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Achtes kapitel

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Oskar Fels saß am nächsten Vormittag reichlich unausgeschlafen in der Redaktion an seinem Schreibtisch, um noch für das Abendblatt einen weiteren großen Artikel über den Mord im Cottage zu schreiben. Der Herausgeber hatte kategorisch erklärt, daß er mindestens zwei Spalten im Abendblatt und vier im Morgenblatt haben wolle, und Fels konnte ihm dabei nicht ganz unrecht geben. Tatsächlich interessierte sich „ganz Wien“ nur mehr für den Mord und die Frage, ob die Polizei in der Person Holzingers einen Unschuldigen oder den Mörder festgenommen hatte. Der Artikel im Morgenblatt der „Weltpresse“ ließ die ganze öffentliche Meinung auf die Seite des Verhafteten treten und schon hagelte es von Zuschriften, Anregungen und Meinungsäußerungen. Auch mit der Person der ermordeten Frauen und des Herrn August Langer beschäftigten sich die Wiener intensiv und es schien Fels, daß die eigenartigen Familienverhältnisse in der „Villa Mabel“ schon Gegenstand der öffentlichen Diskussion waren. Eben hatte der Herausgeber dem Journalisten einen Brief überwiesen, den er von einem ebenfalls im Cottage wohnenden Bankdirektor bekommen hatte. Der Brief trug den Vermerk „Höchst vertraulich“ und enthielt eine Schilderung eines Soupers, das der Bankdirektor mit seiner Frau in der „Villa Mabel“ mitgemacht hatte. Es hieß in dem Schreiben:

„Ich kannte Herrn Langer schon seit Jahren durch rege geschäftliche Verbindungen und hielt ihn immer für einen sehr klugen, gebildeten Menschen, der sich über die Fragen des Tages vorzüglich orientiert zeigte und seiner Meinung oft in lebhafter, gewöhnlich sehr flüssiger Weise, Ausdruck gab. Einmal, beim Derby, trafen wir ihn in Gesellschaft der beiden jetzt ermordeten Damen, und meiner Frau fiel es angenehm, mir eher unangenehm auf, wie beflissen höflich und zuvorkommend, nach meiner Meinung etwas lakaienhaft sich Herr Langer gegenüber Frau und Schwägerin benahm. Um nur ein Beispiel anzuführen: Ich hatte durch einen Trainer den Rat erhalten, im Derby auf ‚Mayflower‘ zu setzen, und teilte dies Langer mit. Bevor wir uns später zum Buchmacher begaben, entnahm Langer seiner Brieftasche fünf Hundertkronenscheine, worauf ihn seine Frau fragte, auf welches Pferd er setzen wolle. Auf ‚Mayflower‘, war seine Antwort, und er erklärte die Gründe hiezu. In scharfer, geradezu peinlicher Weise erklärte aber seine Frau: ‚Nein, du wirst auf ‚Wotan‘ setzen!‘ Als Langer nun mit einem scheuen, verlegenen Blick auf mich einen leisen Einwand erhob, schlug seine Schwägerin mit der Hand heftig auf die Logenbrüstung auf und zischte hervor: ‚Wir haben gesagt auf ‚Wotan‘, und damit basta!‘

Ich war über diese Art und Weise, einem Manne zu befehlen, verblüfft und auch meine Frau blickte mich betreten an. Groß war aber meine Freude, als ‚Mayflower‘ gewann und ich das vierfache Geld einstrich, während Frau Langer ihrem Gatten boshaft sagte: ‚Das kommt davon, wenn ein Mensch seinen Willen nicht durchsetzen kann.‘ Ich empfand das als eine gerechte Bestrafung allzu großer Nachgiebigkeit.

Einige Tage später lud uns Frau Langer zum Souper ein und wir nahmen an. Dabei ereignete sich etwas für mich schier Unfaßbares. Zunächst fiel mir unangenehm auf, wie schweigsam und verdrossen der Hausherr war, und meine Frau flüsterte mir schließlich, als wir uns von der Tafel erhoben hatten, zu: ‚Du, mir scheint, dieser Herr Langer wagt wirklich nicht, in Gegenwart seiner Frau den Mund aufzumachen.‘ Ich aber hatte einigemal deutlich wahrgenommen, daß jedesmal, wenn Langer eine Äußerung tun wollte, er zunächst einen ängstlichen Blick zu seiner Frau gleiten ließ, die ihn daraufhin so herrisch, befehlend und boshaft in die Augen schaute, daß er schwieg. Miß Mac Lean tat zwar recht bescheiden und reserviert, aber mitunter kreuzten ihre Blicke die ihres Schwagers in seltsamer Weise, über deren Bedeutung ich mir heute noch nicht im klaren bin. Wir begaben uns dann in den Salon und es entwickelte sich ein Gespräch über die tollen Streiche der englischen Suffragettes, die sich immer mehr zur Landplage auswuchsen. Frau Langer wie Miß Mac Lean traten aber in leidenschaftlicher Weise für die Frauenrechtlerinnen ein und Frau Langer verstieg sich zu der wenig geschmackvollen Bemerkung: ‚Wenn jede Frau mit der Peitsche in der Hand im eigenen Hause ihr Recht vertreten würde, dann wären wir längst Wählerinnen,‘ Es entstand auf dieses Wort hin eine verlegene Stille, die Herr Langer schließlich durch eine beschwichtigende, begütigende Bemerkung unterbrach. In diesem Augenblick umfaßte Frau Langer mit ihrer rechten Hand das linke Handgelenk des neben ihr stehenden Gatten und sagte mit unangenehm mokanter Stimme und Betonung: ‚Schau, schau, du bist also auch gegen die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes!‘ Herr Langer zuckte, wie von einem Schmerz betroffen, zusammen und verfärbte sich, schwieg aber. Einige Minuten später reichte er mir mit der linken Hand ein Streichholz, während er in der rechten eine Zigarrenkiste hielt, und da bemerkte ich zu meinem maßlosen Entsetzen, daß er am Handgelenk, genau dort, wo ihn seine Frau vorhin angefaßt, ein blutiges Mal hatte. Die zärtliche Gattin mußte ihm ihren wohlgepflegten Fingernagel in das Fleisch gedrückt haben! Mir verging die Lust zum weiteren Verweilen in der ‚Villa Mabel‘ und unter einem schicklichen Vorwand entfernten wir uns bald.

Ich teile Ihnen diese meine Beobachtungen, die sich natürlich absolut nicht zur Publikation eignen, mit, nicht etwa, um Sie zu etwaigen Schlußfolgerungen zu veranlassen, sondern nur, um sie vor allzulauten Mitleidskundgebungen für den ‚armen‘ Witwer zurückzuhalten. Man darf ihn mit Fug und Recht wohl eher einen lustigen Witwer nennen.“

Lachend legte Fels den Brief beiseite, um nun rasch seine Schreibmaschine aus der Versenkung des Tisches emportauchen zu lassen und mit rasendem Geklapper Seite auf Seite zu füllen.

Faustrecht

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