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01 Geschäft um Mitternacht

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»Nicht so schnell«, sagte er und machte eine kleine Bewegung mit der Pistole. »Wir wollen doch kein Aufsehen erregen, nicht wahr?«

Ich nahm den Fuß vom Gas und die Tachometernadel sackte wieder auf hundertzwanzig Stundenkilometer. Es ging auf Mitternacht. Die A1 war fast leer.

»Ich mag diese Fahrten durch die Nacht!« Er lehnte sich zurück. »Wenn die Scheinwerfer dieses kleine Stück Straße vor einem aus der Dunkelheit herausschneiden, wenn man den Eindruck hat, durch ein endloses Universum zu gleiten. Hin und wieder die Lichter von Städten oder Ortschaften, helle Fenster, dunkle Fenster. Und dann die Hochspannungsmasten über der Autobahn wie die Skelette von prähistorischen Tieren.«

Mein Gott, ein Poet!

Bei Einbruch der Dunkelheit hatte er mich in der Raststätte Oberöfflingen angesprochen. Ob ich ihn mitnehmen könne. Er erzählte etwas von einer Panne und einem Geschäftstermin am nächsten Morgen in Trier. Er sah passabel aus, hatte einen kleinen Aktenkoffer dabei. Als er sah, wie ich zögerte, bot er mir eine Benzinkostenbeteiligung an. Ich hatte ihn einsteigen lassen. Als wir wieder auf der Autobahn waren, hatte er die Pistole herausgezogen.

»Immer weiterfahren«, hatte er gesagt. »Immer geradeaus. Bis ich ›Stopp‹ sage.«

Nach einer Stunde klappte er seinen Koffer auf und holte ein paar Sandwiches heraus. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf ein gutes Dutzend Geldbündel. Dicke Geldbündel. Hunderter und Zweihunderter. Laut Banderolen alle von der Kreissparkasse Vulkaneifel.

Er hatte kein Wort über Geld verloren, den Koffer wieder zugeklappt und sich über seine Sandwiches hergemacht. Fleischwurst und Salami. Dekoriert mit einem Salatblatt und einer Scheibe Tomate.

Inzwischen ging es auf Mitternacht, und er hatte immer noch nicht »Stopp« gesagt.

»Warum ...«, begann ich.

»Ist doch egal, warum die Polizei hinter mir her ist«, sagte er. »Hauptsache ist, sie kriegen mich nicht, oder?«

Die Waffe hielt er immer vorsichtig bei sich, in der rechten Hand, sodass ich keine Chance hatte, hinüberzugreifen. Im Halbdunkel konnte ich nur einen matten metallischen Schimmer sehen.

»Sie fahren gut«, meinte er nach einer Weile.

»Ich bin viel unterwegs.«

»Vertreter?«

Ich nickte und deutete auf Harry, der am Rückspiegel baumelte. Harry ist ein kleiner, rosaroter Plüschbär. »Spielzeug«, sagte ich. »Regionalrepräsentant Vulkaneifel. Daun-Bitburg-Wittlich-Trier.«

Er schaute aus dem Fenster. »Großes Gebiet.«

»Schwach besiedelt.«

Er puhlte sich einen Rest Fleischwurst aus den Zähnen. »Ich dachte, das geht inzwischen alles übers Internet.«

»Was?«

»Vertrieb«, nuschelte er. »Ebay, amazon oder wie die alle heißen.«

»In der Eifel dauert alles ein bisschen länger«, sagte ich.

Er tippte Harry an und sah ihm eine Weile beim Schaukeln zu. »Und was haben Sie sonst noch im Sortiment?«

»Harry der Bär ist unser Verkaufsschlager. Wahrscheinlichen wegen Knut aus Berlin oder Bruno aus Bayern. Dann kommt Rudi, das Schwein, auch rosarot, beste Verarbeitung. Ideal als Kuscheltier geeignet.«

Er amüsierte sich königlich.

»Persönlich mag ich Toto den Affen am meisten«, fuhr ich fort. »Zwanzig Zentimeter groß, bewegliche Arme und Beine mit Klettverschlüssen an den Pfoten, kleine runde Knopfaugen und eine rote Nase. Ich werde um ihn kämpfen, im Herbst.«

Er sah mich skeptisch an.

»Der Chef will Toto aus dem Programm nehmen, weil die Verkäufe zurückgegangen sind«, sagte ich. »Aber dagegen werde ich mich wehren. Ich schwatze jedem Kunden mindestens zwei Partien Totos auf.«

Er kicherte.

»In welcher Branche sind Sie denn?«, fragte ich.

Er blies die Backen auf und stieß die Luft aus. »Finanzdienstleistungen.« Er war ein kleiner, drahtiger Bursche von Anfang vierzig. Helle, blaue Augen, dünnes, blondes Haar und sonnengebräunte Haut.

»Bankraub, nicht wahr?«, fragte ich mit einem Blick auf seinen Koffer. Er grinste still in sich hinein.

»Eigentlich eine schöne Art und Weise, sich ein Geld zu verdienen«, sagte ich.

Er blies wieder die Backen auf. »Was Sie sich so alles vorstellen.«

»Die Kreissparkasse Daun heute Nachmittag?«, fragte ich. »Ich hab im Radio davon gehört. Fünfundvierzigtausend oder so...«

»Achtundfünfzig«, korrigierte er mich.

»Für zwei Minuten Arbeit ...«

»Quatsch«, sagte er. »Eine Woche. Umsehen. Angucken. Beobachten. Abwarten. Tüfteln. Verdammt schwer, hier in der Gegend. Hier kennt jeder jeden. Schon nach zwei Tagen im Hotel haben sie angefangen, mich auszufragen. Total neugierig.«

»Eifel eben«, sagte ich.

Er nickte. »Schwach besiedelt.«

»Ich dachte, das läuft inzwischen auch alles über Internet«, sagte ich.

»Bankraub?«

»Na, so mit Hackern und so weiter. Hacken sich bei der Bank ein und überweisen einfach alles in die Karibik.«

»Ich wickele das lieber noch persönlich ab.«

Eine Weile war es still. An der Abfahrt Wittlich standen Polizeiwagen. Ich hielt mich an die Richtgeschwindigkeit. Es gab kein Problem.

»Manchmal...«, murmelte ich.

Er hob den Kopf.

»Manchmal habe ich mir auch schon ausgemalt ...«

»Vergessen Sie's«, riet er mir. »Das ist nicht so einfach, wie Sie denken.«

»Aber wieso denn? Eine Pistole nehmen und eine Maske übers Gesicht. Und dann rein in die Bank.«

»So geht das vielleicht im Fernsehen«, sagte er. »Mal von den ganzen Alarmanlagen und versteckten Kameras abgesehen - woher wollen Sie denn eine Pistole kriegen?« Er hob seine Waffe ein wenig, aber ich sah sie nicht deutlich. »Ich sag nur: Auf keinen Fall über Internet.«

»Nun, ich denke, da wird es sicher Kneipen geben, in Trier vielleicht oder Bitburg, wo man...«

»Was denken Sie sich eigentlich«, meinte er etwas ungehalten. »Dass Sie da reingehen und ein Bier und eine Wumme bestellen?«

»So in etwa«, sagte ich. »Oder nicht?«

Er kicherte. »Wissen Sie, wie lange selbst ein Profi hinter einer Waffe herlaufen muss?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Wochenlang«, sagte er. »Und dann ist noch nicht einmal sicher, dass man eine kriegt. Und dann muss man sie auch noch bezahlen. Wissen Sie, was eine nicht registrierte Waffe kostet?«

Wieder schüttelte ich den Kopf.

Er hob seine Pistole, sodass ich jetzt zum ersten Mal einen genauen Blick darauf werfen konnte.

»Tausend«, sagte er. »Bar auf die Hand.«

Ich schwieg.

»Das hätten Sie nicht gedacht, was?«, fragte er.

»Nein«, gab ich zu und fuhr rechts ran auf den Seitenstreifen.

Er rammte mir die Waffe in die Seite. »Sind Sie lebensmüde?«, fragte er. »Weiterfahren!«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich schieße!«

Ein Lastwagen rauschte an uns vorbei. Ich rührte mich nicht.

Schweiß war auf seine Stirn getreten. »Sie sollen weiterfahren!«

»Nein«, sagte ich. »Sie steigen jetzt aus.«

Die Mündung seiner Pistole erschien vor meinen Augen. Ich starrte in das hässliche schwarze Loch und fühlte mich plötzlich ganz ruhig.

»Ich schieße!«, stieß er hervor.

»Schießen Sie«, sagte ich. »Ich wollte unser neues Modell FBI-Special schon immer mal in Aktion sehen.«

Sein Mund klappte auf. Zwischen den Schneidezähnen steckte noch ein Stück Salatblatt.

»Ich vertrete nur das Spielzeug für die Altersklasse drei bis sieben«, sagte ich und tippte Harry den Bären an. »Aber mein Kollege vertritt die Spielzeuge für die Kinder von sieben bis dreizehn. Er hat die FBI-Special seit einem halben Jahr im Programm. Das Ding verkauft sich nicht besonders gut, wie er sagt. Dabei war unser Chef ziemlich stolz darauf, dass die Waffe einer echten Pistole zum Verwechseln ähnlich sieht.«

Er ließ die Spielzeugpistole sinken.

»Unser Firmenzeichen ist oben auf dem Lauf eingeprägt«, sagte ich. »Ich konnte es bloß hier im dunklen Wagen nicht sofort erkennen.«

Er sank zusammen und dachte nach. Dann machte er die Beifahrertür auf. »Okay«, sagte er. »Sie haben gewonnen.«

Er wollte aussteigen.

»Moment«, sagte ich.

Er wandte sich um und starrte in die Mündung meiner Waffe, die ich aus der Halterung unter dem Sitz gezogen hatte. »Ihr Koffer bleibt hier!«

Zwei Minuten später war ich wieder unterwegs. Im Rückspiegel wurde mein Beifahrer von der Nacht verschluckt. Sein Koffer lag auf dem Beifahrersitz und ich steckte meinen Magnum Colt Python wieder weg. Der Kollege hatte doch Recht - das Ding sah einer echten Waffe noch ähnlicher als die verdammte FBI Special.

Best of H.P. Karr - Band 1

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