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2. Der 80. Geburtstag

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Wie eine Siegesflagge schwenkte Herr Blauberg die schwarz-weiß karierten Karten. „Gewonnen. Ich habe im Preisausschreiben drei Karten gewonnen“, jubelte er. „Dennis, wir gehen am Sonntag zum Formel-1-Rennen. Und Guntram nehmen wir auch mit. Mama mag keine Autorennen.“ Vor Begeisterung hüpfte Herr Blauberg auf einem Bein durch die Küche. Mit dem anderen Fuß tat er, als würde er Gas geben und lenkte mit den Händen dazu.

Dennis jauchzte und sprang hinter seinem Vater her. Seit Wochen war das große Rennen ausverkauft. Es stand in allen Zeitungen. Nirgendwo gab es noch Karten zu kaufen.

Immer schon hatte sich Dennis gewünscht, einmal Stefan Zwirninger zu sehen, die große Hoffnung im Automobilsport. In der Schule redeten alle nur noch von Stefan, der im Nachbarort aufgewachsen war.

Da kam Frau Blauberg in die Küche. Verwundert sah sie Dennis und ihren Mann an: „Was ist denn mit euch los? Habt ihr euch die Zehen eingeklemmt oder übt ihr Einbeinhüpfen?“

„Papa hat Karten gewonnen. Wir gehen hin“, rief Dennis. Seine Stimme überschlug sich. Er sprang um seine Mutter herum.

„Was für Karten?“, fragte Frau Blauberg. Achtlos stellte sie ihre Einkaufstasche auf den Tisch.

Herr Blauberg wedelte mit den Karten vor der Nase seiner Frau. „Für das Formel-1-Rennen, mein Liebling“, strahlte Herr Blauberg. „Am Sonntag.“

Frau Blauberg zog ihrem Mann die Karten aus der Hand und studierte sie genau. Dabei murmelte sie: „Am Sonntag, den 27., also …“

„Mama, du machst dir doch nichts aus Autorennen. Kann Guntram deine Karte bekommen? Bitte, bitte“, bettelte Dennis.

Frau Blauberg fuhr sich durch die Haare, so wie sie es immer tat, wenn ihr etwas nicht passte. „Ich gehe sicher nicht zum Formel-1-Rennen“, sagte sie spitz. Doch ehe Dennis jubeln konnte, fuhr sie fort: „Aber ihr geht auch nicht zu dem Rennen. Bernd, Dennis, ihr wisst ganz genau, dass am Sonntag Tante Adelgund ihren 80. Geburtstag feiert. Sie hat uns zum Kaffeetrinken eingeladen. Wir müssen hingehen.“

„Adelgund“, riefen Dennis und Herr Blauberg wie aus einem Mund. Sie sprachen den Namen Adelgund aus, als wäre er eine ansteckende Krankheit.

„Schon vor einem halben Jahr hat uns Adelgund eingeladen. Sie ist meine Patentante und hat außer uns keine Familie mehr. Selbstverständlich gehen wir hin“, sagte Frau Blauberg bestimmt und kämmte sich ein weiteres Mal durch die Haare.

Dennis wollte es nicht glauben. Sein Vater hatte Karten für das Formel-1-Rennen bekommen und jetzt durften sie nicht hingehen. Mama hatte keine Ahnung. Sie verstand überhaupt nicht, worum es ging.

„Das Rennen beginnt schon um 3 Uhr. Wir könnten später nachkommen“, versuchte Herr Blauberg zu retten, was noch zu retten war. Tante Adelgund lebte nun schon achtzig Jahre, da kam es auf ein paar Stunden bestimmt nicht an.

„Um 3 Uhr sind wir zum Geburtstagskaffee eingeladen, nicht später“, erwiderte Frau Blauberg spitz.

„Aber …“, protestierte Herr Blauberg zaghaft.

„Bernd!“, herrschte ihn Frau Blauberg an und zog die Augen so fest zusammen, dass sich ihre Brauen in der Mitte fast berührten.

Herr Blauberg schwieg beleidigt.

Dennis wurde klar, er würde am Sonntag nicht Stefan Zwirningers Runden über den Asphalt folgen, sondern höchstens Tante Adelgunds Kaffeelöffel in der Tasse. So ein Mist. Dennis war zum Heulen zumute. Warum musste Mama alles vermasseln, bloß wegen ihrer blöden Patentante.

„Vielleicht können wir etwas früher von der Geburtstagsfeier gehen und noch den Zieleinlauf anschauen“, flüsterte Papa Dennis zu. Aber Dennis glaubte nicht daran. Mama ließ in solchen Dingen nicht mit sich verhandeln.

Wütend rannte Dennis zu Guntram. Doch Guntram verstand das Problem überhaupt nicht. „Wieso?“, fragte er. „Du kannst die Ergebnisse doch im Internet ansehen. Dort steht, wer gewonnen hat, und du musst nicht das ganze Rennen verfolgen. Das ist sowieso langweilig. Die Autos fahren nur im Kreis. Und am Ende sind sie keinen Meter weiter als beim Start.“

„Aber ich will das Rennen sehen“, antwortete Dennis pampig.

„Ach so, ich dachte, dir geht es nur darum, ob Hirninger gewinnt.“

„Zwirninger“, verbesserte Dennis. „Natürlich soll Stefan gewinnen, aber das Spannende ist doch das Rennen selbst. Weißt du, das ist wie ein Buch oder ein Film. Du möchtest das Ende auch nicht vorab kennen.“

„Also ich sehe mir das Ende immer zuerst an. Dann weiß ich wenigstens, ob sich der Film lohnt.“

Dennis ließ seinen Kopf in die Hände sinken und murmelte: „Das ist doch sinnlos.“

„Finde ich auch“, sagte Guntram. „Aber wenn du unbedingt willst. Ich hab' da so eine Idee.“

„Was denn?“, fragte Dennis neugierig.

„Wir könnten am Sonntag alle Uhren zwei Stunden vorstellen. Dann fahren wir früher zu Tante Adelgund und gehen auch zwei Stunden eher. Rechtzeitig für das Rennen“, erklärte Guntram Mempelsino von Falkenschlag.

Dennis sprang auf. Er boxte Guntram in den Arm. „Das klingt ziemlich gut. So machen wir das. Und du kommst mit?“

„Klar“, nickte Guntram.

Um ganz sicherzugehen beschlossen sie, nicht einmal Dennis' Papa von dem Plan zu erzählen.

Am Sonntagmorgen, als Herr und Frau Blauberg aufwachten, hatten Dennis und Guntram alle Uhren zwei Stunden vorgestellt: Die Küchenuhr, die Uhr am Fernseher, im Wohnzimmer, auf den Handys, die Uhr im Bad, den Wecker, und, und, und. Ganz leise hatten sie sich ins Schlafzimmer geschlichen, um die Armbanduhren der Eltern zu verstellen. Sogar an die Uhr im Auto hatten sie gedacht.

Aufgescheucht kam Frau Blauberg aus dem Schlafzimmer gelaufen: „Bernd, wir haben verschlafen. Es ist schon zwölf. Wir müssen uns beeilen.“ Hektisch begann sie in der Küche mit dem Geschirr zu klappern. Dennis hasste es, wenn er gehetzt wurde, aber heute half er ohne zu murren mit.

Kurz vor halb drei trieb Frau Blauberg Dennis und ihren Mann aus der Wohnung: „Beeilt euch! Wir müssen los.“

Guntram lehnte lässig an der Garagentür und wartete in der warmen Frühlingssonne. „Was willst du denn hier?“, fragte Frau Blauberg.

Dennis fand seine Mutter heute ungenießbar.

Aber Guntram ließ sich kein bisschen aus der Ruhe bringen: „Ich fahre mit zu Tante Adelgunds 80. Geburtstag. Sie hat doch sonst niemanden mehr“, sagte Guntram und machte ein betroffenes Gesicht.

„Na gut“, willigte Frau Blauberg ein. „Dann aber schnell ins Auto.“

Tante Adelgund wohnte am anderen Ende der Stadt in einem kleinen Häuschen mit Garten. Als sie die Tür öffnete, trug sie die Haare in Lockenwickler eingedreht. Adelgund strahlte, als sie die Blaubergs sah: „Das ist ja lieb, dass ihr zwei Stunden früher kommt, um mir zu helfen. Es gibt noch so viel zu tun.“

„Zwei Stunden zu früh? Wieso denn das?“, stammelte Dennis' Mutter. „Aber wir helfen natürlich gerne.“

Dennis funkelte Guntram ärgerlich an und zischte: „So ein Mist. An Tante Adelgunds Uhren haben wir nicht gedacht.“

Gut gelaunt nahm Tante Adelgund die Geburtstagsglückwünsche entgegen und verteilte die Aufgaben. Als Erstes musste der riesige Eichentisch aus dem Wohnzimmer nach draußen in den Garten geschleppt werden. „Das Wetter ist heute so schön. Wir trinken draußen Kaffee“, freute sich Tante Adelgund. „Käthe und Berta, meine besten Freundinnen, kommen auch.“

„Sie ist also ganz allein, deine arme Patentante. Sie hat niemanden?“, zischte Herr Blauberg seiner Frau zu.

„Es ist ihr Achtzigster“, giftete Frau Blauberg zurück.

Dennis schwitzte. Immer wieder musste er zwischen Küche und Garten hin und her rennen: Die Teller decken, die Kuchengabeln, die Tassen, die Löffel, die guten Servietten, und, und, und. Zwei Stunden früher war er aufgestanden und jetzt musste er nur schuften.

„So eine Schnapsidee“, zischte Dennis Guntram zu, der in der Küche herumstand und Tante Adelgund beim Sahneschlagen half. Guntram naschte von der Sahne und plauderte mit Adelgund.

Bald würde das große Rennen starten und sie hatten noch nicht einmal mit dem Kaffeetrinken begonnen.

Um Viertel vor drei klingelte es. Endlich kamen Adelgunds Freundinnen Käthe und Berta. Sie gratulierten Adelgund und nahmen ihre Freundin in den Arm, immer wieder. Es kam Dennis wie eine halbe Ewigkeit vor, ehe Adelgund endlich sagte: „Meine lieben Gäste, lasst uns in den Garten gehen. Der Kaffee ist fertig.“

Es war fünf Minuten vor drei. Herr Blauberg sagte traurig zu Dennis: „Das Rennen müssen wir uns endgültig abschminken. Nur ein Wolkenbruch könnte uns jetzt noch retten. Dann würden sie den Start verschieben. Aber danach sieht es nicht aus.“

Dennis blickte hinauf in den strahlend blauen Himmel. Nicht das kleinste Wölkchen war zu entdecken. Das Porzellangeschirr glitzerte im Sonnenschein.

„Regenschauer?“, fragte Guntram, der plötzlich hinter Dennis stand. „Du meinst, das hilft?“

Dennis nickte.

„Komm mit“, Guntram zupfte Dennis am T-Shirt. Sie gingen hinter die großen Büsche. Dort zog Guntram seinen Zauberstab aus seinem Samtumhang.

„Du kannst Regen zaubern?“, fragte Dennis ungläubig.

„Klar, lernen wir schon im Anfängerkurs. Das ist nicht besonders schwierig“, sagte Guntram. Breitbeinig stand er auf dem moosigen Boden und schwang seinen Zauberstab.

„Nicht nur Regen. Wir brauchen einen richtigen Wolkenbruch“, mahnte Dennis.

Guntram spuckte unverständliche Silben aus und dann ein zorniges Plombat. Dabei stieß er seinen Zauberstab in den Himmel.

Als hätte er einen riesigen, mit Wasser gefüllten Ballon angestochen, stürzte augenblicklich eine Sintflut herab, als ob Badewannen über ihnen ausgekippt würden.

Klatschnass klebten die Klamotten an Dennis. Der Regen war eiskalt. Trotzdem lief ihm ein heißer Schauer über den Rücken. Nun könnten sie doch noch dabei sein, wenn Stefan Zwirninger sein Rennen gewann.

Tante Adelgund und ihre Freundinnen kreischten entsetzt. Nur Herr Blauberg jubelte, als hätte er soeben ein Tor geschossen. „Das Rennen wird verschoben“, schrie er und sank auf die Knie. Dabei reckte er eine Faust in den Himmel.

„Bernd, Dennis, Guntram, bringt die Möbel und das Geschirr ins Haus. Schnell, schnell“, kommandierte Frau Blauberg. „Ich kümmere mich um die Damen.“

In bester Laune machten sich Dennis, Guntram und Herr Blauberg an die Arbeit. Fröhlich pfeifend trugen sie das Kaffeegeschirr zurück. Es machte Dennis nicht das Geringste aus, dass selbst seine Unterhose klatschnass an ihm klebte. Seine Schuhe quietschten bei jedem Schritt und Guntram schneuzte in sein durchweichtes Taschentuch.

„Beeilt euch! Ihr erkältet euch noch“, rief Frau Blauberg von drinnen.

Als sie das Geschirr und die Möbel gerettet hatten, duschten sie heiß. Mama brachte ihnen trockene Kleider von Tante Adelgund. Herr Blauberg trug Adelgunds geblümten Bademantel und dazu eine enge Gymnastikhose. Dennis entschied sich für Adelgunds beigen Schlafanzug mit Samtborte. Die Ärmel und Hosenbeine hatte er hochgekrempelt, um nicht darüber zu stolpern. Guntram zog Adelgunds rosafarbene Rüschenbluse an und dazu eine wollene Angoraunterhose.

Adelgund und ihre Freundinnen kicherten, als Dennis, Guntram und Herr Blauberg im Wohnzimmer auftauchten. Und dann begann ein unerwartet lustiger Nachmittag. Adelgund kannte jede Menge Witze und wurde nicht müde, immer neue aus ihrer Erinnerung zu kramen.

Erst nach zwei Stunden, als der Regen aufhörte und die Sonne wieder schien, wurde Herr Blauberg nervös und meinte, es wäre Zeit zu fahren. Jetzt könnten sie das Rennen doch noch ansehen.

„In diesen Klamotten?“, fragte Frau Blauberg und lachte.

„Jawohl, in diesen Klamotten“, sagte Herr Blauberg. Ganz ernst sah er dabei aus. „Es gibt Dinge, die sind wichtiger als Kleidung.“

Dennis schluckte. Er wollte Kalle auf keinen Fall in dem beigen Tanten-Schlafanzug begegnen, aber Guntram zupfte die rosafarbenen Rüschen seiner Bluse zurecht und meinte: „Wieso? Sieht doch ordentlich aus.“ Und so blieb Dennis nichts anderes übrig als zu nicken.

Die Blaubergs und Guntram verabschiedeten sich von Adelgund und ihren Freundinnen.

Obwohl die Sonne wieder schien, sanken ihre Füße auf dem Weg zum Gartentor wie in einen nassen Schwamm. Teichgroße Pfützen hatten den Rasen überschwemmt. Und von den Bäumen tropfte es herab, als würde es immer noch regnen.

Auf dem Weg zur Rennbahn gab Herr Blauberg Gas wie Stefan Zwirninger.

„Ras nicht so, Bernd!“, ermahnte Frau Blauberg ihn.

„Wir müssen uns beeilen.“

Mit quietschenden Reifen bog Herr Blauberg auf den staubigen Parkplatz vor dem Rennplatz. Unzählige Autos stauten sich ihnen entgegen. Aber kein einziger Wagen hatte Wassertropfen auf der Scheibe oder dem Dach.

„Könnte es sein, dass der Wolkenbruch nur über Tante Adelgunds Grundstück stattgefunden hat?“, fragte Dennis leise.

„Mmh“, machte Guntram. „Ich wusste ja nicht, dass …“

Ärgerlich schlug Herr Blauberg gegen das Lenkrad, dass es nur so hupte. „So ein Mist. Hier hat es gar nicht geregnet. Das Rennen ist längst vorbei.“

Guntram betrachtete konzentriert seine Fingernägel.

„So ein Mist, im Fernsehen haben wir das Rennen auch verpasst“, motzte Dennis. Das war wirklich ein bescheuerter Tag. Alles lief schief!

Da drehte sich Frau Blauberg um und strahlte: „Kein Problem, meine Lieben, ich habe das Rennen für euch aufgenommen. Ihr könnt es zu Hause ansehen und wenn wir die Uhren verstellen ist das so gut wie live.“

„Danke, Mama“, freute sich Dennis. Und Guntram und Herr Blauberg johlten um die Wette. Spaziergänger drehten sich verwundert nach dem Auto um, das ein Mann in geblümtem Bademantel lenkte.

Dennis und Guntram - Zaubern für Profis (Band 3)

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