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Die Vorgänge in der Provinzial-Arbeitsanstalt zu Brauweiler vor Gericht

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(Mundbinde, Zwangsjacke).

In Kriminalmuseen werden die Folterwerkzeuge, die man im Mittelalter gegen Verbrecher anwandte, teils um sie für ihre Missetaten zu bestrafen, teils um sie zu »Geständnissen« zu bewegen, zur öffentlichen Schau gestellt. Wer mag nicht einen Schauer beim Anblick dieser Marterinstrumente empfinden und sich mit dem Gedanken trösten, daß derartige Vorkommnisse längst überwunden sind!

Allein das ist bedauerlicherweise eine arge Täuschung. Die Vorkommnisse im Aachener Alexianer – Kloster »Mariaberg«, in der »Fürsorgeerziehungsanstalt zu Mieltschin«, die Vorkommnisse in der sogenannten »Blohmschen Wildnis« und ganz besonders in der »Provinzialarbeitsanstalt« zu Brauweiler liefern den Beweis, daß unsere vielgerühmte Kultur nur oberflächlich ist und daß die Anschauungen des Mittelalters noch lange nicht überwunden sind. Ist es nicht geradezu beschämend, daß ein so geistig hochstehender Mann, ein Wissenschaftler ersten Ranges, wie der Geheime Justizrat Prof. Dr. jur. et theol. Kahl, ordentlicher Professor an der Berliner Universität, auf dem letzten (September 1912) zu Wien stattgefundenen deutschen Juristentag, für Beibehaltung der Todesstrafe eingetreten ist, weil – nun »weil die große Mehrheit des deutschen Volkes die Beibehaltung der Todesstrafe verlangt.« Und noch beschämender ist es, daß die große Mehrheit des deutschen Juristentages sich für die Beibehaltung der Todesstrafe erklärt hat. Zunächst ist es grundfalsch, sehr geehrter Herr Professor, daß die große Mehrheit des deutschen Volkes die Beibehaltung der Todesstrafe verlangt. Die letzten Reichstagswahlen haben den unwiderleglichen Beweis geliefert, daß ein sehr erheblicher Teil des deutschen Volkes sozialdemokratischen Anschauungen huldigt. Daß diese Leute nicht für die Beibehaltung der Todesstrafe stimmen, ist sicher. Aber angenommen, die Mehrheit des deutschen Volkes wäre für Beibehaltung der Todesstrafe, so würde dieser Umstand die Haltung des deutschen Juristentages noch durchaus nicht rechtfertigen. Eine Körperschaft wie der deutsche Juristentag soll sich nicht von der Volksmeinung leiten lassen, sondern dem Volke zur Kultur und Zivilisation die Wege ebnen. Wenn das Volk für Wiedereinführung der Prügelstrafe, des Feuertodes und ähnlicher mittelalterlicher Martern wäre, dann müßte, nach der Logik des Herrn Professors Kahl, der deutsche Juristentag sich auch hierfür erklären. Glücklicherweise herrscht in weiten Schichten des deutschen Volkes eine andere Anschauung, die trotz rückständiger Universitätsprofessoren und sonstiger reaktionärer, weltfremder Juristen, es verhindern wird, daß mittelalterliche Einrichtungen in unserem Vaterlande wieder Eingang finden. Herr Professor Kahl scheint eine Anzahl Stammtisch-Bierphilister für das deutsche Volk zu halten. Wenn Herr Professor Kahl und diejenigen Mitglieder des deutschen Juristentages, die seinen Ausführungen zustimmten, nur ein einziges Mal einer Hinrichtung beigewohnt hätten – ich war beruflich genötigt, etwa einem Dutzend Hinrichtungen beizuwohnen – dann wäre ihre Ansicht vielleicht eine andere gewesen. Ist den Herren nicht bekannt, daß vor Einführung des deutschen Strafgesetzbuches (1870) in mehreren deutschen Staaten, wie Anhalt, Oldenburg, Bremen und Königreich Sachsen, die Todesstrafe abgeschafft war und daß sie vom Januar 1866 bis August 1878 in Preußen nicht angewendet wurde? Im Januar 1866 wurde in Berlin der Zuhälter Louis Grothe, der 1864 in einer Kellerwohnung am Oranienplatz den Lehrer der italienischen Sprache, Professor Gregy, ermordet und beraubt hatte, hingerichtet. Von da ab weigerte sich König Wilhelm I., ein Todesurteil zu unterschreiben. Erst am Morgen des 16. August 1878 wurde in Preußen wieder eine Hinrichtung, und zwar an dem 21jährigen Klempnergesellen Max Hödel vollzogen. Hödel hatte bekanntlich am Nachmittag des 12. Mai 1878, als Kaiser Wilhelm I. mit seiner Tochter, der Großherzogin Luise von Baden im offenen Wagen aus dem Berliner Tiergarten die Straße Unter den Linden entlang fuhr, mit einem Revolver auf den greisen Monarchen geschossen. Obwohl der Schuß fehlgegangen war, zumal er, wie der Kgl. Hofbüchsenmacher August Barella begutachtete, mit diesem Sechsmark-Revolver gar nicht hätte treffen können, so wurde Hödel am 10. Juli 1878 vom Preußischen Staatsgerichtshof wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Der alte Kaiser war am 2. Juni 1878 von Dr. Karl Nobiling Unter den Linden mit Schrot in den Kopf geschossen worden und lag in sehr bedenklichem Zustande zu Bett. Er hatte die Regentschaft seinem Sohne, dem damaligen Kronprinzen, späteren Kaiser Friedrich, Vater des jetzigen Kaisers Wilhelm II., übertragen. Der Kronprinz weigerte sich, das Todesurteil wider Hödel zu unterschreiben. Der damalige Reichskanzler Fürst Otto v. Bismarck drang aber derartig in den Regenten, daß er sich schließlich zur Unterschrift herbeiließ. Seit dieser Zeit hat die Todesstrafe in Preußen und auch im übrigen Deutschland wieder praktische Gestalt angenommen. Jeder Kriminalist weiß, daß fast alle Mörder die Todesstrafe der lebenslänglichen Zuchthausstrafe vorziehen. Abgesehen von den vielen vorgekommenen Justizmorden, ist die Hinrichtung eine solch grausame Strafart, daß alle Gesitteten mit vollster Energie für die schleunige Aufhebung dieses mittelalterlichen Strafmittels eintreten müßten.

Ich kehre nun zu meinem eigentlichen Thema zurück. Die heutige Gesetzgebung beschränkt sich nicht auf Gefängnisse und Zuchthäuser, sie hat auch »Fürsorgeerziehungsanstalten« und Arbeitshäuser geschaffen. Die Fürsorgeerziehungsanstalten sind als Erziehungsinstitute für jugendliche Personen beiderlei Geschlechts bis zum 21. Lebensjahre gedacht, sobald diese jungen Menschen der elterlichen und auch sonstigen Erziehung ermangeln und die Gefahr besteht, daß sie Schädlinge der menschlichen Gesellschaft werden könnten. Die Arbeitshäuser sind eine alte Einrichtung, in die ältere Leute beiderlei Geschlechts zur Besserung überwiesen werden, insbesondere Prostituierte, Zuhälter und Bettler. Bis zur Einführung des Fürsorgegesetzes kamen auch Kinder ins Arbeitshaus. Beide Einrichtungen sind keine Strafanstalten, sondern nur als Besserungsanstalten gedacht. Ob aber aus diesen Anstalten schon jemals ein Insasse gebessert hervorgegangen ist, kann mit Recht bezweifelt werden. Schuld hieran haben die Beamten dieser Anstalten, die zumeist ihre Aufgabe vollständig zu verkennen scheinen. Die Brutalitäten eines »Pastors« Breithaupt und anderer Hausväter mit ihren Schergen, genannt Aufseher oder gar »Erzieher«, bilden leider keine Ausnahme. Dies ist wohl auch die Ursache, daß die Angeklagten nicht das Gefängnis oder Zuchthaus, wohl aber die »Fürsorgeerziehungsanstalt« und noch mehr das Arbeitshaus fürchten. Lieber ins Zuchthaus, als in die »Fürsorgeanstalt« oder ins Arbeitshaus, diesen Ausspruch kann man fast täglich in den Gerichtssälen hören. Und das ist keine landläufige Redensart, sondern bitterer Ernst. Pflicht der Behörden wäre es, in dieser Beziehung schleunigst energischen Wandel zu schaffen.

In der Nähe der rheinischen Metropole Köln befindet sich die Provinzialarbeitsanstalt Brauweiler, in der stets mehrere hundert »Korrigenden« beiderlei Geschlechts Aufnahme finden. Der Direktor Schellmann, der gleich dem Pastor Breithaupt die christliche Barmherzigkeit stets auf den Lippen hatte, schien ebenfalls noch nicht die Anschauungen des finsteren Mittelalters überwunden zu haben, sondern der Ansicht zu sein, daß man durch Prügel, Hunger und Marter aller Art die Menschen bessern könne. Eines Tages wurde einem jungen Mädchen, namens Wodtke, das Herrn Direktor Schellmann zum Zwecke der Besserung überwiesen war, »wegen Renitenz«

eine Mundbinde

angelegt. Dieses »Besserungsmittel« hat die Wirkung, daß es jede Luftzufuhr abschneidet und daß das zu bessernde Individuum nach kurzer Zeit ersticken muß. So erging es auch der jungen Wodtke. Dieses Mädchen hatte Elternliebe niemals kennengelernt, denn es war »unehelich« geboren. Es hatte, noch ein Kind, hart arbeiten müssen, um nicht zu verhungern. Da es ein hübsches Gesicht und eine schöne Figur hatte, wurde es frühzeitig verführt und – der Prostitution in die Arme getrieben. Nachdem es wegen Übertretung der sittenpolizeilichen Bestimmungen und wegen gewerbsmäßiger Unzucht bestraft war, wurde das Mädchen der Arbeitsanstalt Brauweiler »zwecks Besserung« überwiesen. Hier benahm sich das sonst gutmütige Mädchen gegen eine Aufseherin widerspenstig. Es wurde ihm deshalb die Mundbinde angelegt. Das junge Mädchen befürchtete, zu ersticken. Es erhob bittend ihre Hände, – die Sprache war ihr versagt – sie doch zu befreien, sie wollte ja wieder gehorsam sein. Allein ihre flehentlichen Bitten wurden nicht beachtet. Sie wurde, mit der Mundbinde angetan, in eine finstere Zelle gesperrt. Dadurch wurde es verhindert, daß selbst ein leises Wimmern nicht hörbar wurde. Als man nach einigen Stunden die Zelle öffnete, war das Mädchen tot. Dieses entsetzliche Vorkommnis führte zur Erhebung einer Anklage gegen den Direktor Schellmann und den Anstaltsarzt Dr. Bodet wegen fahrlässiger Tötung.. Die zweite Strafkammer des Kölner Landgerichts sprach jedoch am 1. März 1895 beide Angeklagte frei. Die in Köln erscheinende sozialdemokratische »Rheinische Zeitung« brachte im Anschluß an diese Gerichtsverhandlung einen Leitartikel, in dem Direktor Schellmann der Tötung und Mißhandlung von Gefangenen beschuldigt und ihm vorgeworfen wurde, daß er gegen die ihm unterstellten Beamten seine Amtsgewalt mißbrauche. Es hieß in dem Artikel u.a. »Von seinem Vorgesetzten und von verschiedenen anderen Seiten wird Schellmann als das Ideal eines musterhaften Beamten gefeiert. Aber leider hat bis jetzt noch niemand danach gefragt, welcher Mittel sich dieser Mann bedient, um seine Triumphe zu feiern. Die Anstalt soll glänzen innen und außen, es werden dafür keine Unkosten gescheut. Arme Künstler und Arbeitskräfte sind genug zur Verfügung. Aber die armen Gefangenen werden durch die rohesten Mittel zur Arbeit angetrieben. Alte Leute von 60 und 70 Jahren werden durch Hungerleiden bis zum Umfallen, durch Schläge, durch Anlegen einer Zwangsjacke oder Handeisen zur Arbeit angetrieben. Es kann sich niemand einen Begriff machen, wie viele arme Geschöpfe durch diese Behandlung ihren frühen Tod gefunden haben. Ein Gefangener, der es wagt, gegen diesen Menschen vorzugehen, hat schon seine Hungerkur unterschrieben, die ihn ins Jenseits befördert. Der Beamte, der nur eine Miene gegen den Direktor verzieht, kann sich auch schon um andere Arbeit umsehen. Es ist nicht zuviel behauptet, daß es keinen Zuchthäusler gibt, der soviel Menschenunglück auf seinem Gewissen hat, als der Direktor dieser Besserungsanstalt«, wenn er auch überzeugt sein mag, pflichtgemäß gehandelt zu haben. Alsdann wurde dem Landesdirektor der Rheinprovinz, Geh. Oberregierungsrat Dr. Klein unter anderem zum Vorwurf gemacht, er habe es an der ordnungsmäßigen Überwachung der Provinzialarbeitsanstalt zu Brauweiler fehlen lassen und habe, als er am 1. März in dem Prozeß, in dem Schellmann und Dr. Bodet wegen fahrlässiger Tötung angeklagt waren, als Zeuge erschien, seine Aussage wissentlich so eingerichtet, daß dadurch die mangelhafte Erfüllung seiner Aufsichtspflicht verborgen blieb. Endlich wurde in dem Leitartikel behauptet: »Ein Korrigende, namens Widder, wurde, obwohl er schon halbtot war, noch in eine Zelle gebracht, woselbst er sehr bald verstorben sei.«

Landesdirektor Geh. Oberregierungsrat Dr. Klein und der Brauweiler Arbeitsanstaltsdirektor Schellmann stellten deshalb gegen den verantwortlichen Redakteur der »Rheinischen Zeitung«, den jetzigen Reichstagsabgeordneten für Köln, Adolf Hofrichter, Strafantrag wegen einfacher und verleumderischer Beleidigung. Hofrichter hatte sich deshalb vom 13. bis 20. Dezember 1895 vor der zweiten Strafkammer des Kölner Landgerichts, auf Grund der §§ 185, 186 und 187 des Strafgesetzbuches zu verantworten. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Reichensperger. Die Staatsanwaltschaft vertrat Staatsanwalt Nacke. Die Verteidigung führte Rechtsanwalt Oestreich. Direktor Schellmann und Landesdirektor Dr. Klein hatten sich der Anklage als Nebenkläger angeschlossen und mit ihrer Vertretung Rechtsanwalt Gammersbach betraut.

Der Verhandlung gegen Hofrichter ging eine gegen den früheren Aufseher, späteren Bauwächter Joh. Szaplewski voran. Dieser war wegen Sittlichkeitsvergehens, vorsätzlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruchs und Beleidigung vorbestraft. Er war von 1882 bis 1889 Gendarm und von 1889 bis 1892 Aufseher in der Arbeitsanstalt Brauweiler. Er wurde beschuldigt, in mehreren Fällen die Häuslinge in der Arbeitsanstalt vorsätzlich körperlich mißhandelt zu haben. Verteidiger dieses Angeklagten war Rechtsanwalt Dr. Schrammen. Der Angeklagte bemerkte auf Vorhalt des Vorsitzenden: Er sei mehrfach in Brauweiler disziplinarisch bestraft worden; dies komme aber daher, daß er von dem Direktor Schellmann verfolgt wurde.

Vors.: Dieser Einwand scheint nicht glaubhaft, zumal Sie von dem Direktor Schellmann, trotz Ihrer Vorstrafen, eine Vertrauensstellung in Brauweiler erhalten haben.

Auf das dem Angeklagten zur Last gelegte Vergehen äußerte der Angeklagte auf Befragen des Vorsitzenden: Er erinnere sich nicht, jemals Häuslinge vorsätzlich körperlich mißhandelt zu haben; allerdings war er bisweilen genötigt, sobald die Häuslinge renitent wurden, fest zuzugreifen. Daß er aber die Häuslinge mit dem Seitengewehr blutig geschlagen habe, sei ihm nicht erinnerlich.

Direktor Schellmann bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Der Angeklagte Szaplewski habe sich bei ihm im Juli 1889 als Hilfsaufseher um eine Anstellung beworben. Er habe sich zunächst bei der früheren vorgesetzten Behörde des Szaplewski über dessen Vorleben erkundigt. Von den Vorstrafen des Szaplewski habe er (Schellmann) keine Kenntnis erhalten. Es sei ihm nur mitgeteilt worden, daß Szaplewski wegen Trunkenheit im Dienst und respektwidrigen Verhaltens gegen seine Vorgesetzten ohne Pension entlassen worden sei. Er habe, da Szaplewski zivilversorgungsberechtigt war, ihn zunächst als Hilfsaufseher, später als Aufseher angestellt. Szaplewski habe sich verschiedener Vergehen im Amte schuldig gemacht, weswegen er disziplinarisch bestraft und schließlich im Jahre 1892 entlassen worden sei. Er (Schellmann) habe erst, nachdem Szaplewski schon längst entlassen war, von den hier zur Anklage stehenden Mißhandlungen gehört.

Vert.: Herr Direktor, Sie haben, als Sie von diesen Mitteilungen hörten, keine Anzeige gemacht?

Zeuge: Nein.

Vert.: War dies nicht Ihre Pflicht?

Zeuge: Nein.

Vert.: Sind die Aufseher berechtigt, von der Prügelstrafe Gebrauch zu machen?

Zeuge: Keineswegs.

Vert.: Sind die Aufseher berechtigt, die Häuslinge disziplinarisch zu bestrafen?

Zeuge: Jawohl.

Vert.: Worin bestehen diese Disziplinarstrafen?

Zeuge: In der Entziehung der warmen Kost, in einem Geldabzug oder in der Verhängung von Arrest. Schlagen dürfen die Aufseher die Häuslinge nur dann, wenn sie durch Angriffe bedroht werden. In solchen Fällen haben die Aufseher aber sofort dem Direktor Anzeige zu machen.

Vert.: Gehört nicht zu den Disziplinarstrafen in Brauweiler auch die Prügelstrafe?

Zeuge: Nein.

Vert.: Dann beantrage ich, aus den Akten festzustellen, daß Direktor Schellmann in einer anderen Sache als Zeuge bekundet hat, zu den Disziplinarstrafen gehört in Brauweiler auch die Prügelstrafe.

Vors.: Herr Verteidiger, ich bin der Meinung, daß diese Frage für die gegenwärtige Verhandlung unerheblich ist.

Vert.: Ich muß diese Frage deshalb stellen, um zu beweisen, daß der Angeklagte nicht das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit hatte.

Zeuge: Die Prügelstrafe, wie sie in den Zuchthäusern als Disziplinarstrafe besteht, daß Gefangene über einen Bock geschnallt und geschlagen werden, ist in Brauweiler unzulässig, dagegen ist laut Allerhöchster Kabinettsorder von 1825 und durch ausdrückliche Verordnung der Königlichen Regierung zu Köln schulpflichtigen Häuslingen gegenüber das Züchtigungsrecht in Brauweiler gestattet.

Der folgende Zeuge war Fabrikdirektor Schaper (Jülich): Eine Anzahl Brauweiler Häuslinge werden in einer Fabrik während der Zuckerkampagne beschäftigt. Diese Häuslinge arbeiten unter Aufsicht mehrerer Aufseher der Arbeitsanstalt Brauweiler. Er habe einmal einen Arbeiter mit furchtbar zerschlagenem Kopf gesehen und habe gehört, daß dieser Mann von dem Aufseher Szaplewski mit dem Seitengewehr geschlagen worden sei.

Es erschien alsdann der ehemalige Häusling Haarhaus, ein kleiner, schwacher Mann von 63 Jahren, als Zeuge. Er bekundete: Als er in der Zuckerrübenfabrik zu Jülich arbeitete, habe ihn ein Aufseher, weil er angeblich sein Bett nicht gut gemacht hatte, mit dem Degen derartig auf den Kopf geschlagen, daß er furchtbar blutete und mehrere große Löcher im Kopfe hatte.

Vors.: Wer war dieser Aufseher?

Zeuge: Das weiß ich nicht.

Vors.: War es dieser Angeklagte?

Zeuge: Das kann ich nicht sagen, ich kenne den Mann nicht mehr wieder.

Vors.: Haben Sie dem Aufseher widersprochen oder sich widerspenstig gezeigt?

Zeuge: Nein.

Vors.: Der Aufseher hat Sie also ohne weiteres mit seinem Degen geschlagen?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Wo wurde denn diese Wunde geheilt?

Zeuge: In Brauweiler.

Vors.: Sind Sie vollständig wieder geheilt?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Haben Sie diese Mißhandlung zur Anzeige gebracht?

Zeuge: Da hätte ich mich schön gehütet, da hätte ich ja noch viel mehr Schläge bekommen. (Heiterkeit im Zuhörerraum.)

Vors.: Wurde Ihnen zuviel Arbeit zugemutet?

Zeuge: Das kann ich nicht sagen, ich bin an harte Arbeit gewöhnt. Man muß auch schon tüchtig arbeiten, sonst bekommt man nichts zu essen.

Vors.: Sind Sie auch einmal mit Kostentziehung bestraft worden?

Zeuge: Nein, man bekommt dort überhaupt nur halbsatt zu essen.

Aufseher Wenner: Er habe einmal gehört, daß Szaplewski einen Häusling mit einem Hirschfänger furchtbar auf den Kopf geschlagen habe. Er habe den Szaplewski deshalb zur Rede gestellt und ihm gesagt, wenn dies noch einmal vorkomme, werde er ihn anzeigen.

Häusling Gatzen: Er sei kränklich gewesen und habe einmal sein Bett nicht ordentlich machen können. Deshalb sei er von Szaplewski mit dem Seitengewehr geschlagen worden. Erheblich seien diese Schläge nicht gewesen. Er habe auch gesehen, daß andere Häuslinge von Aufsehern gestoßen worden seien.

Häusling Wittgen: Er habe einmal gesehen, wie der Angeklagte einen alten Häusling blutig geschlagen habe.

Fabrikverwalter Schröder (Jülich): Der Angeklagte habe stark dem Schnapsgenusse gefrönt und sei gegen Mittag bereits stets betrunken gewesen. In solchem Zustande sei der Angeklagte gegen die Häuslinge furchtbar grob gewesen. Der Angeklagte habe sich nicht darum gekümmert, ob die Häuslinge arbeiteten, sondern habe ohne jede Veranlassung die Häuslinge beschimpft. Er habe deshalb auch den Angeklagten einmal zur Rede gestellt und ihm mit Anzeige bei der vorgesetzten Behörde gedroht.

Oberaufseher Lemm (Jülich): Er habe einmal gesehen, wie ein Aufseher einen Häusling furchtbar geschlagen habe. Er glaube, daß der Aufseher sich dabei eines Stockes bedient habe. Wer dieser Aufseher war, könne er nicht sagen.

Ein junges Mädchen, Elise Fischer, bekundete: Sie sei einmal mit dem Angeklagten zusammen von Lövenich nach Brauweiler gefahren. Der Angeklagte, der ihr gegenübersaß, habe sich derartig unanständig benommen, daß sie die anderen Mitreisenden um Schutz bitten mußte.

Pensionierter Aufseher Fischer: Er habe von der Beleidigung, die seiner Tochter durch den Angeklagten zugefügt worden, Herrn Direktor Schellmann Anzeige gemacht. Der Angeklagte habe deshalb auf Befehl des Direktors Schellmann am folgenden Tage seine Tochter um Verzeihung gebeten und dabei geäußert: »Ich werde dem Direktor Schellmann etwas einbrocken, daß er daran denken soll.«

Es wurde darauf die Aussage des kommissarisch vernommenen ehemaligen Häuslings Grüne verlesen. Danach hatte dieser bekundet: Er habe mehrfach gesehen, wie Szaplewski einen kränklichen 64jährigen Häusling, namens Bechtold, weil dieser nicht gehörig arbeitete, mit schweren Rüben in den Rücken geworfen habe. Bechtold sei so krank und schwächlich gewesen, daß er wohl beim besten Willen nicht mehr zu arbeiten vermochte. Ein anderer kleiner buckliger Häusling jammerte oftmals, daß er von Szaplewski schlecht behandelt werde.

Verteidiger: Herr Direktor Schellmann, hielten Sie sich auf Grund der erwähnten Kabinettsorder berechtigt, auch erwachsenen Häuslingen gegenüber das Züchtigungsrecht anzuwenden.

Schellmann (nach längerem Zögern): In gewissen Fällen, wenn alle anderen Disziplinarstrafen sich als unzureichend erwiesen, allerdings.

Vert.: Wem stand alsdann das Züchtigungsrecht zu?

Schellmann: Mir.

Vert.: Hatten nicht auch die Aufseher das Züchtigungsrecht?

Schellmann: Nein. Die Aufseher hatten nur, wenn sie angegriffen wurden, das Recht, von ihrer Waffe Gebrauch zu machen.

Vert.: Dann beantrage ich, aus den Akten zu konstatieren, daß Herr Direktor Schellmann in einem anderen Falle doch anders ausgesagt hat.

Schellmann: Der Oberaufseher Schmitts hat allerdings einmal einen erwachsenen Häusling gezüchtigt. Als er, deshalb zur Rede gestellt, sagte: Diese Züchtigung sei auf meine Anweisung geschehen, gab ich die Möglichkeit zu.

Der Staatsanwalt hielt fünf Mißhandlungsfälle für erwiesen und beantragte, mit Rücksicht auf die gesamte Sachlage, drei Monate Gefängnis.

Der Verteidiger plädierte für Freisprechung, da einmal der Beweis nicht strikte geführt und andererseits dem Angeklagten das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit nicht innegewohnt habe.

Nach kurzer Beratung verurteilte der Gerichtshof den Angeklagten unter Zubilligung mildernder Umstände zu drei Monaten Gefängnis. Nach einer längeren Pause begann die Verhandlung gegen Hofrichter. Dieser bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei nicht der Verfasser des inkriminierten Artikels, übernehme jedoch die Verantwortung und verweigere die Nennung des Verfassers.

Der Vorsitzende verlas alsdann den inkriminierten Artikel.

Hofrichter: Es seien schon lange vor dem Erscheinen des inkriminierten Artikels bzw. der Veröffentlichung des Briefes eines Reichstagsabgeordneten verschiedene Gerüchte über die Brauweiler Arbeitsanstalt in Umlauf gewesen. Als er den Brief erhielt, habe er Nachforschungen angestellt und als er sich von der Richtigkeit des Inhaltes des Briefes überzeugt, habe er keinen Anstand genommen, ihn zu veröffentlichen, um derartige Zustände einmal öffentlich zur Sprache zu bringen. Er halte auch heute noch alle in dem Briefe enthaltenen Behauptungen aufrecht und wolle dafür den Beweis der Wahrheit führen.

Staatsanwalt: Ich ersuche, dem Angeklagten zu fragen, bei wem er sich über die Richtigkeit der in dem Briefe enthaltenen Behauptungen informiert hat?

Angekl.: Ich bin selbst mehrere Male in Brauweiler gewesen und habe mich informiert. Im übrigen waren die Vorgänge in Brauweiler in Köln Tagesgespräch. In allen Wirtshäusern bildeten sie das einzige Gesprächsthema, so daß ich aus diesen Unterhaltungen mich ebenfalls über die Richtigkeit der in dem Briefe enthaltenen Behauptung informieren konnte.

Vert. Rechtsanwalt Östreich: Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit zu sagen, daß, im Gegensatz zu anderen derartigen Prozessen, das ganze Beweismaterial so rechtzeitig dem Gericht und der Staatsanwaltschaft übermittelt worden ist, daß die Staatsanwaltschaft sehr wohl in der Lage war, Ermittelungen über die Richtigkeit dieses Beweismaterials anzustellen. Der Angeklagte ist also mit größter Offenherzigkeit vorgegangen. Von einer Überrumpelung, wie dies zumeist in derartigen Prozessen der Fall ist, kann also keine Rede sein. Ich bemerke noch, daß gestern abend die »Köln. Ztg.« einen Artikel brachte, in dem für den Direktor Schellmann und gegen den Angeklagten Stimmung gemacht wurde. Ich halte ein solches Verfahren noch vor Beginn der Verhandlung für absolut ungehörig. Ich habe mit dem Angeklagten in fortwährender Verbindung gestanden und hätte ihm Material aus den Akten liefern können, um ebenfalls für sich Stimmung zu machen. Der Angeklagte hat jedoch davon Abstand genommen.

Es wurden hierauf die Strafanträge verlesen.

Verteidiger: Ich halte den Strafantrag des Landesdirektors Dr. Klein für unzulässig. Die Angriffe richten sich nicht gegen den Landesdirektor, sondern gegen den Dezernenten, Landesrat Brandts. Für diesen hat aber der Landesdirektor keinen Strafantrag gestellt.

Der Staatsanwalt erwiderte, daß er die gestellten Strafanträge aufrechterhalte.

Der erste Zeuge, Arbeitsanstaltsdirektor Schellmann, bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei seit 1882 Direktor der Provinzialarbeitsanstalt zu Brauweiler. Als er sein Amt antrat, seien in der Anstalt etwa 80 Beamte gewesen. Die Zahl der Korrigenden sei im Jahre 1885 bis auf 1728 gestiegen. Diese Zahl sei alsdann zurückgegangen und betrage jetzt etwas über 1000. Nach der Zahl der Korrigenden richte sich auch die Zahl der Beamten. Die Arbeitsanstalt stehe unter Aufsicht des Landesdirektors der Provinz. Von diesem und dem Provinzialausschuß werden die Oberbeamten, alle anderen Beamten, mit Ausnahme der Hilfsbeamten, von dem Landesdirektor allein, die Hilfsbeamten dagegen von ihm (Zeugen) angestellt. Letztere werden von ihm nach Bedürfnis angestellt und ebenso auch entlassen. Im allgemeinen seien die Korrigenden gesunde Leute, in vereinzelten Ausnahmen werden auch Kranke eingeliefert, die alsdann ins Lazarett gebracht werden. Es werden in der Arbeitsanstalt alle möglichen Arbeiten verrichtet, leichte und schwere. Es werden Leute mit Gartenarbeit, in der Schusterei, Schneiderei, Weberei usw. beschäftigt. Es werde keinem Korrigenden mehr Arbeit zugemutet, als er leisten könne. Die Mehrzahl der Korrigenden verrichte nicht nur ihr Pensum, sondern mache noch Überstunden. Die Korrigenden müssen im Sommer um halb fünf, im Winter um halb sechs Uhr morgens aufstehen. Eine halbe Stunde werde für Waschen, Ankleiden, Bettmachen usw. gerechnet. Alsdann beginne die Arbeit. Nach anderthalb Stunden werde denn Korrigenden eine warme Suppe und Brot gereicht und eine Viertelstunde Pause gemacht. Nachdem werde bis neun Uhr gearbeitet. Zu dieser Zeit tritt wiederum eine Viertelstunde Pause ein. Nun können sich diejenigen, die durch Überstunden Ersparnisse gemacht haben, etwas kaufen. Nach Beendigung der viertelstündigen Pause, die für alle Korrigenden eintrete, werde bis halb zwölf oder zwölf Uhr mittags gearbeitet. Alsdann werde eine einstündige Pause gemacht und das Mittagsmahl, bestehend aus warmen Bohnen, Erbsen, Linsen oder Reis nebst Brot verabreicht. Es werde alsdann wiederum bis drei Uhr nachmittags gearbeitet. Alsdann trete eine viertelstündige Pause für alle Korrigenden ein, und es erhalten diejenigen, die sich durch gute Arbeit ausgezeichnet, Überstunden gemacht oder besonders schwere Arbeit haben, Kaffee und Brot. Es werde darauf bis halb sieben oder sieben Uhr gearbeitet. Alsdann werde wiederum eine warme Suppe und Brot gereicht. Alsdann werde aufgeräumt und die Leute in die Schlafsäle geführt. Korrigenden, die ihr Pensum nicht verrichten, werden ihm (dem Zeugen) vom Arbeitsinspektor vorgeführt. Wenn die Leute einwenden, daß sie wegen Kränklichkeit das Pensum nicht zu liefern vermöchten, so werde der Anstaltsarzt um ein Gutachten ersucht. Wenn die Nichtverrichtung des Pensums nicht durch Kränklichkeit geschehen sei, so trete Entziehung der warmen Kost und Arreststrafe ein. Die Korrigenden erhalten alsdann nur 625 Gramm Brot täglich. Die Arreststrafe betrage 24 bis 48 Stunden. Es trete auch bisweilen Nachtarrest ein. In solchem Falle erhalten die Arrestanten keine Pritsche, sondern lediglich eine wollene Decke. Im Falle der Verweigerung der Arbeit trete eine permanente Arreststrafe von sieben Tagen nebst Entziehung der warmen Kost ein. Am vierten Tage erhalten jedoch die Detinierten wiederum einen Strohsack und die übliche warme Kost.

Der Verteidiger hielt dem Zeugen vor, daß er in der Gefängniskonferenz zu Düsseldorf gesagt habe: Es gebe in der Arbeitsanstalt zu Brauweiler Krüppel, Epileptiker und mindestens 72, die eigentlich geisteskrank seien. Er (Vert.) frage, was mit diesen Leuten geschehe, ob diese auch zur Arbeit angehalten werden.

Zeuge: Es gibt allerdings in Brauweiler mehrere Krüppel, Leute, die nur einen Arm oder einen Fuß usw. haben, diese sind aber durchaus arbeitsfähig. Leute, die wiederholt epileptische Anfälle haben, werden dem Ortsarmenverbande überwiesen. Auf Vorhalten des Rechtsanwalts Gammersbach bemerkte der Zeuge im weiteren: Fleisch erhalten die Korrigenden nur an den drei hohen Festtagen, Weihnachten, Ostern und Pfingsten und an Kaisers Geburtstag. Auf seinen (des Zeugen) Antrag erhalten jedoch die warmen Speisen sämtlich einen gewissen Fettzusatz. Allerdings sei die Körperkonstitution der Korrigenden im allgemeinen eine schwächere als die der Zuchthäusler usw., die Rationen seien jedoch im allgemeinen größer als die in den dem Ministerium des Innern unterstehenden Strafanstalten. Während in diesen Anstalten täglich 550 Gramm Brot gereicht werden, erhalten die Korrigenden in Brauweiler 625 Gramm. Die Häftlinge in den Kgl. Strafanstalten erhalten zum Frühstück 1/2, mittags 1 bis 1 1/4 und abends 3/4 Liter warmes Essen. In Brauweiler dagegen 1/4 Liter, mindestens 1 1/4 Liter und 1 Liter warmes Essen. Es gebe auch für Kranke und alte Korrigenden, die sich gut geführt haben und darum bitten, eine sogenannte Mittelkost. Diese bestehe aus 120 Gramm Fleisch dreimal in der Woche und Graubrot anstatt Schwarzbrot.

Auf Befragen des Angeklagten, ob die Geisteskranken einer Irrenanstalt überwiesen worden seien, sagte der Zeuge: Der Anstaltsarzt sei psychiatrisch vorgebildet. Dieser habe zu entscheiden, ob ein Geisteskranker einer Irrenanstalt zu überweisen sei. Nach einer Verfügung des Ministers des Innern seien auch Geisteskranke, wenn der Anstaltsarzt es für zulässig halte, mit leichter Arbeit zu beschäftigen und detentionsfähig. Wie viele Geisteskranke im verflossenen Jahre einer Irrenansalt überwiesen wurden, könne er augenblicklich nicht angeben.

Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden bemerkte der Zeuge: Die Sterblichkeit in der Arbeitsanstalt Brauweiler betrage etwa zwei Prozent. Die Todesursachen bestehen zumeist in Lungenschwindsucht, Lungenkrankheiten usw. Zur Zeit der Influenza sei die Sterblichkeitsziffer allerdings größer gewesen. Es schwebe ihm so vor, daß in den Königl. Anstalten die Sterblichkeit und auch die Krankheitsfälle größer seien als in Brauweiler. Die Beamten seien verpflichtet, jeden Korrigenden, der ihn (Zeugen) sprechen bzw. sich beschweren wolle, ihm vorzuführen. Von diesem Recht werde von den Korrigenden vielfach Gebrauch gemacht. Es werden ihm täglich Korrigenden zu diesem Zwecke vorgeführt. Wenn sich Korrigenden mit seinem Bescheid nicht einverstanden erklären und den Wunsch äußern, sich an einer höheren Stelle zu beschweren, so werde dies zu Protokoll genommen und beim Erscheinen des Landesdirektors oder des Landesrats diesem vorgelegt. Die Besuche der letzteren geschehen in der Regel unangemeldet, ohne daß er (Zeuge) davon vorher unterrichtet sei. Bisweilen werde er allerdings ersucht, einen Wagen an den Bahnhof zu schicken, in solchem Falle werde er von dem Erscheinen vorher benachrichtigt. Auf Befragen des Verteidigers äußerte der Zeuge: Der Landesdirektor sei im letzten halben Jahre zweimal in Brauweiler gewesen. Auf ferneres Befragen des Vorsitzenden bekundete der Zeuge: Er habe das Recht, die Beamten mit einer Geldstrafe bis zu zehn Mark oder mit Schmälerung der freien Dienststunden zu bestrafen. Die Beamten seien berechtigt, sich beschwerdeführend an den Landesdirektor zu wenden. Der Zeuge gab noch eine Erklärung über die Ursachen der Beamtenentlassungen. Viele Beamte scheiden aus, da ihnen das frühe Aufstehen nicht passe. Im Sommer werden mehr Beamte gebraucht wie im Winter, es werden daher mit Beginn des Winters mehrere Hilfsbeamte entlassen.

Verteidiger: In einer von Direktor Schellmann zu den Akten gegebenen Erklärung sagt dieser mit Beziehung auf den Angeklagten, daß letzterer kein Pflicht- und Ehrgefühl besitze. Er stelle daher auf Grund des § 198 des Strafgesetzbuches im Namen des Angeklagten gegen Schellmann den Strafantrag.

Der Vorsitzende bemerkte, daß er diesen Antrag zu Protokoll nehmen werde.

Am zweiten Verhandlungstage war auf Ladung des Vertreters des Nebenklägers, Rechtsanwalts Gammersbach, Geh. Regierungsrat Dr. Krone (Berlin) vom Ministerium des Innern als Zeuge und Sachverständiger erschienen.

Vorsteher des Landarmenhauses zu Trier, Zietschmann: Er sei von 1882-1893 Arbeitsinspektor und stellvertretender Direktor in Brauweiler gewesen. Direktor Schellmann sei wohl ein sehr strenger, aber ein sehr gerechter Mann gewesen, der ganz besonders wohlwollend gegen die ihm unterstellten Beamten war. Direktor Schellmann sorgte für die pekuniäre Besserstellung der Beamten, für gute Wohnungen usw. Wenn in den Familien der Beamten Krankheitsfälle vorkamen, so sorgte Schellmann für kräftiges Essen und schickte den Kranken Wein. Er (Zeuge) könne nur sagen: Direktor Schellmann war ein selten guter Mann. Die Häuslinge fürchteten wohl die Strenge des Direktors Schellmann, sie waren ihm aber andererseits für sein Wohlwollen, das er gegen sie an den Tag legte und auch seiner Gerechtigkeit wegen zugetan. Ganz besonders nahm sich Schellmann bei der Entlassung der Korrigenden an und sorgte für Unterkommen, Arbeit usw. Den Häuslingen stand das Beschwerderecht an den Direktor Schellmann zu, es hatten sich täglich Häuslinge zum Rapport vor den Direktor führen lassen.

Rechtsanwalt Gammersbach: Diese Bemerkung könnte zu Irrtümern Veranlassung geben. Haben sich täglich Korrigenden vorführen lassen, um Beschwerden vorzubringen, oder waren es nicht zumeist Gesuche, die die Korrigenden vorzutragen hatten?

Zeuge: In den meisten Fällen waren es allerdings Gesuche. Auf ferneres Befragen bekundete der Zeuge: Das Arbeitspensum in Brauweiler sei im allgemeinen nicht größer gewesen als in dem jetzt von ihm in Trier geleiteten Landarmenhause.

Auf Befragen des Rechtsanwalts Gammersbach äußerte der Zeuge, daß ihm niemals eine Klage von den Beamten oder Häuslingen über Willkür des Direktors Schellmann bekannt geworden sei.

Im weiteren bekundete der Zeuge auf Befragen: Es werden Häuslinge auch zu Land- und Straßenbauarbeiten verwendet. Die Häuslinge verrichten diese Arbeiten sehr gern, da sie dadurch in die frische Luft kommen. Die Häuslinge werden in solchen Fällen unter Führung von Aufsehern kolonnenweise zur Arbeit gebracht. Die entfernteren Kolonnen wurden betreffs des Essens, der Wohnungen usw. alle zwei Monate, die näheren allmonatlich von dem Direktor Schellmann oder ihm revidiert. Daß die Häuslinge in großer Kälte in unzulänglicher Kleidung mit nur einer Art Sack bekleidet im Freien arbeiten mußten, sei unrichtig. Die Leute seien sämtlich warm gekleidet gewesen. Bei Rübenbauten wurde ihnen allerdings eine Art Sack übergeworfen, damit die Kleidung nicht allzusehr beschmutzt würde. Die Häuslinge in Jülich erhielten täglich von der Zuckerrübenfabrik 1 Mark und außerdem hatte die Fabrik für Essen und Unterkommen der Leute zu sorgen. Wenn ein Häusling sagte, daß er das ihm zugewiesene Arbeitspensum nicht zu leisten imstande sei, dann wurde er ärztlich untersucht, und wenn der Arzt den Mann für zu schwach befand, das Arbeitspensum herabgesetzt.

Gutsbesitzer und Assesor a.D. Pauli: Er beschäftige seit Jahren Brauweiler Häuslinge auf seinem Gute. Er habe sich aus psychologischen Gründen mehrfach mit einzelnen Häuslingen unterhalten. Diese haben ihm übereinstimmend gesagt: Direktor Schellmann sei wohl ein sehr strenger, aber auch ein sehr gerechter Mann. Er habe, außer einmal von dem gestern verurteilten Szaplewski, niemals beobachtet, daß die Häuslinge von den Aufsehern schlecht behandelt oder geschlagen worden seien. Gutsbesitzer Pingen, der ebenfalls seit mehreren Jahren Brauweiler Häuslinge auf seinem Gute beschäftigte, schloß sich im wesentlichen den Bekundungen des Vorzeugen an. Er könne nur sagen: Direktor Schellmann lege eine geradezu väterliche Fürsorge für die Korrigenden an den Tag, so daß er (Zeuge) oftmals zu seiner Frau geäußert habe: Die Häuslinge haben es besser als viele freie Arbeiter.

Landesrat Brandts (Düsseldorf): Die Brauweiler Arbeitsanstalt unterstehe der Aufsicht des Direktors Schellmann, ferner der des Landesdirektors, des Provinzialausschusses und endlich des Provinziallandtages. Die Brauweiler Arbeitsanstalt unterstehe speziell seinem Dezernat. Er habe die Anstalt etwa vier-bis fünfmal im Jahre revidiert.

Vors.: Geschahen diese Revisionen unvermutet?

Zeuge: Etwa zur Hälfte wohl. Bisweilen habe ich mit Direktor Schellmann etwas zu besprechen, dann schreibe ich ihm eine Karte, mit der Bitte, zu Hause zu bleiben. Wenn Schellmann am Abend die Karte bekam, dann traf ich gewöhnlich am folgenden Vormittag gegen elf Uhr in Brauweiler ein. Das Brauweiler Arbeitshaus ist derartig groß, daß, wenn ich das Haus betrete, nach einer Stunde das ganze Haus von meiner Anwesenheit Kenntnis erhalten kann. Insofern ist allerdings die Revision nicht eine vollständig unvermutete.

Verteidiger: Warum wurde deshalb die Anstalt nicht von mehreren Beamten revidiert?

Zeuge: Dazu lag bisher keine Veranlassung vor.

Der Zeuge bekundete im weiteren auf Befragen: Es bestehe die Bestimmung, daß sowohl die Beamten als auch die Häuslinge berechtigt seien, sich dem revidierenden Beamten behufs Vorbringung von Beschwerden vorführen zu lassen. Dies scheinen auch die Häuslinge gewußt zu haben, denn es haben sich jedesmal 4-5 vorführen lassen. Die vorgebrachten Beschwerden waren aber geradezu lächerlicher Natur. Über Mißhandlungen, schlechte Beköstigung oder Arbeitsüberlastung seien ihm niemals Beschwerden vorgebracht worden. Er habe sich nicht nur die Beschwerdeführenden vorführen, sondern sich auch die Zellen selbst aufschließen lassen, um die Häuslinge, sowohl weibliche als auch männliche, persönlich zu befragen. Er habe endlich auch die Außenkommandos revidiert. Die Korrigenden seien auch berechtigt, nach ihrer Entlassung sich schriftlich oder mündlich bei dem Landesdirektorium zu beschweren. Während aus anderen, der Provinzialverwaltung unterstehenden Anstalten vielfach Beschwerden eingehen, sei von den Brauweiler Häuslingen nur in sehr wenigen Fällen Beschwerde geführt worden. Die Brauweiler Beamten haben sich ebenfalls niemals mit einer erheblichen Beschwerde an ihn gewandt. Auf Befragen des Staatsanwalts bekundete der Zeuge noch: Es sei richtig, daß Schellmann den gestern erwähnten Fettzusatz für die den Brauweiler Häuslingen zu verabreichenden Speisen und auch die Einführung der Mittelkost beantragt und endlich verschiedene Anträge zur Besserstellung der Beamten, wie Gewährung von freier Heizung für die in der Anstalt wohnenden Beamten an das Landesdirektorium gestellt habe.

Auf Befragen des Verteidigers äußerte der Zeuge: Er erledige als Dezernent wohl die Arbeiten für die Brauweiler Anstalt, er halte aber über alle Einzelheiten dem Landesdirektor Vortrag und dieser müsse alles genehmigen.

Verteidiger: Seit wann ist der Herr Landesrat bei der Provinzialverwaltung beschäftigt?

Zeuge: Seit Juni 1889.

Vert.: War dem Herrn Landesrat vor dem Fall Wodtke bekannt, daß, trotz eines Ministerialreskripts von 1872, laut welchem die Anlegung des Maulkorbs oder der Mundbinde untersagt war, der Korrigendin Wodtke der Maulkorb angelegt wurde?

Zeuge: Ich vermag hierüber nichts zu bekunden, da der Fall Wodtke im Mai 1893 passierte, ich aber das Dezernat erst im November 1893 übernahm.

Vert.: Ist es möglich, Herr Landesrat, daß die beabsichtigten Revisionen durch andere Personen in der Brauweiler Anstalt bekannt geworden sind?

Zeuge: Das kann ich nicht wissen, möglich ist es ja.

Es wurde hierauf die Aussage des kommissarisch vernommenen Brauweiler Anstaltsarztes Dr. Bodet verlesen. Dieser hatte bekundet: Sobald Mißhandlungen von Häuslingen seitens der Aufseher ihm gemeldet wurden, habe er gegen die Aufseher sofort Anzeige erstattet. Epileptiker werden mit Bromkali behandelt. Die Zwangsjacke werde nur auf seine ausdrückliche Anweisung angelegt. Erst nach dem Fall Wodtke habe er von dem Ministerialreskript, wonach die Anwendung der Mundbinde sowie der Hand- und Fußfesseln untersagt sei, Kenntnis erhalten. Wegen Kostentziehung sei er niemals befragt worden. Wenn jedoch mit der Kostentziehung Arreststrafe verbunden sei, dann untersuche er vorher den Körperzustand des betreffenden Häuslings, um festzustellen, ob dieser imstande sein werde, die über ihn verhängte Strafe, ohne an seiner Gesundheit Schaden zu nehmen, auszuhalten. Es sei ihm nicht bekannt, daß krankhafte Häuslinge in eine Arrestzelle statt in das Lazarett geschafft wurden, es sei denn, daß er solche Häftlinge als Simulanten erklärt hatte. Er habe stets seine diesbezüglichen Urteile selbständig abgegeben. Er lasse sich in seine ärztlichen Gutachten oder Anordnungen nicht hineinreden, allerdings dienen ihm die Angaben des Direktors oder der Aufseher zum Teil als Grundlage. Es sei ihm nicht bekannt, daß Korrigenden wegen Kostentziehung oder Mißhandlungen gestorben seien. Die Korrigenden seien vielfach durch übermäßigen Alkoholgenuß und durch das unregelmäßige, schlechte Leben, das sie vor Einlieferung in die Anstalt gewöhnlich führen, so sehr geschwächt, daß der Tod vielfach sehr schnell eintrete. Daß mit einem Gummischlauch oder mit einem Seil in Brauweiler geschlagen worden, sei ihm nicht bekannt. Es habe niemals ein Häusler geklagt, daß ihm Löcher in den Kopf geschlagen worden seien. Der Häusling Haarhaus habe ihm allerdings einmal geklagt, daß er von dem Aufseher Machler auf den Kopf geschlagen worden sei. Machler sei auf seine (des Zeugen) Anzeige deshalb auch bestraft worden. Er habe niemals an einer Leiche Spuren von Hand- oder Fußfesseln wahrgenommen. Es sei einmal von Häuslingen und einem Werkmeister über große Kälte im Webesaale Klage geführt worden. Er habe dies dem Direktor Schellmann mitgeteilt. Infolgedessen wurde der Webesaal Tag und Nacht geheizt. Die Bekleidung der Häuslinge war eine vollständig zweckentsprechende.

Es erschien alsdann der Zeuge Dr. med. Bardenheuer. Er sei von Anfang 1888 bis April 1893 an der Anatomie in Bonn beschäftigt gewesen. Dieser Anatomie seien Leichen aus Werden, Brauweiler und anderen Anstalten eingeliefert worden. Er könne sich auf die aus Brauweiler gekommenen Leichen nicht speziell erinnern. Im allgemeinen könne er aber sagen, er habe bei keiner Leiche wahrgenommen, daß der Tod durch Kostentziehung oder Mißhandlung erfolgt sei.

Vert.: Ich verzichte auf einen weiteren Beweis nach dieser Richtung.

Auf Befragen des Vertreters der Nebenkläger, Rechtsanwalts Gammersbach, erklärte Direktor Schellmann: Die in Brauweiler Verstorbenen werden, wenn sie nicht an ansteckenden Krankheiten gestorben oder von den Angehörigen nicht reklamiert werden, sämtlich der Anatomie in Bonn überwiesen, wenn nicht gerade Universitätsferien seien.

Staatsanwalt: Wird nun behauptet, daß die wegen Kostentziehung oder Mißhandlung Verstorbenen gerade während der Universitätsferien gestorben sind?

Vert.: Es wird diesseits behauptet, daß diejenigen Leichen, bei denen der Tod durch Kostentziehung oder Mißhandlung erfolgt war, nicht nach Bonn geschafft wurden.

Vors.: Dann behaupten Sie also, daß Direktor Schellmann die Unwahrheit gesagt hat?

Vert.: Allerdings!

Der folgende Zeuge war Dr. med. Wolters. Dieser, der ebenfalls an der Anatomie in Bonn beschäftigt war, bekundete: Die Leichen, die aus Brauweiler kamen, seien zumeist sehr muskulös gewesen, so daß sie den Zwecken der anatomischen Untersuchung sehr förderlich waren.

Der dritte Arzt der Bonner Anatomie Dr. Clasen vermochte sich auf Einzelheiten nicht zu erinnern. Soweit ihm erinnerlich sei, habe der Obduktionsbefund des Brauweiler Häuslings Widder ergeben, daß dieser an Delirium patatorum gelitten und auch daran gestorben sei. Wenn die von dem Anstaltsarzt bescheinigte Todesursache mit dem Obduktionsbefunde nicht übereinstimme, dann werde dies dem betreffenden Anstaltsarzt sofort mitgeteilt.

Auf Befragen des Rechtsanwalts Gammersbach äußerte Direktor Schellmann: Es sei ihm nicht bekannt, daß jemals derartige Berichtigungen von den Bonner obduzierenden Ärzten eingegangen seien.

Hierauf wurde die Aussage des im Juni d.J. vor dem Amtsgericht zu Dirschau kommissarisch vernommenen Werkmeisters Wessel verlesen: Danach hatte dieser bekundet: Er sei einige Zeit auf Betreiben seiner Ehefrau, mit der er in Scheidung lag, vom Amtsgericht zu Köln für geisteskrank erklärt und entmündigt worden. Diese Entmündigung sei aber längst wieder aufgehoben. Er sei eine Zeitlang in Brauweiler als Werkmeister beschäftigt gewesen und habe gehört, daß insbesondere vor dem Fall Wodtke vielfach die Häuslinge geschlagen worden seien. Ein Aufseher Schiefer habe sich dessen ausdrücklich gerühmt. Es wurden mehrfach Häuslinge mit Arbeiten überlastet. Konnten diese das Pensum nicht leisten, dann wurde ihnen auf drei Tage die warme Kost entzogen, oftmals trat noch Dunkelarrest hinzu. Einem Häusling, namens Schmidt, der sein Pensum beim besten Willen nicht bewältigen konnte, habe er (Zeuge) geraten, sich krank zu melden. Schmidt habe dies aber nicht gewagt, er sei deshalb mit Kostentziehung und Arrest bestraft worden. Ein Häusling, namens Schäfer, habe auf ihn den zweifellosen Eindruck eines Irrsinnigen gemacht. Der Mann habe außerdem an epileptischen Anfällen gelitten. Er habe einmal mit einem Meißel nach ihm (dem Zeugen) geworfen, so daß er am Kopfe arg verwundet wurde. Er sei daher genötigt gewesen, dies dem Direktor Schellmann zu melden. Letzterer habe ihn gefragt, ob er die Bestrafung des Mannes verlange. Dies habe er verneint mit dem Bemerken, daß der Mann augenscheinlich geisteskrank sei. Auf Anordnung des Direktors Schellmann sei Schäfer sechs Wochen in die »Cachotte« gesperrt worden und habe nur jeden vierten Tag warme Kost erhalten. Schäfer sei außerdem geschlagen und gefesselt worden. Er habe in dieser Behandlung ein großes Unrecht gesehen, zumal Schäfer seiner Meinung nach vollständig geisteskrank war und in eine Irrenanstalt gehörte. Nachdem Schäfer aus der »Cachotte« herauskam, sei er einige Tage darauf verstorben.

Sanitätsrat Dr. Laudahn: Werkmeister Wessel sei infolge Anzeige seiner Frau von ihm untersucht und beobachtet worden. Wessel, der nach Angabe seiner Frau die unglaublichsten Dinge gemacht, sei infolge übermäßigen Alkoholgenusses Epileptiker geworden. Er habe ihn als dauernd für geisteskrank erklärt und sei der Überzeugung, daß er auch jetzt noch geisteskrank sei.

Vors.: Wessel ist vom Amtsgericht in Dirschau als Zeuge vernommen worden und hat über die Brauweiler Anstalt eine längere Aussage gemacht. Halten Sie diese für glaubwürdig?

Zeuge: Ich gebe die Möglichkeit zu, daß der Mann auch lichte Augenblicke hat. Im übrigen ist mir zu Ohren gekommen, daß Wessel im August dieses Jahres gestorben ist.

Alsdann sollte Geh. Medizinalrat Dr. Michelsen (Düsseldorf) als Zeuge und Sachverständiger vernommen werden.

Der Verteidiger protestierte gegen die Vernehmung des Geheimen Rats Dr. Michelsen als Sachverständiger. Als Zeuge bekundete letzterer: Er sei im Nebenamt Arzt der Rheinischen Provinzialverwaltung und in deren Auftrage habe er vor einiger Zeit die Brauweiler Anstalt, und zwar ohne vorherige Anmeldung, besichtigt. Er habe sämtliche Räume, die Arbeitssäle, Schlafsäle usw. und ebenso die Wäsche und Kleidung der Häuslinge in größter Sauberkeit gefunden. Er habe allerdings auch zwei Zwangsjacken und Handschellen gefunden. Letztere waren aber von innen gepolstert, so daß eine Grausamkeit bei ihrer Anwendung ausgeschlossen war. Eine Mundbinde habe er nicht gefunden.

Darauf wurde als Sachverständiger Geh. Medizinalrat Professor Dr. Pelman (Bonn), Direktor der Rheinischen Provinzialirrenanstalt vernommen. Der Vorsitzende bemerkte dem Sachverständigen: Werkmeister Wessel sei von dem Amtsgericht in Dirschau als Zeuge kommissarisch vernommen worden. Das Gericht habe am Schlusse des Protokolls die Bemerkung gemacht, daß der Zeuge einen vollständig glaubwürdigen Eindruck machte.

Sachverständiger: Als Wessel zwecks Beobachtung in meine Anstalt gebracht wurde, kam es darauf an, zu prüfen, ob die Angaben der Frau oder die seinigen wahr seien. Hatte die Frau recht, dann war der Mann verrückt. Daß der Mann Alkoholiker war, war zweifellos. Er war außerdem herzleidend und wohl infolgedessen ein sehr reizbarer, heftiger Mensch, der ganz besonders von der Wahnidee befangen war, daß seine Frau eheliche Untreue begehe. Diesen Wahn hatte er auch noch in der Anstalt. Da er aber dort keine Alkoholika bekam, wurde er allmählich ruhiger. Ich interessierte mich für ihn, da er ein sehr ausgebildetes Ehrgefühl hatte. Immerhin war Wessel ein Mann, der maßlos heftig war.

Vors.: Ist es möglich, Herr Geheimrat, daß Wessel über Dinge, die zwei Jahre zurückliegen, als Zeuge vernommen, das Gegenteil sagt?

Sachverständiger: Möglich ist das schon. Wessel ist das Kind eines Augenblicks, dem die Gedanken furchtbar durcheinandergehen. Ich will nicht sagen, daß Wessel lügenhaft ist, es entspricht aber seinem ganzen Charakter, daß er die Dinge verwechselt und schließlich das Gegenteil von dem wirklich Geschehenen bekundet.

Vors.: Ist Wessel als genesen entlassen worden?

Sachverständiger: Nein.

Vors.: Ist er nicht aus der Anstalt durchgebrannt?

Sachverständiger: Das schwebt mir allerdings so vor.

Vors.: Was machte Frau Wessel für einen Eindruck auf Sie?

Sachverständiger: Die Frau machte auf mich einen durchaus glaubwürdigen Eindruck. Der Sachverständige bekundete im weiteren: Wessel klagte ihm nach seiner Entlassung, daß er, da er in einer Irrenanstalt gewesen, nirgends mehr Arbeit bekommen könne. Er (Sachverständige) habe ihm gesagt, er wolle ihm zur Erlangung von Arbeit behilflich sein, er solle sich evtl. auf ihn berufen. Schließlich habe er ihn an Direktor Schellmann in Brauweiler empfohlen.

Vert.: Nachdem Wessel zwei Jahre in Freiheit und in Arbeit war, ist es dann nicht anzunehmen, daß, wenn er unter seinem Eid vor Gericht eine Aussage macht, auch die Wahrheit sagt?

Sachverständiger: Das ist etwas viel, was da von mir auf einmal verlangt wird. Ich bemerke also, daß ich Wessel seit zwei Jahren nicht gesehen habe, ich habe also kein bestimmtes Urteil über seinen jetzigen Geisteszustand. Ich kann nur sagen: Wessel sieht durch die Brille seines eigenen Affekts und es entspricht seiner Geistesverfassung, irrtümlich das Gegenteil von der Wirklichkeit auszusagen.

Sanitätsrat Dr. Laudahn: Er müsse bekunden, daß Wessel zu Dr. Udenthal einmal sagte: »Wenn ich Sie ersteche, so kann mir nichts passieren, denn ich bin ja als geisteskrank erklärt.«

Vert.: Ist dieser Dr. Udenthal nicht derselbe, den Wessel im Verdacht hatte, daß er mit seiner Frau verbotenen Verkehr unterhalte.

Sanitätsrat Dr. Laudahn: Das hat Wessel mir gegenüber entschieden in Abrede gestellt.

Es wurde hierauf von dem Dolmetscher der englischen Sprache, Kanzleigehilfen Gottschalk, die Aussage des in London kommissarisch vernommenen Zeitungskorrespondenten Politt verlesen. Danach hatte dieser bekundet: Er habe sich mit Hilfe eines Dolmetschers dem Direktor Schellmann als englischer Journalist vorgestellt und diesen gebeten, ihm die Einrichtungen der Anstalt zu zeigen. Direktor Schellmann habe ihn sehr freundlich empfangen. Er habe ihm mitgeteilt, daß die Männer mittels Zwangsjacke und eisernen Fesseln, die Weiber durch Anlegung eines Maulkorbes bestraft werden. Er habe dies für kaum glaublich gehalten. Er habe alsdann die Leute beim Essen beobachtet und von Schellmann gehört, daß diejenigen Korrigenden, die ihr Morgenpensum nicht aufgearbeitet haben, kein Mittagsmahl erhalten. Schellmann habe ihm mitgeteilt, daß die Korrigenden Gefangene seien. Er habe, wenn die Korrigenden nach ihrer Entlassung keine Arbeit finden, das Recht der Wiederarretierung. Schellmann habe ihn u.a. in eine Zelle geführt, wo ein junger Mann mit der Fabrikation von Strohhüten beschäftigt war. Direktor Schellmann habe den jungen Mann wie einen Schulbuben am Ohr genommen und ihm mitgeteilt, daß der junge Mann an demselben Morgen gezüchtigt worden sei. Er (Zeuge) habe im Hofe der Anstalt Leute arbeiten sehen, die mit einem sackartigen Gegenstande bekleidet waren, so daß man die Haut sehen konnte. Es war damals gerade sehr kalt und er gewann den Eindruck, daß die Leute sehr unter der Kälte litten. Im übrigen habe er nicht wahrgenommen, daß die Korrigenden mit Roheit und Hartherzigkeit behandelt wurden, zumal wenn man erwäge, daß eine strenge Ordnung doch aufrechterhalten werden müsse.

Es erschien hierauf als Zeugin die achtzehnjährige Korrigendin Anna Zimmer. Auf Antrag des Verteidigers ersuchte der Vorsitzende den Direktor Schellmann, während der Vernehmung dieser Zeugin den Saal zu verlassen. Die Zeugin, die einen sehr unsicheren und befangenen Eindruck machte, bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Sie sei seit 17 Monaten in der Brauweiler Arbeitsanstalt. Sie sei zunächst mit Hemdennähen beschäftigt gewesen. Sie sollte täglich sechs Hemden nähen, d.h. nur »reihen«, sie habe das Pensum aber nur zur Hälfte erledigen können, deshalb sei sie drei Tage mit Kostentziehung bestraft worden. Alsdann habe sie Tütenmachen gelernt und sollte täglich 750 Tüten machen. Da sie auch dies Pensum nicht erledigen konnte, sei sie wiederum mit drei Tagen Kostentziehung bestraft worden. Darauf habe sie das Bürstenmachen und zuletzt das Spulen gelernt und habe auch dabei das Pensum nicht machen können. Sie sei auch deshalb mit Kostentziehung und Arrest, das letztemal mit 36 Stunden, bestraft worden.

Vors.: Sind Sie nicht auch wegen anderer Vergehen bestraft worden?

Zeugin (nach längerem Zögern): Ich habe schließlich die Arbeit verweigert.

Vors.: Weshalb verweigerten Sie die Arbeit?

Zeugin: Weil ich immer ein so großes Pensum zu arbeiten bekam.

Die Zeugin bekundete im weiteren auf Befragen: Sie habe einmal aus Versehen eine Fensterscheibe zerbrochen, deshalb sei sie von dem Pastor Peiner mit einem Seil geschlagen worden. Pastor Peiner habe dies außerdem dem Direktor Schellmann angezeigt. Letzterer habe sie zu fünf Tagen Arrest verurteilt und ihr auch noch die Kosten für die zerbrochene Scheibe abgezogen.

Vors.: Haben Sie sich über die erlittenen Strafen bei den Herren aus Düsseldorf beklagt?

Zeugin: Nein.

Vors.: Wußten Sie, daß Sie das Recht haben, sich zu beschweren?

Zeugin: Ja.

Vors.: Wer hatte Ihnen das gesagt?

Zeugin: Herr Direktor Schellmann.

Vors.: Sie haben sich aber trotzdem nicht beschwert?

Zeugin: Nein.

Vors.: Hielten Sie Ihre Bestrafung für gerecht?

Zeugin: Ja.

Angekl. Hofrichter: Haben Sie nicht befürchtet, daß Sie sich durch eine Beschwerde bei den Düsseldorfer Herren Unannehmlichkeiten machen könnten?

Zeugin: Jawohl.

Vors.: Erhielten Sie, wenn Sie nicht Kostentziehung hatten, zur Genüge zu essen?

Zeugin: Jawohl.

Vors.: War die Kleidung ausreichend?

Zeugin: Jawohl.

Rechtsanwalt Gammersbach: Ich überreiche hier die Personalakten. Danach ist die Zeugin nicht mit fünf Tagen, sondern mit 24 Stunden bestraft worden.

Direktor Schellmann, der hierauf wieder in den Saal gerufen wurde, bemerkte: Die Zimmer sei nicht wegen Zerbrechens der Scheibe, sondern wegen Ungehorsams mit einem Tag Arrest bestraft worden. Dieser eine Tag sei aber auf fünf Tage ausgedehnt worden, da die Zeugin noch vier Tage wegen Arbeitsverweigerung abzusitzen hatte. Die Zimmer gehörte zu den Mädchen, die ungeheuer faul waren. Die folgende Zeugin war die 17jährige Korrigendin Katharina Henn. Diese bekundete auf Befragen: Sie sei mehrfach mit Kostentziehung bestraft worden, weil sie ihr Pensum nicht machen konnte. Sie habe deshalb die Arbeit überhaupt verweigert und sei infolgedessen noch mit Arrest bestraft worden. Sie habe einmal aus Wut, weil ihr die Kost entzogen wurde, eine Glasscheibe zerschlagen. Es seien ihr deshalb Handschellen angelegt worden.

Vert.: Haben Sie nicht deshalb die Arbeit verweigert, weil Sie, trotzdem Sie arbeiteten, keine warme Kost bekamen?

Zeugin: Jawohl.

Auf weiteres Befragen äußerte die Zeugin: Sie sei niemals geschlagen worden. Auch sei die Kost, wenn sie nicht Kostentziehung hatte, ausreichend gewesen, ebenso sei die Kleidung und Heizung hinreichend gewesen.

Die 34jährige Zeugin Katharina Transfeld bekundete: Sie habe nur einmal vier Wochen »Cachotte« »wegen Frechheit« gehabt. Sonst sei sie niemals bestraft worden, sie habe auch niemals gehört, daß Korrigendinnen in Brauweiler geschlagen wurden. Die Beköstigung und Bekleidung sei ausreichend gewesen. Sie wußte, daß sie sich bei den Herren aus Düsseldorf beschweren könne. Der Herr Landrat sei einmal selbst in ihre Zelle gekommen und habe sie gefragt, ob sie eine Beschwerde habe.

Die ehemalige Korrigendin Katharina Hoffmann erzählte des längeren, daß sie mit einer Aufseherin einmal einen heftigen Streit gehabt habe. Die Aufseherin habe sie furchtbar gestoßen und sie habe infolgedessen ein Waschbecken genommen und die Aufseherin mit Wasser begossen. Die Aufseherin habe ihr mit Schlägen gedroht, sie habe ihr aber erwidert, daß sie ihr sofort ein paar Ohrfeigen zurückgeben würde. Direktor Schellmann habe sich ihr gegenüber ganz liebevoll gezeigt.

Die ehemalige 23jährige Korrigendin Gertrud Neulenz bekundete auf Befragen: Sie habe einmal mit einer anderen Korrigendin Zank gehabt und sei deshalb mit sieben Tagen »Cachotte« bestraft worden. Auch wegen Nichterledigung des Pensums habe sie »Cachotte« bekommen.

Vors.: Ist es in der »Cachotte« kalt?

Zeugin: Das ist je nachdem. Wenn man in der »Cachotte« Skandal macht, dann wird die Heizung abgestellt.

Auf Befragen des Verteidigers bekundete die Zeugin noch: Sie habe einmal, als sie aus der Kirche kam, bemerkt, daß eine Korrigendin, namens Heimson, geschwollene Hände hatte. Auf ihr Befragen habe sie ihr gesagt, daß sie in der vergangenen Nacht Handschellen angehabt habe. Eine Korrigendin, namens Heinrich, habe einmal die Hände mit eisernen Ringen auf den Rücken geschnallt gehabt.

Vors.: Wußten Sie, daß Sie sich beschweren können?

Zeugin: Jawohl.

Vors.: Haben Sie sich beschwert?

Zeugin: Nein.

Vors.: Hatten Sie keine Ursache dazu?

Zeugin: Ich wurde einmal mit einer Arbeitskollegin vor Herrn Direktor Schellmann geführt. Letzterer sagte zu meiner Kollegin: Sie haben hier nicht soviel zu reden, sonst erhalten Sie noch drei Tage länger Kostentziehung.

Schellmann: Dies ist absolut unwahr.

Auf Befragen des Verteidigers sagte die Zeugin: Wenn eine Korrigendin vor den Direktor geführt werden wolle, dann müsse sie der Aufseherin genau angeben, worüber sie sich beschweren wolle.

Auf Befragen des Angeklagten bekundete die Zeugin noch: Eine in der Waschküche beschäftigte Epileptikerin sei einmal in Krämpfe gefallen. Die Aufseherin habe das junge Mädchen mit Wasser bespritzt, die Krämpfe ließen aber nicht nach. Das Mädchen sei infolgedessen vor den Arzt geführt worden. Dieser habe erklärt, daß das Mädchen eine Simulantin sei. Daraufhin sei dem Mädchen die Mittelkost, die es bis dahin bekam, entzogen und es in Arrest gebracht worden. Das Mädchen habe ihr gegenüber jedoch beteuert, daß es sich nicht verstelle, sondern seit Kindheit an Krämpfen leide.

Eine andere Korrigendin sei so schwach geworden, daß sie dreimal vor den Arzt geführt wurde. Das Mädchen sei aber erst ins Lazarett gekommen, nachdem es sich mehrere Male erbrochen hatte. Dort sei sie nach zwei Tagen gestorben.

Eine 60jährige Korrigendin sei in der Waschküche vor Schwäche zusammengebrochen. Sie sei infolgedessen mehrfach vor den Arzt geführt worden. Dieser habe sich aber geweigert, die alte Frau ins Lazarett aufzunehmen. Die Frau sei bald darauf gestorben. Es sei einmal, um Seife zu sparen, Petroleum zum Waschen verwendet worden. Infolgedessen liefen Klagen über die Wäsche ein. Darauf sagte Direktor Schellmann: Wenn noch einmal eine Klage wegen der Wäsche einläuft, dann werden den in der Waschküche beschäftigten Korrigendinnen Geldabzüge gemacht.

Direktor Schellmann: Er habe in einer Fachzeitung gelesen, daß mit einem Löffel Petroleum die Wäsche besser werde. Es sei infolgedessen einmal ein solcher Versuch gemacht worden. Es seien allerdings einige Male Klagen über die Wäsche eingelaufen. Es sei möglich, daß er infolgedessen die von der Zeugin bekundete Äußerung getan habe.

Das 19jährige Dienstmädchen Heimson bekundete: Sie habe einmal, als sie in Brauweiler war, von einer Aufseherin etwas verlangt. Da ihr dies nicht gewährt wurde, habe sie verschiedene Gegenstände zerschlagen. Daraufhin seien ihr Handschellen angelegt worden, d.h. es seien ihr mittels zweier eiserner Ringe die Hände auf den Rücken geschnallt worden. In dieser Situation habe sie von 5 Uhr nachmittags bis 10 1/2 Uhr abends verbleiben müssen. Die Handgelenke seien ihr infolgedessen angeschwollen. Außerdem habe sie einmal von dem Herrn Pastor wegen Ungehorsam ein paar Ohrfeigen erhalten. Einige Male sei sie wegen Nichterfüllung des Pensums mit Kostentziehung bestraft worden.

Tagelöhner Lindemann: Er habe mehrfach gesehen, wie Arbeiter von Aufsehern geschlagen wurden. Auf Befragen des Rechtsanwalts Gammersbach bemerkte der Zeuge, Direktor Schellmann habe das Schlagen nicht geduldet.

Schlosser Ermanns: Er sei zweimal längere Zeit in Brauweiler gewesen und sei niemals bestraft worden. Er habe einmal gesehen, wie ein Aufseher den Korrigenden Schlosser Nehrmann derartig auf den Kopf geschlagen habe, daß dieser ein großes Loch in den Kopf erhielt und ihm das Blut in heftiger Weise übers Gesicht lief. Als Nehrmann sich bei Direktor Schellmann beschwerte, erhielt er noch sieben Tage Arrest hinzu, da er sich nach den erhaltenen Schlägen dem Aufseher widersetzt hatte. Er (Zeuge) habe gesehen, daß Korrigenden Hand- und Faustschellen angelegt wurden. Eines Tages sei er mit dem Aufseher Esser bei einer »Cachotte« vorübergegangen. Aus dieser vernahm man ein heftiges Schreien. Aufseher Essert sagte: »Gebt doch dem Kerl eins über den Kopf.« Der Insasse dieser »Cachotte« sei bald darauf verstorben. Da die Leiche noch mit Fußschellen gefesselt war, wurde er von dem Meister Fürschdegen aufgefordert, der Leiche diese Schellen abzumeißeln. Er weigerte sich aber, dies zu tun, infolgedessen habe Meister Heinrich Lange mittels Hammer und Meißel die Leiche von den Fußschellen befreit.

Am dritten Verhandlungstag wurde Landesrat Klausner (Düsseldorf) als Zeuge vernommen: Er habe von 1882 bis 1890 das Dezernat über die Brauweiler Anstalt geführt. Er habe vier- bis fünfmal jährlich, und zwar stets die ganze Anstalt, revidiert. Nach geschehener Revision habe ihm Direktor Schellmann diejenigen Häuslinge in das Sprechzimmer vorgeführt, die eine Beschwerde vorzubringen hatten. Diese Beschwerden beliefen sich in den meisten Fällen auf die von der Landespolizeibehörde gegen die Häuslinge verhängte Nachhaft. Direktor Schellmann beschwerte sich fast jedesmal über die Roheiten, Frechheiten und den Zynismus der Häuslinge. Er sei allerdings niemals allein, sondern stets unter Führung des Direktors Schellmann oder eines anderen höheren Beamten der Anstalt durch letztere gegangen. Er habe aber die Häuslinge vielfach persönlich angesprochen und diese gefragt, ob sie ein Anliegen haben. Er glaube bestimmt, die Häuslinge wußten, daß ihnen das Beschwerderecht zustand. Während seines Dezernats sei niemals eine sogenannte Nachbeschwerde von entlassenen Brauweiler Häuslingen bei dem Landesdirektorium eingegangen. Direktor Schellmann habe eine Verbesserung der Kost für die Häuslinge durch einen größeren Fettzusatz, die Vermehrung des Aufsichtspersonals usw. bei dem Landesdirektorium beantragt. Es habe sich niemals ein Anhall dafür ergeben, daß der von Direktor Schellmann vorgeschlagene Etat nicht vollständig zur Ausführung gelange. Direktor Schellmann habe auch, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, eine ganz besondere Fürsorge für entlassene Häuslinge an den Tag gelegt. Beschwerden über Mißhandlungen, Überarbeitung usw. seien ihm niemals zugegangen. Er habe auch nicht wahrgenommen, daß derartige Dinge in der Anstalt vorkommen. Er habe persönlich die verschiedenen Arbeitssäle in Augenschein genommen, die Häuslinge persönlich befragt und weder jemals eine Beschwerde über Arbeitsüberlastung gehört, noch wahrgenommen, daß jemandem eine zu schwere oder zuviel Arbeit zugemutet wurde.

Vert.: Haben sich Häuslinge über Mißhandlungen von Aufsehern beklagt?

Zeuge: Nein. Vert.: Ich bemerke, daß während des Dezernats des Herrn Zeugen zwei Aufseher wegen Mißhandlung bestraft worden sind. Direktor Schellmann hat laut Akten darüber an das Landesdirektorium berichtet, diese Vorkommnisse sind doch mithin dem Zeugen amtlich bekannt geworden?

Zeuge: Darauf erinnere ich mich jetzt, ich wiederhole aber, daß mir Beschwerden von Häuslingen über ihnen von Aufsehern zugefügte Mißhandlungen nicht zugegangen sind.

Angekl. Hofrichter: War dem Herrn Landesrat das Ministerialreskript vom 20. März 1871 bekannt, wonach die Anwendung der Mundbinde verboten ist?

Zeuge: Nein, dies Ministerialreskript war mir nicht bekannt.

Angekl.: Dann frage ich den Herrn Landesrat, in welcher Weise ihm seine amtlichen Pflichten bei Übernahme des Dezernats bekanntgemacht wurden?

Zeuge: Es wurde mir die Hausordnung, die Generel- und Personalakten der Anstalt usw. vorgelegt.

Auf Befragen des Staatsanwaltes sagte der Zeuge noch: In staatlichen Anstalten wird meines Wissens nach die Mundbinde heute noch angewendet, daraus geht doch hervor, daß das erwähnte Ministerialreskript noch sehr wenig bekannt ist.

Der Vorsitzende verlas hierauf einen Teil der freisprechenden Erkenntnisse gegen Schellmann und Dr. Bodet vom 1. März 1895. Daraus ging hervor, daß im Jahre 1873 die Kgl. Strafanstalt zu Aachen das Direktorium in Brauweiler um Übersendung des Modells der Mundbinde ersuchte. Das Brauweiler Direktorium lehnte jedoch dieses Gesuch, mit dem Hinweis auf das erwähnte Ministerialreskript, ab. Nach dieser Zeit sei aber das Ministerialreskript weder in Brauweiler noch bei der Düsseldorfer Provinzialverwaltung bekannt gewesen. Erst im Frühjahr dieses Jahres sei das Reskript bei dem Oberpräsidium zu Koblenz aufgefunden worden.

Vert.: Wie werden wohl Ministerialreskripte, Regierungsverfügung usw. den Aufsichtsbeamten bekanntgemacht?

Zeuge: Ob letzteres geschieht, weiß ich nicht, jedenfalls werden alle Ministerialreskripte den der Provinzialverwaltung unterstehenden Anstalten abschriftlich mitgeteilt.

Direktor Schellmann bekundete darauf als Zeuge: Der Häusling Widdor sei im Januar d.J. von einem Polizeibeamten aus Stolberg eingeliefert worden. Der Polizeibeamte habe ihm, unter Übergabe des gerichtlichen Urteils, wonach Widdor wegen Arbeitsscheu, Vernachlässigung seiner Familie usw. zur Unterbringung in eine Besserungsanstalt verurteilt war, mitgeteilt, daß Widdor Simulant sei. Er sei zunächst zwei Tage in eine Beobachtungszelle gebracht und vom Anstaltsarzte Dr. Bodel untersucht worden. Da letzterer ihn für gesund und arbeitsfähig erklärte, wurde er zur Arbeit kommandiert. Er habe sich aber geweigert, zu arbeiten, deshalb wurde er in eine Arrestzelle gesperrt. Am folgenden Nachmittage sei ihm mitgeteilt worden, daß Widdor in der Zelle erkrankt sei. Er (Schellmann) habe sich sofort in die Zelle begeben und dort den Widdor auf dem Strohsack liegen sehen. Es habe ihm geschienen, daß der Mann an epileptischen Krämpfen leide. Er habe sofort angeordnet, dem Manne ein Kopfkissen zu bringen, und Dr. Bodet benachrichtigt. Letzterer ordnete sofort die Überführung des Mannes in das Lazarett an. Diese erfolgte auch noch am selben Abend. Am folgenden Tage nachmittags sei ihm mitgeteilt worden, daß Widdor gestorben sei.

Polizeisergeant Graf: Widdor sei ein notorischer Trunkenbold gewesen, der wiederholt wegen Arbeitsscheu bestraft wurde. Als er den Auftrag erhielt, Widdor nach Brauweiler zu transportieren, habe dieser den größten Widerstand entgegengesetzt. Da sich der Mann entschieden weigerte, nach Brauweiler zu gehen, habe er ihn schließlich auf einer Karre nach Brauweiler fahren müssen.

Stadtsekretär Burger (Stolberg): Widdor sei ihm seit langer Zeit als Trunkenbold bekannt gewesen.

Gefängnisarzt Dr. Thelen: Ich hatte den Widdor zu untersuchen, ob seine Körperkonstitution die Überführung nach Brauweiler gestattete. Ich stellte fest, daß Widdor wohl ein notorischer Säufer, aber arbeitsfähig war. Widdor beteuerte, daß er zu schwach zum Arbeiten sei. Um eine Probe zu machen, sagte ich mit lauter Stimme: »Der Mann kann nicht nach Brauweiler geschickt werden, machen Sie, daß Sie rauskommen.« Widdor lief darauf eiligst aus dem Zimmer. (Heiterkeit im Zuhörerraum.)

Dr. Bodet hatte bei seiner kommissarischen Vernehmung bekundet: Widdor sei am Delirium patatorum und Herzlähmung gestorben. Der Mann habe an chronischem Alkoholismus gelitten. Auch haben sich bei dem Manne Spuren einer Rippenfellentzündung vorgefunden. Der Mann hatte sich beklagt, daß er von dem Polizeibeamten auf dem Transport einen Tritt in den hinteren Körperteil erhalten habe. Der objektive Befund habe aber dafür keinen Anhalt ergeben.

Sanitätsrat Dr. Thelen, als Sachverständiger vernommen, bekundete: Es scheine ihm nicht, daß der Transport, das Einsperren in die Zelle usw. den Tod des Widdor herbeigeführt bzw. wesentlich gefördert habe. Eher habe es den Anschein, daß der Mann am Delirium tremens gestorben sei. Es sei ja bekannt, daß das Delirium tremens bei Gewohnheitstrinkern auch auftrete ohne unmittelbar vorhergehenden starken Schnapsgenuß. Auch große Erregung könne bei Gewohnheitstrinkern das Delirium tremens herbeiführen und es sei wohl nicht zweifelhaft, daß der Transport nach Brauweiler Widdor sehr aufgeregt habe.

Auf Befragen des Verteidigers verneinte Schellmann, daß er gesehen, wie Widdor auf dem Hofe, als er ihm vorgeführt wurde, geschlagen worden sei.

Lazarettaufseher Nengroda schloß sich im wesentlichen den Bekundungen des Direktors Schellmann an. Widdor hatte wohl einen schwankenden Gang, im übrigen habe er sehr gut gehen können. Dr. Bodet habe für Widdor, als dieser ins Lazarett gebracht wurde, sofort Kognak und Wein angeordent. Darüber habe sich Widdor sehr gefreut. Er habe niemals wahrgenommen, daß Häuslinge in Brauweiler mißhandelt wurden, ebensowenig habe er an Leichen, mit Ausnahme derjenigen, die an Lungenkrankheiten gestorben waren, eine besondere Entkräftung wahrgenommen und auch nicht, daß Leichen mit Fuß- oder Handschellen gefesselt waren. Es sei ihm nicht bekannt, daß Leute aus der »Cachotte« ins Lazarett zur Auffütterung gebracht wurden, weil die Leute in der »Cachotte« zu sehr entkräftet waren. Im Winter 1894/95 seien niemals über sechs Patienten wegen erfrorener Gliedmaßen im Lazarett gewesen. Alle Verordnungen im Lazarett treffe der Anstaltsarzt; Direktor Schellmann habe niemals eine Änderung dieser Anordnungen vorgenommen. Letzterer komme alle acht bis zehn Tage ins Lazarett und spreche alsdann mit jedem einzelnen Kranken.

Auf Befragen des Nebenklägers Direktors Schellmann bekundete der Zeuge noch: Ein Kranker habe einmal epileptische Krämpfe gehabt. Er habe ihm Priemtabak hingelegt und den Saal verlassen. Der Patient habe während dieser Zeit, trotz seiner vorgeblichen epileptischen Krämpfe, den Priemtabak sich angeeignet. Ein anderer Häusling habe ihm erzählt, daß er, um beim Betteln größere Erfolge zu haben, allerlei Gebrechen simuliere.

Gutsverwalter Stemmler: Er habe wohl einige Male gesehen, daß Häuslinge von Aufsehern gestoßen worden seien, Mißhandlungen habe er aber niemals wahrgenommen.

Gutsbesitzer Pauli: Er habe mehrfach mit den Häuslingen gesprochen und wahrgenommen, daß letztere Herrn Direktor Schellmann sehr zugetan waren. Schellmann sei wohl strenger, aber gerechter und wohlwollender den Häuslingen gegenüber gewesen, als sein Vorgänger.

Vert.: Haben Ihnen Häuslinge gesagt, daß sie gern nach Brauweiler zurückgehen? (Lautes Gelächter im Zuhörerraum.)

Vors.: Ich muß das Publikum dringend zur Ruhe ermahnen. Die Verhandlung ist wahrlich nicht dazu da, das Publikum zu amüsieren.

Zeuge Pauli bemerkte alsdann: Eine solche Äußerung hat allerdings niemals ein Häusling getan, ich habe auch nur sagen wollen, daß es den Häuslingen, den Umständen angemessen, in Brauweiler gefallen habe.

Direktor Zietschmann: Den Häuslingen werde bei ihrer Einlieferung die Hausordnung vorgelesen, in der das Beschwerderecht mitgeteilt sei. Letzteres werde den Häuslingen noch allmonatlich extra bekannt gemacht.

Vors.: Es wird behauptet, daß Sie einmal Herrn Direktor Schellmann mit einem Revolver bedroht haben?

Zeuge: Das ist vollständig unwahr.

Vors.: Haben Sie denn mit Herrn Direktor Schellmann Differenzen gehabt?

Zeuge: Ich hatte wohl einige Male Differenzen mit Herrn Direktor Schellmann, diese wurden jedoch sämtlich sehr bald friedlich beigelegt.

Es erschien als Zeuge der katholische Anstaltsgeistliche von Brauweiler, Pastor Peiner. Er sei 31 Jahre Anstaltsgeistlicher in Brauweiler und habe niemals Mißhandlungen von Häuslingen wahrgenommen. Zwei Häuslinge haben sich allerdings bei ihm über Mißhandlungen von Aufsehern beklagt, er habe die Aufseher deshalb zur Anzeige gebracht. Er habe einmal der Korrigendin Zimmer wegen Ungehorsams mit einem Reitstock ein paar Schläge versetzt. Die Häuslinge haben sich niemals über schlechte Behandlung seitens des Direktors Schellmann beklagt. Er habe auch niemals wahrgenommen, daß Häuslinge an Entkräftung oder infolge von Mißhandlungen gestorben seien.

Vors.: Haben Sie sich einmal bei dem Landesdirektorium über Direktor Schellmann beschwert?

Zeuge: Nein, niemals.

Vors.: Sie sollen einmal zu einem Aufseher gesagt haben: »Vor Schellmann hat kein Mensch Achtung, der Mann ist nur gefürchtet?«

Zeuge: Das ist mir nicht erinnerlich, das kann ich auch nicht gesagt haben.

Der hierauf vernommene evangelische Anstaltsgeistliche van de Loo schloß sich im wesentlichen den Bekundungen des Vorzeugen an. Direktor Schellmann sei sowohl den Häuslingen als auch den Beamten gegenüber sehr wohlwollend gewesen.

Vert.: Es wird morgen vor dem hiesigen Schwurgericht gegen einen Arbeiter Jaffka wegen vorsätzlicher Brandstiftung verhandelt werden. Dieser Mann ist aus Brauweiler durchgebrannt und hat darauf einen Schober in Brand gesteckt, um ins Zuchthaus oder ins Gefängnis anstatt nach Brauweiler zu kommen. Ich beantrage, diesen Mann morgen hier als Zeugen zu vernehmen. Dem Herrn Staatsanwalt wird die Sache bekannt sein, da sie in der Anklageschrift steht.

Der Gerichtshof beschloß, dem Antrage des Verteidigers stattzugeben.

Der Vorsitzende teilte hierauf mit, daß der Arzt der Königlichen Regierung, Medizinalrat Dr. Meyhöfer die Bitte geäußert habe, der Verhandlung beiwohnen zu dürfen. Der Vorsitzende genehmigte sofort dies Gesuch.

Es wurde alsdann der bereits vorhandelte Fall Szaplewski erörtert. Bekanntlich ergab die Verhandlung gegen den früheren Aufseher, Bauwächter Szaplewski, daß dieser den 63jährigen Häusling Haarhaus bei Gelegenheit der Zuckerkampagne in Jülich wegen schlechten Bettmachens so furchtbar mit dem Säbel auf den Kopf geschlagen hatte, daß der Häusling stark blutete und mehrere liefe Löcher im Kopfe hatte. Szaplewski wurde deshalb bekanntlich zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Haarhaus: Er habe infolge der erlittenen Verwundung sich den Kopf verbinden und lange Zeit in dieser Weise arbeiten müssen; auch die Heilung habe lange Zeit gedauert.

Vors.: Als Sie nach Brauweiler zurückkamen, hatten Sie da auch noch den Kopf verbunden?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Haben Sie sich der Mißhandlung wegen bei Herrn Direktor Schellmann beschwert?

Zeuge: Nein.

Vors.: Weshalb taten Sie das nicht?

Zeuge: Weil ich Furcht hatte, daß es mir dann noch schlechter gehen würde.

Schellmann: Es sei nicht möglich, daß Haarhaus mit verbundenem Kopfe nach Brauweiler zurückgekommen sei, er hätte dies sonst zweifellos wahrgenommen. Die Personalakten ergeben lediglich, daß der Zeuge einmal wegen Schwäche einige Tage im Lazarett war.

Vert.: Wie war die Kost in Brauweiler?

Haarhaus: In Brauweiler war sie schlecht und zu wenig, in Jülich war sie besser.

Vors.: Die Kost in Brauweiler war auch nicht ausreichend?

Zeuge: Man bekam in Brauweiler so wenig zu essen, daß, wenn ich noch vierzehn Tage in Brauweiler hätte bleiben müssen, ich vor Entkräftung gestorben wäre. Ich war gar zu schwach.

Rechtsanwalt Gammersbach: Wie war denn die Beköstigung im Lazarett?

Zeuge: Die war gut.

Aufseher Wenner bekundete noch, daß er mehrfach, vor einiger Zeit sogar mit einer Rübengabel von Häuslingen bedroht worden sei. Er habe die Mißhandlung des Szaplewski nicht zur Anzeige gebracht, sondern diesem nur gesagt, daß er es im Wiederholungsfalle tun werde. Es sei ein alter Befehl, die Häuslinge nicht zu schlagen, dieser Befehl werde auch von Zeit zu Zeit erneuert.

Vert. Rechtsanwalt Östreich: Herr Direktor Schellmann, weshalb haben Sie, als Sie von der von Szaplewski verübten Mißhandlung hörten, nicht Anzeige erstattet?

Schellmann: Ich erfuhr von dieser Mißhandlung erst nach zwei Jahren. Inzwischen war sowohl Szaplewski als auch der betr. Häusling längst entlassen.

Staatsanwalt: Szaplewski war, als Schellmann von der Mißhandlung erfuhr, nicht mehr Beamter. Schellmann hatte infolgedessen weder Veranlassung, noch war er verpflichtet, Anzeige zu machen.

Vert.: Ich habe aus folgendem Grunde die Frage gestellt: Herr Direktor Schellmann zeigte den Fall Szaplewski nicht an. Als wir jedoch Szaplewski als Zeugen vorschlugen, erstattete Schellmann Anzeige, um einen unbequemen Zeugen unglaubhaft zu machen.

Staatsanwalt: Ich bin der Meinung, daß das ins Plädoyer gehört.

Rechtsanwalt Gammersbach: Ich bitte festzustellen, daß, als Direktor Schellmann von der Szaplewskischen Mißhandlung erfuhr, er den Namen des betreffenden Häuslings nicht kannte. Es steht in den Akten bloß: »ein Häusling«.

Aufseher Esser: Die Häuslinge wußten, daß sie sich beschweren können. Direktor Schellmann habe alle Beschwerden mit Ruhe angehört.

Vors.: Wenn Sie glauben, durch Beantwortung einer Frage sich einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen, haben Sie das Recht, Ihr Zeugnis zu verweigern. Wenn Sie aber antworten, dann müssen Sie die volle Wahrheit sagen. Sie sollen einmal mit dem Häusling Schlosser Kehrmann bei einer Arrestzelle vorübergekommen sein; da soll ein Insasse heftig geschrien und Sie darauf zu Kehrmann gesagt haben: Geben Sie doch dem Kerl eins auf den Kopf, damit er ruhig wird.

Zeuge: Davon weiß ich nichts.

Vors.: Wissen Sie, daß ein Mann in der Arrestzelle gestorben ist, der als Leiche mit Fußschellen gefesselt war?

Zeuge: Das weiß ich nicht.

Vors.: Wurden die Häuslinge von den Aufsehern geschlagen?

Zeuge: Nein.

Vors.: Wurden nicht die in der Cachotte befindlichen Arrestanten geschlagen?

Zeuge: Ja, die Arrestanten erhielten bisweilen Ohrfeigen.

Vors.: Hing nicht in jeder Cachotte ein Seil?

Zeuge: Ja.

Vors.: Welchen Zweck hatte das Seil?

Zeuge: Um den Gefangenen eins überzuziehen. (Heiterkeit im Zuhörerraum.)

Vors.: Hing das Seil so, daß es Direktor Schellmann sehen konnte?

Zeuge: Nein, das Seil war in dem Flur in einem Kästchen, auf dem ein Gebetbuch lag, aufbewahrt.

Vors.: Haben Sie auch einmal einen Gefangenen mit dem Seil geschlagen?

Zeuge: Nein.

Vors.: Sie haben nur schlagen sehen?

Zeuge: Ja.

Vors.: Wieviel Male haben Sie wohl schlagen sehen?

Zeuge: Vier bis fünfmal.

Vors.: Sind Sie der Meinung, daß der Direktor davon Kenntnis hatte?

Zeuge: Das weiß ich nicht.

Rechtsanwalt Gammersbach: Aus welchem Grunde geschah das Schlagen mit dem Seil?

Zeuge: Wegen Frechheit und Widersetzlichkeit.

Vors.: Das war doch aber kein Grund zum Schlagen, da war doch noch Zeit, eine Anzeige zu machen.

Der Zeuge schwieg.

Vors.: Direktor Schellmann soll Sie einmal aufgefordert haben, einem Knaben, namens Wernitzki, 25 Hiebe zu geben?

Zeuge: Jawohl. Direktor Schellmann sagte mir: Oben ist ein Junge, namens Wernatzki, den wollen wir erst einige Stunden sitzen lassen und ihm alsdann 25 Hiebe versetzen. Ich habe geantwortet, daß mir das widerstrebt. Auf seine Frage, wer dies wohl tun würde, empfahl ich den Bäckermeister Kulartz. Dieser hat auch dem Knaben die 25 Hiebe gegeben.

Vors.: Waren Sie dabei?

Zeuge: Nein, ich stand unten auf dem Flur, hörte schlagen und den Knaben furchtbar schreien.

Vors.: Womit mag wohl geschlagen worden sein?

Zeuge: Ich glaube mit einem Seil.

Vors.: Wie alt war wohl der Knabe?

Zeuge: 9-10 Jahre.

Auf Befragen des Rechtsanwalts Gammersbach bekundete der Zeuge: Der Knabe Wernitzki, Sohn eines pensionierten Aufsehers, habe im Verdacht gestanden, ihm (dem Zeugen) eine goldene Uhr und Kette gestohlen zu haben, zumal die Kette bei dem Knaben gefunden worden sei. Vert.: Ist es richtig, daß Direktor Schellmann bei der Züchtigung zugegen war und die Schläge zählte?

Zeuge: Das weiß ich nicht.

Der Zeuge bekundete im weiteren auf Befragen: Direktor Schellmann sei wohl den Beamten gegenüber sehr streng gewesen, es sei aber doch auszukommen mit ihm gewesen.

Vert.: Ist es richtig, daß Sie einmal geäußert haben: Direktor Schellmann sei in Brauweiler so gefürchtet, daß, wenn Schellmann zu Hause sei, die Spatzen sich zu zwitschern fürchten?

Zeuge: Davon weiß ich nichts.

Vert.: Der Zeuge ist, als er das letztemal hier als Zeuge erschienen war, in meinem Bureau gewesen und hat sich Zeugengebühren erbeten. Bei dieser Gelegenheit hat er mir das erzählt.

Vors.: Nun, Esser, ist das richtig?

Zeuge: Ich erinnere mich darauf nicht.

Vert.: Ich erkläre, daß meine Mitteilung vollständig wahr ist.

Vors.: Das glaube ich schon.

Im weiteren bekundete der Zeuge auf Befragen: Es sei Leuten, die zur Cachotte verurteilt waren, einige Male die Zwangsjacke angelegt worden. Die Zwangsjacke bestand aus Leder und ließ sich derartig zuziehen, daß der Mann kaum noch atmen konnte. Schienen habe die Zwangsjacke, die er angelegt, nicht gehabt. Der Arzt wurde nicht gefragt, ob die Zwangsjacke angelegt werden dürfe. Er habe aus eigenem Antriebe die Zwangsjacke etwas gelockert, damit der Mann nicht ersticken konnte.

Angekl.: Ist es richtig, daß den Arrestanten beim Anlegen der Zwangsjacke auf die Knie getreten wurde, um die Zwangsjacke fester anziehen zu können?

Zeuge: Davon ist mir nichts bekannt.

Vors.: War bei dem Anlegen der Zwangsjacke stets ein Oberaufseher dabei?

Zeuge: Jawohl.

Auf ferneres Befragen bekundete Aufseher Esser noch: Es sei allerdings nicht immer in den Arbeitssälen genügend warm gewesen. Die Säle konnten nicht so sehr geheizt werden, da dabei der Etat genau berücksichtigt werden mußte.

Meister Versteegen stellte in Abrede, daß er den Schlosser Ermanns aufgefordert habe, einem verstorbenen Arrestanten die Fußschellen abzumeißeln.

Schlosser Ermanns, nochmals als Zeuge vernommen, hielt seine Bekundung mit voller Entschiedenheit aufrecht. Er wiederholte: Aufseher Esser habe Schlosser Kehrmann, als einmal ein furchtbares Geheul aus einer Zelle ertönte, aufgefordert, dem Insassen eins auf den Kopf zu geben. Ob Kehrmann dies getan, wisse er nicht.

Esser, der hierauf dem Ermanns gegenübergestellt wurde, bestritt wiederholt ein solches Vorkommnis.

Lazarettaufseher Weber: Vor etwa sieben Jahren wurden Arrestanten bisweilen Fußschellen angelegt. Es sei aber niemals vorgekommen, daß Kranke oder Verstorbene mit Fesseln in das Lazarett gekommen seien. Er habe niemals wahrgenommen, daß Kranke an Entkräftung infolge Kostentziehung gestorben seien.

Schreinermeister Valentin: Werkmeister Wessel sei ein sehr tüchtiger, ordentlicher Mann und durchaus kein Trunkenbold gewesen.

Aufseherin Scharf: Wessel habe sich beschwert, daß der Mann, der in Brauweiler nach ihm mit dem Meißel geworfen, von dem Direktor nur mit sechs Wochen Arrest bestraft worden sei.

Dasselbe bekundete Werkmeister Derichs.

Dieser Zeuge bekundete noch auf Befragen: Es werde in Brauweiler von keinem Häusling mehr Arbeit verlangt, als er zu leisten imstande sei. Jeder Arbeiter müsse in der Freiheit doppelt soviel leisten, als von den Häuslingen in Brauweiler in der dritten Klasse verlangt werde.

Vert.: Wie erklärt es sich alsdann der Zeuge, daß kein Häusling wieder noch Brauweiler zurück will?

Zeuge: Darüber kann ich allerdings keinen Aufschluß geben. Der Zeuge bekundete im weiteren: Direktor Schellmann habe jede Beschwerde von den Häuslingen sofort entgegengenommen und streng untersagt, einen Häusling zu schlagen. Direktor Schellmann habe jede Ohrfeige mit mindestens fünf Mark geahndet. »Direktor Schellmann ist ein sehr strenger, aber ebenso gerechter Mann, ich kann nur sagen, daß ich Herrn Direktor Schellmann zu großem Dank verpflichtet bin.« (Heiterkeit im Zuhörerraum.)

Ferner sagte der Zeuge auf Befragen: Es sei unwahr, daß, wie vom Angeklagten behauptet wird, der Häusling Lander 482mal bestraft worden sei. Lander sei allerdings furchtbar faul und frech gewesen und habe oftmals die Arbeit verweigert. Einen anderen Häusling, namens Schäfer, hatte er (Zeuge) im starken Verdacht, daß dieser den Politurspiritus trinke. Im weiteren Verlauf bemerkte Direktor Schellmann, daß der englische Zeitungskorrespondent Politt sich etwa eine Stunde in Brauweiler aufgehalten habe. Er habe dem Engländer die Hauptbetriebe gezeigt – die ganze Anstalt zu zeigen, hätte mindestens drei Stunden in Anspruch genommen.

Am vierten Verhandlungstage bekundete Materialienverwalter Strunk als Zeuge: Er habe mit dem Werkmeister Wessel oftmals Differenzen gehabt. Wessel habe mehrfach über die Frechheit und Faulheit des Epileptikers Schäfer geklagt, »der gar nicht genug bestraft werden könne.« Wessel habe auch vielfach auf die Häuslinge geschimpft und sie sehr barsch behandelt, so daß es ihn (den Zeugen) gewundert habe, daß sich nicht mehrere Häuslinge an Wessel vergriffen haben. Geschlagen habe Wessel die Häuslinge nicht. Direktor Schellmann sei sehr streng, aber gerecht.

Es wurde alsdann der 21jährige Untersuchungsgefangene Jaffka vorgeführt. Dieser hatte sich vor dem Kölner Schwurgericht wegen vorsätzlicher Brandstiftung zu verantworten. Er bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei im Juni d.J. nach Brauweiler gekommen. Die Arbeit, die er dort zu verrichten hatte, sei zu bewältigen gewesen. Das Essen und auch die Bekleidung sei gut gewesen, mißhandelt sei er in Brauweiler nicht worden, er habe aber einige Male beobachtet, daß Aufseher andere Häuslinge gestoßen und geschlagen haben. Er sei aus Brauweiler entwichen, um wieder in der Freiheit zu sein.

Vors.: Haben Sie gesagt, Sie wollen lieber ins Zuchthaus, als nach Brauweiler zurück?

Zeuge: Das habe ich gesagt.

Vors.: Wie kamen Sie zu dieser Bemerkung, Sie wissen doch noch nicht, wie es im Zuchthause ist? Der Zeuge schwieg.

Vors.: Haben Sie das von anderen Häuslingen gehört?

Zeuge: Ja.

Auf Befragen des Verteidigers bekundete der Zeuge: Als er die Brandstiftung beging, sei er in Gefahr gewesen, wieder ergriffen und nach Brauweiler zurückgebracht zu werden, deshalb habe er den Schober in Brand gesteckt.

Direktor Schellmann: Als der Zeuge eingeliefert wurde, sagte er ihm, daß er Gärtner sei, aber die Gärtnerei nicht ordentlich gelernt habe. Er (Schellmann) habe dem Zeugen gesagt, daß er ihn gründlich in der Gärtnerei werde ausbilden lassen.

Der Zeuge gab dies als richtig zu.

Hilfsaufseher Korte: Ihm sei es nicht bekannt, daß ein Hilfsaufseher einmal plötzlich entlassen worden sei. Die Hilfsaufseher werden von dem Direktor Schellmann ebenso wie Aufseher behandelt.

Werkmeister Faßbender: Das Arbeitspensum in seiner Station wurde von 2/3 der Häuslinge um 1/3 überschritten. Auch in anderen Stationen werde das Pensum vielfach überschritten. Jedenfalls sei das Pensum in Brauweiler im allgemeinen um etwa 1/3 geringer als das übliche Pensum der freien Arbeiter. Es bestehe in Brauweiler der strikte Befehl, daß die Häuslinge nicht geschlagen werden dürfen. Er könne über Direktor Schellmann absolut nicht klagen, er habe niemals von ihm einen Verweis erhalten.

Es erschien alsdann als Zeugin die 30jährige Korrigendin Anna Kranen: Sie sei das erste Mal zehn Monate in Brauweiler gewesen und sei einige Male wegen Widerspenstigkeit bestraft worden. Ein zweites Mal sei sie zwei Jahre in Brauweiler gewesen. Sie sei mit Nähen beschäftigt gewesen und habe das Pensum gut bewältigen können. Sie habe täglich 30 Hemden und 120 Knopflöcher und Knöpfe mit der Hand nähen müssen. Sie sei einmal von der Aufseherin aufgefordert worden, Staub auf dem Flur zu wischen. Sie habe jedoch der Aufseherin erwidert, daß sie nur zu nähen brauche. Die Aufseherin habe sie deshalb »Saumensch« geschimpft, sie sechs Wochen in die Arrestzelle gesperrt und ihr eine Zwillichjacke angezogen, so daß sie kaum Luft bekam.

Vors.: Aus welchem Grunde wurde Ihnen die Zwangsjacke oder Zwillichjacke, wie Sie sie nennen, angezogen?

Zeugin: Ich hatte an die Zellentür geklopft.

Vors.: Wie lange mußten Sie die Jacke anhaben?

Zeugin: Sechs Wochen lang, Tag und Nacht.

Die Zeugin bekundete im weiteren auf Befragen: Sie sei noch mehrfach wochenlang in die Arrestzelle gesperrt und in die Zwangsjacke gesteckt worden.

Vors.: Weshalb geschah das?

Zeugin: Ich wurde von den Aufseherinnen immer beschimpft, da wurde ich so aufgeregt, ich glaube, das ist meine Krankheit.

Vors.: Haben Sie sich deshalb einmal vor den Arzt führen lassen?

Zeugin: Jawohl, der sagte, es ist nicht so schlimm.

Die Zeugin bekundete im weiteren: Sie sei, als sie zum zweiten Male aus Brauweiler entlassen war, zum dritten Male vom Amtsgericht zu Krefeld wegen Nichtinnehaltung der Kontrollvorschriften nach Brauweiler geschickt worden, wo sie sich jetzt noch befinde.

Direktor Schellmann: Die Kranen sei das schlimmste Frauenzimmer, das in Brauweiler je gewesen sei. Nicht die Aufseherinnen, sondern sie habe unaufhörlich getobt und geschimpft und täglich gegen die Hausordnung gefehlt.

Vors.: Ich muß Sie ersuchen, Herr Direktor, das, was Ihnen berichtet worden und das, was Sie selbst wahrgenommen haben, streng auseinanderzuhalten.

Schellmann: Das kann ich schwer auseinanderhalten. (Lachen im Zuhörerraum.)

Vors.: Die Zeugin ist augenscheinlich eine sehr aufgeregte Person, haben Sie einmal ihren Geisteszustand untersuchen lassen?

Schellmann: Jawohl, Herr Dr. Bodet hat sie untersucht, dieser hält sie aber auch heute noch nicht für geisteskrank. Schellmann bekundete des weiteren auf Befragen des Vorsitzenden: In der Cachotte gebe es weder ein Bett noch ein Kopfkissen, noch überhaupt ein Möbelstück. Die Cachottinsassen müssen auf dem Fußboden schlafen, behalten ihre Sachen an und wechseln nur die Wäsche. In der Cachotte gebe es nur jeden vierten Tag warme Kost; im übrigen gebe es nur Brot. Die Zwillichjacke sei keine Zwangsjacke, sondern ein sogenannter Bastanzug. Dieser wurde der Zeugin angelegt, weil sie ihre Sachen zerrissen hatte.

Vors.: Kranen, ist das richtig, haben Sie Ihre Sachen zerrissen?

Zeugin: Ich habe einmal ein Kleid zerrissen?

Vors.: Deshalb wurde Ihnen sechs Wochen lang der Bastanzug angelegt?

Zeugin: Jawohl.

Vors.: Es soll Ihnen auch einmal der Maulkorb angelegt worden sein?

Zeugin: Jawohl.

Vors.: Wann und wo geschah das?

Zeugin: Ich saß in der Cachotte und klopfte.

Vors.: Wie lange hatten Sie den Maulkorb an?

Zeugin: Zwei Stunden. Ich war, nachdem mir der Maulkorb abgenommen war, ganz blau im Gesicht, hatte heftiges Nasenbluten und Schmerzen im Halse.

Vors.: Wurden Sie alsdann aus der Cachotte entlassen?

Zeugin: Nein.

Vors.: Konnten Sie, als Ihnen der Maulkorb angelegt war, schreien oder atmen?

Zeugin: Ich konnte weder schreien noch atmen.

Vors.: Wer hat Ihnen den Maulkorb angelegt?

Zeugin: Fräulein Scherf und Fräulein Medder.

Vors.: War Direktor Schellmann dabei?

Zeugin: Nein.

Vors.: Haben Sie sich darüber beschwert?

Zeugin: Nein.

Vors.: Ist nicht einmal ein Herr aus Düsseldorf bei Ihnen in der Cachotte gewesen?

Zeugin: Nein.

Vors.: Haben Sie nicht einmal dem Direktor Schellmann gesagt, Sie wollen sich in Düsseldorf beschweren?

Zeugin: Ja, das habe ich gesagt. Herr Direktor Schellmann bemerkte: Schreiben Sie nur, ich werde den Brief abschicken.

Vors.: Haben Sie geschrieben?

Zeugin: Nein.

Vors.: Weshalb nicht?

Zeugin: Ich dachte, der Brief wird doch nicht abgeschickt.

Vors.: Haben Sie sich bei dem Direktor Schellmann beschwert?

Zeugin: Jawohl.

Vors.: Was hat der gesagt?

Zeugin: Er sagte, ich müsse die Strafe aushalten.

Vors.: Ist einmal Dr. Bodet bei Ihnen in der Cachotte gewesen?

Zeugin: Ein einziges Mal.

Vors.: Ist sonst einmal jemand bei Ihnen gewesen?

Zeugin: Nein, es hat sich niemand um mich gekümmert.

Die Zeugin bekundete ferner auf Befragen: Sie habe etwa zehnmal den Maulkorb angelegt bekommen (Bewegung im Zuhörerraum). Auch anderen Korrigendinnen sei in der Cachotte der Maulkorb angelegt worden.

Einer Korrigendin sei in der Nebenarrestzelle der Maulkorb angelegt worden. Fräulein Medder sagte zu Fräulein Scherf: »Legen Sie dieser Person einmal ordentlich den Maulkorb an!« Als die Korrigendin weinte, furchtbar schrie und bat, ihr den Maulkorb doch nicht anzulegen, sie müsse alsdann sterben, versetzte die Medder: »Ach was, durch das Anlegen des Maulkorbes ist noch niemand gestorben.«

Nach einiger Zeit ist die Medder wieder in die Cachotte gekommen und rief: Wodtke, stehen Sie doch auf! Fräulein Medder rief mehrere Male, die Korrigendin war aber inzwischen gestorben.

(Große Bewegung im Zuhörerraum.)

Angekl. Hofrichter: Haben Sie die Beschwerde nicht deshalb unterlassen, weil Sie sich sagten, das hat doch keinen Zweck?

Zeugin: Jawohl.

Vertreter der Nebenkläger Rechtsanwalt Gammersbach: Von wem wissen Sie, daß Sie blau im Gesicht waren?

Zeugin: Der Maulkorb wurde mir am Samstag angelegt und als ich des Sonntags zur Kirche ging, sagten es mir die anderen Korrigendinnen.

Rechtsanwalt Gammersbach: Wodurch wissen Sie, daß die verstorbene Wodtke blau im Gesicht war?

Zeugin: Das hat mir die Korrigendin Zander gesagt.

Vert.: Ich beantrage, die Zander als Zeugin zu laden.

Auf Befragen des Vorsitzenden bemerkte Direktor Schellmann: Er glaube, daß die Zander gestern ins Lazarett gekommen sei. (Heiterkeit im Zuhörerraum.)

Vors.: Wenn sich eine solche Kundgebung des Publikums noch einmal wiederholen sollte, dann werde ich den Zuhörerraum räumen und im Interesse der Ordnung niemanden mehr hineinlassen.

Es wurde hierauf beschlossen, die Zander als Zeugin zu laden und auf Antrag des Angeklagten auch je ein Exemplar der in Brauweiler zur Anwendung gelangten Zwangsjacken zur Stelle zu schaffen.

Die folgende Zeugin war die frühere Aufseherin Sauer: Sie habe der Kranen gut zugeredet, diese habe aber ohne jede Veranlassung förmliche Wutanfälle bekommen und in solchen Fällen alles zerschlagen. Der Arzt sei einige Male zu ihr gerufen worden, dieser habe aber gesagt: »Was soll ich da machen, sie gibt mir doch keine Antwort.« Wenn es schließlich mit der Kranen nicht auszuhalten war, sei sie in die Isolierzelle gebracht worden. Einmal sei die Kranen wegen einer fieberartigen Lungenentzündung ins Lazarett gekommen.

Vors.: Sie sollen einmal, als eine Korrigendin die epileptischen Anfälle bekam, gesagt haben, man solle der Korrigendin mit einer Stecknadel in die Fußsohlen stechen, dann werde man sehen, daß sich die Person nur verstelle.

Zeugin: Davon weiß ich nichts.

Vors.: Sind Sie nicht einmal auf den Gedanken gekommen, daß die Kranen geistig nicht normal sei?

Zeugin: Gewiß, ich sagte mehrfach, die Kranen muß verrückt sein, sonst könnte sie derartige Dinge nicht machen. Es kam fast täglich vor, daß ich ganz ruhig mit ihr redete, und kaum war ich zur Tür hinaus, da zerbrach sie alles.

Vors.: Haben Sie auch einmal Herrn Dr. Bodet gesagt, daß die Kranen augenscheinlich geisteskrank ist?

Zeugin: Jawohl, sogar mehrfach.

Vors.: Was antwortete Dr. Bodet?

Zeugin: Er antwortete nichts.

Vors.: Haben Sie dasselbe auch Herrn Direktor Schellmann gesagt?

Zeugin: Nein.

Schellmann: Haben Sie mir nicht häufig über die große Frechheit der Kranen geklagt?

Zeugin: Jawohl.

Auf Vorhalt des Verteidigers bemerkte die Zeugin, daß ihr von der Mundbinde nichts bekannt sei.

Aufseherin Scherf: Der Kranen mußte der Bastanzug angelegt werden, da sie alle anderen Kleider zerrissen habe. Sie konnte aber in diesem Bastkleide noch vollständig atmen. Die Zeugin bekundete im weiteren auf Befragen: Sie habe von den Wutanfällen nicht Herrn Direktor Schellmann, sondern nur der Oberaufseherin Anzeige erstattet.

Vors.: Haben Sie Korrigendinnen die Mundbinde angelegt?

Zeugin: Das kann sein.

Vors.: Besinnen Sie sich, ich möchte eine bestimmte Antwort haben.

Zeugin (nach längerem Zögern): Ja, ich habe mehrfach die Mundbinde angelegt.

Vors.: War Ihnen bekannt, daß das Anlegen der Mundbinde durch Ministerialreskript verboten war?

Zeugin: Nein.

Vors.: Haben sich die Korrigendinnen gegen das Anlegen der Mundbinde gewehrt?

Zeugin: Einige Male allerdings, gewöhnlich aber nicht. Die Korrigendinnen wußten, daß sie die Mundbinde doch anbekamen.

Vors.: Wie lange war die Mundbinde gewöhnlich angelegt?

Zeugin: Eine Stunde.

Vors.: Haben Sie sich, nachdem die Mundbinde angelegt war, um das weitere Schicksal der betreffenden Personen bekümmert?

Zeugin: Jawohl, ich ging an die Zelle und hörte, ob die Person etwas spreche.

Vors.: Wenn die Personen die Mundbinde anhatten, dann konnten sie doch nicht sprechen?

Zeugin: Ich wollte sagen, ich hörte, ob die Bestrafte ein Lebenszeichen von sich gab.

Vors.: Wenn Sie die Mundbinde nun abgenommen hatten, hatten alsdann die Bestraften blaue Flecke oder sonstige körperliche Nachteile?

Zeugin: Ich habe niemals eine solche Wahrnehmung gemacht. Ich wurde sogar immer von den Bestraften gebeten, die Mundbinde noch eine Stunde anzulassen.

Vors.: Das ist nicht glaublich, ich ermahne Sie, Ihre Worte genau zu prüfen und nicht Dinge zu sagen, die niemand glauben kann.

Die Zeugin schwieg.

Vors.: Haben Sie auch der Wodtke die Mundbinde angelegt?

Zeugin: Jawohl, ich und Fräulein Medder.

Vors.: Hat sich die Wodtke gewehrt?

Zeugin: Jawohl, die hat sich sehr gewehrt.

Vors.: War diese blau im Gesicht, als Sie ihr die Mundbinde abnahmen?

Zeugin: Dessen erinnere ich mich nicht mehr.

Vors.: Haben Sie, nachdem Sie der Wodtke die Mundbinde angelegt, sich noch um diese gekümmert?

Zeugin: Jawohl, ich ging zu ihr in die Zelle.

Vors.: Und was sahen Sie da?

Zeugin: Die Wodtke lag auf der Erde und machte Handbewegungen, die darauf schließen ließen, daß sie bat, sie von der Mundbinde zu befreien.

Vors.: Sie gewährten ihr aber diese Bitte nicht?

Zeugin: Nein.

Vors.: Wer nahm nun der Wodtke schließlich den Maulkorb ab?

Zeugin: Fräulein Medder und ich.

Vors.: Und als Sie den Maulkorb der Wodtke abgenommen hatten, war sie tot?

Zeugin: Ja. (Allgemeine Bewegung.)

Vert. Rechtsanwalt Östreich: Sind beim Anlegen der Mundbinde oder infolge des Anlegens Ohnmachtsanfälle vorgekommen?

Zeugin: Davon ist mir nichts bekannt.

Vert.: Einer Korrigendin soll nach Abnahme der Mundbinde der Schaum vor den Mund getreten sein und Sie sollen ihr deshalb ein Glas Wasser gebracht haben?

Zeugin: Das ist möglich.

Vors.: Kranen, wurde Ihnen, wenn Ihnen die Mundbinde abgenommen wurde ein Glas Wasser gebracht?

Kranen: Ich glaube manchmal.

Es wurde hierauf das Strafregister der Kranen verlesen. Danach war diese vielfach wegen Frechheit, Zerreißens der Kleider, Zerschlagens von Gegenständen, unanständigen Benehmens, Arbeitsverweigerung, wegen Verweigerung, die Kirche zu besuchen usw. in Brauweiler mit Cachotte und Kostentziehung bestraft worden.

In der Nachmittagssitzung wurde Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Pelmann (Bonn) als Sachverständiger vernommen. Die Angelegenheit der Mundbinde ist mir um so mehr bekannt, da diese dem Medizinalkollegium der Rheinprovinz, dessen Mitglied ich bin, vorgelegen hat. Es ist kein Zweifel, daß die Wodtke infolge Anlegens der Mundbinde verstorben ist. Allein ich muß es in Abrede stellen, daß die Mundbinde an sich ein gefährliches Instrument ist, das geeignet wäre, den Tod herbeizuführen. Das geht schon daraus hervor, daß die Mundbinde in vielen anderen Anstalten eingeführt war und wohl Hunderte, vielleicht Tausende von Malen, ohne daß der Tod herbeigeführt wurde, angewendet worden ist. Das ministerielle Verbot ist jedenfalls aus ethischen Gründen ergangen; es ist auch dabei auf irgendwelche Gefährlichkeit nicht hingewiesen worden. Die Todesursache der Wodtke ist noch nicht aufgeklärt. Es ist möglich, daß die Mundbinde zu sehr auf die Nase, vielleicht auch zu sehr auf den Kehlkopf gedrückt hat. Es ist auch noch eine andere Todesursache möglich. Ein Professor der Physiologie in Bonn, dem ich die Sache erzählte, sagte mir, ich finde die Sache aus physiologischen Gründen ganz erklärlich. So lassen sich z.B. Experimente, die man mit allen anderen Hunden vornehmen kann, niemals mit englischen Bulldoggen machen. Diese Tiere sind derartig bösartig, daß solche Experimente gewöhnlich ihren Tod herbeiführen. Eine ähnliche Todesursache ist bei der Wodtke, die vielleicht ebenfalls nach Anlegung der Mundbinde sehr erregt war, möglich. Der Umstand, daß in tausenden Fällen durch das Anlegen der Mundbinde der Tod nicht erfolgt ist, beweist, daß die Mundbinde weder objektiv noch subjektiv ein gefährliches Werkzeug ist, das geeignet ist, den Tod herbeizuführen. Wenn ich vor dem Anlegen der Mundbinde gefragt worden wäre, dann hätte ich gesagt, ich finde die Anwendung der Mundbinde nicht für schön und es empfiehlt sich überhaupt, von der Anwendung derartiger mittelalterlicher Instrumente Abstand zu nehmen, eine Todesgefahr ist jedoch ausgeschlossen.

Vert.: Ich muß hervorheben, daß die Herren Kreisphysici Dr. Langgard und Dr. Eschwald und auch das Gutachten des Medizinalkollegiums sich doch anders äußern.

Vors.: In der Verhandlung gegen Schellmann und Dr. Bodet wurde von den als Sachverständigen vernommenen Ärzten bekundet: Der Tod der Wodtke ist wohl durch Ersticken eingetreten, eine Fahrlässigkeit beim Anlegen der Mundbinde ist jedoch nicht zu konstatieren gewesen. Das Medizinalkollegium hat lediglich über den Sektionsbefund der Leiche, nicht aber über die Gefährlichkeit der Mundbinde ein Obergutachten abgegeben.

Auf Antrag des Staatsanwalts und des Vertreters der Nebenkläger, Rechtsanwalts Gammersbach, wurde das freisprechende Erkenntnis gegen Schellmann und Dr. Bodet vom 1. März d.J. in seinem ganzen Umfange verlesen.

Alsdann erschien als Zeugin Haushälterin Witwe Kulatz: Sie sei Aufseherin in Brauweiler gewesen. Wie ihr die Aufseherin Medder erzählt, habe die Wodtke sich beim Anlegen des Maulkorbes heftig gesträubt. Sie (Zeugin) sei bei der Anlegung des Maulkorbes der Wodtke nicht zugegen gewesen, habe aber anderen Korrigendinnen einige Male den Maulkorb angelegt. Es sei allgemein üblich gewesen, den Maulkorb eine Stunde anzulassen. Gewöhnlich sei nach Abnahme des Maulkorbes den Korrigendinnen Wasser gereicht worden; bisweilen seien auch die Korrigendinnen, ohne Wasser zu erhalten, an die Arbeit gegangen. Sie habe mehrfach Korrigendinnen durch Anlegen des Maulkorbes bestraft, wenn diese sich gegenseitig ihren früheren unsittlichen Lebenswandel vorwarfen. Ihr gegenüber habe sich niemals eine Korrigendin beklagt, daß sie durch das Anlegen der Mundbinde Atemnot und andere Nachteile davongetragen habe. Auch habe keine derartig bestrafte Korrigendin jemals verlangt, vor den Arzt geführt zu werden.

Auf Befragen des Verteidigers sagte die Zeugin noch: Die Medder habe ihr erzählt, die Wodtke habe sich beim Anlegen der Mundbinde mit Händen und Füßen heftig gewehrt. Man habe aber der Wodtke die Hände und Füße gebunden und ihr hierauf die Mundbinde angelegt. Die Wodtke habe sich darauf zur Erde fallen lassen und sei auch nicht mehr aufgestanden.

Auf Befragen des Vorsitzenden und des Rechtsanwalts Gammersbach bekundete die Zeugin: Sie habe niemals irgendwelche Mißhandlungen in Brauweiler wahrgenommen. Direktor Schellmann, der ein sehr strenger, aber gerechter Mann sei, habe weder jemals direkt noch indirekt Befehl zu irgendeiner Mißhandlung gegeben.

Es wurde darauf Witwe Wernitzki als Zeugin vernommen: Mein verstorbener Mann war Aufseher in Brauweiler. Ich habe acht Kinder. Der Knabe, von dem gestern die Rede war, war mein Stiefsohn. Als mein Mann auf Außenkommando war, brachte mir einmal mein Stiefsohn ein Stück Kette, das er gefunden haben wollte. Dieses Stück Kette gehörte dem Aufseher Esser, dem angeblich eine goldene Uhr und Kette gestohlen war. Esser beschuldigte meinen Sohn des Diebstahls. Letzterer bestritt dies aber entschieden. Ich redete meinem Sohne streng ins Gewissen, untersuchte alles ganz genau, der Knabe aber blieb dabei, daß er nichts gestohlen habe. Da Esser aber dies fortgesetzt behauptete, so verklagte ich ihn beim Schiedsmann. Ich besaß jedoch nicht die nötigen Mittel, um die Sache weiter zu verfolgen. Inzwischen spielte mein Sohn »Steigvogel«. Letzterer flog in den Garten der Baumschule. Mein Sohn ging in den Garten und pflückte sich einige Äpfel ab. Ich habe, als ich davon hörte, den Knaben gezüchtigt. Bald darauf wurde ich jedoch zu Herrn Direktor Schellmann gerufen. Dieser sagte zu mir: »Wenn Sie Ihre Kinder nicht züchtigen können, dann werde ich Ihren Mann entlassen.« Ich erschrak furchtbar, denn ich habe eine große Familie. Der Direktor sagte zu mir: »Am besten, Sie schicken den Jungen einmal zu mir.« Ich kam dieser Aufforderung nach. Ich glaubte, der Direktor werde den Jungen vielleicht auf eine halbe Stunde einsperren und war sehr erstaunt, als der Junge heftig weinend nach Hause kam und klagte, daß er furchtbar geschlagen worden sei.

Vors.: Klagte der Knabe über Schmerzen?

Zeugin: Jawohl, er klagte mehrere Tage über heftige Schmerzen in den Beinen.

Vors.: Nachteilige Folgen hat der Knabe aber nicht davongetragen?

Zeugin: Nein. Die Zeugin bekundete weiter: Als mein Mann nach Hause kam und von dem Vorgefallenen hörte, war er furchtbar aufgebracht, so daß ich alle Mühe hatte, ihn zu beruhigen. Mein Mann wollte zunächst gerichtliche Schritte gegen Direktor Schellmann unternehmen, er sagte aber schließlich: Der Knabe wird die Schläge vergessen, ich würde dagegen, wenn ich gegen Schellmann etwas unternähme, sofort meine Stellung verlieren.

Vert.: Klagte Ihr Mann über den Direktor?

Zeugin: Jawohl, sehr häufig. Mein Mann kam bisweilen abends nach Hause und weinte vor Wut über die ihm vom Direktor zuteil gewordene Behandlung. Eines Tages erzählte mir mein Mann, er sei vom Direktor wie ein Hund mit einem Ausdruck vor die Tür geworfen worden, den ich hier nicht wiederholen kann. Unter anderem hat der Direktor meinen Mann beschimpft, weil er ihm nicht den jüngsten Familienzuwachs gemeldet hatte. Mein Mann entschuldigte sich und sagte: Er habe es unterlassen, da er zur Zeit nicht zu Hause, sondern auf Kommando war.

Vors.: Wie lange ist Ihr Mann tot?

Zeugin: Vier Jahre.

Vors.: Woran ist Ihr Mann gestorben?

Zeugin: An der Lungenschwindsucht.

Es erschien hierauf der jetzt 17jährige Wernitzki, ein hübscher, aufgeweckter Bursche als Zeuge. Er bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Meine Eltern wohnten in Brauweiler. Vor etwa 7 bis 8 Jahren fand ich auf einem Mäuerchen ein Stück Kette, ein Uhrwerk und ein zerbrochenes Uhrglas. Ich zeigte dies meinen Geschwistern und anderen Kindern. Gleich darauf sagte mir meine Mutter, der Aufseher Esser behauptet, ich hätte ihm Uhr und Kette gestohlen. Ich hatte dies aber nicht getan. Den anderen Tag spielte ich mit anderen Knaben »Steigvogel«. Mein Steigvogel flog in den Garten der Baumschule. Ich ging in den Garten, holte mir meinen Steigvogel und pflückte mir zwei Äpfel ab. Gleich darauf wurde ich zum Herrn Direktor geholt. Letzterer gab mir zunächst ein paar Ohrfeigen, sagte mir, daß ich dem Aufseher Esser Uhr und Kette gestohlen habe, und sperrte mich mehrere Stunden lang in eine dunkle Zelle. Schließlich wurde ich von dem Bäckermeister Kulatz aus der Zelle in ein Zimmer geführt, dort wurden mir die Hosen angespannt. Kulatz legte mich über sein Knie und schlug mich heftig mit einem Stock. Als ich fünf Schläge erhalten hatte, bat ich den Herrn Direktor um Verzeihung und bat ihn, mich doch nicht weiterschlagen zu lassen. Der Herr Direktor sagte jedoch zu Kulatz: Schlagen Sie nur weiter!

Bäckermeister Kulatz: Direktor Schellmann habe ihm gesagt, der Junge habe gestohlen, er solle deshalb den Jungen einmal züchtigen, da die Mutter dies nicht tue. Er habe darauf dem Jungen etwa zehn Hiebe versetzt, es können auch einige mehr oder weniger gewesen sein, gezählt habe er die Hiebe nicht. Daß der Knabe nach den ersten fünf Schlägen um Verzeihung gebeten habe, sei unwahr.

Aufsehersfrau Drews: Ihr Mann sei noch jetzt Aufseher in Brauweiler. Frau Wernitzki habe zu ihr gesagt: Sie werde zu dem Direktor gehen und ihn bitten, ihren Knaben züchtigen zu lassen, sie könne den Jungen nicht mehr bändigen. Als der Junge die Prügel bekommen hatte, sagte Frau Wernitzki zu mir: Ich freue mich, daß der Direktor meinen Knaben hat züchtigen lassen, wenn ich meine Kinder schlage, dann treten sie nach mir.

Frau Wernitzki: Das ist alles nicht wahr, es hat noch keines meiner Kinder nach mir getreten.

Vors.: Ich nehme das zur Ehre Ihrer Kinder an.

Frau Drews: Ich sage die Wahrheit, der Junge, den ich am anderen Tage fragte, bejahte dies mit lachender Miene. Frau Wernitzki sagte darauf: Es hat ihm nichts geschadet.

Frau Wernitzki und deren Sohn bezeichneten diese Bekundung mit großer Entrüstung als vollständig erfunden.

Die Zeugin Drews versetzte darauf: Ich sage die Wahrheit. Ich habe den Wernitzkischen Kindern oftmals Essen gegeben, da sie von ihrer Mutter mit Kostentziehung bestraft wurden.

Direktor Schellmann: Der Junge war sehr nichtsnutzig, da die Mutter ihm alles nachsah und der Vater zumeist abkommandiert war. Ich schickte den Vater auf Kommando mit Rücksicht auf seine zahlreiche Familie da er dadurch eine größere Einnahme hatte. Ich habe den Jungen selbst etwa drei Stunden lang in die Cachotte gesperrt und ihm alsdann einige Hiebe geben lassen. Daß ich den Mann schlecht behandelt habe, bestreite ich. Ich habe im Gegenteil den Mann, der lungenkrank war, mit Tuberkulin im Lazarett behandeln lassen.

Der frühere Aufseher, jetzige Bauwächter Szaplewski, der bekanntlich wegen Mißhandlung eines Häuslings zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde bekundete auf Befragen: Die Häuslinge seien in Brauweiler und auch in Jülich mehrfach mißhandelt worden. Die Kost war bisweilen nicht ausreichend, das Arbeitspensum sehr groß und die Heizung in den Arbeitssälen nicht immer genügend. Widerspenstige Häuslinge wurden in die Cachotte gesperrt. In dieser waren ein Seil und ein Gummischlauch vorhanden. Ob damit geschlagen worden, wisse er nicht.

Er habe selbst mehrfach Häuslingen die Zwangsjacke angelegt. Die Häuslinge haben sich gegen das Anlegen der Zwangsjacke stets heftig gewehrt. Ein Häusling, namens Tausend, habe sich einmal krank gemeldet. Er (Zeuge) habe ihn zu Dr. Bodet geführt. Dieser habe ihn aber für gesund erklärt. Der Mann mußte weiterarbeiten und sei nach drei Tagen gestorben. Einen anderen Häuslings, namens Schumacher, habe er dem Direktor als krank gemeldet. Der Mann mußte aber trotzdem weiterarbeiten, und da er dies nicht konnte, wurde er in die Cachotte gesperrt, wo er auch gestorben sei. Es seien auch Häuslinge mit Anlegen von Hand- und Fußschellen bestraft worden. Es sei richtig, daß Häuslinge geäußert hätten, sie wären lieber im Zuchthaus, als in Brauweiler. Ein Häusling habe zu diesem Zwecke einmal eine Anzahl Möbel demoliert. Er selbst sei von dem Direktor Schellmann wegen der geringsten Vergehen bestraft worden. Auf Befehl oder auch nur mit Wissen des Direktors Schellmann sei dagegen niemals jemand mißhandelt worden.

Auf Befragen des Angeklagten Hofrichter gab der Zeuge zu, daß einmal ein kleiner buckliger Mensch zum Rübenbau nach Jülich kommandiert worden sei.

Am fünften Verhandlungstage wurde zunächst Polizeiarzt Dr. Wolff vernommen: Er habe in seiner Eigenschaft als Polizeiarzt diejenigen Personen zu untersuchen, die nach Brauweiler geschickt werden sollen. Schwache, kranke, insbesondere lungenkranke Personen und auch schwangere werden nach Brauweiler nicht gesandt. Er habe die Leute, die aus Brauweiler kommen, vielfach gesehen und sei stets erstaunt gewesen über das gute Aussehen der Leute, die dort zweifellos nicht gedarbt haben. Leute, die aus der Sommerfrische kommen, sehen vielfach nicht so gut aus, als die aus Brauweiler Kommenden.

Vert.: Herr Doktor, Sie sagen, lungenkranke Personen würden nach Brauweiler nicht gesandt. Nun besagen die Obduktionsprotokolle und Herr Direktor Schellmann hat es auch bekundet: die meisten Brauweiler Häuslinge sterben an Tuberkulose!

Dr. Wolff: Selbstverständlich können nur derartige Lungenkranke von der Verschickung nach Brauweiler ausgeschlossen werden, bei denen diese Krankheit erkennbar ist.

Es wurde hierauf die Aussage des kommissarisch vernommenen 44jährigen Tagelöhners Auweiler verlesen. Danach hatte dieser bekundet: Er sei im Brauweiler Arbeitshause gewesen. Direktor Schellmann habe ihm einmal fünf Tage Arrest diktiert. Er habe infolgedessen bemerkt, daß er dann lieber sechs Wochen Arrest haben wolle. Direktor Schellmann habe seine Personalakten nachgesehen und alsdann gesagt: Gut, dann erhalten Sie sechs Wochen Arrest, Sie bleiben also bis zu Ihrer Entlassung im Arrest. Er sei nun in Arrest gebracht worden. Einige Tage darauf sei er von dem Aufseher Tappert aus seiner Arrestzelle in den Flur geführt, von diesem mit dem Kopf niedergedrückt worden und nun habe er, während er von Tappert festgehalten wurde, 12 Hiebe mit einem Rohrstock erhalten. Er gebe zu, daß er gegen einige Aufseher frech gewesen sei. Ob Direktor Schellmann den Befehl zu dieser Prozedur gegeben habe, wisse er nicht.

Aufseher Tappert: Direktor Schellmann sei ein strenger, aber gerechter Mann. Dieser habe den Beamten oftmals eingeschärft, die Häuslinge nicht zu schlagen, ihnen ordentlich zu essen zu geben, sie gut zu behandeln und auch die Arbeitssäle gut zu heizen. Eines Tages habe er von dem Oberaufseher Schmitz den Auftrag erhalten, den Häusling Auweiler aus der Arrestzelle zu führen, da dieser Hiebe bekommen müsse. Er habe den Auweiler auf den Flur geführt, ihm den Kopf niedergedrückt, ihn festgehalten und nun habe Oberaufseher Schmitz dem Auweiler mit einem Rohrstock 12 Hiebe versetzt. Vors.: Wissen Sie, weshalb Oberaufseher Schmitz den Mann schlug?

Zeuge: Nein.

Vors.: Wußte Herr Direktor Schellmann von dieser Mißhandlung?

Zeuge: Das weiß ich nicht.

Vors.: Was war das für ein Rohrstock, mit dem Schmitz den Mann schlug?

Zeuge: Ein Rohrstock, der zum Kleiderausklopfen benutzt wurde.

Vors.: Ist nicht in den Arrestzellen auch ein Gummischlauch?

Zeuge: Nur eine 1/2 Zentimeter dünne Gummischnur.

Vors.: Was geschieht mit dieser Gummischnur?

Zeuge: Das weiß ich nicht.

Vors.: Sind sonst noch Mißhandlungen vorgekommen?

Zeuge: Nein, nur ganz junge Leute sind noch geschlagen worden.

Vors.: Haben Sie diese jungen Leute geschlagen?

Zeuge: Jawohl, im Auftrage des Oberaufsehers.

Vors.: Wieviel mal haben Sie jugendliche Häuslinge geschlagen?

Zeuge: Ein- oder zweimal.

Vors.: Wie alt waren diese Jungen?

Zeuge: 12 bis 14 Jahre.

Pitaval des Kaiserreichs, 4. Band

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