Читать книгу Atlan 622: Anti-Homunk - Hubert Haensel - Страница 4

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Mit abgeschalteten Triebwerken und nur geringer Restfahrt glitt die Space-Jet BLINDER VOGEL durch den Raum. Ziel war nach wie vor das Leuchtende Auge im Zentrum der Galaxis Xiinx-Markant, doch nachdem Wöbbeking-Nar'Bon sich überraschend gemeldet hatte, sollte Atlan endlich erfahren, wer oder was sein Gegner wirklich war.

Der Arkonide entspannte sich, als er die gedankliche Stimme Wöbbekings erneut vernahm. Er wusste, was ihn erwartete, weil er den »temporären Reinkarnationseffekt« inzwischen mehrfach erfahren hatte. Gleich würde die Zentrale der Space-Jet vor seinen Augen verschwinden, würde er sich in einer gänzlich veränderten Umgebung wiederfinden, die für ihn Realität war. Eine Wirklichkeit zwar, die länger als zwei Jahrhunderte zurücklag, die er aber dennoch, wie es schien, zum ersten Mal erlebte.

Atlan fühlte, wie etwas von ihm Besitz ergriff. Er wehrte sich nicht dagegen, sondern ließ sich treiben. Er fiel – in ein endloses Loch im Strom der Zeit, der ihn rasch mit sich wirbelte ...

1.

»Wach auf, Atlan, es ist an der Zeit, deine Körperfunktionen durch Nahrungsaufnahme konstant zu erhalten.«

»Hä?« Ich war zu benommen, um den Sinn dieser Worte sofort zu verstehen. Zudem hatte ich geträumt und stand noch unter dem Eindruck dieser Träume, die mich einmal mehr aus der Einsamkeit der Namenlosen Zone entführt hatten. Trotz meines photographischen Gedächtnisses fiel es mir schwer, mich zu erinnern; die Gedankenfetzen wirbelten wirr durcheinander. Da war die heimatliche Milchstraße, die Dunkelwolke Provcon-Faust, Perry Rhodan und schließlich der einäugige Roboter Laire, der mich zu den Kosmokraten geleiten sollte. Ich stöhnte leise und vergrub den Kopf in meinen Handflächen.

»Ist dir nicht gut?«, erkundigte sich eine besorgte Stimme.

Zwischen den gespreizten Fingern hindurch warf ich einen flüchtigen Blick auf das metallisch glänzende Geschöpf, das mich aus seinen leuchtenden Linsen unverwandt anstarrte. Pit hatte eine erwartungsvolle Haltung eingenommen. Geschickt balancierte er ein kleines Tablett – was sich darauf befand, konnte ich nicht erkennen.

»Das sind deine Betriebsstoffe, Atlan«, erklärte er. »Vitamine, Kohlehydrate, Mineralien.«

Ich befahl ihm, das Tablett abzustellen und erkundigte mich zugleich nach eventuellen Zwischenfällen.

»Du hast nur knapp vier Stunden geschlafen«, antwortete Pit. »Schon eine einfache Wahrscheinlichkeitsberechnung beweist, dass diese Zeitspanne viel zu gering ist, um in der Namenlosen Zone auf eine Begegnung hoffen zu lassen.«

Womit er Recht hat, bestätigte der Extrasinn.

Willst du erneut behaupten, dieser Raumsektor sei unendlich?

Das Gegenteil lässt sich ohne konkrete Anhaltspunkte nicht beweisen: Daher erscheint es nur logisch ...

Das ist es eben nicht, widersprach ich und richtete mich halb auf. Pit wollte mir behilflich sein, doch ich wehrte entschieden ab. In letzter Zeit ging mir seine übertriebene Fürsorge häufig auf die Nerven.

Du bist verbittert, bemerkte der Extrasinn.

Ich wollte lachen, aber nur ein Seufzen rang sich über meine Lippen. Vielleicht verschloss ich mich tatsächlich vor der Wirklichkeit. Allein wenn ich an die 13 verlorenen Jahre dachte ...

Zählt die Zeit für einen relativ Unsterblichen?

Die Frage des Logiksektors warf mich aus dem Konzept. War es Absicht, dass er damit einen wunden Punkt berührte? Die Erinnerung schmerzte.

Oh ja, gab ich lautlos zurück. Sie zählt. Was mag inzwischen in der Milchstraße geschehen sein? Hat ein anderer an meiner Stelle den Weg zu den Kosmokraten angetreten, oder warten jene unbegreiflichen Wesen jenseits der Materiequelle noch immer darauf, dass eines Tages ein Arkonide namens Atlan bei ihnen erscheint? Auch ich bin zu ersetzen. Perry Rhodan, Reginald Bull, Julian Tifflor, die Reihe der Namen ließe sich um etliche erweitern ... Und genau deshalb muss mein ganzes Bemühen in erster Linie dem Ziel gelten, entweder zurück in den Normalraum zu gelangen oder aber einen »Übergang« in den Existenzraum der Kosmokraten zu finden.

Mit Hilfe der Roboter hatte ich inzwischen die Basis des Ersten Zählers unter meiner Kontrolle, auch wenn längst nicht alles so war, wie es sein sollte. Immerhin verhielt sich die Quelle der Jenseitsmaterie, die so etwas wie ein eigenes Leben oder ein eigenes Bewusstsein besaß, weiterhin absolut passiv. Den Grund dafür kannte ich, ohne das geringste daran ändern zu können. Zum einen war es das Verschwinden von Janv-Zount, dem Ersten Zähler, zum anderen die Sehnsucht der Lichtquelle nach den Vulnurern, die früher mit ihr zusammen eine »Geistige Einheit«, oder etwas Ähnliches gebildet haben mochten.

Pit, der Roboter, stand noch immer unbewegt da und ließ mich nicht aus den Augen. »Danke«, sagte ich zu ihm. »Du kannst gehen.« Ich wollte allein sein.

»Fehlt dir wirklich nichts?«, erkundigte Pit sich besorgt.

»Nein, zum Kuckuck«, erwiderte ich heftig. Als das Schott hinter dem Roboter zuglitt, tat es mir fast schon wieder leid. Immerhin war ich auf ihn und seine Blechkameraden angewiesen.

*

Die absolute Leere hätte vollkommener nicht sein können. Oft, wenn ich auf die aktivierten Bildschirme in der Hauptzentrale blickte, fragte ich mich unwillkürlich, ob die Namenlose Zone das Nichts darstellte. Einen anderen, treffenderen Begriff dafür zu finden, fiel schwer. Immerhin besaß dieser Raumsektor weder eine erkennbare Begrenzung (von den Grenzwächtern und ihren Zweigen einmal abgesehen) noch Sonnen oder gar Planeten.

Kann im Nichts etwas existieren? Philosophen hatten sich darüber schon die Köpfe zerbrochen, ich sah nicht ein, dass ich es ebenfalls tun sollte.

Mit annähernd Lichtgeschwindigkeit, allerdings noch unterhalb des Bereichs, in dem nennenswerte Dilatationseffekte auftreten konnten, raste die Basis des Ersten Zählers durch die Namenlose Zone. Nie zuvor hatte mich ein Raumflug dermaßen angeödet. Aber allein sein, das bedeutet zugleich, die Einsamkeit spüren. Die Roboter, die es auf der Basis zur Genüge gab, waren kein Ersatz für ein lebendes Wesen aus Fleisch und Blut, nach dem man sich irgendwann zu sehnen beginnt. Jede Unterhaltung mit ihnen blieb von Logik und mechanischen Gesichtspunkten bestimmt, nicht aber von Gefühlen und den mitunter typischen Schwächen biologischen Lebens. Kik, der liebenswerte kleine Seestern fehlte mir, ebenso der Haluter Beyl Transot, der allein durch seine Anwesenheit eine Verbindung zu meiner Vergangenheit gewesen war. Selbst Wöbbeking konnte ich nicht zurückrufen. Der positive Teil von Anti-ES hatte mich nur wissen lassen, dass er sich an seinen neuen, eiförmigen Körper aus Jenseitsmaterie gewöhnen und zugleich Chybrain finden müsse. Wann und ob unsere Wege sich wieder kreuzten, lag hinter dem Schleier der Zukunft verborgen.

»Sorgen, Atlan, nicht wahr?«, wurde ich unvermittelt angesprochen. Im ersten Moment freudiger Überraschung wirbelte ich herum, aber da war nur der Roboter Rico, der sein mechanisches Gesicht zu einem Lächeln verzog. Seine Haltung veränderte sich schlagartig, als ich ihn wütend anfunkelte.

»Ich wollte dir eine Freude bereiten«, sagte er zögernd.

»Lass das.« Barsch winkte ich ab. »Kik, oder das, was noch von ihm übrig war, ist mit Sanny verschwunden. Niemand weiß, wohin. Du solltest ihn nicht nachahmen.« Einer vagen Hoffnung nachgebend, fügte ich rasch hinzu: »Existiert sonst organisches Leben auf der Basis?«

Rico, neben Pit mein häufigster Ansprechpartner, schüttelte den Kopf.

»Soviel ich weiß, nein.«

»Bist du sicher?«

»Ich habe mit den anderen darüber gesprochen. Kein noch so kleines Tier kann ihren Sensoren entgangen sein.«

Es war zwar verwunderlich, dass die Roboter von sich aus Initiative zeigten, aber wenn Rico sagte, dass ich das einzige Lebewesen auf der Basis war, musste ich ihm glauben.

»Wohin fliegen wir?«

Er zuckte mit seinen stählernen Schultern.

»Gibt es eine Möglichkeit, unseren Kurs zu bestimmen?«

»Sobald wir auf einen Grenzwächter oder dessen Zweige treffen, können wir uns orientieren.«

Darauf legte ich allerdings keinen Wert, denn inzwischen wusste ich, dass es an jenen Stellen kein Durchkommen gab.

Rico schien meine Gedankengänge zu erraten.

»Du bist fest entschlossen, entweder in dein Universum zurückzukehren oder den Weg zu einer Materiequelle zu finden.« Das war mehr eine Feststellung als eine Frage, immerhin hatte ich mit den Robotern während der letzten Tage wiederholt darüber diskutiert. »Nimmst du uns mit, wenn du Erfolg hast?«

Überrascht sah ich ihn an.

Sie fürchten die Einsamkeit nicht weniger als du, wisperte mein Extrasinn.

Rico legte mir eine Hand auf die Schulter.

»Atlan«, sagte er. »Wir haben beschlossen, an deiner Seite zu bleiben. Egal, was geschieht, nachdem der Erste Zähler uns verlassen hat, gehören wir dir.«

Womit ich also eine Heerschar neurotischer Roboter mein eigen nennen durfte.

Tu nicht so, als käme dir das Angebot ungelegen, wurde ich vom Logiksektor zurechtgewiesen. Im Grunde hast du doch nach einer Bestätigung gesucht, dass die Roboter wirklich zu dir halten.

*

Die Basis des Ersten Zählers raste weiter durch die endlose, lichtlose Finsternis.

Langsam vergingen die Tage, einer so ereignislos wie der andere.

Oft stieg ich an die Oberfläche empor, um wenigstens den künstlichen, energetischen Himmel zu sehen. Es gab keine Sterne, nicht eine einzige Sonne, deren wärmende, belebende Strahlen meine Unsicherheit und Zweifel hätten vertreiben können.

Die Quelle der Jenseitsmaterie blieb stumm. Nur ihre Eruptionen, mitunter ein Feuerwerk von Farben, kamen nie zum Stillstand.

Wöbbeking war und blieb in den Weiten der Namenlosen Zone verschwunden.

Und Anti-ES? Die Superintelligenz schien jegliches Interesse an meiner Person verloren zu haben. Angespannt wartete ich auf einen neuen Angriff. Doch nichts geschah. Nur manchmal war es, als würden Raum und Zeit miteinander verschmelzen. Hätte ich es nicht gewusst, jetzt spürte ich es überdeutlich: Die Namenlose Zone war nichts anderes als ein gigantisches Gefängnis – für Wesenheiten wie Anti-ES.

Das Warten wurde zur Qual; das Warten auf etwas, was vielleicht nie eintreten würde.

Der Extrasinn lachte spöttisch.

Du hast dein Leben lang gewartet, Arkonide.

Aber nie war ich so zur Hilflosigkeit verurteilt, gab ich in Gedanken zurück.

*

Ein rhythmisches Pochen schreckte mich aus tiefem Schlaf auf. »Ja«, rief ich halblaut und verärgert über diese Störung. Von einer unerklärlichen inneren Unruhe erfüllt, war ich froh gewesen, endlich einschlafen zu können.

Rico stapfte durch das sich öffnende Schott herein. Meine Nacktheit, als ich aufsprang und nach meiner Kleidung griff, nahm er entgegen früherer Gepflogenheiten kommentarlos zur Kenntnis.

»Komm mit, Atlan«, sagte er nur, und jeglicher Unmut fiel in dem Moment von mir ab. Das konnte nur bedeuten, dass wir uns irgendeinem Objekt näherten.

Auf den Bildschirmen der Zentrale sah ich wenige Minuten später einen hellen, verwaschen wirkenden Fleck, der trotz höchstmöglicher Vergrößerung nur wenige Zentimeter durchmaß.

»Wir wissen noch nicht, was es ist«, gestand Rico. »Aber wir bewegen uns annähernd darauf zu.«

Für eine Sonne war die Erscheinung zu unregelmäßig. Ein wenig erinnerte sie mich an die Übergangsstelle, durch welche die Arltra-Ranger in die Namenlose Zone gekommen waren.

Gib dich keinen verfrühten Hoffnungen hin, warnte der Logiksektor. Du weißt, dass hier vieles anders ist als gewohnt.

»Entfernung?«

»Nicht zu definieren«, antwortete Rico. »Die Ortungen können das Objekt nur schwer erfassen.«

»Ist die Basis Ähnlichem früher schon begegnet?«

Der Roboter schüttelte den Kopf.

»Sämtliche zur Verfügung stehenden Daten wurden bereits abgerufen und auf Identität überprüft. Nichts Vergleichbares.«

Im Hologramm erinnerte die Erscheinung an einen knapp faustgroßen Ball, dessen Oberfläche in brodelnder und wallender Bewegung befindlich war. Aber das waren nicht die Protuberanzen eines Sterns, die weit ins All hinausgeschleudert wurden.

»Kursberichtigung!«, befahl ich. »Wir fliegen das Objekt an.«

Die Bildwiedergabe verbreitete einen warmen, wohligen Schein. Trotzdem war die Helligkeit zu gering, um die Beleuchtung der Zentrale entbehrlich zu machen. Sobald ich näher an das Hologramm herantrat, glaubte ich, unzählige winzige Lichtpunkte auszumachen, die den weiter anwachsenden Ball auf den unterschiedlichsten Bahnen umkreisten.

Eine Reihe flackernder Kontrollanzeigen lenkte meine Aufmerksamkeit ab. Ich wusste nur, dass sie das Antriebssystem der Basis betrafen. Tatsächlich schienen Komplikationen aufzutreten; ein halbes Dutzend Roboter entwickelte plötzlich hektische Aktivitäten. Da nicht einmal Rico auf meine Fragen antwortete, kam ich mir mehr oder weniger überflüssig vor. Die Vermutung, dass das entstehende Durcheinander mit dem neuen Flugziel der Basis in Verbindung stand, drängte sich geradezu auf.

Endlich bekam ich einen der aufgeregt wirkenden Roboter am Arm zu fassen.

»Ich will wissen, was los ist!«

»Wir verlieren an Geschwindigkeit. Bis jetzt genau 12,3789 Prozent.«

»Maschinenschaden?«, fragte ich.

Der Roboter schüttelte den Kopf.

»Da draußen ist etwas, was die Verzögerung bewirkt.«

Er meinte das wabernde Leuchten, dessen Anblick meinen Puls schneller schlagen ließ. Viele der winzigen Lichtpunkte veränderten ständig ihre Bahn und vergingen, während an anderer Stelle neue geboren wurden.

»Alle herhören!«, rief ich ins Rund der Zentrale. Einige der Maschinen hielten sofort inne, die restlichen wandten sich mir Sekunden später zu.

»Du unterbrichst die Auswertungen«, tadelte Rico.

»Ich will keine komplett detaillierte Analyse, sondern die Teilergebnisse vorweg erfahren.«

»Es ist nicht deine Aufgabe, dich mit Unvollständigem zu befassen, Atlan. Wozu hast du schließlich uns ...?«

»Rico«, stoppte ich seinen Redeschwall. Er legte den Kopf schräg und sah mich von der Seite her an. Die anderen nahmen ihre Tätigkeiten wieder auf, ohne dass ich den Befehl dazu gegeben hätte. Ich hegte den Verdacht, dass er dahintersteckte.

Ein Ächzen durchlief die Basis des Ersten Zählers, gefolgt von einer heftigen Erschütterung. Haltlos taumelte ich gegen das nächste Schaltpult, ehe die Neutralisatoren einsetzten.

Der Ausfall des gesamten Antriebssystems im Unterlichtbereich war unschwer zu erkennen.

Das Hologramm hatte sich ausgeweitet. Es zeigte nicht mehr nur das helle Wallen, sondern auch eine undefinierbare Aura, die sich gleichmäßig nach allen Seiten hin ausbreitete. Lediglich die leuchtenden Punkte waren bis auf wenige verschwunden.

Sie sind ein Produkt deiner überreizten Sehnerven, behauptete der Extrasinn.

Vermutlich waren wir in die Ausläufer einer energetischen Störfront geraten, die vorübergehend unsere gesamte Positronik beeinflusste. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zwischenfalls lag bei eins zu einer Million, doch was wusste ich schon von den Gegebenheiten innerhalb der Namenlosen Zone.

»Die Distanz wächst. Dieses Etwas stößt uns regelrecht ab.«

Einer der Roboter reichte mir eine Bildaufnahme. Die am unteren Rand eingeblendeten Zahlenkolonnen verrieten, dass sie unter Vorschaltung mehrerer Filter entstanden war. Im ersten Moment wusste ich herzlich wenig damit anzufangen, dann allerdings erkannte ich in dem grobgezackten Fleck das Gebilde vor der Basis, wenngleich seine Umrisse im Spektrallicht gänzlich verändert erschienen.

Der Roboter tippte mit seinen dünnen Metallfingern auf das Bild.

»Das hier«, erklärte er, »ist die sich wellenförmig ausbreitende Strömung, die uns mit sich treibt.«

»Materie?«, fragte ich unwillkürlich. Immerhin zeigte die Aufnahme nicht viel mehr als einen verwaschenen Kreis.

»Partikel«, antwortete der Roboter. »Und Strahlung.«

Ein seltsamer Schauder erfasste mich. Ich fröstelte.

Du ziehst voreilige Schlüsse, warnte der Logiksektor. Ein solcher Zufall ist nahezu ausgeschlossen.

... aber nicht unmöglich.

Nein, kam es zögernd. Nicht unmöglich.

Ich starrte das Hologramm an, als könnte ich es auf diese Weise beschwören. Eigentlich hatte ich mir eine Materiequelle immer anders vorgestellt. Wie? Es fiel mir schwer, meine Gedanken zu ordnen; gleich flüchtigem Nebel zerrannen sie unter meinem Zugriff. In dieser Situation musste ich zugeben, dass ich absolut nichts wusste.

Das Objekt begann zu verblassen.

»Rico«, rief ich. »Unternimm etwas!«

»Wir verlieren den Kontakt.«

»Entfernung?«

»Unbestimmt.«

»Beschleunige mit Höchstwerten!«

Erst als der Roboter in typisch menschlicher Manier abwinkte, fiel mir auf, dass die Triebwerke der Basis längst im kritischen Bereich arbeiteten. Wahrscheinlich schon seit mehreren Minuten. Dennoch kamen wir nicht vorwärts. Im Gegenteil. Ich brauchte mich nicht anzustrengen, um für dieses Wallen und die sich davon gleichmäßig nach allen Seiten ausbreitende Partikelströmung einen Vergleich zu finden. Die Überzeugung, auf eine Materiequelle gestoßen zu sein, erhärtete sich. Aber zugleich war ich auch ein wenig enttäuscht. Wie groß mochte das Objekt sein? Drei Kilometer im Durchmesser, allerhöchstens vier? Das war alles andere als imposant.

Es wird bald völlig verschwunden sein, erinnerte der Extrasinn.

Ich ordnete den Einsatz des Überlichtantriebs an.

*

Ein Wimmern hallte durch die Basis des Ersten Zählers. Zugleich hatte ich das Gefühl, vorwärtsgerissen zu werden. Der Roboter sagte etwas. Seine Worte klangen dumpf und verzerrt; ich verstand nicht, was er mir mitteilte.

Das Wallen vor uns schien sich aufzublähen. Die Wiedergabe sprengte in Sekundenschnelle die Begrenzungsfelder des Hologramms, blieb aber dennoch erhalten, anstatt sofort in sich zusammenzufallen. Gut vier Meter durchmaß die Kugel, die auf mich zukam. Abwehrend streckte ich die Arme aus – die selbständig gewordene Projektion ließ sich nicht hindern, sie hüllte mich ein, schwebte weiter und berührte schließlich das nächste Aggregat, durch dessen nicht leitende Abdeckung sie zum Teil eindrang.

Das Wimmern erstarb fast schlagartig.

»Geschwindigkeit fällt«, plärrte eine Roboterstimme. »Wir nähern uns erneut dem Unterlichtbereich.«

Dann war brodelnde Helligkeit um uns her. Meine innere Anspannung wich mit einem erleichterten Seufzer; zumindest hatten wir die Randzone der vermeintlichen Materiequelle erreicht. Die Basis des Ersten Zählers befand sich in rasend schneller, wirbelnder Bewegung.

»Steuertriebwerke drei und vier ausgefallen«, meldete Rico.

Selbsttätig aktivierten sich die Schutzschirme, und fast augenblicklich verstummte jegliches von außen kommende Geräusch. Dafür wurde die Basis von verglühenden Partikeln eingehüllt. Die Materiedichte innerhalb dieser Zone mochte der intergalaktischer Wasserstoffwolken nahekommen, wie sie schon 30 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt im Sternbild des Löwen existierte. Jene Ballung atomaren Wasserstoffs entsprach einer Milliarde Sonnenmassen, und die selbst in unserem Jahrhundert noch unerforschte Besonderheit war, dass diese Wolke trotz ihrer Rotationsgeschwindigkeit von über 80 Kilometer pro Sekunde an den Rändern nicht ausfranste. Der Grund dafür schien in ungeheuren Kräften in ihrem Innern zu liegen. Letzte Berechnungen und Messungen des Phänomens hatten für die unsichtbare »Klammer« den Gegenwert von annähernd 100 Milliarden Sonnenmassen ergeben. Es war bedauerlich, dass die Menschheit selbst im 36. Jahrhundert solche Phänomene noch nicht hatte untersuchen können, obwohl durchaus von kosmischer Nachbarschaft zu sprechen war. Interessant war vor allem, dass die unsichtbare Masse nicht nur die Wolke neutralen Wasserstoffs zusammenhielt, sondern möglicherweise auch die sie umgebenden 20 bis 30 Galaxien. Natürlich existierten unterschiedliche wissenschaftliche Lesarten, von denen jede mehr oder minder logisch untermauert war. Überwiegend wurde die rotierende Gaswolke für eine Proto-Galaxis gehalten – eine Galaxis, die zwar schon eine kleine Ewigkeit bestand, aber dennoch keine leuchtenden Sterne hervorgebracht hatte.

Du meinst, dass dies alles deine Vermutung bestätigt, wir könnten es tatsächlich mit einer Materiequelle zu tun haben, wisperte der Extrasinn.

»Warum nicht?«, gab ich zur Antwort.

Das Hologramm stabilisierte sich wieder. Im gleichen Maß, wie die Bewegung der Basis gebremst wurde, schwächte sich das Glühen der Schutzschirme ab.

»Dieses Ding will uns nicht haben«, ließ Rico verlauten. »Wir werden erneut abgestoßen.«

»Glaubst du, es könnte sich um eine Materiequelle handeln?«

»Nach allem, was du mir über dein Ziel erzählt hast, kann ich es zumindest nicht gänzlich ausschließen.«

»Egal wie, es muss einen Weg geben, das Wallen zu durchdringen.« Als Rico zögerte, fügte ich rasch hinzu: »Belaste die Antriebssysteme notfalls bis zur Überpulsion, sie werden es einige Minuten lang überstehen. Vielleicht haben wir nur diese Chance.«

Rico schwieg für etliche Sekunden. Ich erkannte, dass er mit den anderen Robotern kommunizierte.

»Wir sollten unsere Waffensysteme aktivieren«, schlug er dann vor. »Vor allem durch den Einsatz der Jenseitsenergieschleuder könnte kurzfristig eine neutrale Zone geschaffen werden, die uns ein müheloses Manövrieren ermöglicht.«

»Nein.« Ich wehrte entschieden ab. Vermutlich verstanden die Roboter meine Gründe nicht, aber ich war überzeugt davon, dass die Kosmokraten jeglichen Einsatz von Waffen verurteilen würden.

»Sämtliche Energien auf Überlichtantrieb!«, befahl ich. »Schutzschirme in Flugrichtung staffeln, ansonsten abbauen!«

Angespannt beobachtete ich die Kontrollen, die rasch in den Warnbereich hochschnellten. Meine Finger verkrampften sich um die Lehne meines Sessels. Wir mussten es einfach schaffen. Daran, dass ich die Basis unbekannten Gefahren aussetzte, dachte ich in diesem Moment nicht. Das dumpfe Dröhnen überlasteter Aggregate schwoll an. Ich spürte stärker werdende Vibrationen, die das Schiff bis in seine Grundfesten erschütterten. Rico blickte kurz zu mir herüber.

»Weitermachen!«, bedeutete ich ihm. Ich konnte und wollte nicht zurück; vor allem jetzt nicht, da mein Ziel so nahe schien.

Ein gleißendes Leuchten brach über uns herein. Geblendet nahm ich nur noch Schatten wahr, die sich träge bewegten.

»Gib Feuererlaubnis.« Das war Ricos Stimme. »Wenn wir gegen die Hülle der Namenlosen Zone prallen, sind wir verloren.«

Jeden Augenblick mochten wir in die Materiequelle vordringen. Ich zögerte.

»Entscheide dich«, drängte der Roboter. »Die Basis wird zerstört ...« Er brach überrascht ab.

Schlagartig herrschte Stille.

Auch die brodelnde Helligkeit war verschwunden.

Erstaunt blickte ich auf das Hologramm, das nur noch die Schwärze des uns umgebenden Weltraums zeigte.

»Wir haben die Position nicht verändert«, bemerkte Rico.

Ich nickte zögernd. Hatte ich mit meiner Entscheidung zu lange gewartet? Oder hatte Anti-ES eingegriffen? Ich verlangte eine Auswertung des Vorgefallenen.

»Bis wann?«, fragte der Roboter.

»Am liebsten vorgestern.«

Natürlich verstand er nicht, wie ich das meinte.

*

Etliche Stunden kreuzten wir in diesem Abschnitt der Namenlosen Zone. Meine Hoffnung, die seltsame Erscheinung möge sich wieder zeigen, erfüllte sich nicht. Allerdings war unklar, ob wir uns nicht längst Millionen von Kilometern entfernt hatten.

Ein mir namentlich nicht bekannter Roboter überbrachte schließlich das Auswertungsergebnis. Sein Gesicht wirkte unsagbar traurig.

»Wieso kommt Rico nicht?«, wollte ich wissen.

Der Roboter, er war gut einen Kopf kleiner als ich, blickte mich von unten herauf an.

»Er hegt Befürchtungen ...«

»Was für Befürchtungen?«

»Du könntest mit ihm unzufrieden sein.«

Ich hatte weiß Gott in meinem Leben schon seltsame Roboter kennen gelernt, doch diese hier übertrafen alles.

»Wir hatten es mit einer normalen Aufrissfront in der Hülle der Namenlosen Zone zu tun«, fuhr mein Gegenüber fort. »Diese vorübergehend instabile Erscheinung kann mit einer der von dir erwähnten Materiequellen nichts gemein haben.«

»Bedeutet der Begriff ›Aufrissfront‹, dass hier ein Übergang zu einer anderen Dimension existierte?« Überraschend schnell fand ich mich mit den Tatsachen ab. Allerdings hatte ich mir inzwischen auch die Argumentation des Extrasinns zu eigen gemacht, derzufolge in diesem Abschnitt der Namenlosen Zone keine Materiequelle existierte. Das wäre unlogisch gewesen.

»Die Erscheinung entstand durch eine Berührung zweier Kontinua, die lediglich energetische Wechselwirkungen hervorrief«, antwortete der Roboter.

»Trotzdem muss ein Durchdringen der Hülle möglich sein.«

Er zuckte bedauernd mit den Schultern.

»Es tut mir leid. Darüber liegen keinerlei Daten vor.«

»Dann sammelt welche.« Ungehalten schlug ich meine Fäuste gegeneinander. »Und noch etwas: Stellt fest, ob eine solche Aufrissfront mit Hilfe von Jenseitsmaterie künstlich erzeugt werden kann.«

Atlan 622: Anti-Homunk

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