt, aber nie hoch. Ein junger Bursche? Wesley, wir haben damals Albuquerque friedlich bekommen, wir beide sozusagen allein vertrieben das Gesindel. Wenn du Hilfe brauchst, dann sage es. Verdammt, es könnte wie früher werden. Hör zu, man rätselt hier seit Monaten herum, wer die Überfälle machen könnte, aber niemand weiß etwas. Ich auch nicht.«

Er flüstert nur noch, als einer der Digger hinausgeht und an ihrem Tisch vorbei muß. Dann blickt er sich um und sagt gepreßt:

»Ich habe hier alle Hände voll zu tun, um auf meine Spieler zu achten, aber ich kann herumhorchen. Oder weißt du bereits etwas?«

»Zum Teufel, nein«, erwidert Corgan finster. Er berichtet Mickel, was mit Turner passiert ist und wie er Turners Zimmer vorgefunden hat. »Mickel, die Burschen werden wissen, daß ich herkommen will. Turner kannte den Termin nicht, an dem ich hier erscheinen wollte. Es kann sein, daß diese Burschen jetzt herumrätseln, aber sie werden mich erwarten. Ich bin zu bekannt. Vielleicht hat mich einer der Banditen sogar schon einmal irgendwo gesehen.«

»Und das sagst du so ruhig?« murmelt Bronston. »Dann könnten sie dich aus dem Hinterhalt abknallen wie Turner, Alter. Laß mich überlegen: Turner hatte ein Pferd mit dem Brandzeichen der O’Hare Ranch. Er wird es wahrscheinlich im Mietstall gekauft haben.«

»Dann muß ich dorthin, aber vorher will ich zur Station der Wells Fargo und mit Owens, dem Stationshalter, reden. Er kennt mich, vielleicht weiß er etwas. Und du, hast du keinen Verdacht?«

»Hier leben ein paar hundert rauhe Burschen, Wesley«, antwortet Mickel leise. »Was gingen mich diese Überfälle an? Von jetzt an horche ich herum, verlaß dich darauf. He, bleib noch. Du willst doch nicht schon wieder gehen?«

»Mickel, Turner ist tot. Und wenn man Rayden nicht vor meinen Augen niedergeschlagen hätte, wäre ich nie hereingekommen. Ich muß mich umsehen, aber du findest mich, wenn du etwas hörst, durch Owens, den Stationshalter. Frage nicht zuviel, die Burschen könnten gefährlich für dich werden.«

Er steht auf, und auch Mickel erhebt sich und brummt mürrisch:

»Genauso wie früher, du verdammter Bursche, immer eilig. Nun gut, ich sehe ein, du mußt etwas tun. Aber verlaß dich darauf, daß ich von heute an meine Ohren weit aufmache. Und denke nicht, daß ich Angst vor ein paar lausigen Banditen habe. Ich bin immer noch schnell genug mit dem Derringer. Brauchst du mich, dann sage es. Ich verdiene hier keine Reichtümer, also kann ich auch aufhören und eine Weile wieder meinen Spaß mit dir wie in alten Zeiten haben, was?«

»Mickel, geht es dir schlecht?«

»Nein, wenn du meinst, daß ich kein Geld habe«, antwortet Mickel Bronston dünn. »Aber manchmal denke ich, es wird nie für einen eigenen Saloon reichen. Sieh dich vor, Wesley, auch du hast hinten keine Augen.«

»Mickel, so leicht erwischt man mich nicht, das weißt du doch.«

»Ja«, sagt Bronston düster, »aber sie haben Turner auch getötet, vergiß das nicht, Alter.«

Corgan zuckt nur die Achseln. Dann geht er hinaus und hat die Hand am Colt. Vielleicht haben sie das Hotel beobachtet und Licht in Turners Zimmer, vielleicht haben sie ihn sogar gesehen. Wissen die Banditen, daß er hier ist, werden sie alles versuchen, um ihn zu beseitigen.

*

»Du verdammter Narr, konntest du nicht schießen?« faucht der große, schwere Mann wild. »Du hattest seine Beschreibung, du wußtest, daß es Corgan war. Und dann knallst du ihn nicht ab? Narr, verdammter, ich könnte dich…«

»Ruhig«, sagt der schlanke Mister und zieht geruhsam an seiner Zigarre. »Brüll noch lauter, damit es jemand hört, der draußen vorbeigeht. Steve konnte nichts tun. Er saß im Stall auf dem Heuboden hinter einer vereisten und beschneiten Scheibe. Das Fenster war eingefroren, also konnte er es nicht öffnen. Zur Tür hinaus konnte er auch nicht, denn er hätte mit der Tür den frischen Schnee weggeschoben. Corgan ist kein Narr, der sieht so etwas.«

»Hölle und Teufel!« flucht der Große bissig. »Dann hätte sich dieser gehirnlose Bursche da eben hinter den Zaun stellen und warten sollen, bis Corgan herauskam.«

»Ich sagte schon, er konnte doch nicht aus dem Stall, Mann«, murmelt der Schlanke träge. »Genug gebrüllt, fangt ihr an, die Nerven zu verlieren?«

Der große Mann greift zur Flasche, nimmt einen langen Schluck und bellt dann wütend:

»Und was sollen wir tun, he? Hier herumsitzen und darauf warten, daß Corgan etwas findet? Der Kerl muß weg wie Turner. Daß der Hund, dieser dreimal verdammte Spürhund, auch so schnell kommen mußte. Corgan wird jetzt bei Owens sein, was?«

»Ja«, sagt der Schlanke leise. »Steve, geh los, stell fest, was er macht. Wir wissen, daß Turner von Marcia O’Hare einige Dinge erfuhr, zwar nur einen Verdacht, aber immerhin, der verdammte Kerl kam so auf unsere Spur. Marcia O’Hare ist vorhin mit der Kutsche abgefahren, sie will auf die Ranch. Wenn Turner mit Owens über das Girl geredet hat, dann erfährt Corgan das. Und was wird er tun?«

»Laß mich auch noch raten«, flucht der Große wild. »Sage schon, was er tun wird, du weißt ja doch immer alles besser. Also, was macht er?«

»Dann reitet er der Kutsche nach!«

Der große Mann springt mit einem Satz hoch und sieht den Schlanken entsetzt an.

»Nein!« sagt er keuchend. »Mensch, wenn er das macht, was dann? Draußen ist Schneesturm, er findet die Kutsche nicht. No, er findet sie nicht. Das wäre etwas, wenn er dazu käme, wenn unsere Leute die Kutsche überfallen. Teufel, geht denn heute alles schief?«

Der Schlanke lehnt sich zurück, bläst den Rauch aus und sagt kühl:

»Steve, ab mit dir zur Station, ich muß wissen, was Corgan unternimmt!«

Der kleine Steve verschwindet, und der Große starrt fluchend vor sich hin.

»Ich sage dir, Corgan muß weg!«

»Willst du das tun?« fragt der Schlanke spöttisch. »Du weißt doch genau, wie schnell Corgan ist, oder? Ehe du den Colt heraus hast, bist du schon tot. Und Steve? Der ist auch zu langsam. Ich bin nicht verrückt genug, es zu versuchen, außerdem lebe ich zu gern. Ich hatte euch gewarnt.«

Er raucht so ruhig weiter, als ginge ihn die ganze Sache nichts an.

»Verflucht, es muß doch einen Weg geben, Mann!« keucht der Große. »Du weißt immer alles, also sage etwas!«

»Es gibt einen Weg«, antwortet der andere kühl. »Wir schicken Steve zur Kutsche. Vielleicht schafft er es noch, die anderen abzufangen. Der Überfall findet nicht statt. Elftausend Dollar können wir verschmerzen. Dann schicken wir unsere Männer weg und warten ab. Diese Marcia O’Hare hat keinen Beweis für ihre Behauptungen. Die Sache mit ihrem Vater war ein Unfall. Von dir weiß man sonst nicht viel, wie? Du spielst den ehrlichen Mann, verstanden?«

»Aber Corgan muß weg, denk doch an das Gold, das über Winter gefördert worden ist. Die Minen sind voll davon, doch sie haben es wegen des Winters nicht wegschaffen können. Wenn die Transporte wieder losgehen…«

Der Schlanke steht jäh auf, tritt auf den Großen zu und hat von einer Sekunde zur anderen alle Freundlichkeit verloren. Er wirkt jetzt eiskalt.

»Genug!« faucht er los. »Sie werden die Transporte mit der Armee sichern. Du kommst niemals an das Gold heran, du verdammter Narr! Ich habe es geschluckt, daß du hinter meinem Rücken Männer angeworben und deine verdammten Überfalle gemacht hast, aber jetzt ist es aus. Du wirst tun, was ich von nun an bestimme, sonst holt dich der Teufel. Steve, Luke, die anderen, sie sind so geldgierig wie du, sie wollen immer mehr. Eines Tages kostet sie das den Hals, wenn wir nicht sofort aufhören. Die Männer müssen weg, wir müssen uns als friedfertige, anständige Bürger geben. Tun wir das nicht, hängen sie uns eines Tages alle auf. Aber das schwöre ich dir, wenn es soweit ist, dann bist du der erste Mann, dem ich eine Kugel durch den verdammten Schädel jage. Wir schicken Steve gleich los, er soll Luke abfangen, ehe der die Kutsche überfallen kann.«

»Wie redest du denn mit mir?« keucht der Große. »Du vergißt, daß die Männer mir gehorchen, wenn es hart wird. Ich sage dir, Corgan muß erledigt werden, und dabei bleibe ich. Ich gebe nicht auf, was ich seit dem Herbst geplant habe. Ich habe keine Angst.«

»Dann geh hin und versuche, Corgan zu erschießen, los, geh schon!«

»Verflucht, er ist zu schnell für mich!«

»Also doch Angst, was? Du hast nur Steve hier, und der kann sich nicht unter eine Laterne wagen, weil er unerkannt bleiben muß. Du denkst, sie machen den Überfall, dann triffst du dich mit ihnen und läßt sie auf Corgan los, was? Aber was ist, wenn Corgan nun der Kutsche folgt, um mit Marcia O’Hare zu reden? Dann platzt er vielleicht mitten in den Überfall hinein. Danach kannst du deine Burschen kalt und steif besichtigen und hast niemanden mehr, der dir Corgan vom Hals schafft. Ich sage dir…«

In diesem Augenblick poltert es unten im Haus. Dann jagen hastige Schritte die Treppe hinauf. Der Mann nimmt immer zwei Stufen auf einmal.

Mit einem Satz ist der Große links der Zimmertür und hat seinen Revolver herausgerissen. Doch es ist nur Steve, der schneebedeckt und keuchend die Tür aufreißt und sich ächzend an die Wand lehnt.

»Was ist passiert?« fragt der Große heiser. »Steve, Mensch, was rennst du, als sei der Teufel hinter dir her?«

»Corgan!« bringt Steve mühsam heraus. »Er ist gerade weggeritten. Ich war kaum an der Station, als er mit Owens in den Hof kam. Sie gingen zum Stall, und Corgan holte zwei Pferde heraus. Sie sprachen zusammen, der Wind stand günstig, und ich konnte sie gut verstehen. Boß, Corgan sagte, er würde in jedem Fall die Kutsche einholen oder das Girl Marcia auf ihrer Ranch besuchen. Er fragte Owens, ob der sicher sei, daß Turner mit dem Girl geredet hätte. Owens antwortete, Turner hätte ihm von Marcia O’Hare erzählt. Das war alles, was sie noch sprachen. Dann ritt Corgan los.«

»Verflucht!« stößt der Große durch die Zähne. »Steve, traust du dir zu, die Kutsche zu überholen und Luke zu warnen? Sie sollen die Kutsche nicht angreifen. Sie sollen sich am Weg zur O’Hare Ranch in den Hinterhalt legen und Corgan erschießen, verstanden?«

»Das schafft er nicht!« mischt sich der Schlanke kühl ein, »vielleicht ist das Wetter im Westen besser, vielleicht kommst du noch rechtzeitig zu Luke, blast alles ab!«

»Du machst, was ich dir gesagt habe, Steve!« faucht der Große wild. »Ganz gleich, ob du Luke vor dem Überfall erreichst oder nicht, Corgan muß weg, verstanden? Sonst fliegen wir noch alle auf. Bringt ihn um! Das ist ein Befehl!«

»Du Narr«, sagt der Schlanke bitter. »Du siehst deine einzige Chance nicht mehr. Steve…«

»Er macht, was ich bestimme!« zischt der Große. »Ab mit dir, Steve, legt ihn um! Das Wetter wird schon nicht so schlimm sein, du wirst durchkommen. Denk an die Goldtransporte, Mann. Reite, sage Luke Bescheid. Erreichst du ihn rechtzeitig, dann keinen Überfall. Wartet auf Corgan und blast ihn in die Wolken.«

»In Ordnung, ich ziehe mich nur um, dann reite ich los.«

Steve hastet wieder hinaus, und der große Bursche sieht den schlanken Mann höhnisch an.

»Mord nicht, was?« fragt er spottend. »Du vergißt nur eines, Boß: Tote reden nicht mehr. Das ist die beste Medizin dieser Welt.«

Die beste Medizin der Welt.

*

Steve blinzelt verstört in das düstere Grau des Tages hinein. Krachend stürzt nicht weit von ihm ein Baum unter der Gewalt der Sturmböen um.

Es wird hell, aber der Schneesturm dauert an. Die Sicht beträgt kaum dreißig Yards. Und viel mehr wird es auch nicht werden, wenn der Schneefall nicht aufhört.

Beißende Kälte dringt durch Steves dicke Vermummung. Er trägt eine schwere Jacke, darüber den Mantel und um den Kopf ein Wolltuch, auf das er den Hut gebunden hat. Um ihn tobt der Sturm, und vor ihm geht es links hinter Bäumen über einen Hang.

Langsam setzt sich das Pferd wieder in Bewegung, aber auch jetzt sieht Steve weder die Kutsche, noch verraten Spuren, tote Pferde oder sonstwelche Zeichen, daß es hier einen Kampf gegeben haben könnte.

»Sie sind nicht hier«, keucht Steve bestürzt. »Alle Teufel!«

Steve hat die Stelle erreicht, an der der Überfall stattfinden sollte. Er steigt ab, hat hier Windschutz durch die Bäume und weniger Schnee. Als er den locker hingewehten Schnee mit den Händen wegscharrt, sieht er unter ihm deutlich die Hufspuren.

In dieser Sekunde packt Steve der Schreck mit voller Gewalt. Hier ist der Boden von Hufen gestampft worden, aber das muß etwa drei Stunden nach Mitternacht gewesen sein.

»Sie haben hier gewartet«, stellt Steve keuchend fest. »Allmächtiger, die Kutsche ist nicht gekommen. Sie sind weg, und die Kutsche muß einen anderen Weg gefahren sein. Es gibt nur noch den Südostweg. Verdammt, Luke und Marthy haben gemerkt, daß die Kutsche bei dem Wetter besser im offenen Gelände vorankommen kann und sich ausgerechnet, daß sie hier umsonst auf sie warteten. Sie sind zum Südostweg aufgebrochen. Alles war umsonst, ich kann sie nicht einholen. Ich muß sie finden.«

Im brüllenden Sturm zieht Steve sein Pferd herum. Er reitet in eines der Quertäler, um dort nach Osten schwenken zu können. Sein Pferd stemmt sich gegen den tosenden Wind und den pausenlos heranjagenden Schnee.

Es ist kein schnelles Reiten für Steve. Sein Boß, das weiß Steve schon seit Stunden, hat sich geirrt. Das Unwetter tobt sich mehr im Süden aus, und nicht nur Steve steckt in ihm, sondern auch die Kutsche. Mit ihr hüllt der Hurrikan auch jene fünf Männer ein, die das Geld aus der Kutsche rauben wollen.

Aber noch jemand ist unterwegs. Und da er nicht hiergewesen ist, muß er besser als Steve geritten sein.

»Corgan«, sagt Steve zwischen den Zähne, »der verdammte Hund hat sich ausgerechnet, daß die Kutsche abbiegen und ins freie Gelände fahren würde. Er hat sie sicher längst erreicht. Hoffentlich ist er erst herangekommen, als der Überfall schon vorbei war.«

Steve beißt die Zähne zusammen. Er will wissen, wo die fünf Männer sind. Er muß es in Erfahrung bringen, koste es, was es wolle. Die Kutsche muß bereits fünfzehn Meilen früher den normalen Kutschenweg verlassen haben. Dadurch ist Steve gezwungen, einen noch größeren Umweg zu machen. Vielleicht hätte er bei normalem Wetter die Stelle rechtzeitig gesehen, an der die Stagecoach vom Weg gelenkt wurde. Aber er hat jenen Platz überritten, weil der Schnee die Fährte überdeckt hat.

Steves Gaul schafft es nie, den Zeitverlust einzuholen. Es sind mindestens fünf Stunden. Etwa um diese Zeit müßten die anderen fünf Mann auf die Kutsche gestoßen sein.

Im Schritt kämpft sich Steves Pferd weiter gegen den heulenden Sturm. Für eine Meile braucht Steve über eine Viertelstunde. Und die düstere Ahnung sitzt in ihm, daß er zu spät kommen wird.

Wo sind die fünf Männer jetzt?

Wo ist die Stagecoach?

Und wo ist Wesley Corgan?

*

Ohne die beiden Sturmlaternen würde Corgan wie jeder andere Mann die Fährte der Kutsche verlieren. Zwar flackern die Lichter der Laternen manchmal bedrohlich, aber nur einmal erlischt eins.

Wesley Corgan hält den Kopf tief gesenkt. Er liegt fast auf seinem Pferd und starrt immer wieder auf die Furchen. Der Schneesturm hat so zugenommen, daß Corgan Mühe hat, die Spur nicht zu verlieren. In Minutenschnelle peitscht aufgewirbelter Schnee in langen Fahnen über die Furchen hinweg und deckt sie zu. Es ist hier im offenen Gelände der Vorhügel noch schlimmer geworden als in den Bergen. Jedoch weht der Schnee in langen Bahnen und wird über die fast freie Fläche gejagt. Es ist nicht so hoher Schnee wie in jenen Schluchten, in denen er zusammengeweht wird. Die Kutsche ist drei-, viermal, das hat Corgan mit Besorgnis erkannt, in meterhohe Schneewächten geraten und steckengeblieben. Schließlich ist die Fährte scharf nach Südosten abgebogen. Und doch hätte nicht viel gefehlt, Corgan wäre weiter geradeaus dem Verlauf des üblichen Fahrweges gefolgt.

Seit zweieinhalb Stunden ist Corgan sicher, daß er die Kutsche einholen wird. Er kann kaum mehr als vierhundert Yards hinter ihr sein.

Rechts von Corgan zieht sich, nur im Ansatz zu erkennen, ein sanfter, buschbestandener Hang hoch. Die Büsche nehmen dem heranfegenden Schnee die Gewalt. Die Spur wird nun so deutlich, daß Corgan keine Mühe mehr hat, sie auszumachen.

»Alle Teufel«, sagt Corgan heiser, »das ist ein Blizzard. Es kann Tage dauern. Der alte Brendan hockt sicher auf dem Bock und hat sich ausgerechnet, daß er auf die Ostroute muß. Es sind noch elf Meilen bis zur Carmichel Creek Station. Und weiter wird Brendan auch nicht mehr kommen. Er scheint das zu wissen. Der Alte hat mehr Erfahrung als ein Dutzend anderer Fahrer.«

Corgan kennt Brendan seit mehr als neun Jahren. Damals ist Brendan schon im nördlichen Colorado für die Wells Fargo gefahren.

»Sie werden die Hölle in der Kutsche auszuhalten haben«, brummt Corgan, als der Wind nachläßt. »Rechts ist nicht viel mehr als eine dunkle Wand zu erkennen. Dort müssen Bäume sein, an denen sich der Sturm bricht. Owens hat mir gesagt, daß Turner sich bei ihm nach Marcia O’Hare erkundigt hätte. Es muß diese Marcia O’Hare sein, die Kim Turner irgendeinen Hinweis gegeben hat. Warum, zum Teufel, hätte sich Kim sonst nach ihr so genau erkundigt? Owens behauptet, Turner hätte nie von einem anderen Girl geredet oder sei jemals mit einem anderen gesehen worden. Das Girl sitzt in der Kutsche und will zu ihrer Ranch zurück. Verdammt seltsame Sache, daß der Bruder in der Stadt einen Saloon hat, statt sich um die Ranch zu kümmern. Nun gut, in fünf Minuten habe ich die Kutsche eingeholt.«

In dem langgezogenen Heulen des Sturmes hört Corgan drei, vier krachende Schläge. Es ist, als brächen irgendwo vor Corgan einige dicke, gefrorene Äste mit einem Knall durch. Und doch ist Corgan plötzlich sicher, daß es Schüsse sind, als das Echo nachrollt.

Im nächsten Augenblick drückt Corgan seinem schon ermüdeten Pferd die Hacken ein. Er treibt es an, aber das Pferd wird kaum schneller. Corgan reitet vielleicht hundert Yards, als er wieder Schüsse hört.

Corgan sieht plötzlich vor sich neben den Radfurchen Hufeindrücke. Sie kommen von rechts den Hang herunter, der als dunkle Wand nun naherückt. Hier sind zwei Pferde gegangen und haben sich hinter die Kutsche gesetzt.

Die großen Western 197

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