Читать книгу Die großen Western Classic 35 – Western - Howard Duff - Страница 3
Оглавление»Corvan«, sagte der alte Windy Williams nur. »Corvan kommt.«
Tudor nahm langsam den Kopf herum. Der Name Corvan genügte ihm. Vielleicht hätte Windy auch gleich sagen können, daß der Teufel, der Scharfrichter oder sonst ein Schreckgespenst erschien.
Matt Corvan saß nicht auf dem Zweispänner, er thronte auf ihm und hielt die Leinen wie ein antiker Wagenlenker in den Fäusten. Und hinter ihm ritten Kyhoe und Larger.
Kyhoes knochiges Gesicht war wie immer ausdruckslos, und seine grauen kühlen Augen schienen Tudor nicht zu sehen.
Larger, ein breitschultriger, schwerer Mann mit schwarzen gelockten Haaren und einer etwas platten Nase, dunklen Augen unter starken Brauen, starrte Tudor dafür um so offener und grimmiger an.
Man erzählte sich, daß Larger für Corvan die schmutzigen Arbeiten erledigte. Einige Leute hatten sich nach Largers Besuchen tagelang nicht bewegen können.
Am Wagen und den Pferden sah Bratt Tudor den Alkalistaub sitzen. Corvan war also durch das Alkalibecken gefahren. Sein Weg hatte vom Dry Valley aus nach Norden geführt, und er mußte hart an Tudors Besitz vorbeigekommen sein. Einen Mann wie Corvan war zuzutrauen, daß er den Besitz eines anderen Mannes, ohne diesen zu fragen, betrat.
Er hat sich mein Haus angesehen, dachte Bratt Tudor – und die Corrals. Jetzt weiß er, daß es etwas dort gibt, was ihm fehlt: Wasser!
Einen Augenblick später hielt Corvan den Wagen an. Er blieb vor dem Corral und Tudors vier Pferden stehen. Sicher hatte er die Pferde bereits aus einiger Entfernung ausgemacht, aber jetzt sah er sie aus nächster Nähe und vergaß einen Moment den alten Windy und Tudor. Corvan verstand von Pferden zuviel, um achtlos über sie hinwegzusehen.
Während Corvan die vier Pferde anstarrte, blickte Tudor zu den beiden Frauen auf der Sitzbank hinter Corvan empor. Beide nahmen jetzt die Umhänge ab, auf denen sich der Alkalistaub abgesetzt hatte.
Bratt Tudor ging es wie anderen Männern, wenn sie Elaine Corvan zum ersten Mal sahen. Elaine Corvan besaß feuerrotes Haar, graugrüne Augen und Lippen, bei denen sich jeder Mann nach einem Kuß sehnte. Diese Lippen waren voll, weich geschwungen und kirschrot. Das Gesicht Lady Corvans glich dem einer Puppe, dem ein Bildhauer einen sinnlichen Ausdruck gegeben hatte.
Man konnte diese Frau kaum ansehen, ohne nicht irgendwelche Gefühle bei ihrem Anblick zu bekommen. Was immer diese Lady trug, es schien wie eine zweite Haut auf ihrem Körper zu sitzen.
Sie hatte ein schilfgrünes Seidenkleid angezogen, das sich über der Brust spannte und Corvan an die Gespräche der Männer im Saloon von Reno erinnerte. Jene Männer hatten behauptet, Elaine Corvan baden gesehen zu haben, und sie sollte es splitternackt im Quellwasser getan haben.
Elaine Corvans üppige Lippen öffneten sich leicht. Sie lächelte mit blitzenden, kleinen wie Perlen glänzenden Zähnen das Mädchen an ihrer Seite an. Erst als sie zu Tudor blickte, glaubte Bratt, daß sich die Färbung ihrer hellen Augen veränderte. Elaine Corvans Gesicht verdüsterte sich, der Blick wurde scharf.
Irgendwie hatte Tudor das Gefühl, in die Augen einer Schlange zu blicken, und sein erster Eindruck von dieser Frau war wie fortgeblasen.
»Matt, ist das der Mann?« fragte sie plötzlich.
Sie hatte eine kühle, wenn auch rauchige Stimme.
Matt Corvan starrte Tudor finster an.
»Das ist der Bursche«, sagte er. »Tudor, ich hatte dir durch Kyhoe etwas bestellen lassen. Hast du das vergessen gehabt?«
Elaine Corvan blickte von ihrem Mann zu Tudor und jetzt zu Kyhoe, der mit aufgestemmten Händen das Sattelhorn festhielt und an seinem Pferd herabsah.
»Ich kann meine Pferde nicht frei laufen lassen wie Rinder«, gab Tudor kühl zurück. »Wenn sie mir in die Virginia Mountains entlaufen, sind sie vielleicht verschwunden. Außerdem hätten es Pferdediebe zu leicht, Mister Corvan, darum der Zaun.«
»Er sperrt den Weg zur Stadt«, knurrte Corvan finster. »Meine Rinder laufen manchmal dorthin und verletzen sich dann. Tudor, ich habe keine Lust, in meiner Nachbarschaft bald ein Dutzend kleiner Rancher sitzen zu haben, die mir mein Vieh stehlen. Entweder der Zaun kommt weg, oder du verschwindest. Das ist die letzte Warnung, Mister. Der Zaun kommt weg, verstanden?«
Bratt Tudor schüttelte langsam den Kopf.
»Hören Sie, Mister Corvan«, sagte er betont ruhig. »Kein Zaunpfosten steht auch nur einen Fußbreit auf dem von Ihnen genutzten Land. Er sperrt auch nicht den Weg zur Stadt, den Sie doch nur zwei- oder dreimal im Jahr fahren. Ich habe nur die Westseite des Fish-Creek gesperrt.
Jeder Mann kann auf dem Ostufer genausogut fahren oder reiten, also ist der Weg zur Stadt für jeden offen geblieben. Bis jetzt hat sich auch keins Ihrer Rinder in das Tal verirrt. Es werden keine anderen Rancher kommen können, denn dieses Tal reicht nur für einen Mann. Ich nehme Ihnen nichts weg, gar nichts, Corvan. Ich will einen Platz haben, an dem ich lebe und meine Pferdezucht betreiben kann. Das ist alles.«
Tudor wollte sich umdrehen, als Corvan wütend schrie: »Stehenbleiben, Bursche! Ich habe dir befohlen, den verdammten Zaun abzureißen. In einer Woche ist er nicht mehr da, sonst erlebst du was. Du bleibst stehen, solange ich mit dir rede, Mensch!«
Bratt Tudor hielt an und blickte sich um.
»Warum schreien Sie?« erkundigte er sich gelassen. »Corvan, Sie sind ein großer Mann, jeder weiß es. Wollen Sie jemand zeigen, daß Sie hier alles tun können? Ich habe das Land gekauft, ich muß es einzäunen. Das sollten Sie als Rindermann, der nebenher noch Pferde züchtet, genau wissen. Meine Pferde sind eine Spur zu gut, ist es das?«
»Du verdammter, unverschämter Bursche!« brüllte Corvan los. »Meine Rinder haben in diesem Tal immer Gras gefunden. Sie werden hinlaufen und sich am Zaun die Bäuche aufreißen. Der Zaun muß weg – oder du, das ist mein letztes Wort. Binnen einer Woche, Tudor, sonst jage ich dich in die Wüste zurück, aus der du gekommen bist. Ich dulde niemand dort, wo meine Rinder geweidet und meine Leute Heu gemacht haben, ich dulde keinen Zaun und keine stehenden, verkommenen Hungerleider an meiner Weidegrenze. Mein letztes Wort, Tudor.«
Tudor sah an Corvan vorbei zu Kyhoe, aber der Mann hielt weiter den Kopf gesenkt. Nur Larger grinste unverschämt und schäbig. Als Bratt Tudor Elaine Corvan anblickte, erkannte er nur Härte in ihren Augen, während das Mädchen bestürzt zu Corvan sah und nun den Kopf senkte. Corvans Tochter schien sich für ihren Vater zu schämen.
»Ich bin nicht gerade ein Hungerleider«, antwortete Tudor scharf. »Gestohlen habe ich auch niemals, Mister. Das einzig Wahre ist, daß ich aus der Wüste gekommen bin. Corvan, man sagt, Männer aus der Wüste wären ziemlich zäh und hart. Ich würde an Ihrer Stelle friedlich bleiben und nichts versuchen.«
Er wandte sich ab, ein großer, sehniger Mann, dessen Haut die sengende Sonne der Wüste fast schwarzbraun verbrannt hatte.
»Tudor!« hörte er Corvan wütend fluchen. »Dir verdammten Kerl bringe ich es bei! Ich schwöre dir, liegt der Zaun nicht in einer Woche am Boden, wirst du dort liegen!«
*
Kyhoes Gesichtsmuskeln zuckten, als Larger sein meckerndes, schrilles Gelächter ausstieß.
»Der Idiot«, kicherte Larger. »Hab’ ich nicht gleich gesagt, daß er ’n Idiot sein wird?«
Kyhoe überlief ein unangenehmes Frösteln, das viele Leute beim Klang von Largers schriller, fast weibisch klingender Stimme hatten. Die Stimme paßte nicht zu dem großen schweren und doch leichtfüßigen Mann.
»Kyhoe«, sagte Larger. »Kyhoe, du hast recht behalten.«
»Yeah«, sagte Kyhoe düster. Er sah den Mann unten reiten und nach Süden am Rand des Fish
Creek anhalten. Kyhoe hatte den Plan gemacht, der Tudor einige Dinge kosten sollte, und Larger hatte behauptet, Tudor würde der Idiot sein, der auf diesen Plan hereinfiele. Genau das passierte jetzt.
Tudor mußte elf Tage gewartet haben, ob irgend etwas mit seinem Zaun passierte. Wahrscheinlich war Tudor schon nach einer Woche, die Corvan ihm als Frist gesetzt hatte, unruhig geworden. Sie hatten ihm am siebten Tag seit dem Zusammentreffen in Flanigan am Zaun entlangreiten sehen. Seitdem beobachteten sie Tudor jeden Tag.
Sie hatten den Zaun auf eine Länge von sechshundert Schritt niedergelegt, den Draht zerschnitten und die Pfosten umgerissen.
»Wie der vorsichtig ist«, sagte Larger. »Jetzt reitet er auf unser Land, der Hund, der blöde. Er kommt.«
*
Als Larger mit seinen gewaltigen Körperkräften nach hinten flog, hob sich das Seil aus dem Sand.
Sie hatten das Seil geschickt abgedeckt, und Larger erwischte genau den richtigen Moment. Tudors Pferd war mit den Vorderhufen über das Seil hinweg. Largers Zug spannte es nun, und dann passierte es auch schon.
Das Pferd strauchelte auf dem schmalen Saumpfad, stellte sich jäh hoch, als das Hindernis sich vor seine Hinterhacken legte, und drehte sich dann.
Bratt Tudor hatte sein Gewehr wieder in den Scabbard gleiten lassen, als er sein Land erreicht hatte. Beide Hände an den Zügeln, versuchte er noch, das schnell laufende Pferd zur anderen Seite zu reißen, aber es war zu spät. Die Stute knickte ein, nachdem sie sich an der Kante des Saumpfades hochgestellt hatte.
Und dann schoß sie den steilen Abfall zum Fish Creek hinunter. Es gelang Tudor noch, mit einem blitzartigen Seitenschwung aus dem Sattel zu kommen. Ehe er auf das große Kiesgeröll des Uferhanges krachte, glaubte er unter sich einen Schatten auftauchen zu sehen.
Dann überschlug sich Bratt einige Male. Ein Schlag traf seinen rechten Ellbogen, ein anderer jagte ihm gegen die Hüfte. Während er sich überschlug, hörte er einen kurzen schrillen Schrei. Die Stute wieherte dazwischen, und Tudor versuchte vergeblich, dem Pferd auszuweichen, das vor ihm wie ein riesenhafter, den Hang hinabkollernder Schatten in das trockene Bachbett fiel. Im nächsten Augenblick sah Bratt Tudor den Mann. Er sprang zwischen den großen Geröllblöcken am Ende der Gefällstrecke heraus. Dort hatte er gesteckt und war für Tudor unsichtbar geblieben, obwohl Tudor weniger als zwanzig Schritte über ihm vorbeigeritten war.
In dieser Sekunde erinnerte sich Bratt Tudor, den Mann in Reno zusammen mit dem finsteren Larger gesehen zu haben. Dann überschlug sich Tudor noch einmal. Er fiel haargenau vor den Stiefeln des Mannes zu Boden. Dann jedoch flog der Bursche mit einem schrillen Schrei zur Seite. Er wich dem mit den Hufen auskeilenden Pferd Tudors aus. Dafür sah Tudor, wie die Hufe des Pferdes herumfuhren und auf ihn zurasten. Das war das letzte, was Bratt Tudor für einige Zeit zu sehen bekam. Ein Hufschlag streifte seine Schläfe, und er fiel lautlos in sich zusammen.
»Hölle und Pest!« schrie Toddenham schrill, in dem er einen Satz zur Seite machte. »Spurfield, halte den Gaul, pack die Zügel, Mann!«
Spurfield hetzte von der anderen Seite auf das Pferd zu. Vom Hang heran kam nun Larger mit vorgestreckten, das Gleichgewicht seines schweren Körpers haltenden Armen herabgehüpft. Larger blieb neben Bratt Tudor stehen. Er starrte aus zusammengekniffenen Augen auf Tudors linken Wangenknochen, über den das Hufeisen mit seinem Stollen gejagt war. Blut lief in einem dünnen Faden aus der Schrammstelle.
»Alle Teufel«, stieß Larger verstört hervor. »Da haben wir nichts zu tun gehabt, nur das bißchen Seilanziehen, was? Fällt uns wie eine faule, stinkende Frucht vor die Stiefel. Dann wollen wir unserem Freund die Arme auf dem Rücken binden, was?«
Er sah sich nach Kyhoe um, der unbeweglich über ihnen auf dem Kamm stand und mit seinem kühlen Blick Tudor und die drei Männer betrachtete.
»Ihr habt ihn«, sagte Clay Kyhoe finster. »Das war alles, was ich wollte.«
Nach diesen Worten wandte er sich ab und ging davon.
»He, Kyhoe, was ist, warum bleibst du nicht hier?« schrie ihm Spurfield verwirrt nach. »Kyhoe, was ist, warum gehst du weg?«
»Dazu braucht ihr mich nicht, denke ich«, gab Kyhoe ohne den Kopf zu wenden zurück. »Das ist nicht meine Arbeit.«
Er ging weiter, hörte den Hufschlag gleich darauf kommen und sah Spurfield vorbeireiten, ehe er zu ihren Pferden kam. Spurfield warf Kyhoe einen nachdenklichen Blick zu.
»Hör mal, Clay«, brummte Spurfield. »Wir haben einen Befehl bekommen.«
»Das habt ihr, aber nicht ich«, murmelte Kyhoe abweisend. »Eines Tages geht Corvan zu weit, fürchte ich.
*
Larger saß im Sattel und beobachtete lauernd und schadenfroh jede Bewegung Tudors.
Sie hatten Tudor das eine Lasso um den Hals gebunden, aber einen festen Knoten gemacht. Eine Schlinge konnte sich zuziehen und Tudor erdrosseln. Diese Absicht hatten sie nicht, wohl aber die, Tudor über sein Land an den rauhesten Stellen rennen zu lassen, ehe sie sich mit ihm persönlich unterhielten. Er sollte erst am Ende seiner Kräfte sein und danach eine kleine Verschnaufpause erhalten. Aus Erfahrung wußten sie, daß ein Mann im halben Erschöpfungszustand Schmerzen doppelt und dreifach spürte. Tudor würde in einer Viertelstunde in der Hölle sein.
Jetzt hob Tudor den Kopf. Er lag auf dem Bauch, die Hände auf dem Rücken gebunden und die Beine nur angezogen.
»Na, Hungerleider?« fragte Larger höhnisch. »Da sind wir. Und dein Zaun ist hin, wie du hin sein wirst, wenn wir mit dir fertig sind. Du hättest tun sollen, was Mister Corvan dir befohlen hatte, siehst du das jetzt ein?«
Tudor rollte sich langsam herum. Er tat es geschickt und kam hoch.
Larger lachte, dann hoben sich seine Hacken. Er trat zu, daß sein Pferd vor Schmerz wieherte. Dann schoß Largers Pferd nach vorn, aber wenn Larger gedacht hatte, daß Tudor sofort hinschlagen würde, hatte er sich geirrt.
Bratt Tudor sprang mit einem gewaltigen Satz vorwärts, daß er zwischen den Pferden von Toddenham und Spurfield heraus war, ehe sich das Lasso straffen konnte. Der sehnige Bratt Tudor sprang mit ganz gewaltigen Sätzen hinter Largers Pferd her.
Plötzlich hing das Lasso durch, es schleifte über den Boden. Larger, der sich umsah, sah Tudor viel schneller, als er seinen schweren Gaul zum Galopp treiben konnte, näherkommen.
Toddenham stieß einen Fluch aus, Spurfield jagte seinem Pferd die Hacken in die Seite, aber sie kamen beide zu spät.
Tudor hetzte auf langen Beinen in raumgreifenden Sprüngen vor Toddenham und Spurfield her.
Larger schrie vor Wut, schlug auf sein Pferd ein und ließ mit der Rechten die Zügel los. In diesem Moment war Tudor bereits auf vier Schritt heran. Das Lasso baumelte über seine Brust herab, und er trat bei seinen gewaltigen Sätzen mehrmals auf das über den Boden schleifende Seil.
Es geschah so schnell, daß Toddenham und Spurfield nicht mehr eingreifen konnten. Tudor drehte sich bei einem wilden Sprung jäh seitlich, so daß sich das Seil über seine Schulter schob und plötzlich auf seinen Rücken fiel.
Spurfield sah genau, wie Tudors Hände zuschnappten. Obgleich sie gebunden waren, erwischte Tudor das Seil doch. Er schwang die Arme blitzschnell nach hinten, und Spurfield erkannte voller Schreck, daß das Seil in einer Wellenlinie hochlief. Irgendeine Bewegung von Tudors gebundenen Armen brachte das Seil dazu, sich zu einer Schlinge zu formen. Dann sauste die Schlinge unter den Hinterhacken von Largers schwerem Gaul durch.
Largers schwerer Gaul saß mit beiden Hinterhacken plötzlich in der Schlinge. Das Pferd sprang hoch, als sich die Schlinge zusammenzog. Im gleichen Moment warf sich Tudor zurück, das Seil straffte sich blitzschnell. Dann sprang Largers Gaul – und Tudors jähes Anhalten und Bremsen mit den Stiefeln riß dem Pferd die Hinterhacken glatt weg.
Largers gellender, schriller Schrei brach sich in den Steilwänden des Creekeinschnittes. Das Pferd krachte über die weggerissenen Hinterhacken zusammen. Larger flog wie von einer Riesenfaust getroffen im Bogen aus dem Sattel. Er überschlug sich in der Luft, ehe er mit dem Rücken knallhart auf die groben Steine schlug und wie tot liegenblieb.
Weder Toddenham noch Spurfield hatte eine Chance einzugreifen. Spurfield preschte nun an Tudors rechter Seite vorbei. Er hatte den Stiefel aus dem Steigbügel gezogen und trat zu, um Tudor umzustoßen, aber Tudor fiel in diesem Augenblick auch um. Der Ruck am Seil und das Herumfliegen des Pferdes von Larger beim Zusammenbrechen brachten Tudor aus dem Stand, so daß er sich drehte und außerhalb der Reichweite von Spurfields Stiefel hinschlug.
»Du verdammter Wolf!« brüllte Toddenham voller Wut. »Du dreckiger, gemeiner, hinterlistiger Trickser, dir werde ich zeigen, Largers Gaul zu Fall zu bringen. Larger!«
Larger lag still. Spurfield jagte auf ihn zu, während Toddenham neben dem gestürzten Tudor sein Pferd herumriß. In seiner Wut über Tudors Trick hatte Toddenham keinen anderen Gedanken als den, sich auf Tudor hinabzuwerfen, als er die seltsame Bewegung Tudors erkannte.
Der sehnige Wüstenmann warf sich auf die linke Seite. Im ersten Moment dachte Toddenham, daß sich Tudor wegrollen wollte, um dem Sprung Toddenhams irgendwie zu entkommen, doch dann sah Toddenham im Abspringen das Klinken.
Erst in diesem Augenblick begriff Toddenham, daß sie etwas übersehen haben mußten. Tudor hatte schon den nächsten Trick ausgespielt.
Zwischen Tudors Händen lag wie hingezaubert ein Jagdmesser. Tudors Jacke war hinten hochgeschoben – Toddenham sah die Lederschlaufe der Messerscheide jetzt erst. Die Jacke hatte das Messer solange verdeckt.
Plötzlich wußte Toddenham, warum sich der sehnige Wüstenmann so zuckend und ruckend über den Boden gerollt hatte.
Tudor hatte sich so hingeworfen, daß er das Messerheft mit seinen gebundenen Händen herausziehen und die Klinge drehen konnte. Das Heft steckte schon sekundenlang zwischen Tudors Hosenbund und Hemd. An der Rückenpartie der Jacke vorbei schoben sich Tudors Handgelenke jetzt zwei-, dreimal blitzschnell hoch und runter.
In diesem Augenblick war Toddenham noch in der Luft, und ehe er den Boden erreichen konnte, sah Toddenham mit fürchterlichem Entsetzen, daß Tudors Hände jäh auseinanderfuhren.
Tudor hatte die Hände frei.
Der Strick flog zur Seite, Tudor schnellte mit einem Sprung auf die Beine und flog sofort auf Toddenham zu.
Der landete mit angezogenen Beinen auf den Steinen. Seine Hand zuckte zur Hüfte und an den Kolben seines Revolvers. Dabei stieß Toddenham einen gellenden, heulenden Angstschrei aus. »Nat – Nat – Tudor ist frei. Tudor – Nat!«
Nat Spurfield hörte den Schrei, riß sein Pferd herum und erstarrte. In dieser Sekunde schoß Tudor auf Toddenham zu, das Messer mit der langen, leicht gebogenen Klinge in der Rechten.
Toddenhams Hand war schon am Kolben des Revolvers, als ihn Tudor erreichte. Tudors Hand mit dem Messer stieß mit voller Wucht mitten in Toddenhams Magen hinein.
Erst in diesem Augenblick erkannte Spurfield, daß Tudor Toddenham nicht verletzt hatte. Es hatte ausgesehen, als wenn Toddenham das lange Messer mitten in den Leib bekommen hatte, aber Tudor hatte die Klinge in letzter Sekunde nach hinten genommen und mit dem schweren Messerknauf zugestoßen.
Aus schreckgeweiteten Augen stierte Spurfield auf Toddenham und Tudor, der Toddenham blitzschnell nach hinten riß. Dabei umklammerte Tudors linker Unterarm Toddenhams Hals. Tudor bog Toddenham den Kopf weit in den Nacken, während sich die Klinge des Messers an Toddenhams Kehle knapp unter dem Kinn legte.
Spurfields Hand war zum Halfter gezuckt, jetzt aber hielt Spurfield die Hand still und stieß einen dünnen, pfeifenden Laut der Furcht aus.
»Die Hand weg!« schrie der Wüstenmann scharf und peitschend. »Nimm sie vom Revolver, oder er hat keinen Hals mehr, durch den er noch atmen könnte! Spurfield – weg mit der Hand!«
Spurfields zuckender, verzweifelter Blick huschte zu Larger, aber der rührte sich immer noch nicht. Als hätte er glühendes Eisen angerührt, zog Spurfield die Hand zurück. Sein Gesicht wurde kreidebleich, sein Mund stand weit offen.
»Gut, mein Freund!« Tudors Stimme klang kalt und schnappend, während er Toddenham mit sich nach hinten zerrte und Toddenhams Pferd erreichte.
»Spurfield, ich schneide ihm die Kehle durch, wenn du etwas versuchst. Nimm die Linke jetzt herunter, mach die Gurtschnalle auf und wirf den Gurt weg.«
Der Waffengurt flog im Bogen auf die Steine. Tudor blickte Spurfield kalt an und hob die Messerspitze.
»Das Gewehr, Mister!«
»Yeah«, ächzte Spurfield. Er war überrascht worden und hatte vor Schreck die ersten Sekunden keinen klaren Gedanken fassen können. Jetzt regte sich sein Widerstand, und er keuchte mühsam: »Tudor, das hilft dir auch nichts. Du bist allein, und wir…«
»Das Gewehr«, wiederholte Tudor eisig. Spurfield nahm es aus dem Scabbard und warf es zu Boden. »Well, Mister, wir werden sehen, was mir hilft.«
Aus Toddenhams Nasenlöchern drang jetzt ein Schnaufen, als bliese ein Rind einen Hund an. Toddenham holte saugend Luft, danach stierte er auf die Messerklinge und wurde stocksteif vor Grausen.
»Das gefällt dir, Großmaul, was?« fragte Tudor grimmig. »Es kommt noch viel besser, mein Freund.«
Toddenham würgte, er wagte dann jedoch nicht mehr zu schlucken, denn der Druck der Klinge gegen seinen Hals verstärkte sich. Im nächsten Augenblick griff Tudor mit der Linken nach hinten und erwischte Toddenhams Gewehr. Er zog die Waffe mit einem Ruck aus dem Scabbard.
Dann gab er Toddenham mit dem Kolben einen blitzschnellen Stoß in den Rücken. Toddenham sah, wie die Messerklinge wegzuckte, ehe ihn der Stoß traf.
Er flog drei, vier Schritte weit und schlug schwer auf das Geröll.
Spurfield sperrte die Augen auf, stierte zu seinen Waffen am Boden und wußte genau, daß er sie lebend niemals bekommen konnte. Er würde sie vielleicht erreichen, dann aber tot sein.
»Nun«, sagte Tudor langsam und kalt, während er sich auf Spurfield zubewegte. »Nun, Mister, komm jetzt herunter, aber laß dir keinen Trick einfallen. Ich kenne sie alle. Du steigst ab, an dieser Stelle und langsam.«
Er hob die Gewehrmündung an. Seine Hand strich einmal nach vorn und wanderte zurück. Aus der Kammer flog eine Patrone zwischen die Steine, die nächste schoß in den Lauf, und Tudor hatte den Finger am Abzug.
»Tudor«, stöhnte Spurfield. »Tudor, hör zu, du kannst uns schaffen, aber die anderen…«
»Runter!« knurrte Tudor bissig. »Bist du bald unten? Jetzt ihr, danach euer Boß. Eins, zwei…«
Spurfield stieg ab, fragte – aber: »Und was nun, Tudor?«
»Dreimal darfst du raten«, gab Tudor kühl zurück. Er ging rückwärts zu Toddenhams Pferd, ergriff mit der Linken das Sattelhorn und schwang sich mit einem Ruck in den Sattel. »Jetzt werdet ihr laufen, Freunde. Am späten Nachmittag vielleicht erreichen wir Reno, wenn ihr schnell seid. Und ihr werdet so schnell wie noch nie in eurem Leben sein müssen.«
Toddenham und Spurfield wurden um einige Grade blasser. Wenn Tudor seine Absicht wahr machte, stand ihnen die nackte Hölle bevor. In ihren hochhackigen Reitstiefeln konnten sie keine zwei Meilen zu Fuß laufen. Nach dieser Entfernung würden sie Blasen an den Füßen haben und kaum noch schlurfen, geschweige denn laufen können.
»Das – das kannst du doch nicht machen!« schrie Toddenham los, den der Schreck jäh munter und beweglich werden ließ. »Tudor, du weißt genau…«
»Ich weiß genau, daß ich euch auch an drei Lassos binden und nachziehen kann«, unterbrach ihn Tudor gnadenlos. »Los, zu Larger, macht den Hundesohn munter. Und dann Abmarsch, Richtung Norden!«
»Norden?« Japste Spurfield. »Da geht es ja nicht nach Reno. Du hast gesagt…«
Er verstummte, als sich Tudors Gewehr auf ihn richtete.
»Komm schon, Toddenham«, knirschte Spurfield. »Der Bursche soll seinen Spaß haben.«
Toddenham raffte sich auf. Er ging leicht gekrümmt neben Spurfield her auf Larger zu. Der hielt sich den Kopf und stöhnte leise.
»Zieht ihn auf die Beine und dann vorwärts«, knurrte Tudor hinter ihnen. »Die paar Meilen schafft ihr, leicht.«
Spurfield knirschte vor Wut laut mit den Zähnen. Sie würden vierzehn Tage nicht mehr laufen können und ihre Füße balsamieren müssen.
Er sah sich nach Tudor um, der das Gewehr gesenkt hielt und sie beobachtete. In der nächsten Sekunde bemerkte Spurfield den Schatten eines Mannes hinter Tudor auf dem hohen Uferrand. Der Mann hielt das Gewehr im Anschlag auf der Schulter. Er stand kaum dreißig Schritte hinter Tudor.
Und dann schoß er.
Die Kugel kam mit dem Brüllen des Schusses in Tudors Rücken heran. Der Schlag schleuderte Tudor die Waffe aus den Händen, und Tudor sah, ehe sie den Boden erreichte, daß Lauf und Magazinröhrchen verbogen waren.
Der Schlag des Kolbens traf Tudor gegen die Hüfte. Er spürte den kurzen, scharfen Schmerz, hatte das Dröhnen des Schußnachhalles in den Ohren und hörte dann die scharfe, peitschende Stimme Kyhoes: »Stillsitzen – die Arme hoch! Hoch mit ihnen, sonst…«
Spurfield wirbelte mit einem heulenden Triumphgeschrei herum, flog mit zwei Sprüngen nach rechts und warf sich auf Toddenhams Revolver. Ehe er wieder hochschnellte, hatte er die Waffe bereits auf Tudor gerichtet. In seinen Augen standen Haß und Hohn, als er Tudor über den Lauf der Waffe hinweg anstarrte und den Hammer zurückriß.
Bratt Tudor trug keinen Revolver, auch an sein Gewehr konnte er nicht kommen. In einer Sekunde erkannte Tudor, daß er verloren hatte.
Kyhoe war ein zu kalter und überlegt handelnder Mann, der kein Risiko einging. Er hatte eins schon vermieden, indem er zuerst das Gewehr aus Tudors Händen geschossen und dann erst Tudor angerufen hatte.
Kyhoe mußte gewußt haben, daß eine Drohung in Tudors Rücken keinen Erfolg gehabt hätte, solange Tudor einen der drei rauhen Burschen vor sich hatte und ihn erschießen konnte, wenn Kyhoe feuerte und ihn traf.
Einen Blick nur schickte Tudor zu seinem Pferd und dem von Spurfield, dem er auf vier Schritte nahe war. Dann streckte er langsam die Hände in die Höhe.
»Kyhoe«, sagte er dann leise. »Also, Kyhoe. Glück für euch Burschen, wie?«
»Du Hund!« schrie Spurfield voller Blut. »Ich blase dir das Gehirn aus dem Schädel, wenn du wieder einen Trick versuchst. Diesmal geht es nicht so leicht, Tudor. Jetzt kennen wir dich. Clay, laß den Hundesohn absteigen. Er hat immer noch sein Messer. Und ich traue ihm auch zu, daß er damit auch werfen kann.«
»Ihr Narren!« fluchte Kyhoe oben bissig. Er war zu Fuß das letzte Stück herangeschlichen und sah finster auf die drei rauhen Burschen herab. »Wenn ich das verdammte Gefühl nicht losgeworden wäre, daß etwas schiefgehen könnte, was? Tudor, sitzen bleiben und nicht rühren. Wenn du etwas versuchst, werde ich schießen. Das ist kein Bluff, Mister, begriffen?«
Tudor nickte knapp. Es war überflüssig, etwas zu sagen, denn Kyhoe war nicht der Mann, der nur drohte. Er würde schießen. Aus den Augenwinkeln sah Bratt Tudor, wie Toddenham im Bogen nach links lief. Der Mann fluchte leise und bissig, während er sich Tudor näherte und dann auf Spurfields Pferd stieg, nachdem er dessen Gewehr aufgehoben hatte. Toddenham ritt schräg von hinten an Tudor heran. Dann streckte er die Waffe vor und bohrte die Mündung in Tudors Rücken.
»Zuck einmal mit dem kleinen Finger!« schwor er finster. »Dann hast du ein Loch zwischen den Rippen, du verfluchter Halunke. Nur immer ruhig und nicht bewegen!«
Er riß Tudors Jacke mit einem Ruck hoch, nahm das Messer und steckte es ein. In seinen Augen flackerte die Wut, und wenn er auch sonst sicherlich Kyhoes Befehl abgewartet hätte, diesmal tat er es nicht. Toddenham holte aus. Er zog den Gewehrlauf blitzschnell zurück.
Das Schnaufen des Mannes sagte Tudor genug. Er sah, wie Spurfields Augen aufblitzten und ein höhnisches Grinsen um Spurfields Mund zuckte.
In der nächsten Sekunde traf Bratt Tudor der Hieb des Gewehrlaufes. Tudor sah, wie die Sonne explodierte. Die Welt verwandelte sich in gleißendes Licht, und er fiel verdreht am Pferd herab aus dem Sattel.
*
Kyhoe schloß die Augen vor Ekel und Widerwillen. Er wollte und konnte es nicht mehr mitansehen, wie sie den Mann behandelten, und blieb zurück. Tudor kollerte jetzt den Steilhang herunter. Die Hufe der Pferde hatten Staub aufgewirbelt, den Rest jagte Tudors rollender Körper in die Luft, so daß Tulor für Sekunden in der Staubwolke verschwand.
Spurfield schrie gellend, indem er sein Pferd nach rechts trieb. Das Lasso, an dem er Tudor hielt, straffte sich, und Tudor wurde herumgerissen, bis er in einen Kakteenstrauch flog und die Stacheln an ihm wie Igelborsten kleben blieben.
Dann hielten sie, denn Tudor blieb liegen.
»Na, du Hungerleider?« schrie Larger mit seiner fistelnden, schrillen Stimme hämisch. »Auf die Beine, Mister, auf die Beine. Du wirst doch nicht schlappmachen wollen? Wie war das doch, wie weit sollten wir rennen? Jetzt rennst du. Auf die Beine, Hundesohn, du sollst…«
Seine Stimme brach jäh ab. Und Kyhoe hob mit einem Ruck den Kopf.
Auf dem Hang über ihnen stoben Steine unter Hufen davon. Ein Pferd prustete scharf, ein Sattel knarrte und das Gewehr dröhnte im Abschuß so hart, daß sie sich unwillkürlich duckten.
Larger flog im selben Augenblick nach hinten. Er stürzte mit einem Schmerzlaut aus dem Sattel und schlug sich an einem Stein den schon vorher getroffenen Ellbogen auf. In Largers Hand blieb das Ende des Lassos liegen. Er stierte verstört auf das Stück Seil, ehe er den Blick hob und erstarrte.
Tudor war, als die Kugel das Seil zerfetzte und es platzte, aus dem Busch geflogen. Jetzt lag er auf der Brust. Er nahm mühsam den Kopf in den Nacken, sah zum Hang empor und schloß die Lider.
»Clay Kyhoe – pfui Teufel. Clay Kyhoe. Pfui Teufel, ihr Schurken.«
Für Tudor kam die Stimme des Mädchens aus weiter Ferne.
Das Corvan-Girl, dachte Bratt Tudor, das Mädchen – Rosalind Corvan.
Kyhoe duckte sich noch tiefer. Er hob nicht den Kopf. Nach einem Blick auf Rosalind Corvans Gesicht hatte er genug gesehen. Sie glich sonst ihrer verstorbenen Mutter, nur die Augen hatte sie von Matt Corvan geerbt – und wahrscheinlich auch seinen schnellen, wilden Zorn.
»Clay, mach ihn los, mach ihn augenblicklich los, hörst du?«
»Rosy«, murmelte Kyhoe gepreßt. »Rosy, das kann ich nicht. Matt hat einen Befehl gegeben…«
Weiter kam er nicht.
»Das dachte ich mir!« schrie sie mit klirrender, zornbebender Stimme. »Das wußte ich schon, als ich die Pferde und diese drei Halunken nicht auf der Ranch sah. Daß dann auch noch dein Pferd fehlte, gab mir den Rest.
Clay Kyhoe, das hätte ich niemals von dir gedacht. Pfui Teufel, Clay Kyhoe macht so eine schmutzige Sache mit, ausgerechnet du, das ist zuviel. Eines Tages gehe ich fort, eines Tages kehre ich diesem Land den Rücken. Mach ihn los, Clay, sofort!«
Larger saß wie ein stummer, dicker Fisch mit Glotzaugen am Boden. Spurfield biß sich auf die Unterlippe, Toddenham war blaß geworden.
»Rosy…«
»Mach ihn los, Clay!«
»Nun gut«, sagte Kyhoe. Seine Stimme klang geborsten. Er schien in dieser Minute um Jahre gealtert zu sein, denn sein Rücken wirkte krumm und sein Gesicht sah alt, grau und faltig aus. »Ist gut, Rosy, aber ich frage mich, was Matt dazu sagen wird.«
»Das, zum Teufel, laß meine Sorge sein, verstanden? Ich bin immer noch seine Tochter, auch wenn…«
Das andere verschluckte sie, aber Kyhoe wußte, was sie sagen wollte. Er hatte nie einen Mann gesehen, der sich selber mehr zum Narren machte wie Matt Corvan, seitdem er Elaine besaß.
Kyhoe ritt heran, stieg ab und schnitt Bratt Tudor los. Tudor rollte sich herum. Er schien sich zu schämen, vor einer Frau am Boden liegen zu müssen. So bemühte er sich, mit zusammengebissenen Zähnen aufzustehen. Schließlich gelang es ihm, aber jeder konnte sehen, daß er am Ende seiner Kräfte war. Er schwankte wie ein Schilfrohr im Wind, und seine Arme hoben und streckten sich, um den Körper in der Balance zu halten.
Es war eine beinahe furchtsame Bewegung mit der Kyhoe den Kopf hob, um nun Rosalind Corvan anzusehen. Es kam ihm vor, als verachte sie ihn jetzt. Sie mußte es tun, es entsprach ihrem gradlinigen Charakter.
»Clay«, sagte sie halberstickt. Er war der Mann, zu dem sie Vertrauen gehabt hatte, vielleicht mehr als jemals zu ihrem vielbeschäftigten Vater. Dazu kam, daß er der Freund ihrer Mutter gewesen war, ein selten treuer Mann ohne jede Falschheit. »Clay, daß du das mitmachen mußtest… Verschwindet, reitet nach Hause! Das ist ein Befehl!«
»Rosy, Matt hat…«
»Bist du ein Feigling, Clay?« fragte sie bebend. »Ich dachte immer, Clay Kyhoe wäre ein Mann.«
Kyhoe senkte den Kopf und wandte sich ab. Dann ging er mit schleppenden Schritten zu seinem Pferd, saß auf und winkte Toddenham.
»Laß sein Pferd und seine Waffe zurück«, befahl er kurz. »Und dann folgt mir.«
»Clay, das wird Matt…«
»Larger, wenn du noch mal das Maul aufreißt, ohne gefragt zu sein«, schrie Kyhoe, »schlage ich dir die Zähne aus! Du hast gehört, wir reiten zur Ranch zurück.«
Kyhoe sah sich nicht um, als sie davonritten. Er hatte die düstere Ahnung, daß Rosalind bei diesem Mann bleiben würde. Kyhoes Verstand arbeitete trotz seiner schmerzlichen, bedrückten Stimmung wie immer. So wußte er, daß es vielleicht nur Rosalind gelingen konnte, den Wüstenmann zu besänftigen. Aber Kyhoe zweifelte auch daran.
Er erinnerte sich zu gut an Tudors Worte, als sie ihn vor zehn Minuten über den Boden geschleift hatten. »Zuerst bringe ich euren Boß um, und danach kommt ihr an die Reihe. Das ist ein Versprechen!«
Der macht es, wenn sie es nicht schafft, ihm das auszureden, dachte Clay Kyhoe bitter. Der Mann macht alles, was er sagt.
*
Rosalind Corvan konnte den Mann nicht ansehen. Sie hatte einmal einen Cowboy gesehen, der von einem wilden Stier auf die Hörner genommen worden war, aber der Anblick dieses Mannes war weitaus schlimmer.
»Mister Tudor«, murmelte sie gepreßt, »nehmen Sie das Tuch. Es ist feucht, und ich habe auch Wasser Bitte, Mister Tudor…«
Der Mann stand da und starrte auf irgendeinen Punkt, während sein Leib schwankte und sich wie eine Gerte bog.
»Mister Tudor!«
»Ja«, sagte Tudor. Seine aufgeplatzten Lippen bewegten sich. Er hob den Kopf und versuchte sie anzusehen. Dann streckte er, als täte er es in Trance oder im Traum, seine Hand nach ihrem feuchten Halstuch aus. Diese Bewegung jedoch war bereits zuviel für ihn. Er geriet aus dem Gleichgewicht, drehte sich wie ein Kreisel und stürzte zu Boden.
Rosalind Corvan stieß einen erschrockenen Laut aus. Sie flog aus dem Sattel, riß die Wasserflasche los und sah den Mann vergebliche Anstrengungen unternehmen, wieder auf die Beine zu kommen. Er schaffte es nicht mehr.
»Mein Gott, mein Gott«, flüsterte Rosalind Corvan entsetzt. »Tudor, liegen Sie still, bitte. Hier, trinken Sie, es wird helfen. Tudor, es tut mir leid, es tut mir schrecklich leid. Ich wußte es nicht, glauben Sie mir, ich hatte keine Ahnung.«
Er trank, er schien nur die Wasserflasche zu spüren und an nichts sonst denken zu können als an einige Schlucke Wasser. Dann zuckte er leicht zusammen, denn sie begann mit dem Tuch seine Wunden zu säubern.
»Es schmerzt, aber ich muß doch etwas tun«, flüsterte sie bedrückt. »Mister Tudor, halten Sie still, bitte.«
Sie rutschte neben ihn, und er schien es sich gefallen zu lassen, daß sie ihm Wangen und Stirn abtupfte.
»Es ist seine Furcht«, redete sie und betrachtete nun seine Schürfstellen. »Er hat immer gefürchtet, daß Siedler kommen und ihm das Land wegnehmen könnten. Wenn ein Mann groß wird, hat er Feinde, es bleibt nicht aus.«
Tudor zuckte und stemmte sich auf. Er schaffte es und saß neben ihr.
»Nein – nein«, sagte er langsam. »Ein guter Mann hat niemals Feinde, so groß er auch immer wird. Verstehen Sie – ein anständiger Mann wird keine Feinde haben. Wenn jemand über andere hinwegtrampelt und sie nicht achtet – man muß andere achten können, dann hat man keine Feinde. Er hat keine Achtung, das ist es – und Sie wissen es, Miss Corvan.«
Rosalind Corvan schloß die Augen. Sie wußte plötzlich, daß Tudor recht hatte. Er kannte Matt nicht, aber er hatte ihn richtig beschrieben.
»Er ist mein Vater, Mister Tudor. Er fürchtet nur, sein Land zu verlieren.«
»Nicht so sehr das Land, seinen Besitz, seinen Reichtum, das Ansehen – und die Furcht, die man vor ihm hat. Das ist es«, murmelte Tudor. »Er hat sich immer mit Gewalt durchgesetzt.
Was immer er tat, er tat es rücksichtslos – oder?«
»Ich glaube ja«, flüsterte sie bedrückt. »Er mußte sich durchsetzen.«
»Wie jetzt?« fragte Tudor bitter und grimmig. »Er wird nicht auf Sie hören, niemals, Miss Corvan. Und wenn, dann nur mit dem Gedanken, daß er mich auskaufen kann. Vielleicht glaubt er, mit seinem Geld etwas machen zu können, aber ich gehe hier nicht fort. Ich bin einmal fortgegangen, weil die Wüste mein Land fraß. Miss Corvan, danke für Ihre Hilfe, aber ich werde nicht weggehen.«
»Mein Gott, es gibt so viel Land, Mister Tudor, überall. Wenn er Ihnen genug bietet…«
Tudor schüttelte den Kopf. Er nahm die Wasserflasche hoch und trank, danach schien ihm noch besser zu werden.
»Miss Corvan, ich tue niemand etwas, ich will nur meine Ruhe haben, meine Pferde züchten können. Dieser Platz hat mir gefallen, ich habe mein Haus gebaut. Ein Mann baut kein Haus, um wieder fortzuziehen.«
»Aber – er setzt immer durch, was er will, Tudor«, stammelte sie. »Er ist so dickköpfig…«
»Verbohrt«, erwiderte Tudor düster. »Er ist ungerecht und verbohrt – und Sie wissen das. Ich vertrage viel, ich schlucke auch einige Dinge. Das hier war zuviel. Ich werde es nicht vergessen – niemals, aber ich will noch einen Versuch machen, weil…«
Dann schwieg er und sah zu Boden.
»Weil?« fragte sie.
»Vielleicht, weil Sie mir geholfen haben«, sagte Tudor langsam. »Ich möchte den Mann nicht töten müssen, dessen Tochter mir geholfen hat. Ich wußte schon in Flanigan, daß Sie anders sind, ich sah Ihre Augen und wußte, daß Sie – nun – daß Sie sich für ihn schämten. Ich glaube, es ist eins der bittersten Dinge dieser Welt, wenn sich Kinder für ihre Eltern schämen müssen. Miss Corvan, ich werde auf ihn warten – heute in drei Tagen – an dieser Stelle, genau hier, weil das beinahe die Weidegrenze ist. Dieser Platz liegt ein Stück auf seinem Land.«