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Fauler Goldstaub

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Die Freude über Lomocos Rückkehr hatte die Kinder bereits bei Morgengrauen aus dem Bett getrieben. Ausgerechnet heute. Es war der erste Tag ihrer heiß ersehnten Sommerferien. Der gemeinsame Sommerurlaub in Mareverde rückte greifbar nahe: Nur noch zwei Wochen.

Hugo führte den Kindern abenteuerliche Flugkunststücke vor und Lomoco surrte quietschend durch die Wohnung. Er zeigte, was er von Der perfekten Hausfrau alles gelernt hatte. Auf dem Frühstückstisch funkelte das gute Sonntagsgeschirr mit dem Blumenmuster. Das Silberbesteck war blitzblank poliert. Es fiel kaum ins Gewicht, dass Lomoco das Müsli in Weingläsern servierte.

Noch etwas müde von der Feier am Abend, saßen lauter glückliche Brömstetts um den Frühstückstisch. Nur Malina machte ein bedrücktes Gesicht. Es passte nicht zu ihrer sonst so fröhlichen Art.

„Mama, was ist los mit dir? Freust du dich gar nicht, dass Lomoco wieder da ist? Und Hugo ist so ein lustiger Kerl. Mit ihm werden wir viel Spaß haben“, sagte Jella.

Malina reagierte nicht auf die Frage ihrer Tochter und rührte abwesend im Kaffee. Erst als Jella nachbohrte, blickte Malina auf und sagte: „Nein, nein, Kinder, ich freue mich riesig, dass Lomoco wieder da ist. Und Hugo gefällt mir wunderbar. Damit hat das überhaupt nichts zu tun.“

„Mama, was ist es dann?“, Jella ließ nicht locker.

„Es geht um meine Arbeit. Seit vielen Monaten arbeite ich an den Plänen für einen neuen Landwirtschaftsroboter. Sie müssen vor unserem Urlaub fertig werden.“

„Du hast in den letzten Tagen und Nächten sehr viel gearbeitet. Ich dachte, die Pläne sind fast fertig?“ fragte Jakob, der Vater der drei, und goss Milch in sein Müsliweinglas.

„Na ja, einigermaßen. Aber ein paar richtig gute Ideen fehlen noch. Mein neuer Landwirtschaftsroboter wird Gras mähen können, Kartoffeln ernten, säen, Kühe melken und Getreide ernten.“

„Das ist sehr viel.“

„Viel schon, aber etwas wirklich Bahnbrechendes fehlt noch. Mein Chef ist nicht richtig zufrieden. Er verlangt neue Ideen. Und das Schlimmste: Seit gestern finde ich die Datenkugel nicht mehr, auf der die Pläne gespeichert sind. Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich muss sie verlegt haben. Da steckt mehr als ein Jahr Arbeit drin“, knirschte Malina und rührte erbarmungslos in ihrem Kaffee, bis er überschwappte.

„Und wenn sie jemand gestohlen hat?“, fragte Jella nach.

„Nein, auf keinen Fall. Über all der Arbeit habe ich einfach vergessen, wo sie liegt. Dabei könnte ich schwören, dass ich sie im Büro auf meinen Schreibtisch gelegt hatte. Die Datenkugel taucht bestimmt wieder auf. Aber sollte ich sie in den nächsten Tagen nicht finden, fällt unser gemeinsamer Urlaub ins Wasser. Dann muss ich arbeiten.“

Schweigen breitete sich über dem Frühstückstisch aus. Die Kinder blickten entsetzt auf Malina. Ein Sommerurlaub ohne Mama. Das wäre kein Sommerurlaub.

„Malina, ich kann dir helfen, neue Ideen zu finden“, mischte sich Lomoco ein. Seine Knopfaugen funkelten.

„Wie denn? Du bist zwar ein Roboter, aber du kennst dich nicht in der Landwirtschaft aus. Woher willst du wissen, welche Arbeiten auf einem Bauernhof erledigt werden müssen?“, fragte Malina freundlich nach, doch in Gedanken schien sie ganz weit weg zu sein.

„Das stimmt. Ich habe keine Ahnung, wie ein Landwirtschaftsroboter arbeitet“, sagte Lomoco, „aber ich könnte auf einen Bauernhof fahren, dort mit dem Bauern sprechen. Ich sehe ihm bei seiner Arbeit zu und nehme alles auf Video auf. Dann siehst du genau, was dein Landwirtschaftsroboter können muss.“

Malina zögerte kurz. Die Idee war gut. Auch wenn sich Lomoco nicht auskannte, mit einer Videokamera könnte er alles genau beobachten. Das würde ihr bestimmt helfen. Sie gab sich einen Ruck: „Lomoco, das ist eine super Idee.“

„Ich will auch mit", meldete sich Fabius zu Wort.

„In Ordnung, von mir aus“, erlaubte es Jakob. „Aber macht keinen Blödsinn. Fragt den Bauern sehr höflich und stört ihn nicht bei seiner Arbeit.“

„Abgemacht, Papa“, antwortete Fabius, sprang begeistert vom Frühstückstisch auf und trieb Lomoco zur Eile an, der gerade noch ein Marmeladesandwich vertilgte.

Klar, auch Hugo, die kleine Endurofledermaus, begleitete die beiden. Jella hatte ein wichtiges Fußballtraining und musste leider auf den Ausflug verzichten.

Gleich nach dem Frühstück machten sich Lomoco, Fabius und Hugo auf den Weg. Sie durften die fliegende Untertasse der Brömstetts nehmen.

Wie ein erfahrener Pilot steuerte der himmelblaue Haushaltsroboter die Untertasse aus der Stadt, dorthin wo die Bauernhöfe lagen – große, mittlere und kleine. Natürlich suchten sie den größten aus. Dieser Bauer musste wissen, worauf es ankam.

Lomoco lenkte die Untertasse auf die Landepiste des Bauernhofs. Es war nicht, wie sonst üblich, eine kleine mit Kies aufgeschüttete Piste, sondern eine vierspurig betonierte Landebahn. Der Hof lag mit mehreren Gebäuden wie ein grauer Koloss am Waldrand und überragte selbst die höchsten Bäume um mehr als das Doppelte. Der Wald verschwand fast im Schatten des Hofs. Aus Beton gegossene Schnitzereien verzierten das düstere Wohnhaus. Kleine Fenster erinnerten an Schießscharten und der schwarze Teer des Dachs tropfte in der Sommerhitze herab. Daneben erhob sich in riesenhafter Gestalt ein grauer Betonklotz. Sicher 20 Stockwerke hoch und ausladend wie ein Fußballfeld. Die glatten Wände wurden nur von Lüftungsschlitzen und einer winzigen Tür durchbrochen. Fabius entdeckte keine Fenster. War das der Stall? Kleinere Betongebäude, vielleicht Lagerräume, lagen in einem Halbkreis um den Riesenklotz.

Fünf gigantische Transportuntertassen schwebten im Innenhof. Sie waren völlig verdreckt und konnten sicher 500 Kühe auf einmal transportieren. In verschnörkelten Buchstaben stand darauf zu lesen: „Protzkis Nahrung für deine Gesundheit die Wahrung“. Am Steuer der Untertassen saßen stumpfe Flugroboter. Sie hatten keine Beine und waren auf den Sitzen festgeschraubt. Tag und Nacht mussten sie fliegen. Lomoco beneidete sie nicht um ihre eintönige Tätigkeit.

„So riesige Transporter habe ich noch nie gesehen", staunte Fabius.

Eine Untertasse wurde gerade beladen. Aus einem dicken Schlauch floss eine zähe gelbbraune Pampe in das Innere des Laderaums.

„Igitt, was ist das für ein Matsch?“, ekelte sich Lomoco. Er parkte die kleine Untertasse der Brömstetts versteckt im Schatten eines Riesentransporters. Als sie die Glaskuppel ihrer Untertasse öffneten, musste Fabius würgen. Es stank entsetzlich. Er hielt sich die Nase zu, atmete nur noch durch den Mund. Lomoco drehte an seiner Schraubennase, sodass er nichts mehr roch. Und Hugo fiepte jämmerlich.

Dutzende von Arbeitsrobotern marschierten über den Hof. Einige schoben turmhoch beladene Schubkarren, andere schleppten riesige Mengen Mist und manche balancierten Stapel brauner Kartons. Keiner achtete auf die drei Besucher.

„Was lädst du da ein?“, fragte Fabius den Roboter, der die gelbbraune Pampe in die Transportuntertasse fließen ließ.

„Kartoffeln“, kam die knappe Antwort.

„Kartoffeln?“, Fabius schüttelte den Kopf. „Das sollen Kartoffeln sein? Nein, Kartoffeln sehen anders aus.“

„So lassen sich Kartoffeln billiger transportieren. Sie werden gleich nach der Ernte zu Brei gepresst und später im Laden wieder zu Knollen geknetet. Diese Kartoffeln muss man nicht einmal mehr schälen“, erklärte der Arbeitsroboter.

Fabius verzog das Gesicht und beschloss, nie wieder Kartoffeln zu essen außer Pommes, da wollte er eine Ausnahme machen. Lomoco nahm den Bauernhof mit seiner Kamera auf.

Fabius gruselte sich vor dem düsteren Bauernhof. Hier wollte er nicht bleiben. Die Bauernhöfe in seinem Schulbuch sahen ganz anders aus.

„He, wo finden wir den Bauern?“, fragte Lomoco einen vorbeihastenden Arbeitsroboter.

„Den Bauern? Er sitzt im Keller seines Wohnhauses. Immer sitzt er dort. Aber ich weiß nicht, ob ihr zu ihm dürft“, antwortete der Arbeitsroboter und eilte weiter.

„Lass uns nach Hause fliegen“, drängte Fabius.

Doch damit gab sich Lomoco nicht zufrieden. Er knipste seine Videokamera aus und sagte unternehmungslustig: „Natürlich gehen wir zu dem Bauern. Der komische Arbeitsroboter hat es nicht verboten.“

Unsicher folgte Fabius dem voraussurrenden Lomoco. Daumen und Zeigefinger hielt er fest an die Nase gepresst. Hugo flatterte hustend nebenher.

Mit Schwung stieß Lomoco die Tür des Wohnhauses auf. Fabius traute seinen Augen nicht. Dahinter öffnete sich eine andere Welt. Anstelle grauen Betons bedeckte feinster Marmor den Boden. Goldene Lampen tauchten den Raum in ein warmes Licht. Apfelgroße Edelsteine in allen Regenbogenfarben schmückten die Wände.

Sprachlos traten die drei ein. Die schwere Tür fiel sanft hinter ihnen zu und der Gestank blieb ausgesperrt. Erleichtert ließ Fabius seine Nase los.

„Das sieht wie ein Schloss aus“, staunte er. „Wohnt hier ein König?“

„Ich will auch König sein, ich will auch König sein", krähte Hugo vergnügt.

Sanfte Musik perlte aus unsichtbaren Lautsprechern. Golddurchwirkte Teppiche zeigten den Weg. Sie waren zu prunkvoll, um sie mit Schuhen zu betreten. Dort, wo sie dreckige Gummistiefel erwartet hatten, standen feinste Seidenpantoffeln in einem reich verzierten Elfenbeinregal.

„Hallo Bauer“, rief Lomoco - einmal, zweimal, dreimal. Niemand meldete sich.

„Ist nicht zu Haus, ist nicht zu Haus. Ich will heute König sein“, plapperte Hugo und streichelte ganz vorsichtig über die Edelsteine.

Fabius hatte so ein komisches Gefühl. Sein Magen klumpte wie ein Stück Käse.

„Dort hinten ist eine Treppe. Kommt, wir suchen den Bauern“, schlug Lomoco vor und zeigte auf das Ende des langen Ganges.

„Muss das sein?", fragte Fabius. Am liebsten wäre er sofort umgekehrt.

Eine prunkvolle Treppe führte hinab. Die Kellerwände – mit geschliffenen Saphiren verziert - verströmten ein beruhigendes blaues Licht. Ganz hinten im Keller stand ein riesiger goldener Tresor, groß wie ein Überseecontainer. Die Tür war nur angelehnt. Aus dem Inneren des Tresors drangen Licht und Wortfetzen.

„Kommt, wir sehen nach“, sagte Lomoco und surrte voran.

„Ich weiß nicht, das ist vielleicht verboten“, zögerte Fabius.

Doch schon stand Lomoco an der Tresortür und klopfte mit seiner Blechhand. Eine dünne Stimme antwortete: „Herein, herein, wo bleibt mein Goldpuder.“

Lomoco zog die schwere Tresortür auf und alle drei traten ein.

Der Anblick war überwältigend: Überall Gold. Nichts als Gold. Ein goldener Boden. Goldene Wände. Goldene Vorhänge. In der Mitte des Tresors thronte ein goldener Fernseher. Bilder flimmerten. Gegenüber stand ein goldenes Sofa. Ein Mann mit dünnen Ärmchen saß darauf. Seine streichholzdürren Beine steckten in goldenen Seidenpantoffeln. Nur der Bauch des Mannes war enorm dick. Ein golddurchwirkter Bademantel spannte sich darum. Sein Gesicht war seltsam blass, weiß wie billige Wachskerzen und wabbelig. Der Mann blickte die drei mit trüben Augen und einem dünnen Strichmund an. „Wer seid ihr?“, wollte er wohl fragen, doch seine dünne Stimme versagte und es kam nur ein leises Rülpsen.

„Guten Tag, wir sind Lomoco, Fabius und Hugo“, stellte der himmelblaue Roboter die drei freundlich vor.

Fabius` Knie zitterten. Er hatte Angst, obwohl der Mann ziemlich jämmerlich aussah. Wenigstens waren Lomoco und Hugo dabei.

Mit dünner Stimme antwortete der Mann: „Ich bin Bauer Protzki. Willkommen auf meinem Hof, dem reichsten Hof der ganzen Gegend. Bewundert mein Gold und meine Edelsteine, aber fasst nichts an. Und jetzt lasst mich in Ruhe. Ich möchte fernsehen.“

Protzki drehte seinen Kopf zum Fernseher und starrte auf die flimmernden Bilder.

„Welche Sendung siehst du an?“, fragte Lomoco neugierig.

„Keine Ahnung“, antwortete Protzki schlapp. „Ich sehe immer fern – den ganzen Tag, jeden Tag. Da ich alles sehe, ist mir egal, was gerade läuft. Ich verpasse nichts.“

„Puh, irre langweilig“, dachte Fabius.

Lomoco ließ nicht locker: „Herr Protzki, zeigst du uns bitte deinen Hof? Wir sind für Malina unterwegs. Das ist Fabius` Mama. Sie ist Roboterkonstrukteurin bei FamersFun. Malina sucht neue Ideen für noch bessere Landwirtschaftsroboter.“

„Bessere Landwirtschaftsroboter?“ Protzkis Augen blitzten ganz kurz auf. „Ich weiß nicht, ob ich das darf“, murmelte er und wandte sich dann mit einem Rülpser an Lomoco. „Na gut, wenn es sein muss. Kommt mit. Ich führe euch durch meinen Hof. Den reichsten Hof der ganzen Gegend. Aber ich glaube, ich erwähnte das bereits.“

Protzki erhob sich von seinem Sofa und für einen Moment glaubte Fabius, dass die dünnen Beinchen unter Protzkis Bauch abknicken würden. Doch er irrte sich. Mühsam schlurfend und schwer schnaufend, schlappte Protzki voran. Die Beinchen hielten. Bei jedem Schritt wabbelte sein wachsweißes Gesicht.

Protzki führte Fabius, Lomoco und Hugo durch einen unterirdischen Gang.

„Dieser Gang führt mich überallhin. Ich hasse die Sonne. Ich mag keinen Regen. Nie gehe ich nach draußen", sagte Protzki und schnaufte dabei wie eine Fahrradpumpe.

„Wo sind deine Felder und Wiesen?“, fragte Lomoco.

„Felder, Wiesen, ha, die liegen alle in meiner hypermodernen Landwirtschaftsproduktionshalle LWPH1. Etwas Besseres gibt es nicht“, prahlte Protzki. „Ihr habt doch das große graue Gebäude gesehen. Da steckt alles drin. Kühe, Schweine, Hühner, Felder und Wiesen. Sogar einen See für die Fischzucht habe ich in meiner LWPH1 anlegen lassen. Ich bin unabhängig vom Wetter und produziere mehr Lebensmittel als alle anderen Bauern zusammen.“ Protzki hustete. Goldstaub wirbelte aus seinem Mund. Er wischte mit dem Ärmel seines Bademantels darüber. Dann fuhr er fort: „Aber eigentlich ist mir das alles egal. Ich interessiere mich nur noch für Gold und Fernsehen. Jawohl, Gold und Fernsehen.“

Protzki schlurfte zu der Betontreppe, die am Ende des Ganges nach oben führte. Dort gab es weder Gold noch Edelsteine. Der Prunk hatte sich aufgelöst wie eine Fata Morgana. Sie standen in einem Treppenhaus aus rauem Beton. Gestank wehte herab.

Hugo flatterte neben ihnen her und krähte: „Will doch kein König werden, will doch kein König werden.“

Nach einigen Stufen erreichten sie einen Aufzug. Der Bauer öffnete die Tür: „Bitte einsteigen, wir fahren ganz nach oben in den 20. Stock und gehen Stockwerk für Stockwerk hinab. Dann könnt ihr alles sehen, meinen ganzen Reichtum.“

„Hoffentlich darf ich das“, murmelte Protzki zu sich selbst.

Der schwere Lastenaufzug setzte sich rumpelnd in Bewegung. Langsam wurde er nach oben gezogen. Ängstlich starrte Fabius auf die flackernden Lämpchen. Es ging immer weiter hinauf. Wenigstens war Lomoco bei ihm. Endlich hielt die Rumpelkiste im 20. Stock.

„Bitte aussteigen. Wir beginnen unsere Führung mit der Geflügelfarm in der LWPH1“, erklärte Protzki und schlurfte voran. „Mit den Hühnern und Puten verdiene ich jeden Monat ein halbes Zimmer voller Gold.“

„Wofür brauchst du so viele Zimmer mit Gold? Wenn ein Zimmer voller Gold ist, kann man dort nicht mehr spielen“, fragte Fabius.

Protzki schnäuzte sich in ein goldenes Taschentuch und brummte: „Dummes Kind, Gold ist so wertvoll, davon kann ich viele neue Zimmer bauen lassen und ich habe noch mehr Platz für Gold.“

Heiße, stickige Luft schlug ihnen in der Geflügelfarm entgegen. Lärm schnatterte durch die Halle. Tausende von Hühnern und Puten standen auf ihren Plätzen, die kleiner waren, als ein Blatt Papier. Das Federvieh wurde seinem Namen nicht mehr gerecht. Alle Tiere waren völlig nackt, hatten keine einzige Feder am Körper.

Protzki lächelte spöttisch auf Fabius herab und sagte: „Du wunderst dich, dass die Tiere keine Federn haben? Das ist viel praktischer so. Ohne Federn sind sie dünner und benötigen weniger Platz. Essen kann man die Federn sowieso nicht.“

Fabius taten die Hühner leid. Hugo flatterte durch die Halle und merkte sich alle Einzelheiten. Er sah kleine Arbeitsroboter, die Hühnereier einsammelten und je nach Größe und Farbe auf unterschiedliche Förderbänder legten. Nach einigen Kurven verschwanden die Eier hinter grauen Klappen.

Eier einsammeln und sortieren, notierte Hugo als Aufgabe für Malinas Landwirtschaftsroboter.

„Protzki sieht auch wie eine Pute aus“, flüsterte Lomoco Fabius zu, „ein dicker Bauch auf ganz dünnen Beinchen.“

„Und keine Federn auf dem Kopf“, kicherte Fabius.

„Was passiert mit den Eiern auf dem Förderband?“, wollte Lomoco wissen.

Protzkis Augen drehten sich suchend hin und her, dann stotterte er: „Ähm, ähm, keine Ahnung, weiß ich nicht. Das machen die Roboter. Interessiert mich nicht. Ich brauche nur Gold und den Fernseher. Das Federvieh ist mir egal.“

Fabius wunderte sich. Der komische Bauer kannte sich nicht einmal auf seinem eigenen Bauernhof aus.

Protzki schritt schwitzend voraus. Er war in Fahrt gekommen und erzählte ununterbrochen mit dünner Stimme, wie viel Gold er hatte, und wie er noch mehr Gold verdienen würde.

Eine Treppe führte hinunter in das nächste Stockwerk.

„Liebe Gäste, wir kommen nun zum Prunkstück meines Bauernhofes“, dozierte Protzki und japste nach Luft, ehe er fortfuhr. „Die Schweinezucht. Mit der Schweinezucht verdiene ich jeden Monat zwei Zimmer voller Gold.“

„Dann sind deine Zimmer bald voll", bemerkte Lomoco frech.

Protzki nahm die Frage sehr ernst: „Deshalb habe ich den goldenen Tresor bauen lassen. Dort ist mein Platz, wenn alle Zimmer voll sind. Ich esse ausschließlich Goldpuder, damit auch ich eines Tages aus purem Gold bin.“

„Klingt ekelhaft“, flüsterte Fabius. „Darum hat er so eine ungesunde Gesichtsfarbe und der dicke Bauch ist randvoll mit Goldstaub.“

Im Schweinestall stank es noch mehr.

Fabius glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Solche Schweine hatte er noch nie gesehen: Wie bei gewöhnlichen Schweinen war ihre Haut rosa oder mit Matsch bedeckt. Auch waren sie nicht höher als ein normales Hausschwein und der Kopf sah ganz nach Schwein aus. Ein Schwänzchen ringelte sich am Po, aber Protzkis Schweine waren gut sechs bis sieben Meter lang, mindestens dreimal so lang wie normale Schweine. Sie sahen aus wie riesige rosa Würste mit Beinen.

Mitten um ihren Bauch hatten die bemitleidenswert langen Schweine einen dicken schwarzen Gürtel. Unten waren Rollen angebracht.

„Die Langschweine haben alle eine Rolle unter dem Bauch, damit er nicht auf dem Boden schleift“, bemerkte Lomoco aufgeregt.

„Sehr gut, sehr gut, kleiner Roboter“, lobte Protzki gönnerhaft. „Hier, meine Gäste, seht ihr die berühmten Protzki–Langschweine. Sie ergeben dreimal so viele Schnitzel, wie herkömmliche Schweine. Du isst doch gerne Schnitzel, mein Junge.“

„Eigentlich ja.“ antwortete Fabius zögerlich, und war sich nicht sicher, ob er auch in Zukunft noch Schnitzel essen wollte.

„Ich habe im ganzen Universum das Patent auf meine Protzki–Langschweine“, erklärte der Bauer weiter. „Niemand außer mir darf diese Langschweine bauen.“ Die dünne Stimme zitterte vor Stolz.

„Wie baut man denn Schweine?“, wollte Lomoco wissen.

„Das weißt du nicht, dummer Roboter, ha ha ha“, freute sich Protzki und sein weißes Wachsgesicht wabbelte. „Also man braucht zunächst ein, ein, ein äh...“ Protzki kam ins Stocken. „Ach ihr dummen Kinder, viel wichtiger ist doch das Gold.“

Hugo flatterte unbemerkt umher und machte sich Notizen. Er war ein wirklich aufmerksamer Beobachter: Rollen sauber kratzen, schrieb er auf. Kleine braune Arbeitsroboter reinigten immer wieder die Bauchrollen der Langschweine. Sammelte sich zu viel Matsch und Schlamm in einer Bauchrolle, blockierte diese. Das Schwein kam ins Schleudern und fiel um. Oftmals verknoteten sich Schweine bei diesen Unfällen Schweine entknoten, schrieb Hugo auf. Arbeitsroboter entwirrten mühsam die verdrehten Schweine. Manchmal verknoteten sich mehrere Schweine ineinander und es gab kompliziert zu lösende Doppel- und Dreifachknoten. Dabei hielten die Schweine nicht klaglos still wie ein Schuhband, sondern zappelten quiekend umher. Manch ein Arbeitsroboter fiel dabei selbst in den tiefen Matsch.

„So eine blöde Arbeit.“ Lomoco hatte Mitleid mit seinen entfernten Verwandten, den braunen Arbeitsrobotern. Aber denen war das wohl egal. Sie besaßen sicher keinen EMO-Chip.

Protzki balancierte mit seinen Seidenpantoffeln auf dem dünnen Holzsteg durch den Schweinematsch. Nur nicht danebentreten. Fabius und Lomoco folgten nachdenklich. „Für so einen miesen Bauernhof sollte Malina keine Roboter bauen“, überlegte Fabius.

Am Ende der Halle hielt Protzki kurz inne und drehte sich zu Fabius und Lomoco um. Er wollte etwas sagen, da versagte sein Stimmchen. Sein Wachsgesicht schien noch weißer, fast durchsichtig. Seine Knie zitterten und die matten Augen trieften jämmerlich.

Biomotoren dröhnten auf.

Hugo schoss hinter einen Betonvorsprung an der Decke. Drückte sich ganz dicht heran. Er war auf dem grauen Beton fast unsichtbar.

Fabius zuckte zusammen. Ängstlich griff er nach Lomocos Hand. Doch der hatte sich längst umgedreht. Das Dröhnen kam näher. Immer lauter. Zitternd wandte sich Fabius um, versuchte sich hinter dem kleinen, himmelblauen Roboter zu verstecken.

Da sah er einen riesigen HX-Roboter heraneilen. Seine Biomotoren dröhnten ärgerlich. Der schwarze Roboter war mindestens zwei Meter groß und auf den breiten Schultern saß ein kleiner Kopf mit stechenden Augen. Die Mundwinkel zog er nach unten, als hätte er gerade ein Glas Essig getrunken.

Mit aufheulenden Motoren stoppte der HX-Roboter vor Fabius und Lomoco, schien die beiden zunächst nicht zu bemerken und fauchte den Bauern an: „Protzki, was soll das? Wir haben eine Abmachung. Dir gehört der goldene Tresor und ich besorge all das Gold für dich. Dafür bin ich Chef über den Bauernhof. Es ist dir ein für alle Mal verboten die LWPH1 zu betreten. Wenn ich dich noch einmal hier erwische, nehme ich dir deinen Fernseher weg. Und jetzt raus hier, bevor ich mich vergesse.“

Protzki zitterte am ganzen Leib. Wimmernd rannte er los: „Nein, nicht den Fernseher. Bitte nicht.“ Und es kam wie es kommen musste. Eines der dünnen Beinchen konnte den dicken Körper nicht länger tragen, rutschte weg und Protzki stürzte in den Schweinematsch. Unter heftigem Umrühren und Zappeln tauchte er wieder auf, über und über mit Matsch bedeckt. Mühsam keuchend rappelte er sich auf und eilte gebückt davon.

„Mit dem braunen Schweinematschgesicht sieht er gesünder aus, nicht so wachsweiß“, witzelte Lomoco.

Jetzt fixierte der schwarze HX-Riese Fabius und Lomoco. Er beugte sich ganz dicht zu Fabius herunter und herrschte ihn an: „Wer bist du, Kleiner? Was machst du hier? Weißt du nicht, dass das Betreten der LWPH1 STRENGSTENS verboten ist?“

Fabius fand keine Zeit zu antworten, da wandte sich der HX an Lomoco: „Du unverschämter Zwergenroboter. Du sollst arbeiten, Schweinerollen säubern, Schweine entknoten. Ab mit dir in den Schweinematsch.“ Der schwarze HX funkelte Lomoco zornig an. Er hob ihn mit seinen kräftigen Armen ohne Mühe hoch und setzte den himmelblauen Lomoco vor eine verschmutzte Schweinerolle mitten in den Matsch.

„Halt, das ist ein Irrtum“, widersprach Lomoco. „Ich gehöre gar nicht hierher. Ich bin doch der Roboter der Bröm...“ Weiter kam er nicht. Der HX drückte Lomocos Kopf zu einer verschmutzten Schweinerolle in den Matsch: „Bröm interessiert mich nicht. Ich hasse Widerreden. Alle Roboter arbeiten hier Tag und Nacht. Ich akzeptiere keine Ausnahme. Absolut nicht.“ Lomoco musste einsehen, dass es keinen Zweck hatte - zumindest im Moment musste er mitspielen. Lustlos stocherte er an der verdreckten Schweinerolle herum, während Schweinematsch von seinem Kopf tropfte.

Der schwarze Roboter verschwendete keinen Blick mehr an Lomoco, schnappte sich Fabius, den er unsanft hochhob und in Richtung Aufzug trug: „Dich Knirps, möchte ich hier nicht mehr sehen.“

Fabius schlug wild um sich und schimpfte auf den HX-Roboter ein. Doch nach zwei verzweifelten Hieben auf seine harte Oberfläche war ihm klar, hier tat er sich höchstens selber weh. Dem HX konnte er nichts anhaben. Fabius` Angst war furchtbarer Wut gewichen.

„Das ist mein Roboter“, schrie er verärgert.

Der HX-Roboter schien Fabius nicht zu hören. In dem rumpelnden Aufzug ging es hinab, und als sie das Freie erreicht hatten, trug der riesige Roboter Fabius vor die Einfahrt des Protzki-Bauernhofes und ließ ihn dort wie eine reife Pflaume fallen.

„Wenn ich dich hier noch einmal erwische, wird es dir schlecht ergehen“, hallten die drohenden Abschiedsworte über den Hof.

Wut rumorte in Fabius` Bauch wie eine ganze Schüssel Bohneneintopf. Das durfte nicht wahr sein. Der HX hatte Lomoco einfach einkassiert. Der kleine Roboter saß nun im Matsch und musste Schweinerollen säubern. Er würde Lomoco auf keinen Fall im Stich lassen. Fabius hockte sich unter ein mickriges Bäumchen am Rand der vierspurigen Landebahn. Sein Arm schmerzte vom zangenharten Griff des HX-Roboters.

Ein bekanntes Flattern riss ihn aus seinen Gedanken. „Hugo“, rief er begeistert. „Wo kommst du her?“

„Hallo Fabius. Aus dem Schweinestall natürlich.“

„Ich meine, wie bist du da herausgekommen? Der blöde HX hat doch die Aufzugstür hinter mir abgeschlossen.“

Hugo wedelte mit seinen Flügeln: „Kein Problem, ich bin durch die Lüftungsschlitze geflogen.“

„Hast du Lomoco auch mitgebracht?“

„Neee, die Lüftungsschlitze sind viel zu hoch, direkt unter der Decke, da kommt Lomoco nie hinauf. Es sind fünf oder sechs Meter. Und außerdem liegen die Lüftungsschlitze im 19. Stock. Was passiert wohl, wenn Lomoco herunterfällt? Fliegen kann er bestimmt nicht. Mit einem Arm? Niemals!“

Darüber wollte Fabius nicht nachdenken. Ihm war einmal eine Dose Tomaten aus dem fünften Stock runtergefallen. Sie war hinterher nur noch Matsch.

„Gleich nachdem der HX dich weggeschleppt hatte, kam ein Aufpasserroboter. Er sah aus wie ein riesiger Hund aus Blech zusammengenietet. Er ging auf zwei Beinen und war in grellem Orange lackiert. Der Blechhund bellte um sich, packte Lomoco einfach an seinem Arm und zerrte ihn hinter sich her, hinaus ins Treppenhaus. So wie es dort schepperte, zog er Lomoco ein ganzes Stockwerk nach unten. Mehr weiß ich nicht“, erzählte Hugo ganz aufgeregt und seine Stimme überschlug sich.

„Hugo, du bist unser Joker. Niemand hat dich bemerkt. Du kommst jederzeit in die LWPH1 hinein, und noch viel besser, auch wieder heraus.“

„Ich bin doch kein Joker, sondern eine Endurofledermaus“,

entrüstete sich Hugo.

Fabius nickte und streichelte Hugo über den Kopf. „Ja ja, du hast schon recht“, murmelte Fabius und fuhr fort: „Wir müssen Lomoco retten. Er ist dort oben in der LWPH1 gefangen. Nur drei Wege führen nach draußen: Der Aufzug, die Treppe und die Lüftungsschlitze. Aufzug und Treppenhaus sind abgeschlossen, die Lüftungsschlitze liegen zu weit oben.“

Hugo hörte artig zu und kratzte sich mit seinem Flügel über den Kopf.

„Als Erstes musst du Lomoco finden“, plante Fabius. „Du schaffst das, du bist klein genug. Du fliegst durch die Lüftungsschlitze in jedes Stockwerk der LWPH1 und suchst es ab, von oben nach unten. Ganz sicher findest du Lomoco. Dann organisierst du einen Schlüssel für den Aufzug oder das Treppenhaus. Flieg einem der blechernen Wachhunde nach. Irgendwo müssen sie den Schlüssel versteckt haben. Mit dem Schlüssel könnt ihr gemeinsam fliehen.

Falls das nicht klappt, müsst ihr versuchen, über die Lüftungsschlitze zu fliehen. Vielleicht findet ihr ein langes Seil, an dem sich Lomoco herablassen kann oder eine Feuerleiter. Ich werde am Waldrand hinter der LWPH1 auf euch warten. Da hinten, bei der Eiche treffen wir uns wieder.“

„Alles klar, wird gemacht“, sagte Hugo. Mit durchgedrückten Beinen stand er stocksteif da und hielt seine Hand wie ein General an die Stirn.

„Viel Glück“, sagte Fabius und Hugo sauste senkrecht in die Luft.

Lomoco spioniert

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