Читать книгу Die großen Western 286 - Howard Duff - Страница 3

Оглавление

Grüne, rankende, wuchernde Hölle um Charles Tippet. Schmatzender, saugender Boden: der Sumpf.

Und Tippet, eine Kugel in der Schulter, liegt auf seinem Pferd. Er weiß, daß er es nicht mehr lange machen wird. Er ist zu schwach. Er kennt seinen Zustand genau und sieht manchmal den Boden sich drehen.

Dennoch hält sich Tippet auf einem der wenigen Zugänge zu dem Neosho-Sumpf. Dieser Pfad ist nur zwölf Inches breit. Würde das Pferd nicht haargenau die Hufe einsetzen, dann genügte ein einziger Fehltritt, um das Verhängnis herbeizuführen.

Mein Gott, denkt Tippet schaudernd, wenn mein Pferd diesen Pfad nicht schon hundertmal gegangen wäre, läge ich längst in der schmatzenden Brühe.

»Halt!«

Halt, denkt Tippet, ist gut. Ich halte an. Da ruft einer und zielt auf mich.

»Steh still – Hände hoch!«

»Ka – kann ich nicht«, sagt Tippet lallend. »Parole – Yorkshire.«

Dann ist die heisere Stimme Benfields zu hören.

»Verdammt, das ist Tippet. Amos, du Affe, schieß nicht! Mann, Tippet!«

Es rauscht im Schilf beiderseits des schmalen Pfades. Sie sind da. Und Tippet auch, mitten im Sumpf. Wie er hineingekommen ist, das kann er nicht sagen. Er hat sich auf sein Pferd verlassen müssen und nicht gemerkt, ob er drei oder sieben Meilen darauf gelegen hat.

»Charly, was ist passiert? Wo ist Jesse?«

Charly Tippet sieht die beiden Männer nur verschwommen. Und er sagt nur ein Wort:

»Tot!«

Einen Moment schweigen sie entsetzt. Vielleicht denken sie auch an Jesses Bruder Manner, der von dem Jungen immer starke Stücke hielt. Dabei hat Jesse nie etwas getaugt. Einer der größten und dabei einer der jüngsten Halunken.

»Charly, das darf nicht wahr sein.«

»Tot. Sheriff Holburn in Columbus hat ihn erschossen. Bring mich weiter, muß zu Brown, es melden.«

»Ja, Charly, los. Ich sitze hinter dir auf. Amos, übernimm die Wache allein!«

Das Pferd schnaubt, Benfield sitzt hinter Charly auf. Und dann geht es weiter. Es ist sicher noch eine Meile weit.

Tippet zittert vor Schwäche, als sie endlich auf der großen Sumpfinsel sind. Es gibt drei oder vier Inseln hier. Kaum ein Mensch kann sie finden. Nur die Indianer wissen genau im Sumpf Bescheid. Und natürlich Brown, den sie wie einen Medizinmann verehren, seitdem er den Sohn des Oberhäuptlings gesund gemacht hat.

Charly Tippet hört die Rufe, fühlt sich angehoben, liegt am Boden.

Browns hageres Gesicht mit den tiefliegenden, brennenden Augen eines Fanatikers beugt sich über ihn.

»Holt Verbandzeug, macht Wasser heiß!«

»Brown – kein Glück – heute.«

Jemand brüllt in der Nähe wie ein Stier.

»Wo ist mein kleiner Bruder?«

Plummer schreit wie ein Irrer. Und Brown sagt wild:

»Zum Teufel, Plummer, er ist verwundet.«

Dann sagt Brown kein Wort mehr. Plummer hat den Revolver heraus und setzt ihn dem Mann mitten auf den Bauch.

»Mein Bruder – Mensch, mein kleiner, guter Bruder ist tot. Und der hier sollte auf ihn achten. Er hat ihn umgebracht, ich reiße Tippet in Stücke.«

»Bist du wahnsinnig, Manner?« fragt Brown, und Tippet hört dessen dumpfe Stimme wie aus weiter Ferne. »Nimm den Revolver weg.«

»Ich bring euch alle um! Mein kleiner Bruder ist tot. Fort, weg mit euch! Ich schmeiße dich in den Sumpf, Tippet, ich werfe dich in diese SchlangenBrühe. Maul auf! Wie ist er gestorben? Wie konnte das passieren?«

»Wir haben alles ausgeführt«, erklärt Tippet und sieht Browns haßverzerrtes Gesicht. Der Haß richtet sich gegen Plummer, der sich immer mehr die Führungsrolle aneignet und dem die meisten Männer nachlaufen, weil er härter und erfolgreicher bei Überfällen ist als John Brown.

»Wir haben uns alles angesehen – die Station von Roan, wir sprachen mit einem Mann. Es war dunkel, der Mann erkannte uns nicht. Der alte Roan ist von einem gewissen Grimsby ausgebeutet worden. Grimsby ist Yankee. Er hat praktisch die Stadt in der Tasche. Gebt mir – Brandy.«

Der Brandy hilft, dieser selbstgebraute Fusel.

»Weiter!« keucht Plummer.

»Da ist ein Neffe vom alten Roan. Er soll, erfuhren wir, bei Wichita Falls in Texas eine Farm haben. Dorthin ist der alte Clifford Roan gegangen. Die Station gehört nun Grimsby.

Dieser Neffe von Roan war während des Bürgerkrieges Captain auf unserer Seite. Soll ein harter Brocken sein. Er hat Grimsby geschrieben, er würde kommen und die letzten Beiträge abholen, die Grimsby dem alten Roan noch schuldet. Wir erfuhren alles, Manner. Dann ritt Jesse zu einem Saloon und wollte feiern. Er war nicht zu halten.«

»Mensch, Hundesohn, du hättest ihn anbinden müssen.«

»Ich konnte nicht, er hielt mir den Revolver vor den Bauch«, stöhnt Tippet. »Du kennst doch deinen Bruder – jeder kennt ihn. Er wollte was, und er setzte es durch. Ich ging mit, um zu verhindern, daß er zuviel trank.

Da war ein Mann in der Kneipe, der kam mir bekannt vor. Ich sagte es Jesse, aber er lachte nur. Der Mann war auf einmal weg. Wir raus, als ich es bemerkte, kamen auch gut zu den Pferden, aber dann war der Sheriff da. Er hatte den Mann dabei und seinen Deputy Crane. Sheriff Holburn rief, wir sollten halten.«

»Und?« faucht Plummer, als Tippet erschöpft schweigt. »Weiter, Mensch, weiter!«

»Sie schossen«, fährt Tippet keuchend fort, »und riefen, wir gehörten zu Browns Bande. Da wußte ich, wer der Mann war: Yargin, ein Yankee, dessen Ranch wir überfallen hatten. Damals verrutschte Jesse das Halstuch. Yargin muß sein Gesicht gesehen haben.«

»Du lügst! Keiner darf noch mal mitreiten, wenn ihm das Halstuch verrutscht ist«, schreit ihn Plummer an. »Jesse hätte es gemeldet.«

»Er hat es – verschwiegen. Er sagte damals zu mir, ich solle den Mund halten, Manner.«

»Er lügt, mein Bruder hätte das nie getan!« keucht Plummer wild. »Hundesohn, was geschah weiter?«

»Zwei Kugeln trafen Jesse in den Rücken. Ich hielt ihn und ritt weg. Dann merkte ich, daß er tot war. Sheriff Holburn hatte keine Pferde dabei, das war unser Glück.«

Tippet kann kaum noch reden.

»Und dann?«

»Hinter den Büschen brach Jesses Gaul zusammen. Ich wollte Jesse mitnehmen, als sie mich trafen, aber ich konnte nicht, war mit einer Hand nicht fähig, ihn zu heben, Manner…«

»Du hättest ihn nicht in den Saloon gehen lassen dürfen!« brüllt Plummer über ihm. »Ich mach dich fertig, du Schurke, ich mache sie alle fertig. Ich stecke Grimsbys Bau an. Und der Sheriff ist so gut wie tot. Ich reite hin und lege alles in Trümmer. Ein Chaos soll zurückbleiben, ich schwöre es.«

Rache für Jesse Plummer.

*

Er kommt, denkt Tippet und umkrallt unter der Decke den Revolver. Wenn er mich wieder anfaßt, dann knalle ich ihn über den Haufen. Mann, ist das ein Tier. Brown hat mir die Kugel herausgeholt und gesagt, ich brauchte keine Angst zu haben. Der hat gut reden, Plummer kümmert sich den Teufel um Browns närrisches Gewäsch. Er hat Plummer gewarnt, nach Columbus zu reiten, aber zwanzig Mann sind für Plummers Plan, die reiten hin.

Charles Tippet kann durch die offene Tür über die Insel sehen. Nichts als Büsche und Schilf. Hier stehen etwa fünfzehn Hütten aus Binsen- und Schilfmatten und Stangen erbaut. Es gibt auf einer der kleinen Nebeninseln noch einige Hütten. Dort hausen manchmal Gefangene. Auf der südlichen kleinen Insel lebt Browns Frau mit Tochter und Nichte. Diese Insel darf keiner der Banditen betreten. Zwei Mann versuchten es einmal. Sie starben durch Browns Hand.

Ein Hitzeschleier wabert über dem Sumpf. Plummer hat verstärkte Wachen aufstellen lassen. Man hat Tippet verfolgt, doch – wie immer – die Spur verloren. Hier findet die Banditen kein Mensch. Oft genug hat man versucht, den Sumpf zu durchkämmen. Aber er bietet unzählige Verstecke und hat schon manchen Mann in irgendeinem Loch verschwinden lassen. Selbst die Armee kommt nicht heran.

Im nächsten Augenblick taucht Plummers Schatten auf.

Tippet umklammert die Waffe, bereit, sich zu wehren, obwohl er flügellahm und verdammt schwach ist. Hinter Plummer erscheint Vickers, Plummers rechte Hand.

»Na, du Schurke, lebst du noch?« fragt Plummer und hockt sich auf die Stangenbank. »Geht dir gut, was? Und Jesse ist tot. Ich sollte dich in den Sumpf werfen.«

»Ja, versuche es nur.«

Plummer schielt tückisch. Er weiß, wie hart Tippet ist. Jetzt geht es Tippet schon so weit besser, daß es kein Kinderspiel wäre, mit ihm fertig zu werden.

»Großmaul!« knurrt Plummer. »Jetzt rede mal, ich will alles wissen. Gestern war Rico in Columbus und hat sich noch mal umgesehen. Stimmt dieser Lageplan, liegen die Gebäude so?«

Er zieht eine Karte heraus, hält sie Tippet vor die Augen und deutet mit dem Finger auf einige Punkte. Ohne Mühe erkennt Tippet, daß es sich um den einen Saloon und zwei Stores handelt, die einmal Südstaatlern gehörten. Jetzt allerdings haben Yankees sich dort eingenistet, nachdem sie die früheren Besitzer durch Druck und Betrug zum Verkauf gezwungen haben.

»Tippet, ist das hier richtig?«

»Ja. Nur hier, da hat Rico die Station eingezeichnet. Der Bach ist näher dran – sechzig Yards genau, ich hab’s nachgemessen.«

»Aha, müssen wir ändern.«

Plummer nimmt einen Stift aus der Tasche und trägt die Entfernung ein.

»Wie heißen Grimsbys rauhe Burschen, Tippet? Die Namen und ihr Aussehen!«

»Grimsbys rechte Hand ist James O’Toole«, antwortet Tippet heiser. »Ein Ire – groß, rothaarig und schnell. Dann kommt O’Maily, ein Schläger, auch Ire. Der dritte Mann von Grimsbys Leibwache heißt Brad Styles. Die drei Kerle sind fast immer um Grimsby. Sie sollen nur manchmal unterwegs sein und alles verprügeln, was sich Grimsby in den Weg stellt.«

Plummer lacht hämisch, schüttelt den Kopf.

»Hähä! Vorgestern sind sie verdroschen worden, alle drei. Roans Neffe, von dem du erzählt hast, ist wirklich nach Columbus gekommen. Rico hat sein Pferd beim Schmied Dalhart in Columbus neu beschlagen lassen. Dalhart ist ein ehemaliger Rebell und hat es erzählt. Roan ist vorgestern abend nach Columbus gekommen. Er geriet im Saloon mit den Burschen Grimsbys aneinander. Er schlug sie alle drei zusammen. Scheint ein verdammt harter Brocken zu sein.«

Es imponiert Plummer immer, wenn ein Mann über Bärenkräfte verfügt. Für Plummer gibt es nichts Aufregenderes als eine Prügelei.

Roan, denkt Tippet, ich kenne den Namen nicht erst aus Columbus. Als ich noch Corporal war, gab es einen Secondlieutenant Roan, einen Texaner in der Nachbarbrigade. Das war ein Kerl aus Eisen, seine Leute gingen für ihn durch die Hölle. Ob es der ist? Könnte sein.

Tippet schweigt. Was geht Plummer seine Vergangenheit an?

»Nun ja, er hat sie auseinandergenommen. Muß das ein Kerl sein. Dann ist er raus und wollte Grimsby besuchen. Aber der stand vor der Saloontür und hat ihn mit dem Revolver betäubt, der dreimal verfluchte Yankee. Ist das eine Art, einen tapferen Mann umzuhauen?«

Dieser Satan Plummer, denkt Tippet verbittert. Wie viele hat er denn schon umgeschlagen, die gar keine Chance hatten? Aber hier regt er sich auf, weil Roan ein Rebell war und Grimsby ein Yankee ist.

»So, und dann?«

»Roan sitzt im Jail«, sagt Plummer wütend. »Den hole ich raus, verlaß dich darauf. Angeblich soll Roan Schuldscheine von Grimsby bei sich gehabt haben. Aber der Sheriff hat keine gefunden.

Dalhart ist überzeugt, daß Grimsby sie ihm gestohlen hat. Nun stellt der verdammte Yankee es so hin, als hätte Roan keine Forderung an ihn gehabt und sei grundlos auf seine Leute losgegangen.

Die Stadtbevölkerung duckt sich, weil Grimsbys Burschen jeden angehen, der gegen sie ist. Einige Leute wollen genau gesehen haben, daß O’Toole anfing und auf Roan losging. Sheriff Holburn aber ist Yankee und hält zu Grimsby.

»Schweinerei!« knirscht Tippet. »Dann sitzt der Captain also einige Monate, wenn…«

»Ja, wenn sich keine Zeugen finden«, unterbricht Plummer ihn. »Ich hole ihn raus, keine Sorge. Dem Burschen helfe ich.«

Er steht auf und sieht aus der Tür. Neben der Tür lehnt Vickers an der Hüttenwand und beobachtet die weite Fläche des Sumpfsees.

»Brown kommt von drüben«, meldet er. »Manner, er ist gegen den Überfall auf Columbus. Was wirst du dann tun?«

»Er soll sich zu seinen Teufeln scheren«, erwidert Plummer bissig. »Der Kerl ist wahnsinnig, ich sage es dir. Der mit seinem verrückten Sektengerede. Er soll mir bloß nicht in die Quere kommen, dann erlebt er was. Wenn man seinen Bruder umgebracht hätte, würde er genau dasselbe tun wie ich. He, Tippet!«

Er dreht sich um, tritt an das Lager und sieht lauernd auf Tippet hinab.

»Weißt du, ob der Deputy von Holburn im Office schläft?«

»Er soll im Nebenhaus ein Zimmer haben, Manner. Deputy Crane ist nur tagsüber im Office, soviel ich weiß.«

»Das ist gut«, knurrt Plummer. »Hast du eine Ahnung davon, ob manchmal Yankeetruppen in Columbus liegen?«

»Ich konnte nur erfahren, daß ab und zu Streifen durchkommen, Plummer.«

»Verdammt, ich möchte nicht gerade einer begegnen«, brummt Plummer und verläßt die Hütte. Dabei sagt er gehässig:

»Ich schmeiße dich doch noch in den Sumpf, Charly, verlaß dich darauf!«

Ich bringe ihn um, wenn er das macht, denkt Tippet.

Draußen ertönen nun Rufe. John Browns heisere, tiefe Stimme ruft nach Plummer.

»Hier!« antwortet Plummer gallig. »Was schreist du so? Ich habe dir gesagt, was ich tun werde.«

Tippet schiebt sich etwas nach links. Er kann die beiden Männer nun sehen und erkennt, daß sich hinter Plummer über zwei Dutzend Burschen zusammenrotten. Hinter Brown stehen nur fünf Mann.

Das ist eine offene Feststellung. Und wenn Brown kein Narr ist, läßt er es nicht auf eine endgültige Auseinandersetzung ankommen.

»So ist das«, stellt Brown da auch schon fest. »Also das wollt ihr? Plummer, ist das eine Kampfansage?«

»Das kannst du auffassen, wie du willst«, erwidert Plummer höhnisch. »Wir sind es leid, deine blöden Sprüche zu hören. Du willst die Welt mit Feuer und Schwert bekehren, was? In jedem von uns, sagst du doch immer, stecke der Satan. Na gut, er steckt drin. Und darum machen wir, was wir wollen.«

»Das ist Meuterei, du doppelzüngiger Schurke!« donnert Brown. »Ich habe euch hier sicher versteckt. Dafür wolltet ihr mir in allen Dingen Gehorsam leisten. Plummer, wenn du nach Columbus reitest und einen Fehler machst, haben wir nicht nur die Yankees, sondern auch die anständigen Leute gegen uns. Wir haben viele Freunde unter der Bevölkerung. Sie wissen, daß wir nur gegen die Yankees und Verräter kämpfen.

Ich kenne dich, du steckst Grimsby die durch Betrug erworbene Station an. Ich sage es dir: sie liegt zu nahe an Häusern, in denen ehemalige Südstaatler wohnen. Greift das Feuer über, dann haben wir diese Leute gegen uns. Es wird heißen, daß wir nun auch gegen unsere eigenen Leute kämpfen.«

»Es wird gar nichts heißen«, gibt Plummer wild zurück. »Wir werden es den Yankees zeigen. Du hast doch selbst gesagt, man soll sie durch das Feuer ausrotten – dein Höllenfeuer, wie?«

»Aber nicht, wenn Leute, die mit uns sympathisieren, dabei zu Schaden kommen können, Plummer. Ich warne dich, du spielst zu hoch. So viel ist dein Bruder Jesse nie wert gewesen.«

»Was?« brüllt Plummer los. »Mensch, ich jage dich zum Teufel. Das wagst du zu sagen? Jetzt erst recht, wir reiten nach Columbus. Und wenn ich wiederkomme, dann lebt dort kein Yankee mehr, am allerwenigsten der Sheriff. Scher dich weg, du Narr, wir brauchen deine Ratschläge nicht!«

»Ich warne dich«, wiederholt Brown fauchend. »Ich sehe Feuer und Blut, ich sehe die Welt in einem Meer von Blut ertrinken. Das Feuer läutert und reinigt, es macht alles Unrecht zunichte und…«

»Hör auf! Fängst du schon wieder an, deine verrückten Reden zu halten?« schreit ihm Plummer entgegen. »Bei uns nicht, halte sie sonstwo, Mann! Du bist ja verrückt.«

»Es wird Feuer und Schwefel vom Himmel fallen und die Brutstätten des Lasters vernichten. Sturm wird sich erheben…«

Jemand beginnt zu lachen, als John Brown mit hochgereckten Händen wie ein Beschwörer im üblichen Tonfall seine wirren Ideen zu verkünden beginnt. Zuerst lacht nur einer, aber schließlich brüllt der ganze Haufen um die Wette.

Brown bricht mitten in seiner wirren Rede ab. Er sieht sich um, als erwache er aus einem Traum. Dann stampft er mit dem Fuß auf und dreht sich um.

»Ihr werdet an meine Worte denken, ihr Ungläubigen und Lästerer!« verspricht er grollend. »Schlagt eure Feinde, aber schont eure Freunde, so steht es geschrieben. Ich warne euch alle: das Gericht ist nicht fern!«

Plummer wankt zu einem Baumstamm und hält sich den Bauch vor Lachen. Sie lachen noch, als John Brown in sein Kanu steigt. Es ist das einzige Kanu oder Gefährt im ganzen Sumpfcamp.

»Wehe euch, die Mächte der Finsternis werden euch verderben.«

Damit stößt er ab und paddelt davon.

»Der verrückte Kerl«, japst Plummer. »Seine Mächte der Finsternis, was? Ihm hat die Hitze zu sehr zugesetzt, wette ich. Jetzt hat er mal wieder seine verrückten Tage.

Macht euch fertig, wir brechen am späten Nachmittag auf. Die Yankees sollen vor uns zittern und sehen, wie ich mitten unter ihnen diesen Roan befreien. Heute ist Columbus dran.«

*

Es ist still, die Stadt ruhig. Noch zweieinhalb Stunden bis Mitternacht. Und noch eine halbe Stunde Zeit für die Männer.

Der Brush Creek führt östlich an Columbus vorbei. Er besitzt zwei Nebenarme, die die Stadt von drei Seiten einschließen.

Im Osten tackt nun leises Hufgeräusch. Dort schieben sich sechs Mann bis unter die Büsche und halten. Zwei sitzen hastig ab, kriechen unter den Büschen den Hang hoch und sehen die Häuser vor sich liegen.

Die Stadt scheint zu schlafen. Nun tauchen im Norden acht Reiter auf. Sie stoßen in den Nordwestarm des Brush Creek hinab und verschwinden dort.

»Wartet!« befiehlt Manner Plummer eiskalt. »Dick, komm her, es ist Zeit für dich! Du gehst mit.«

»Ja«, antwortet Dick Jones. Ihm ist, als säße ein Kloß in seinem Hals. »Es ist so ruhig, Manner. Und wenn sie auf uns warten?«

»Warten – diese Narren?« fragt Plummer bissig. »Wir haben genug aufgepaßt, denke ich. Ich wette, sie sind ahnungslos. Laß dich ansehen.«

Er betrachtet den Mann, der den langen Übermantel nun ablegt und darunter die Uniform eines Yankeekavalleristen trägt. Auch Dick Jones’ Pferd trägt den US-Sattel.

»Gut! Du reitest vom Friedhof aus zur Schmiede. Der Blacksmith macht hier die Arbeit des Totengräbers. Frage ihn, wo das Grab ist, nachdem du dich nach deiner Patrouille erkundigt hast. Du weißt schon, wie du es zu machen hast. Ihr anderen wartet.«

Drei Minuten später sind sie auf dem Weg in die Stadt. Rechter Hand liegt der Friedhof. Sie halten kurz hinter ein paar Büschen, dann biegt Plummer ab und kauert sich nahe den wenigen Bäumen hin.

Dick Jones kommt an der Schmiede vorbei und biegt in den Hof ein. Er sieht noch Licht hinter einem Fenster und klopft vom Sattel aus an die Scheibe.

Innen rührt sich was. Dalhart öffnet das Fenster, blickt hinaus und sieht den Yankee hoch zu Pferd vor sich.

»Hallo«, sagt Jones heiser. »Sind Sie Dalhart?«

»Ja. Was ist, Mann?«

»Hier müssen am späten Nachmittag Reiter durchgekommen sein – eine Patrouille«, antwortet Jones. »Mein Gaul verlor ein Eisen. Ich mußte ihn in Nashville beschlagen lassen und hielt mich zu lange im Saloon auf. Teufel, mein Sergeant meinte, sie würden an Columbus vorbeireiten. Ich habe schon dreimal Leute gefragt, aber keiner hat meine Partner gesehen. Dieser verdammte Sergeant! Ich kann mich auf einiges gefaßt machen, wenn ich meine Leute nicht finde.«

Es klingt so gallig und mürrisch, daß Dalhart Mitleid verspürt.

»Tut mir leid, Mann, ich habe keine Patrouille gesehen«, erwidert er. »Wo mußt du denn hin?«

»Nach Coffeeville, da liegen wir. Teufel, der Sergeant ist ein Leuteschinder, der macht mich fertig. Der Satan soll die ganze Armee holen!«

Er flucht leise, bittet um etwas Tabak und bekommt ihn.

»Bist ein armer Teufel«, sagt Dalhart mitleidig. »Willst du hereinkommen und dich etwas ausruhen?«

»Ausruhen? Der Sergeant schindet mich tot, wenn er das hört. Danke, Mr. Dalhart. Ein armer Kavallerist hat nichts zu rauchen und zu trinken, so ist das. Hier waren Browns Banditen, hörte ich?«

»Ja«, erwidert Dalhart brummend. »Einen erwischte der Sheriff, der andere ist spurlos verschwunden.«

»Stimmt es also doch, was der Sergeant erzählte«, antwortet Jones achselzuckend. »Möchte nicht der Bandit sein. Nicht mal ein Grab zu bekommen, verdammte Sache, was?«

»Er hat ein Grab, Mann. Ich habe es ihm selbst gemacht.«

»Oha, dann bist du auch der Totengräber? Wirst dir nicht viel Arbeit mit einem Banditen gemacht haben, oder?«

»Ich mache meine Arbeit immer ordentlich«, widerspricht Dalhart beleidigt. »Er liegt auf dem Friedhof, sogar unter einem Baum. Wenn du denkst, daß ich meine Pflicht nicht kenne, dann irrst du dich. Mensch bleibt Mensch, Mann. Ich habe ihm sogar ein Kreuz gemacht, damit du es weißt.«

»Ein Kreuz mit Namen?« fragt Jones. »Mann, hast du denn seinen Namen gewußt?«

»Nein, aber macht das was? ›Unbekannt‹, das habe ich eingebrannt. Vielleicht erfahren wir den Namen noch, wer weiß das?«

»Das ist recht von dir. Man soll keinen Menschen verscharren wie einen toten Hund«, bemerkt Jones freundlich. »Verflucht, wir prahlen hier herum und ich müßte schon längst weg sein. Also, danke für die Auskunft, Dalhart!«

»Nichts zu danken, Mann.«

Jones lenkt das Pferd herum, grüßt und reitet nun auf dem kürzesten Weg aus der Stadt. Als er zu Plummer kommt und es ihm erzählt, knirscht der mit den Zähnen.

»Eines Tages setze ich ihm einen richtigen Stein«, sagt er verbissen. »Einen so großen, wie es hier keinen gibt. Was war, keine Kavallerie in der Nähe? Das ist gut, Jones. He, warte hier!«

Er verschwindet an den Grabsteinen. Dick Jones bleibt zurück und paßt auf, aber es nähert sich niemand.

Plummer findet nach kurzer Suche das Grab mit dem Holzscheit und bleibt davor stehen. Sein Mund zuckt, und seine Augen glühen, als er sich bückt und die Hände in die aufgeworfene Erde krallt.

»Sie sollen es büßen!« sagt er voller Haß. »Das verspreche ich dir: morgen hat die Stadt keinen Sheriff mehr. Und wenn ich alles anstecke, morgen werden sie vor Furcht mit den Zähnen klappern, wenn sie nur meinen Namen hören.«

Er stiert vor sich hin, dann steht er endlich auf und geht mit mahlenden Kiefern davon.

In zwanzig Minuten werden sie angreifen.

Und wehe dem Yankee, der ihnen Widerstand leisten will.

*

O’Toole hat wieder mal getrunken. Er liegt auf dem Bett, die Flasche ist ihm aus der Hand gefallen. Er hat den Mund offen und schnarcht. Am Tisch sitzt Brad Styles.

Er stiert vor sich hin, hebt das Glas und trinkt.

Unten klappt eine Tür.

»He, O’Maily! Wo bleibst du denn?«

Grimsby schreit den ganzen Tag, der Fettwanst, denkt Styles. Kommt sich wie ein großer Mann vor. Dabei hatte er früher nichts in Boston. Einen kleinen Handel am Hafen, mehr war da nicht. Und jetzt ist er so groß, daß sein dicker Schädel schon in die Wolken reicht. Wie sich die Zeiten ändern können, was?

»O’Maily, wo steckst du?«

O’Maily antwortet nicht.

Fluchend geht Grimsby aus dem Flur, will durch die Tür und bleibt ruckartig stehen.

Einen einzigen Schritt macht Grimsby aus der Tür und sieht die Flammen im Stall.

Für einen Augenblick scheint Grimsby angewachsen zu sein. Mein Gott, denkt der fleischige, große Mann entsetzt, mein Gott, O’Maily. Was hat der Kerl mit der Laterne im Stall gemacht? Der hatte auch getrunken. Sollte er hingefallen sein und die Laterne das Feuer…

»O’Maily, verdammt, was hast du da gemacht?«

Er rennt los, macht genau vier Schritte.

»He, Yankee!« ruft jemand links von ihm. »Grimsby, verdammter Schurke!«

Grimsby wirbelt herum und sieht, wie die Feuersäule aus der Dachluke schlägt. Links aber steht ein Mann und hat ein Gewehr an der Hüfte. Grimsby sieht ihn, kann aber kein Gesicht erkennen. Das wird von einer Larve verdeckt.

»O’Toole – aaah!«

Als Grimsby ruft, drückt der Mann ab.

Der Schuß dröhnt über den Hof. Grimsby schwankt. Dann macht er drei Schritte zurück. Vielleicht ist es sein letzter Gedanke, wieder ins Haus zu wollen. Wer weiß es?

Schließlich fällt er um, kurz vor der rettenden Tür.

Oben zuckt Styles zusammen. Und dann klirrt das Fenster.

Etwas fliegt wirbelnd herein und bleibt brennend auf dem Bett von O’Toole liegen. Der sieht nichts, er murrt nur zweimal, als die Scheibe zersplittert.

»James!« brüllt Styles. Er ist jäh munter. »James – raus! Schnell, Mann, ein Überfall!«

Er will das Licht löschen, aber die Kugel zischt schräg von unten herein und trifft haargenau die Lampe. Es platscht, als die Lampe vom Haken fällt und der Docht in der Kerosinlache landet. Im nächsten Augenblick züngeln die blauen, zuckenden Flammen über den Boden.

Nun endlich kommt auch O’Toole schwankend hoch. Entsetzt stiert er auf die Flammen, wird schlagartig munter.

»Was ist los?«

»Raus!« schreit Styles heiser und greift nach seinem Gewehr. »James, die Hölle ist los. Raus hier, nach unten!«

Das brennende Kerosin läuft in die Dielenritzen, Feuer fällt durch die Decke. O’Toole taumelt auf die Ecke zu. Dort ist sein Gewehr. Über dem Stuhl liegt sein Revolvergurt.

»Brad, was ist los? Wer hat hier Feuer gelegt?«

»Runter!« keucht Brad Styles. »Weiß nicht, was los ist. Sie haben geschossen, als Grimsby draußen war. Wo ist O’Maily?«

Sie stolpern die Treppe hinunter und wollen in den Hof. Aber kaum ist Styles an der Tür, als es knallt. Die Kugel faucht vom Hof aus herein und trifft Styles’ rechten Arm. Brad wird das Gewehr aus der Hand gerissen. Schreiend taumelt er zurück, wankt an O’Toole vorbei.

»Vorn raus – vorn, James!«

Er rennt keuchend durch den Flur zur Vordertür.

Von der Main Street her dringen Schreie durch die Nacht.

Styles stürzt ins Freie und denkt nur an Rettung. Drüben, die schmale Brandgasse, dort hinein.

Aber Styles macht nur sieben Schritte. Dicht hinter ihm ist O’Toole.

Der Ire zuckt herum, als es an der Zaunecke aufblitzt. Fauchend hallt der Schuß über die Gasse. Der grelle Blitz erhellt die Dunkelheit an der Ecke. O’Toole brüllt, schießt im wilden Lauf und stolpert dann, prallt auf Styles.

Den hat es erwischt, denkt O’Toole entsetzt und feuert wie wild auf die Zaunecke. Großer Gott, den hat es erwischt. Und gleich werden sie mich auch abknallen.

Männer fallen ihm ein, die er verprügelte. Andere, die er im Auftrag von Grimsby zwang, ihr Eigentum aufzugeben.

Die hassen uns alle, denkt O’Toole. Jetzt haben sie genug von uns und rächen sich, die Stadt will uns töten.

Verdammtes Rebellenland!

Er feuert und läuft, und es kommt ihm wie eine Stunde vor, ehe er dicht vor der Brandgasse ist. In diesem Augenblick wird er getroffen. Er spürt den Schmerz in der Seite und knickt ein. Trotzdem, geht es ihm durch den Kopf. Ich muß es schaffen.

Er hat keine Patrone mehr im Revolver und wirft sich in das Dunkel der Brandgasse. Keuchend prallt er gegen Bretter. Und hinter sich hört er den Schrei:

»Laßt den Hundesohn nicht entwischen!«

Rechts vor ihm ist eine Lücke im Zaun.

Er sieht sie im letzten Moment und zwängt sich durch. Droben fällt er über einige Bretter. O’Toole schlägt hin, kommt wieder hoch und kriecht bis zum nächsten Zaun, zieht sich ächzend darüber. Drüben sind Büsche. Unter ihnen findet er Deckung und kommt sich wie ein gehetztes Tier vor. Dann liegt er am Boden. Sein Atem geht fliegend, sein Puls hämmert.

Kommen sie – suchen sie ihn?

Schreie überall.

Und dann das Peitschen von drei, vier Schüssen.

Irgendwo in der Nacht die gellende Stimme eines Mannes:

»Sie greifen das Office an!«

*

Holburn schleudert die Decke weg. Er hat die Blendbohlen zum Jail nicht vorgelegt und die Lampe brennen lassen.

Als er sich aufrichtet und in die Stiefel fährt, sieht er den Gefangenen auf der Pritsche sitzen. Roan blickt ihn an und schweigt.

»Verdammt!« knirscht Holburn. »Ist denn hier der Teufel los?«

Er hört drei peitschende Schüsse aus der Richtung der Station. Dazwischen die schrillen Rufe einiger Leute:

»Feuer – Feuer!«

Feuer? denkt Holburn und greift nach dem Gurt, schnallt ihn um. Was ist dahinten los, zum Teufel?

Im nächsten Augenblick hat Holburn die Jailschlüssel in der Hand und rennt auf die Tür zu. Er schließt sie auf, steckt die Schlüssel um und schließt wieder ab. Nun steht er auf dem Vorbau und sieht entsetzt rechter Hand Flammen zum Himmel lodern. Leute rennen über die Straße. Einige haben Eimer in den Händen. Andere sind nur neugierig und denken nicht daran, ausgerechnet bei Grimsby zu löschen.

Es kracht weit hinten, Schüsse fallen. Das helle Blaffen von Revolverfeuer ist zu hören. Als Holburn die Schlüssel einsteckt und losrennt, wirft er einen Blick auf das Nachbarhaus. Dort ist das Fenster des Zimmers, in dem Crane schläft.

»Crane, komm, schnell!«

Einen Moment noch glaubt Holburn hinter dem Fenster einen bleichen Fleck zu sehen, dann stürmt er über die Straße. Und dann hört er von weit links den scharfen Ruf:

»Bleibt von der Straße, Leute, alles in die Häuser! Hier sind John Browns Rebellen.«

Wer? denkt Holburn. John Brown?

Er wirbelt herum, zuckt zusammen und sieht den Mann an der Ecke der Gasse stehen, genau neben dem Office.

»Holburn, jetzt wirst du bezahlen! Ich bin Manner Plummer. Du hast meinen kleinen Bruder erschossen. Stirb, Yankee!«

Ein Spuk, denkt Holburn, das gibt es doch nicht. Sie haben sich in die Stadt gewagt?

Als er begreift und zu seinem Revolver fassen will, ist es bereits zu spät.

Hund, denkt Plummer und feuert von der Hüfte aus, jetzt kannst du Jesse die Stiefel putzen.

Er drückt ab, sieht den Feuerball aus dem Lauf des Gewehres schießen. Der Sheriff zuckt zurück, schwankt.

»Für Jesse!« zischt Plummer und feuert noch einmal. »Da hast du es, Yankee!«

Brüllend hallt der Donner des Gewehrschusses über die Straße. Sheriff Holburn wird nach hinten in den Sand geschleudert. Holburn liegt und sieht den Mann kommen, das Gewehr an der Hüfte, den Oberkörper leicht vorgeneigt.

Holburn kann nichts tun. Er schafft es nicht, seinen Revolver zu ziehen.

Und wieder die Schreie:

»Alles in die Häuser zurück! Wir wollen nur etwas von den Yankees! Zurück in eure Häuser, Leute! Wer in zwei Minuten noch auf der Straße ist, wird erschossen. Dies ist die letzte Warnung, Leute! Wer Widerstand leistet, wird erschossen. Wir stecken die ganze Stadt an, wenn man auf uns feuert! Hier ist John Browns Rebellenarmee!«

Rebellenarmee? denkt Holburn, und seine Gedanken verwirren sich immer mehr. Rebellenarmee? Eine Handvoll Banditen…

»Du Mörder!« sagt der Mann da über ihm und beugt sich herab.

Holburn hört die Worte, aber sie dringen nur noch wie aus weiter Ferne zu ihm. Er spürt kaum noch, wie der hagere Bandit ihn herumreißt und ihm die Schlüssel wegnimmt.

»Eines Tages jagen wir euch alle aus unserem Land.«

Dann wirbelt Plummer herum. Feuerschein beleuchtet die gespenstische Szene. Leute stürzen entsetzt und aufgeschreckt auf die nächsten Häuser zu und sehen, wie der Mann sich aufrichtet.

Und genau wie viele andere sieht es auch Crane vom Fenster aus.

Er hat immer einen festen Schlaf, der Deputysheriff Crane. Als er endlich hochfährt, weil er Schüsse und Schreie zu hören glaubt, hastet er verschlafen zum Fenster. Er sieht gerade noch Holburn aus dem Office rennen und stehenbleiben. Holburn ruft nach ihm. Und drüben lodern helle Flammen empor.

Mein Gott, denkt Crane, was ist denn das?

Die Szene 40 Yards vor ihm läßt ihn erstarren. Ganz genau sieht er, wie Holburn zusammenbricht und jemand aus der Gasse auf den Sheriff zurennt. Im Feuerschein blinken die Schlüssel. Dann richtet der Mann sich auf und stürmt in wilden Sätzen auf das Office zu. Er hat die Schlüssel, er wird aufschließen und den Gefangenen herausholen. Das wird Crane schlagartig klar und läßt ihn handeln.

Verflucht, sie befreien den Gefangenen, denkt Crane entsetzt. Holburn, was ist mit ihm?

Klein, zusammengekrümmt, kaum einen Schatten werfend, liegt Sheriff Holburn mitten auf der Straße. Nur noch der Deputy Crane ist da. Er allein könnte die Bande aufhalten.

Ein Mann allein?

*

Der Schlüssel im Schloß quietscht, dann wird die Tür aufgestoßen. Schritte im Office. Ein Mann stürmt herein und starrt auf die Gitter.

»Roan?«

»Ja«, erwidert der und sieht noch zwei Männer in das Office stürmen. »Was wollt ihr? Wer seid ihr?«

»Freunde, Rebell«, antwortet Plummer zischelnd. »Wilson, die Lampe aus, schnell!«

Er ist schon an der Tür und probiert die Schlüssel, ehe es schlagartig dunkel wird.

»Der Sheriff?« fragt Roan gepreßt. »Mann, der Sheriff – was ist mit ihm?«

»Der sperrt keinen Rebellen mehr ein«, erklärt Plummer giftig und hat die Tür endlich auf. »Komm raus, Mister, schnell! Wilson, bring ihn weg und bleibe bei ihm! Du weißt Bescheid, Mann. Roan, raus hier!«

»Ja«, sagt Roan verstört. »Wohin bringt er mich?«

»In Sicherheit. Frage nicht so viel.«

Wilson packt Roan am Arm, zieht ihn mit.

»Lauf!« keucht Wilson, als sie aus der Tür hetzen. »Rechts in die Gasse, Roan! Da ist…«

Er stößt einen halblauten Schrei aus, als es knallt und eine Kugel durch seinen linken Jackenärmel fegt.

»Der Deputy im Nachbarhaus!« stößt Roan hervor. »Vorsicht, Mann, weg hier!«

Plummer hört die Worte, wirbelt herum und sieht den vorgeschobenen Gewehrlauf im Fenster des Nachbarhauses.

»Lothan, streck den Kopf aus der Tür, aber spring gleich wieder zurück! Da oben liegt der Kerl.«

Kaltblütig tritt Plummer an das linke Fenster des Office. Er lädt durch, zielt bereits und hört Lothan den Sprung machen. In derselben Sekunde brüllt es aus dem oberen Fenster des Nachbarhauses auf. Plummer zielt mitten in die Feuerlanze und drückt ab. Ein Schrei, dann ist das Gewehr weg.

»Das war’s, du Narr!« knirscht Plummer und hastet mit Harry Lothan aus der Tür. »In die Gasse, Mann, dann hinten herum. Bin neugierig, wie weit Dick Jones ist.«

Im Wegstürmen hört er es hinten links schwer und dröhnend krachen.

Ah, denkt Plummer frohlockend, das ist Jones. Jetzt fällt er über die beiden Stores und den einen Saloon her. Alle gehören den Yankees.

Vor Plummer zeigen sich einige Schatten – Pferde, Männer.

Eine Sekunde starrt er Roan an, der zwischen zwei Männern steht. Weit hinten an der Station knallt und blitzt es nun. Das Feuer hat im Haus Kisten mit Gewehren und Munition erreicht. Die Kisten fliegen in die Luft.

»Roan, du kannst mit den anderen zum Bach reiten, verstanden? Vickers, hierher!«

Vickers taucht auf und meldet keuchend:

»Alles in Ordnung, nur O’Toole ist uns entwischt, Manner. Die anderen sind zu Dick und helfen ihm. Carver wartet.«

»Gut, Vickers. Du übernimmst jetzt Roan. Reite mit Mark und Chess zum Bach. Wir kommen, sobald wir hier fertig sind.«

»He, Mann, ich habe mein Pferd beim Sheriff im Stall«, sagt Roan dazwischen. »Ich brauche es nur zu holen und…«

»Nichts davon!« antwortet Plummer scharf. »Du verdirbst uns noch alles, Mister. Sei froh, daß wir dich herausgeholt haben. Tu, was die anderen sagen. Weg mit euch!«

Er sieht sich nach den anderen um und stürmt davon. Hinter ihm Wilson und Lothan. Jetzt plündern sie die Stores und den Saloon.

*

Sie sind fertig mit dieser Stadt. Es fallen keine Schüsse mehr. Nur von weit links dringt Jones’ heisere Stimme herüber:

»So geht es in Zukunft jedem Yankee! Sagt es ihnen allen: bereichern sie sich, stecken wir ihnen ihren zusammengestohlenen Besitz über den Köpfen an!«

Danach setzen die Pferde ihre Hufe ein.

Plummer lacht vor sich hin. Einen Sack zwischen sich, laufen Wilson und Lothan vor ihm her. Sie hasten rechts des grell erleuchteten Stationsgebäudes entlang und kommen an den Bach.

Dort sind einige Männer dabei, die mitgeführten Ersatzpferde zu beladen. Dick Jones taucht mit schmutzigem Gesicht und hinkend auf.

»Manner, der verdammte Williams aus dem einen Store hat mich angeschossen, aber es ist weiter nichts. Der Saloonbesitzer Talbot, dem auch der andere Store gehörte, war nicht da. Wir haben mitgenommen, was wir brauchten.«

»Gut, Dick, dann laß uns verschwinden. Was willst du, Roan?«

Dan Roan tritt auf ihn zu, hat aber bei jedem Schritt Vickers und Rico neben sich.

»Plummer, was soll das? Habt ihr mich aus dem Jail geholt, um mich wieder festzusetzen? Gebt mir ein Pferd, und niemand sieht mich je wieder. Ich rede nicht, Plummer, ich verspreche es dir. Außerdem bin ich kein Narr, sie werden mich nicht erwischen.«

Plummer lacht verächtlich und schüttelt den Kopf.

»Das haben schon ganz andere gesagt, Mister«, gibt er kalt zurück. »Ich kann kein Risiko mit dir eingehen. Die Yankees kennen keine Gnade, wenn es um uns geht. Bei uns ist es Gesetz, daß jeder Verwundete, der ihnen in die Hände fällt, von uns erschossen wird oder sich selbst erschießen muß. Er kann dann nicht reden, begriffen? Die Yankees brauchen nur einen von uns zu haben, schon würden sie ihn foltern, um etwas über unser Versteck zu erfahren. Nein, Mr. Roan, du bleibst bei uns, bis die Luft rein ist. Dann kannst du reiten, nicht eher.«

»Mann, ich verspreche dir…«

»Nehmt ihn zwischen euch!« bestimmt Plummer kaltschnäuzig. »Ihr haftet für ihn, Vickers!«

»Komm!« brummt Rico. »Gehen wir zu deinem Pferd, Roan. Warst du Captain, wirklich?«

»Ja, war ich.«

Rico starrt ihn an, deutet auf den einen Gaul. Vickers sitzt schon auf und beobachtet Roan lauernd.

Wenig später reiten sie an und preschen den Bachlauf entlang nach Süden, auf den Spring River zu, an dichtem Gestrüpp vorbei.

Hier, denkt Roan, müßte es möglich sein. Nur erst eine Weile bei ihnen bleiben, vielleicht zwei Stunden, bis ihre Aufmerksamkeit nachgelassen hat. Dann schnell das Pferd herum und zwischen die Büsche. Es müßte glücken.

Er blickt sich um. Vickers ist dicht hinter ihm und sieht ihn scharf an.

Eine Viertelminute darauf hört Roan den Hufschlag von vorn kommen und sieht Plummer auftauchen.

»Halten!« ruft Plummer mit schneidender Stimme. »Alles halt! Nun, Roan? Du denkst doch darüber nach, wie du uns austricksen kannst, was? Ich will dich nicht in Versuchung führen, Mister. Halte still!«

Er hat den Revolver in der Faust, sieht Roan durchdringend an und winkt Vickers herbei.

»Einen Strick an seinen Sattelgurt, Vickers!« befiehlt Plummer rauh. »Du machst ihn bei dir am Sattelhorn fest! Und versucht er zu türmen, dann schießt ihn nieder! Das ist ein Befehl!«

»Was, ich soll wie ein Hund an einer Leine…«

»Wenn du dir wie ein Hund vorkommst, dann ist es deine Sache«, erwidert Plummer eisig. »Ich gehe kein Risiko mit dir ein, Mister. Erwischen sie dich, kannst du uns beschreiben. Das ist die letzte Warnung, Roan: Lieber einen Toten als einen Verräter.«

Er wartet ab, bis Vickers den Strick festgemacht hat. Dann hebt er die Hand und reitet voraus. Roan aber wirft einen Blick zurück auf den finster dreinblickenden Vickers.

»Mann«, sagt Vickers knirschend, »versuche nichts. Wenn ich einen Befehl bekomme, dann muß ich ihn ausführen. Wenn ich dich entwischen lasse, erschießen mich die anderen. Man wird nicht erst lange fragen, ob ich nichts dafür konnte.«

»Was, sie würden dich…?«

»Ja«, antwortet Vickers grimmig. »Wir haben unsere eigenen Gesetze, Roan. Entwischst du, kann ich mein Testament machen. Und da ich nicht für dich sterben will – so wenig wie Rico –, würden wir beide verdammt schnell feuern. Du wärest tot, ehe dein Gaul drei Sätze machen könnte. Und jetzt haben wir genug geredet.«

Vickers nimmt sein Gewehr hoch und legt es über seine Schenkel. Der kleine Rico macht es ihm nach.

Großer Gott, was sind das für Gesetze? denkt Roan angewidert. Der Mann, der diese Gesetze geschaffen hat, muß ein Teufel sein.

Es soll nicht lange dauern, dann lernt Roan den Mann kennen.

*

»Nehmt ihm die Binde ab!«

Jemand zerrt daran, dann wird es hell vor Roans Augen.

Im ersten Augenblick blendet ihn die Helligkeit. Er hat mehr als viereinhalb Stunden die Binde getragen. Das merkt er am Sonnenstand. Als man sie ihm umlegte, graute der Morgen. Nun ist es fast Mittag.

So weit Roan auch blicken kann, er sieht nichts als Schilf, ein paar Büsche und irgendwo einige Kronen von Faulbäumen, die er aus dem Krieg in Alabama kennt.

Sie befinden sich auf festem Land. Hütten stehen im Kreis auf einer vielleicht 200 Yards breiten Insel.

Sumpf, denkt Roan. War mir doch so nach dem Geruch und dem Schmatzen, als die Pferde gingen.

»Roan!«

»Ja«, sagt er, nach hinten blinzelnd. »Nun, Plummer, jetzt hast du mich hier. Und wie weiter?«

»Du wirst eines Tages genauso weggebracht werden. Aber dann trägst du die Binde volle zwanzig Stunden, damit du gar nichts sehen kannst. Den Weg findest du nicht wieder.«

Nein? denkt Roan. Wenn du dich da nur nicht irrst, Mister. Vielleicht kannst du dich nicht nach den Sternen orientieren, wenn du so wenig siehst wie in der vergangenen Nacht. Aber ich kann es.

»Kann sein«, antwortet er knapp. »Und wann wirst du mich gehen lassen?«

»Wenn es an der Zeit ist, Mann. He, bringt ihn rüber zu Ricos Hütte! Ah, da bist du ja, Tippet. Kannst du wieder stehen, Kerl?«

Tippet hat mit Rico zusammen die Hütte aufgebaut. Die beiden sind die geschicktesten Handwerker des Sumpfcamps und haben die festeste Hütte errichtet.

Nun kommt Tippet, auf einen Stock gestützt und den Arm in der Binde, langsam näher.

»Ich kann stehen«, gibt Tippet kühl zurück. »Nun, keinen Mann verloren, wie?«

»Nicht wie du, Kerl«, knurrt Plummer giftig. »Ich habe Jesse gerächt. Das ganze Land wird vor mir zittern, sage ich dir. Wo ist mein Freund John?«

»Brown ist auf der kleinen Insel«, gibt einer der wartenden Männer zurück.

»So, hat er es wieder mal nötig, dort seine blöden Redensarten… Na, kann mir gleich sein. He, ladet ab! Und du, Tippet, achtest auf Roan. Entwischt er, kannst du dir gleich einen Platz im Sumpf aussuchen, verstanden? Geh mit ihm, Roan. Und was er sagt, das tust du!«

Er gibt Roan einen leichten Stoß. Roan geht auf Tippet zu und bemerkt den durchdringenden Blick, mit dem er gemustert wird. Der schlanke Mann mit dem verbissenen Gesichtsausdruck wendet sich um und stakst an seinem Stock vor ihm her zur Hütte.

»Hier hinein – ein wahrer Palast«, murmelt Charles Tippet. »Ich denke, Sie haben gehört, was er gesagt hat, Roan. Er meint genau das, was er spricht. Damit es keinen Irrtum gibt. Setzen Sie sich nur auf die Bank da.«

Tippet hebt den Kopf. Dann macht er die Tür aus Ästen und geflochtenem Schilf halb zu.

Der Mann, denkt Roan, erinnert mich an irgendwen. Tippet? Ich habe den Namen doch schon mal gehört?

Tippet blickt hinaus, dann wendet er den Kopf und zischt leise:

»Teufel, Captain Roan, wie sind Sie in diese höllische Mausefalle geraten? Captain, keine Angst, ich habe Sie gleich erkannt, ich rede kein Wort über Sie, wenn Sie es nicht wollen.«

Roan blickt ihn an und weiß es plötzlich. Die Nachbarschwadron am Südwestufer des Mississippi und ein Corporal.

Tippet – Charles Tippet!

»Mann, Corporal Charles Tippet!«

»Sergeant«, verbessert Tippet. »Doch noch Sergeant geworden, Captain. Sprechen Sie leise, hier kann man keinem trauen. Dieses Camp ist eine Schlangengrube. Wer einmal hier ist, der kommt nie wieder weg, es sei denn – tot.«

So ist das, denkt Roan entsetzt. Nie wieder weg.

Es sei denn – tot!

*

Es ist ein kleines Kanu, das aus dem Schilfsaum auftaucht. Vorn sitzt ein großer, hagerer Mann mit einem Bart.

Browns düsterer, aus tiefliegenden Augen kommender Blick fliegt über die Männer hinweg. Plötzlich wird es still auf der Insel. Plummers Männer hören auf, die Pferde abzuladen und die Beute aufzuschichten. Plummer dreht sich um, starrt Brown sekundenlang an und spuckt dann aus.

»Das ist er?« fragt Roan leise. »Tippet, er sieht aus wie ein Fanatiker. Was hat er im Sumpf gemacht?«

»Hm«, sagt Charles, »er sieht aus wie ein Rachegeist. Sollte mich nicht wundern, wenn er explodiert. Warum willst du wissen, Captain, was er im Sumpf gemacht hat?«

»Weil es sicher nicht nur diese Insel darin gibt«, murmelt Roan. »Nun, Tippet, du brauchst nicht zu antworten, wenn du nicht willst.«

Die großen Western 286

Подняться наверх