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Irrenhausvorgänge vor Gericht

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Den Fortschritten der medizinischen Wissenschaft im besonderen und den Fortschritten der Kultur im allgemeinen ist es zu danken, daß Irrsinnige als kranke Menschen und nicht mehr, wie in früherer Zeit, als vom Teufel Besessene behandelt werden. Ich nehme an, daß die mittelalterliche Anschauung, Irrsinnigen muß der böse Geist durch heftige Prügel ausgetrieben werden, nirgends mehr angewendet wird.

Vor achtzehn Jahren, in dem Prozeß wider Mellage und Genossen, der vom 30. Mai bis 8. Juni 1895 die Strafkammer zu Aachen beschäftigte, wurde festgestellt, daß in dem Laien-Mönchskloster »Mariaberg« bei Aachen Irrsinnige, wenn auch nicht verbrannt, aber heftig geschlagen, zum Teil sogar totgeschlagen wurden, weil die Klosterbrüder, die sich »Alexianer« nannten, der Ansicht waren, die Kranken seien vom Teufel besessen. Der damalige Aachener Regierungspräsident hatte gegen die Kritiker dieser schauderhaften mittelalterlichen Vorkommnisse nichts Besseres zu tun, als den Strafantrag wegen Beleidigung zu stellen. Die Humanität hat jetzt zweifellos auch in den Irrenanstalten eine Stätte gefunden. Ich nehme an, daß die vielfachen Klagen über schlechte Behandlung in den Irrenhäusern zumeist auf Einbildung der Kranken beruhen. Jedenfalls ist ein Reichsirrengesetz, das selbst von hervorragenden Psychiatern, wie von dem Oberarzt an der Irrenheilanstalt »Berolinum« in Steglitz bei Berlin, Herrn Dr. Otto Juliusburger u.a. gefordert wird, eine dringende Notwendigkeit. Wenn ich es auch für ausgeschlossen halte, daß Ärzte materieller Vorteile wegen geistig Gesunde in Irrenanstalten schicken und Irrenhausärzte geistig Gesunde in Irrenhäusern festhalten, so herrscht jedenfalls im Volke vielfach ein großes Mißtrauen gegen das Irrenhauswesen. Die ungeheuerlichen Vorkommnisse im Alexianerkloster »Mariaberg«, an denen die dort angestellten Ärzte Sanitätsrat Dr. Capellmann und Dr. Chantraine und auch der damalige Aachener Kreisarzt, Geh. Medizinalrat Dr. Kribben, einen ganz wesentlichen Teil der Schuld trugen, aber auch verschiedene Vorkommnisse in anderen Irrenanstalten haben dies Mißtrauen erzeugt. Es ist dringend notwendig, gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, daß die Überführung geistig Gesunder in eine Irrenanstalt nicht mehr möglich ist. Andererseits sind gesetzliche Bestimmungen erforderlich, die die rechtzeitige Überführung gemeingefährlicher Geisteskranker in eine geschlossene Irrenanstalt und deren dauernde Festhaltung zur Pflicht machen. Wenn das Gericht einen Angeklagten freisprechen muß, weil es die Überzeugung erlangt hat, daß zur Zeit der Tat die freie Willensbestimmung des Angeklagten ausgeschlossen war, so verläßt dieser alsdann doch offenbar gemeingefährliche Geisteskranke die Anklagebank und kann im nächsten Augenblick dasselbe Verbrechen begehen. Der Gerichtshof muß das Recht, ja, die Pflicht haben, einen Angeklagten, den er auf Grund des § 51 des Strafgesetzbuches freispricht, ohne Verzug in eine geschlossene Irrenanstalt überführen zu lassen. Es gibt Verbrecher, die, sobald sie in Freiheit sind, alle möglichen Verbrechen begehen, weit sie den Irrenschein in der Tasche haben. Diese Leute sagen sich: Wenn ich gefaßt werde, so kann mir ja nichts weiter passieren, ich muß auf alle Fälle freigesprochen werden. In den Vorstadtkneipen Berlins wird von Komikern schon seit Jahren ein Lied mit folgendem Schlußrefrain vorgetragen:

»Gott schütze die Psychiater und erhalte uns den Paragraphen 51.«

Es ist zweifellos ungemein schwierig, festzustellen, ob ein Verbrecher, der womöglich unter der Einwirkung des chronischen Alkoholismus gehandelt hat und noch obendrein erblich belastet ist, vollständig zurechnungsfähig ist. Wenn aber hervorragende Psychiater einen Angeklagten, wie den Knabenmörder Ritter für geistesgestört erklären, dann sollte der Gerichtshof, wenn er auch dieser Auffassung nicht beitritt, doch in der Lage sein, dafür zu wirken, daß der Angeklagte nach beendeter Strafverbüßung einer geschlossenen Irrenanstalt überwiesen wird. Auch sollte kein Geisteskranker, selbst wenn er oder seine Angehörigen nicht in der Lage sind, das Pensionsgeld zu zahlen, aus der Irrenanstalt entlassen werden, solange die Wiedererlangung seiner geistigen Gesundheit nicht außer Zweifel steht. Es ist auch dringend notwendig, das Entweichen verbrecherischer und gemeingefährlicher Geisteskranker aus einer Irrenanstalt unmöglich zu machen und dem Wärterpersonal einzuschärfen, daß Geisteskranke als Kranke zu behandeln sind. Es ist ferner erforderlich, ehe eine Person auf Antrag eines oder mehrerer Familienmitglieder wegen Irrsinnsverdachts einer Anstalt überwiesen wird, in genauester Weise nachzuforschen, ob dem Antrag irgendwelche andere Ursachen, Erbschafts- oder unliebsame eheliche Verhältnisse zugrunde liegen.

Der Fabrikbesitzer und Stadtverordnete Emanuel Lubecki in Beuthen, Oberschlesien, hatte Ursache, auf seine 13 Jahre jüngere Frau eifersüchtig zu sein. Frau Lubecki, eine sehr hübsche Frau, soll mit einem Angestellten ihres Mannes ein sträfliches Verhältnis unterhalten haben. Aus diesem Anlaß kam es zwischen den Eheleuten vielfach zu argen Auftritten. Lubecki geriet schließlich in derartige Aufregung, daß er oftmals heftig weinte. Die Gattin hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als den Mann, auf eine bequeme Art loszuwerden. Sie verstand es, dem in ihrem Hause wohnenden Dr. med. Locke, zu dem sie ebenfalls unlautere Beziehungen unterhalten haben sollte, zu bestimmen, ein ärztliches Attest auszustellen, in dem es hieß: Lubecki leide an aktueller Geistesgestörtheit. Dieser Arzt hatte Lubecki weder jemals untersucht, noch mit dem Hausarzt des letzteren Rücksprache genommen. Dr. Locke wußte aber auch den Kreisarzt Dr. la Roche zu bestimmen, das von ihm ausgestellte Attest gegenzuzeichnen. Der Kreisarzt soll außerdem Lubecki zugeredet haben, im Interesse seiner Gesundheit sich in ein Sanatorium zu begeben. Durch List gelang es der Gattin, den Mann nach der Provinzial-Irrenanstalt Leubus in Schlesien zu locken. Lubecki glaubte, in ein Sanatorium zu kommen. Als sich die Pforten des Irrenhauses hinter ihm geschlossen hatten, sah der Mann, der noch am Tage vor seiner Einlieferung als Schöffe in einer anstrengenden Gerichtssitzung mitgewirkt hatte, daß er sich in einem Irrenhaus befinde. Lubecki versuchte die Ärzte zu überzeugen, daß er nicht geisteskrank und nur durch Intrige seiner Frau ins Irrenhaus gekommen sei. Die Ärzte beachteten dies aber nicht, sondern behandelten ihn als Trinker und Paralytiker, obwohl er nachweislich niemals Trinker war.

Nach vollen fünf Monaten gelang es dem Bruder Lubeckis, ihn aus der Irrenanstalt zu befreien. Der durch die fünfmonatige Gefangenschaft finanziell ruinierte Mann versuchte seine Rehabilitierung bei den Ministern des Innern und der Justiz. Er wandte sich schließlich, aber ebenfalls ohne Erfolg, an das Zivilkabinett des Königs. Die »Zeit am Montag« brachte schließlich am 25. November 1907 mit der Überschrift: »Moderne Irrenhausfolter« einen Leitartikel. In diesem wurde der Vorfall eingehend besprochen und die Notwendigkeit einer gründlichen Irrenhausreform betont. Es wurde in dem Artikel erwähnt, daß der maßgebende Oberarzt der Provinzial-Irrenanstalt Leubus, Dr. v. Kunowski, der Schwiegersohn des Direktors Geh. Medizinalrats Dr. Alter und der erste Assistenzarzt der Sohn des Direktors sei. Es wurde daher in dem Artikel von einer famosen »Ärzte-Dreifaltigkeit«, brutaler Vergewaltigung usw. gesprochen. Der Landeshauptmann der Provinz Schlesien stellte gegen den Verfasser des Artikels, damaligen Chefredakteur der »Zeit am Montag«, Karl Schneidt, Strafantrag wegen Beleidigung der genannten Irrenhausärzte.

Schneidt hatte sich deshalb vom 8. bis 11. November 1908 vor der siebenten Strafkammer des Landgerichts Berlin I zu verantworten. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Splettstoeßer. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Rasch. Die Verteidigung führte Rechtsanwalt Dr. Halpert.

Als Sachverständige waren geladen: der Direktor der Irrenanstalt Herzberge, Geh. Medizinalrat Professor Dr. Moeli, Geh. Medizinalrat Dr. Arthur Leppmann und Medizinalrat Dr. Hoffmann.

Der Angeklagte Schneidt bemerkte nach Verlesung des zur Anklage stehenden Artikels: Er übernehme für den Artikel die volle Verantwortung. Er hatte nicht die Absicht, jemand zu beleidigen. Er wollte nur einen öffentlichen Mißstand rügen. Er habe im übrigen in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt, denn das, was Lubecki passiert sei, könne jedem Menschen, auch ihm, widerfahren. Es wurde alsdann Kaufmann Emanuel Lubecki, ein sehr intelligent aussehender Mann von 51 Jahren, als Zeuge vernommen. Er bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei seit vielen Jahren und noch heute Stadtverordneter in Beuthen, Oberschlesien. Er habe lange Zeit eine geradezu mustergültige Ehe geführt. Plötzlich habe er wahrgenommen, daß seine Frau intimen Verkehr mit seinem Buchhalter unterhalte. Dadurch und auch infolge von Zerwürfnissen mit seinem Bruder Paul und geschäftlicher Aufregungen sei er sehr nervös geworden. Auf Veranlassung seines Bruders Paul und seiner Frau wurde ein Familienrat berufen. Ein Justizrat erklärte im Familienrat, er (Zeuge) sei geisteskrank und müsse in ein Irrenhaus. Am folgenden Tage sei der Kreisarzt Medizinalrat Dr. la Roche zu ihm gekommen mit dem Bemerken: Herr Lubecki, Sie arbeiten Tag und Nacht, für Ihre Gesundheit tun Sie aber gar nichts. Ich rate Ihnen, gehen Sie auf einige Wochen nach Leubus. Er erwiderte: Sie muten mir doch nicht etwa zu, ins Irrenhaus zu gehen? Sie sollen nicht ins Irrenhaus, sondern in das Leubuser Pensionat gehen, das ist ein sehr gutes Sanatorium, in dem Sie volle Bewegungsfreiheit haben, erwiderte der Kreisarzt. Nach langem Zureden habe er sich schließlich entschlossen, dem Rate Folge zu leisten, er habe aber sofort gesehen, daß er sich in einer Irrenanstalt befinde. Seine Einwendungen, daß er doch nicht geisteskrank sei und nicht ins Irrenhaus gehöre, wurden mit Hohnlachen beantwortet. Der Zeuge schilderte alsdann eingehend die lieblose Behandlung, er sei geschlagen, ins Wasser gesteckt worden usw. Depeschen, die er an den Landeshauptmann und den Minister des Innern gerichtet hatte, seien nicht abgeschickt worden. Ein Pfleger habe ihm gesagt, die Ärzte verständen keinen Spaß, es werde jeder Widerstand gebrochen. Der Oberarzt Dr. v. Kunowski verordnete ihm Beruhigungspillen. Dadurch geriet er in noch viel größere Erregung. Er lehnte es daher ab, die Pillen weiter zu nehmen. Der Oberarzt bedeutete, wenn er die Pillen nicht nehmen wolle, dann lasse er ihn zwölf Stunden ins Wasserbad stecken. »Wir werden Sie schon kirre kriegen.« Ein Pfleger, der die Pillen nahm, wurde krank. Einmal wurde er zwangsweise dreizehn Stunden lang ins Wasserbad gesteckt. Eines Tages, so fuhr Lubecki fort, lag ich auf einem Rohrstuhl vor dem Anstaltsgebäude. Da kam der Mann, den ich zur Wahrnehmung meines Geschäfts während meiner Abwesenheit eingesetzt hatte, und sagte mir: Er sei hinausgeworfen worden und Herr Dietrichs, der mit meiner Frau Ehebruch treibe, dominiere wieder. Ich wurde darüber sehr erregt. Als ich wiederum meine Freilassung verlangte, hieß es: »Ins Wasser!« Ich bin lange Zeit immer nur vom Bett ins Wasser und vom Wasser ins Bett gekommen. Eines Tages sagte mir Dr. Alter junior: »Ich werde Ihnen einen väterlichen Rat geben, lassen Sie sich entmündigen.« Als ich mich entschieden weigerte, sagte er: »Sie werden schon zahm werden, hier wird alles folgsam und zahm.« Ich wurde darüber ungemein aufgeregt. Einige Tage später sah ich den Geheimrat Alter, der bis dahin verreist war, zum ersten Male. Ich wollte mit ihm sprechen, er winkte aber ab. Dann kam ein Brief meines Bruders Paul, dessen Inhalt mich wiederum sehr erregte. Ich unternahm schließlich einen Fluchtversuch, der aber mißlang.

Am 2. Oktober 1905 kam der Landeshauptmann der Provinz Schlesien, v. Richthofen, zur Inspektion in die Anstalt. Ich hatte mir vorgenommen, recht zurückhaltend zu sein, denn ein Wärter hatte mir einmal gesagt: »Machen Sie mit den Ärzten keine Geschichten, sonst kann es Ihnen hier bitter gehen!« Die Bedeutung dieser Worte war mir ganz klar, denn ich dachte an das Wasserbad! Einen Tag vor der Ankunft des Landeshauptmanns war ich aus dem Gemeinschaftszimmer in ein anderes Zimmer gebracht worden. Ich verlangte, den Landeshauptmann zu sprechen. Dr. Alter junior aber sagte: Ja, Sie wollen! Sie haben nichts zu wollen, hier haben nur wir zu wollen! Ich wurde dann ohne Kleidung in einen verschlossenen Raum gesteckt, bis der Landeshauptmann die Anstalt wieder verlassen hatte. Am 9. kam meine Frau mit Herrn Dieterichs zu mir und bot mir zu meiner Verwunderung an, daß ich mich entmündigen lassen solle, damit die Fabrik verkauft werden könnte. Dies hat mich natürlich sehr mißtrauisch gemacht.

Eines Tages kam Geheimrat Dr. Alter zu mir und zog mich in ein Gespräch über Politik. Ich habe den Eindruck gehabt, daß der Geheimrat aus mir eine Majestätsbeleidigung herauswinden wollte, um mich dann mit Recht einsperren zu können. Am 9. Oktober schrieb ich einen Brief an die Staatsanwaltschaft, in dem ich um Befreiung bat. Als ich diesen Brief einem Wärter zeigte, sagte dieser: »Wenn Sie Geschichten machen, Sie wissen doch – die Bäder, die werden Sie schon beruhigen und zur Räson bringen!« Zwei Tage später schrieb ich einen zärtlichen Brief an meine Frau. Ich bemerkte in dem Briefe, daß ich mich nicht mehr in dem eifersüchtigen Wahn befinde und wegen der verschiedenen Dinge, die ich in meiner Krankheit, die nun geheilt sei, begangen habe, um Entschuldigung bitte.

Auf eine Frage des Vorsitzenden, ob dies auch seine wirkliche Anschauung war, erklärte der Zeuge, daß er selbstverständlich nur so getan habe, da er auf Lebenszeit in der Irrenanstalt eingesperrt worden wäre, wenn er seine wahren Gedanken geäußert hätte. Als er sich an den Landtagsabgeordneten Geh. Justizrat und Verwalter der gräflich Schaffgotschschen Güter, Dr. Stephan, brieflich um Hilfe gewendet hatte, sei ihm dies von Dr. Alter junior als »Rückfall« angerechnet worden. Er sei daraufhin dreizehn Stunden in die Badewanne gesteckt worden. Ein Wärter habe ihm hierbei erzählt, daß ein anderer Kranker sogar drei Tage und drei Nächte im Wasser gelegen habe. Bei der Aufnahme habe seine Frau angegeben, er sei starker Alkoholiker, während sie genau wußte, daß er beinahe Abstinenzler sei und höchstens bei Festlichkeiten ein Glas Wein trinke.

Geh. Medizinalrat Dr. Leppmann: Wie ist jetzt das Verhältnis des Zeugen zu seiner Familie?

Zeuge: Ich habe sofort nach meiner Entlassung die Pflegschaft aufheben lassen und meine Geschäfte weitergeführt. Mein Bruder Paul hatte mir sofort den Kredit entzogen; die Wechsel wurden protestiert, und damit war mir der Kredit dermaßen abgeschnitten, daß man mir selbst Kundenwechsel nicht mehr diskontierte. Die Lebensader wurde mir vollständig unterbunden; ich habe deshalb meine Fabrik notgedrungen aufgeben müssen. Mein Bruder Paul hatte alles pfänden lassen, Pferde, Maschinen usw. Er hat sogar den Gerichtsvollzieher beauftragt gehabt, daß die Pferde die Pfändungsscheine am Halse tragen sollten.

Der Vorsitzende stellte fest, daß in der Ehescheidungsklage am 6. November 1907 in erster Instanz die Ehe auf Klage und Widerklage geschieden worden und beide Teile als schuldig erklärt worden seien. Die Ehescheidungsklage schwebe in der Berufungsinstanz.

Auf weiteres Befragen des Geh. Medizinalrats Dr. Leppmann bemerkte Lubecki: Er habe die Überzeugung, daß die Ärzte in Leubus bestochen waren.

Hierauf wurde Frau Lubecki, eine kleine, nicht unschöne, dunkelblonde Frau von 38 Jahren, als Zeugin vernommen. Sie bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden: Sie halte ihren Mann noch für geisteskrank, denn sie könne jederzeit schwören, daß sie nicht Ehebruch begangen habe. Sie sei der Überzeugung, der Mann leide noch heute an Eifersuchtswahn, deshalb habe sie es veranlaßt, daß ihr Mann in eine Irrenanstalt gehe.

Auf Befragen des Verteidigers R.-A. Dr. Halpert gab schließlich die Zeugin zu, daß, während ihr Mann in Leubus war, sie sich mit dem Buchhalter Dieterichs geküßt habe. Dieterichs habe sie auch um die Taille gefaßt, sonst sei aber nichts zwischen ihnen vorgekommen.

Sodann wurde Kreisarzt Medizinalrat Dr. la Roche, Beuthen, Oberschlesien, als Zeuge vernommen: Auf Grund der ihm gewordenen Mitteilungen und eigenen Beobachtungen habe er es für dringend erforderlich erachtet, Lubecki in eine geschlossene Irrenanstalt zu bringen. Die Irrenanstalt Leubus liege so schön an der Oder und sei eine so ausgezeichnete Pflegeanstalt, daß sie jedem Geisteskranken nur empfohlen werden könne. Er habe nicht gesagt, Leubus sei ein Privatpensionat, sondern nur: Es herrsche in Leubus volle Bewegungsfreiheit, d.h. man könne jederzeit entlassen werden.

Beisitzer Landgerichtsrat Kämpfe: Der Mann konnte doch nicht jederzeit die Anstalt verlassen.

Zeuge: Aber er konnte jederzeit entlassen werden.

Beisitzer: Das ist doch aber etwas ganz anderes.

Vors.: Haben Sie den Mann körperlich untersucht?

Zeuge: Nein, er war ja körperlich gesund.

Vors.: Sie haben den Mann für geistesgestört erklärt hauptsächlich auf Grund von Mitteilungen seiner Frau.

Zeuge: Allerdings.

Vors.: Haben Sie diese Mitteilungen auf ihre Wahrheit geprüft?

Zeuge: Ich nahm an, daß sie wahr sind.

Vors.: Haben Sie dem Mann das, was Ihnen die Frau mitgeteilt, vorgehalten?

Zeuge: Nein.

Vors.: Das ist doch aber die Grundlage aller Rechtsprechung. Man kann doch niemand verurteilen, ehe man ihm nicht das, was gegen ihn vorgebracht wird, vorhält und ihm zur Verteidigung Gelegenheit gibt. Nun hat sich ergeben, daß das meiste, was die Frau vorgebracht hat, unwahr ist.

Zeuge: Ich würde ihn trotzdem für geisteskrank erklären, da er unaufhörlich von Verfolgungen und Komplotten sprach. Das ist ein Schulbeispiel für Geistesgestörtheit.

Es wurde darauf das Attest des Kreisarztes verlesen, auf Grund dessen die Aufnahme in das Irrenhaus erfolgte.

Kreisarzt Dr. la Roche wiederholte: Lubecki habe auf ihn einen psychopathischen Eindruck gemacht.

Vert.: Haben Sie Veranlassung genommen, mit dem Hausarzt des Herrn Lubecki, der ihn seit 17 Jahren behandelte, Rücksprache zu nehmen?

Zeuge: Nein, ich war der Meinung, Sanitätsrat Dr. Locke sei der Hausarzt, dieser war aber nicht zu Hause.

Vert.: Herr Medizinalrat! Jeder Arzt kann sich irren. Haben Sie kein Bedenken, wenn Sie hören, daß der langjährige Hausarzt niemals das geringste an Lubecki wahrgenommen hat, das auf Geistesgestörtheit schließen ließ?

Zeuge: Das kann mich in meinem Urteil nicht beeinflussen.

Vert.: Das sagen Sie, obwohl Sie den Mann niemals körperlich untersucht haben?

Zeuge: Jawohl.

Vert.: Haben Sie nach der Krankheitsgeschichte des Lubecki gefragt?

Zeuge: Das hielt ich nicht für notwendig, ich wußte, daß Lubecki aus einer gesunden Familie stammte.

Vert.: Haben Sie die Pupille des Lubecki untersucht, haben Sie Sprachstörungen oder Schreibfehler festgestellt?

Zeuge: In dieser Beziehung war alles ausgezeichnet.

Vert.: Und trotzdem hielten Sie den Mann für derartig geistesgestört, daß er aus der Liste der Lebenden gestrichen werden sollte?

Zeuge: Jawohl.

Angeklagter Schneidt: Aus der Vernehmung des Herrn Medizinalrats ist zu entnehmen, daß Lubecki wider seinen Willen in die Irrenanstalt gesperrt worden ist; etwas anderes habe ich in dem Artikel nicht behauptet.

Am zweiten Verhandlungstage wurde nochmals Frau Lubecki als Zeugin vernommen. Sie bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Sie habe lediglich die Verpflegungskosten für ihren Mann in der Irrenanstalt Leubus bezahlt. Sie hatte auch nur das Interesse, ihren Mann so schnell als möglich wieder herauszubekommen. Nochmals versicherte sie, daß es erst, nachdem ihr Mann in Leubus war, zu Liebeleien zwischen ihr und Dieterichs gekommen sei. Es seien aber nur Zärtlichkeiten ausgetauscht worden. Sie habe am Tage vor der Entlassung ihres Gatten aus Leubus mit Dieterichs einen Vertrag geschlossen, wonach letzterer, im Falle er von ihrem Gatten entlassen werde, von ihr eine Remuneration erhalten solle.

Verteidiger R.-A. Dr. Halpert: Er wolle glauben, daß zwischen der Zeugin und Dieterichs nur Zärtlichkeiten ausgetauscht worden seien. An der Aufklärung dieser Frage habe er nur das Interesse, um den angeblichen Eifersuchtswahn des Lubecki festzustellen.

Es wurde alsdann Geschäftsführer Dieterichs, Beuthen, Oberschlesien, ein großer, stattlicher, dunkelblonder Mann mit schöngepflegtem Schnurrbart, als Zeuge in den Saal gerufen. Er sei Geschäftsführer bei Lubecki gewesen. Als Lubecki nach Leubus kam, sei er (Zeuge) 25 Jahre alt gewesen. Frau Lubecki habe, nachdem ihr Mann nach Leubus gekommen war, heftig geweint und große Besorgnis wegen der Fortführung des Geschäfts geäußert. Er habe Frau Lubecki getröstet. Bei dieser Gelegenheit sei es zwischen ihm und Frau Lubecki zu Zärtlichkeiten gekommen.

Vors.: Sie sollen zu einem Freund gesagt haben: »Ich kann mich vor der Frau gar nicht retten!«

Zeuge: Das ist mir nicht erinnerlich, ich glaube auch nicht, daß ich das gesagt habe.

Vors.: Der betreffende Mann ist Ihr Freund, er hat doch kein Interesse, in dieser Beziehung eine Unwahrheit zu sagen?

Zeuge (zögernd): Ich glaube nicht, eine solche Äußerung getan zu haben.

Vors.: Sie können sich also an eine solche Äußerung nicht erinnern?

Zeuge: Nein.

Vors.: Hielten Sie Lubecki, ehe er nach Leubus kam, für geistesgestört?

Zeuge: Das kann ich nicht sagen, jedenfalls war Herr Lubecki in einer Weise nervös, wie es mir noch niemals vorgekommen war.

Vors.: Befand er sich nach Ihrer Meinung in einem Zustande, daß er für seine Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden konnte?

Zeuge: Jawohl.

Vors.: Ist Ihnen bekannt, daß Herr Lubecki mit 50 Mark angefangen und in verhältnismäßig kurzer Zeit ein Vermögen von 2-300000 Mark hatte?

Zeuge: Das habe ich gehört. Als Herr Lubecki aber nach Leubus kam, war das Geschäft schon sehr wesentlich zurückgegangen.

Auf Befragen des Verteidigers R.-A. Dr. Halpert gab der Zeuge zu: Am Tage vor der Entlassung des Lubecki aus Leubus habe er mit Frau Lubecki einen Vertrag geschlossen, wonach er im Falle seiner Entlassung von seiten des Ehemannes das Gehalt für vier Monate und eine Entschädigung von 500 Mark zu erhalten habe. Kaufmann Erdrink: Dieterichs habe ihm einmal erzählt, Frau Lubecki verfolge ihn mit Liebesanträgen. Wenn sie wenigstens ein hübsches Weib wäre, würde er darauf eingehen, er könnte alsdann alles erreichen. Dieterichs galt allerdings in dieser Beziehung als großer Renommist.

Direktor der Leubuser Provinzial-Irrenanstalt, Geh. Sanitätsrat Dr. Alter bekundete auf Befragen des Vorsitzenden: Er sei, als Lubecki am 7. September 1905 nach Leubus kam, auf Urlaub gewesen. Daß die Aufnahme in vollständig korrekter Weise erfolgt sei, werde Landesrat Schölzel, Breslau, der im Auftrage des Landeshauptmanns der Provinz Schlesien der Verhandlung beiwohnte, zweifellos bestätigen.

Verteidiger R.-A. Dr. Halpert: Nach dieser Bemerkung halte ich es für wahrscheinlich, daß Herr Landesrat Schölzel als Zeuge vernommen werden wird. Da laut Strafprozeßordnung die Beweisaufnahme in Abwesenheit der Zeugen geführt werden muß, beantrage ich, den Herrn Landesrat zu ersuchen, den Saal zu verlassen.

Angeklagter Schneidt: Ich schließe mich dem Antrage meines Herrn Verteidigers an, da ich ausdrücklich die Vernehmung des Herrn Landesrats beantrage, um festzustellen, ob Herr Lubecki in korrekter Weise in die Irrenanstalt Leubus eingesperrt worden ist.

Der Gerichtshof beschloß, den Landesrat Schölzel sofort als Zeugen zu vernehmen.

Landesrat Schölzel: Er sei 23 Jahre praktischer Jurist gewesen und seit fünf Jahren Mitglied der Provinzialverwaltung der Provinz Schlesien. Die öffentlichen Irrenanstalten unterstehen, laut gesetzlicher Bestimmungen, den Provinzialverwaltungen. Die Bestimmungen über die Unterbringung Geisteskranker in die Irrenanstalten sind in jeder Provinz verschieden. In der Provinz Schlesien gibt es augenblicklich über 9000 Geisteskranke. Die große Mehrheit der Geisteskranken werden vom Landarmenverband bzw. Ortsarmenverband überwiesen. Die Aufnahme in eine Irrenanstalt darf nach den gesetzlichen Bestimmungen nur erfolgen, wenn entweder der Kranke oder dessen gesetzlicher Pfleger damit einverstanden ist. Beides ist aber fast niemals der Fall, da einmal der Kranke fast niemals in der Lage ist, eine solche Erklärung abzugeben und ein gerichtlicher Pfleger fast niemals bei der Aufnahme vorhanden ist. Wir veranlassen die Aufnahme, sobald sie von seiten des Landarmen- oder Ortsarmenverbandes und der Polizeibehörde als dringend bezeichnet wird. Wir veranlassen alsdann ungesäumt die Ernennung eines gerichtlichen Pflegers und holen die Genehmigung des letzteren ein. Bei vermögenden Geisteskranken genügt die Zustimmung des Kranken oder seines gesetzlichen Pflegers. Wenn der Kranke nicht mehr in der Lage ist, eine solche Erklärung abzugeben und ein gesetzlicher Pfleger noch nicht vorhanden ist, dann kann die Aufnahme erfolgen, wenn ein Physikatsattest und ein Polizeiattest die Aufnahme als notwendig bezeichnen. Im vorliegenden Falle hatte der Kranke selbst sein Einverständnis mit der Aufnahme gegeben.

Vert.: Hatte der Schwager, der Herrn Lubecki nach Leubus gebracht hatte, die Berechtigung, die Aufnahme zu beantragen?

Zeuge: Keineswegs. Mit dem Schwager wurde ja auch nur ein Vertrag geschlossen, um eine Person zu haben, an die man sich wegen der zu zahlenden Verpflegungskosten halten konnte.

Vert.: Herr Landesrat, Sie haben der Verhandlung beigewohnt und gehört, daß die Eheleute Lubecki beide der Ansicht waren, Leubus sei ein Privatpensionat. Halten Sie alsdann nicht eine Täuschung für vorliegend?

Zeuge: Ich nehme an, daß die Genehmigung von seiten Lubeckis in Leubus erfolgt ist. Lubecki hat doch wohl gesehen und sehen müssen, daß Leubus eine Irrenanstalt ist.

Vert.: In dem Physikatsattest wird Lubecki als geisteskrank erklärt, durfte alsdann seine Erklärung um Aufnahme als gültig angesehen werden?

Zeuge: Lubecki war vollständig verfügungsfähig.

Vert.: Ist die Verwaltung einer Irrenanstalt befugt, Briefe und Anträge eines Kranken zurückzuhalten?

Zeuge: Über die Beförderung von Briefen von Kranken hat die Irrenhausverwaltung zu befinden. Dagegen müssen Anträge, wenn nicht etwa eine Querulanz festgestellt ist, weitergegeben werden. Nur wenn alle Instanzen aus den gestellten Anträgen die Gewißheit erlangen, daß der Kranke Querulant sei, ist die Irrenhausverwaltung berechtigt, die Anträge zurückzubehalten.

Vert.: Sachgemäße Anträge müssen also unter allen Umständen weitergegeben werden?

Zeuge: Jawohl.

Der Verteidiger richtete noch eine Reihe Fragen an den Zeugen, wobei die Ansichten beider auseinandergingen. Vors.: Sie sind ja beide Juristen, da ist es eigentlich selbstverständlich, daß die Ansichten zwischen beiden Herren verschieden sind. (Allgemeine Heiterkeit.)

Landesrat Schölzel bemerkte im weiteren auf Befragen des Vorsitzenden: Leubus gelte allgemein als die beste Irrenanstalt in Schlesien.

Geh. Sanitätsrat Dr. Alter bekundete darauf: Der Zustand des Lubecki war derartig, daß Bettruhe und Bäder geboten waren. Das ist die mildeste Form von Beruhigungsmitteln. Ich muß es als vollständig unwahr bezeichnen, daß Bäder als Strafmittel verordnet und von den Kranken als besonderes Strafmittel gefürchtet werden. Die Bäder werden lediglich als therapeutische Mittel angewendet. Im Oktober besserte sich der Zustand Lubeckis; es wurde daher in Aussicht genommen, ihn Ende November zu entlassen. Wir rieten der Frau Lubecki, den Mann in ein offenes Sanatorium zu geben und schlugen Wölfelsgrund vor. Weshalb Lubecki nicht den Landeshauptmann zu sprechen bekam, ist mir nicht mehr erinnerlich. Der Landeshauptmann inspiziert alljährlich zweimal die Anstalt. Sobald der Besuch angekündigt ist, werden die Oberpfleger aufgefordert, eine Liste derjenigen Kranken aufzustellen, die den Landeshauptmann, zu sprechen wünschen. Wenn aber der Landeshauptmann von einzelnen Kranken zu lange in Anspruch genommen wird, dann kann er aus Mangel an Zeit nicht zu allen Kranken kommen, die ihn zu sprechen wünschen. Er kann auch nicht immer alle Abteilungen inspizieren. Daß Lubecki während der Anwesenheit des Landeshauptmanns extra eingeschlossen wurde, ist unwahr. Lubecki hatte am 30. September einen Fluchtversuch unternommen; es wurden ihm deshalb, wie dies bei Fluchtversuchen immer geschieht, die Kleider fortgenommen und er in eine besondere Beobachtungsstation gebracht. Das geschah aber keineswegs aus Anlaß des Besuches des Landeshauptmanns.

Vors.: Der Oberarzt Herr Dr. von Kunowski ist Ihr Schwiegersohn und Herr Dr. Alter junior Ihr Sohn?

Zeuge: Jawohl, mein Sohn ist inzwischen Direktor der Fürstlich Lippe-Detmoldschen Landes-Irrenanstalt geworden.

Vors.: Ich bin zu meinem Bedauern genötigt, Ihnen die Frage vorzulegen: Erhalten die Ärzte außer ihrem Gehalt eine Remuneration?

Zeuge: Keinen Pfennig. Ich will mitteilen, daß eines Tages meinem Sohn von Angehörigen eines Pensionärs (nicht von der Familie Lubecki) 500 Mark zugesandt wurden. Mein Sohn hat das Geld sofort zurückgesandt. Auf weiteres Befragen bemerkte der Zeuge: Ein Pfleger komme bei den Pensionären, d.h. den Kranken, die aus eigenen Mitteln Bezahlung leisten, gewöhnlich auf drei Kranke. Pfleger seien zumeist Reservisten, die, sobald sie vom Militär kommen, in der Anstalt ausgebildet werden. Die Pfleger der Pensionäre seien aber zumeist ältere Leute.

Briefe von Kranken werden von diesen dem Oberpfleger übergeben, letzterer übergibt sie der Verwaltung. Die Briefe werden gewöhnlich befördert; wenn sie aber geschrieben sind, um die Entlassung zu bewirken und letztere in Aussicht genommen ist, dann werden sie zumeist nicht befördert.

Hierauf wurden die Briefe verlesen, die Lubecki an den Landeshauptmann, an den Justizrat Kaiser in Beuthen, Oberschlesien, und an seinen Schwager, den Rittergutsbesitzer Albrecht, gerichtet hatte. In allen diesen Briefen beteuerte Lubecki, daß er widerrechtlich in Leubus interniert, und, da er nicht geisteskrank sei, bitte er, seine Freilassung zu bewirken.

Geheimrat Dr. Alter: Da die Ankunft des Landeshauptmanns angekündigt war, wurden die Briefe nicht befördert.

Vors.: Weshalb sind die Briefe an Justizrat Kaiser und den Rittergutsbesitzer Albrecht nicht befördert worden?

Zeuge: Weil die Ankunft des Herrn Landeshauptmanns angekündigt war.

Vors.: Das ist doch aber absolut nicht gerechtfertigt, der Mann verlangte doch Hilfe von außen. Sie haben also auch den Brief an Justizrat Kaiser nicht befördert?

Zeuge: Nein, das hielt ich aus den angeführten Gründen nicht für nötig. (Heiterkeit im Zuhörerraum.)

Vors.: Ich muß dringend um Ruhe bitten. Sollte sich ein derartiger Vorgang wiederholen, dann werde ich den Zuhörerraum sofort räumen lassen. Herr Geheimrat, wenn die Ankunft des Herrn Landeshauptmanns nicht angekündigt gewesen wäre, wären die Briefe alsdann befördert worden?

Zeuge: Jawohl.

Vert.: Weshalb ist nun Herr Lubecki dem Herrn Landeshauptmann nicht vorgestellt worden?

Zeuge: Das weiß ich nicht mehr.

Angeklagter Schneidt: Wäre es nicht besondere Pflicht der Anstaltsverwaltung gewesen, gerade Herrn Lubecki, der so viele Anträge auf Entlassung gestellt hatte, dem Herrn Landeshauptmann vorzuführen?

Vors.: Der Herr Zeuge hat bereits erklärt, er erinnere sich nicht, weshalb dies nicht geschehen sei.

Auf weiteres Befragen des Verteidigers bemerkte der Zeuge: Lubecki habe an Affektpsychose auf neuropathischer Grundlage gelitten. Es sei wohl der Verdacht der Paralyse entstanden, dieser Verdacht habe sich aber nicht bestätigt.

Vert.: Sie haben in der Hauptsache die Verrücktheit des Herrn Lubecki auf den Eifersuchtswahn aufgebaut?

Zeuge: Für uns war in der Hauptsache maßgebend, in welcher Weise sich der Eifersuchtswahn äußerte.

Vert.: Wenn Sie nun hören, daß die Eifersucht berechtigt war, halten Sie alsdann an dem Krankheitsbild fest?

Zeuge: Ich habe bereits gesagt, wir haben der Eifersucht wenig Wert beigelegt.

Vert.: Haben Sie an Lubecki einmal einen Tobsuchtsanfall wahrgenommen?

Zeuge: Lubecki war wohl sehr aufgeregt, einen direkten Tobsuchtsanfall haben wir nicht wahrgenommen.

Vert.: Sie sollen einmal angeordnet haben, daß Lubecki mit Schwerkranken zusammen ins Bad gesteckt werde? Diese Kranken sollen Lubecki mit ekelhaftem Schmutz beworfen haben. Lubecki soll aus diesem Anlaß geweint haben. Darauf sollen Sie gesagt haben: Ein Mann, welcher weint, gehört ins Irrenhaus. (Große Bewegung im Zuhörerraum.)

Zeuge: Ich glaube nicht, daß ich das gesagt habe.

Vert.: Sie geben aber die Möglichkeit zu, eine solche Äußerung getan zu haben?

Zeuge (nach einigem Zögern): Nein, ich halte es für ausgeschlossen. Der Zeuge bekundete im weiteren auf Befragen: Die Bäder haben einen Wärmegrad von 340 C. Lubecki wurde im Höchstfalle 13 Stunden im Bad gehalten, andere Kranke bisweilen mehrere Tage und Nächte. Die Kranken essen, schlafen, lesen und spielen Skat in der Wanne. Er gebe zu, daß den Kranken das Baden oftmals unangenehm sei. Es gebe eben verschieden ärztliche Verordnungen, die Kranke unangenehm berühren. Medizin sei zumeist bitter.

Auf Befragen des Verteidigers bemerkte der Zeuge: Man kann den Krankheitszustand des Lubecki mit Stimmungsirrsinn übersetzen.

Staatsanwalt Dr. Rasch: Er sei der Meinung, daß die Beförderung der Briefe vom Irrenhausinsassen der diskretionären Gewalt der Direktion unterstellt sei.

Verteidiger R.-A. Dr. Halpert (mit erhobener Stimme): Ich protestiere mit voller Entschiedenheit gegen diese Behauptung des Herrn Staatsanwalts. Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, daß Briefe von Irrenhausinsassen auf alle Fälle befördert werden müssen. Es ist ein Irrtum von Herrn Medizinalrat Dr. Leppmann, wenn er diese Verpflichtung nicht anerkennt, weil im Reglement hierüber keine Bestimmung enthalten ist. Wo eine klare gesetzliche Bestimmung vorhanden ist, bedarf es keiner Reglementsbestimmung. Herr Geheimrat, sind Sie der Meinung, daß es dem Kranken zur Beruhigung dient, wenn er wider seinen Willen stundenlang in ein Bad gesteckt wird, das er als Strafmittel betrachtet?

Zeuge: Ich habe bereits gesagt, daß das Bad kein Strafmittel ist, wenn es auch von den Kranken als solches angesehen wird, es ist trotzdem ein Beruhigungsmittel.

Vert.: Haben Sie Wahrnehmungen gemacht, daß Lubecki Trinker war?

Zeuge: Nein.

Vert.: Hätten sich nicht Abstinenzerscheinungen ergeben müssen, wenn Lubecki Trinker gewesen wäre?

Zeuge: Bei nur mäßigen Trinkern sind Abstinenzerscheinungen nicht wahrzunehmen.

Vert.: Ist auch ein mäßiger Trinker als Alkoholiker zu bezeichnen?

Zeuge: Das kommt ganz auf die körperliche Beschaffenheit des Individuums an.

Dr. med Przybilski, Beuthen, Oberschlesien: Er sei 17 Jahre Hausarzt bei Lubecki gewesen und habe niemals irgendeine Wahrnehmung gemacht, die auf Geistesgestörtheit schließen ließ. Er sei daher ungemein erstaunt gewesen, als er hörte, Lubecki sei nach Leubus gebracht worden. Auf weiteres Befragen, des Verteidigers äußerte der Zeuge: Lubecki sei wohl sehr lebhaften Temperaments, von einem Irrsinn habe er aber niemals das geringste wahrgenommen. Auf Befragen des Vorsitzenden bestritt der Zeuge, mit Frau Lubecki irgendwelche unlautere Beziehungen unterhalten zu haben. Auf Ansuchen der Frau Lubecki habe er an die Anstaltsdirektion in Leubus geschrieben: Auf Grund von Mitteilungen der Frau Lubecki und seiner eigenen Beobachtung fühle er sich veranlaßt, der Anstaltsdirektion anzuzeigen, daß Lubecki ungemein nervös, sinnlich erregt, Trinker sei und an Eifersuchtswahn leide. Lubecki habe auch an Tobsuchtsanfällen gelitten. Ein anderes Mal habe er der Anstaltsdirektion geschrieben: »Ich höre von den Angehörigen Lubeckis, daß letzterer entlassen werden solle; ich kann dies nicht billigen.«

Vors.: Diese beiden Briefe haben Sie nicht auf Grund Ihrer eigenen Beobachtungen geschrieben?

Zeuge: Nein, lediglich auf Grund von Mitteilungen der Frau Lubecki. (Große Bewegung im Zuhörerraum.)

Vors.: Sie hielten die Angaben der Frau Lubecki für wahr?

Zeuge: Allerdings.

Vert.: Und Sie hielten es mit Ihrem Gewissen für vereinbar, auf bloße Angaben der Frau Lubecki derartige Briefe an die Anstaltsdirektion zu schreiben?

Dr. Przybilski: Ich hielt eben die Angaben der Frau Lubecki für wahr.

Vert.: Der Anstaltsdirektion war es bekannt, daß Sie 17 Jahre Hausarzt des Lubecki waren; hat die Direktion jemals Veranlassung genommen, sich bei Ihnen nach dem Krankheitszustande des Lubecki zu erkundigen?

Zeuge: Nein.

Oberarzt Dr. v. Kunowski: Am 7. September 1905 habe er Lubecki aufgenommen. Als Grundlage galt ihm das Physikatsattest, das Polizeiattest und insbesondere das Einverständnis Lubeckis selbst. Dieser konnte über den Charakter der Anstalt nicht einen Augenblick im Zweifel sein. Die Leubuser Anstalt sei in Schlesien ebenso als Irrenanstalt bekannt, wie in Berlin Dalldorf. Lubecki habe auch sofort sehen müssen, daß er sich in einer geschlossenen Irrenanstalt befinde. Er hatte sich ausdrücklich einverstanden erklärt, in der Anstalt zu bleiben. Bisweilen war Lubecki sehr niedergeschlagen, wälzte sich an der Erde, weinte wie ein Kind, klagte, daß er finanziell ruiniert sei und daß er seiner Frau schweres Unrecht getan habe; seine Frau sei ein Engel. Bald darauf schimpfte er wieder auf seine Frau. Dann war er wieder in ungemein gehobener Stimmung, er hatte die kühnsten Pläne. Außerdem belästigte er vielfach die anderen Kranken mit seinen Klagen, so daß sich diese beschwerten. Die ganze Physiognomie und das Verhalten des L. ließen keinen Zweifel, daß der Mann geistesgestört war. Zur Beruhigung mußten ihm Bettruhe und warme Bäder verordnet werden. Weshalb er nicht dem Landeshauptmann vorgestellt wurde, sei ihm nicht erinnerlich; irgendein Grund habe jedenfalls nicht vorgelegen. Er müsse hierbei bemerken, daß er niemals von irgendeiner Seite eine Remuneration erhalten habe. Die Anstaltsverwaltung habe nicht die Verpflichtung, sämtliche Briefe der Kranken zu befördern. Wenn die Anstaltsverwaltung wisse, daß die Behörden von Kranken mit Briefen überschwemmt werden, oder wenn Aussicht vorhanden sei, daß der Kranke bald entlassen werde, dann werden Briefe nicht befördert.

Vert.: Diese beiden Fälle treffen aber zum mindesten bei den Briefen an Justizrat Kaiser und den Rittergutsbesitzer Albrecht nicht zu. Weshalb sind nicht wenigstens diese Briefe befördert worden? Dagegen ein Brief Lubeckis an seine Frau, in dem er zugab, geisteskrank zu sein und in der Anstalt bleiben zu wollen? In diesem Briefe hatte Lubecki nämlich simuliert.

Zeuge: Ich kann nur wiederholen, die Verwaltung hat nicht die Pflicht, alle Briefe von Kranken zu befördern.

Oberarzt Dr. Blumreich, Sorau, Oberschlesien Lubecki sei freiwillig zwecks Beobachtung seines Geisteszustandes in seine Anstalt gekommen. Er habe ihn vierzehn Tage lang beobachtet und weder eine Wahnidee noch Halluzinationen an ihm wahrgenommen.

Rittergutsbesitzer Albrecht: Er sei der Schwager Lubeckis. Er habe eine Schwester des letzteren zur Frau. Lubecki habe sich in der letzten Zeit derartig aufgeführt, daß er ihn für geistesgestört gehalten habe. Er habe geradezu an Eifersuchtswahn gelitten und befürchtet, seine Frau könne ihm den Hals abschneiden oder ihn vergiften. Er habe weder geschlafen noch etwas in seiner Behausung gegessen. Deshalb habe er den Kreisarzt rufen lassen und sei auch damit einverstanden gewesen, daß Lubecki in eine Irrenanstalt komme. Medizinalrat Dr. la Roche habe ausdrücklich gesagt: Gehen Sie nach Leubus, das ist eine Provinzial-Irrenanstalt, von dort können Sie jederzeit entlassen werden, da die Leute nicht so interessiert sind als Privatanstalten. Sie können ja ins Pensionat gehen, ein solches ist mit der Irrenanstalt verbunden. Lubecki, der ehemals ein sehr reicher Mann war, habe, als er nach Leubus ging, weder Holz noch einen Pfennig Geld im Hause gehabt. Er habe dem Lubecki 20000 Mark geliehen und ihn, da er das Geld nicht zurückerhalten konnte, verklagt. Lubecki habe eine Gegenklage auf Zahlung von 51000 M. gegen ihn angestrengt, da er ihn dadurch, daß er seine Unterbringung in Leubus veranlaßte, finanziell ruiniert habe.

Am dritten Verhandlungstage wurde nochmals Frau Lubecki vernommen. Ihr Mann habe sie im Juni 1905 sehr heftig geschlagen, so daß ihr die Haarnadeln verbogen wurden und sie aus Nase und Mund heftig geblutet habe. Am folgenden Tage habe ihr Mann sie unter Weinen und in kniefälliger Weise

um Verzeihung gebeten.

Am dritten Tage habe er sie wieder heftig geschlagen. Bei diesen Vorkommnissen habe er zugegeben, mit dem Dienstmädchen Verkehr gehabt zu haben. Das Mädchen habe behauptet, er habe sie gezwungen. Das Verhalten des Mannes war derartig, daß sie und viele andere Leute an seiner geistigen Gesundheit zweifelten. Sie habe dem Manne gesagt, es müsse ein Arzt zu Rate gezogen werden. Ihr Mann habe versetzt: Aber lasse um Gotteswillen nicht Dr. Przybilski holen, der läßt mich sofort ins Irrenhaus sperren. Ihre Verwandten sagten zu ihr: Du wirst noch so lange warten, bis ein Unglück passiert sein wird. Sie habe sich schließlich an den Kreisarzt gewandt. Als ihr Mann aus Leubus kam, habe er sie wiederum heftig geschlagen. Dasselbe habe er getan, als er aus Sorau kam, und zwar habe er damals ein Verhalten an den Tag gelegt, daß sie ernstlich in Erwägung gezogen habe,

ob sie nicht von neuem den Antrag stellen solle, ihn ins Irrenhaus zu bringen.

Der Mann habe sie alttestamentarische H ... genannt, die auf dem Ringe von zwei Pferden auseinandergerissen werden müßte. Er habe ihr ins Gesicht gespuckt und gesagt: »Der kleine Paul muß sterben, denn sein Vater hat mit dir H ..... getrieben.« Einige Tage darauf stand ihr Mann am Fenster. Als sie vorüberging, steckte er ganz weit die Zunge heraus. Von diesem Augenblick hatte sie die Überzeugung, daß es mit ihrem Manne noch viel schlimmer geworden sei.

Vert.: Ich beantrage, zunächst Herrn Lubecki bezüglich dieser Aussagen zu vernehmen und ferner: das Dienstmädchen, das damals bei Lubecki war, als Zeugin zu laden. Ich werde dieser betreffs der Glaubwürdigkeit der Frau Lubecki eine Reihe Fragen vorlegen.

Lubecki bestritt die Richtigkeit der Aussagen seiner geschiedenen Frau. Als ich aus Leubus kam, fragte ich meine Frau, ob sie mich noch liebe; da sie dies verneinte und offen bekannte, sie liebe Dieterich, habe ich ihr ins Gesicht gespuckt und gesagt: Du bist nicht wert, daß ich dich Frau nenne. Geschlagen habe ich meine Frau überhaupt nicht, zumal ich gar kein Interesse mehr an ihr hatte. Aber ich muß bekennen, daß ich, wo ich sie auch traf, ihr ins Gesicht gespuckt habe. Im November 1905 sollte ich aus Leubus entlassen werden. Als mir der Oberarzt, Dr. v. Kunowski, auf mein Befragen erklärte: der Beschluß bezüglich meiner Entlassung sei aufgehoben, sagte ich: Aber, Herr Oberarzt, ich bin doch nicht verrückt. Der Oberarzt erwiderte: Das wissen Sie eben nicht und Unkenntnis des Gesetzes schützt vor Strafe nicht! (Bewegung im Zuhörerraum.) Herr Oberarzt, versetzte ich, ich bin doch kein Verbrecher; ich habe doch zum mindesten den Anspruch, als Kranker und nicht als Sträfling behandelt zu werden. Der Oberarzt drehte mir den Rücken und entfernte sich.

Angeklagter Schneidt: Frau Lubecki, ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß Ihr Mann während der ganzen Verhandlung, selbst als die schlimmsten Dinge über ihn und seine Familie vorgebracht wurden,

eine eisige Ruhe

bewahrt hat, während Sie mehrfach dazwischenriefen, so daß Sie wiederholt vom Herrn Vorsitzenden zur Ruhe ermahnt werden mußten?

Zeugin: Davon verstehe ich nichts, ich bin nicht Psychiater.

Schneidt: Ist es wahr, daß, obwohl Sie gehört haben, Dieterichs habe gesagt: Frau Lubecki verfolgt mich mit Liebesanträgen, sie ist mir aber zu häßlich, Sie trotzdem Freitag und Sonnabend während der Pausen mit Dieterichs in einer gegenüber dem Gerichtsgebäude gelegenen Restauration zusammen gegessen und sich freundschaftlich unterhalten haben?

Zeugin: Das ist richtig, freundschaftlich habe ich mich aber nicht mit Dieterichs unterhalten.

Kaufmann Paul Lubecki, Beuthen, Oberschlesien: Er habe längere Zeit mit seinem Bruder einen Kolportage-Buchhandel betrieben. Das Geschäft sei sehr gut gegangen; durch politische Gegensätze sei er mit seinem Bruder auseinandergekommen. Nachdem er aus dem Geschäft ausgeschieden war, habe sein Bruder eine Möbelfabrik errichtet, obwohl er absolut nichts davon verstanden habe. Es hatte den Anschein, daß sein Bruder mit der Möbelfabrik gute Geschäfte machte. Als aber sein Bruder nach Leubus gebracht wurde, sei nicht ein Pfennig im Hause und auch kein Holz vorhanden gewesen. Er bestreite, mit seiner Schwägerin irgendwelche unlauteren Beziehungen unterhalten zu haben. Sein Bruder habe kurz vor seiner Einlieferung nach Leubus auf seine (des Zeugen) damals 19jährige Tochter in seiner Wohnung ein Sittlichkeitsattentat unternommen. Er habe selbst beobachtet, daß sein Bruder, insbesondere kurz vor seiner Überführung nach Leubus, mehrere Tobsuchtsanfälle gehabt habe. Um das Geschäft weiterführen zu können, sei Frau Lubecki genötigt gewesen, beim Vormundschaftsgericht die Entmündigung ihres Mannes und ihre Ernennung als Pflegerin zu beantragen. Einige Zeit, nachdem sein Bruder aus Leubus zurückgekehrt war, habe er ihn besucht, da er gehört hatte, daß er wieder sehr aufgeregt sei. Er hatte deshalb die Absicht, ihn zu beruhigen. Der Bruder habe ihn aber sofort, ohne jede Veranlassung, gewürgt, geschlagen und geschrien: »Du Schuft, du Schurke! Dein Junge muß sterben!« Sein kleiner Sohn lag damals schwer krank. Lediglich in der Notwehr habe er mit seinem Stock den Bruder über den Kopf geschlagen. Darauf habe ihm sein Bruder ein Auge ausdrücken wollen. Er habe damals sofort die Empfindung gehabt, daß sein Bruder geistesgestört sei. Er halte seinen Bruder noch heute für geisteskrank.

Direktor Dr. Alter jr.: Er habe sich ein Urteil über Emanuel Lubecki gebildet, und zwar vollständig unabhängig von jedem ärztlichen Zeugnis und ebenso unabhängig von jeder Mitteilung der Angehörigen. Er habe Lubecki sofort nach seiner Einlieferung eingehend untersucht und alle Merkmale einer Geisteskrankheit an ihm festgestellt. Der Mann sei von einem Extrem ins andere gefallen. Zunächst klagte Lubecki über das Verhalten seiner Frau. Am folgenden Tage war er wie umgewandelt. Der Mann fühlte sich außerdem verfolgt; er behauptete: es wäre der Versuch gemacht, durch die Türritze auf ihn einzuwirken, die Pfleger seien gegen ihn voreingenommen. Er lärmte und schrie bisweilen derartig, daß nicht ein Wort zu verstehen war.

Vors.: Benahm er sich wie ein Geisteskranker?

Zeuge: Genau wie ein Geisteskranker.

Vors.: Haben Sie von jemandem irgendeine Vergütung empfangen?

Zeuge: Ich habe weder jemals Geld noch ein Angebot empfangen. Was nun die Beförderung der Briefe anlangt, so bestand bei uns der Grundsatz, Briefe an Staatsanwaltschaften sämtlich zu befördern. Wir sind in dieser Beziehung sogar so weit gegangen, daß wir von Staatsanwaltschaften ersucht wurden, dafür zu sorgen, daß sie nicht mit Briefen gar zu sehr überschwemmt werden. Alle Briefe von Lubecki sind nicht befördert worden, zumal er oftmals hinterher sagte: Ich bin ein Schuft, ein Schurke, es ist sehr gut, Herr Doktor, daß die Briefe nicht abgeschickt worden sind. Daß Lubecki den Wunsch geäußert hat, den Landeshauptmann sprechen zu wollen, kann ich nicht glauben; hätte er einen solchen Wunsch geäußert, dann würde ich ihm gesagt haben: »Teilen Sie dies dem Oberpfleger mit.« Es lag absolut keine Ursache vor, Herrn Lubecki dem Landeshauptmann nicht vorzustellen. Wir haben so viel Kranke, daß wir froh sind, wenn wir einen weniger haben.

Vors.: Wohl ebenso, wie wir froh sind, wenn wir einen Prozeß weniger haben? (Allgemeine Heiterkeit.)

Angeklagter Schneidt: Weshalb wurde aber der Mann trotz aller Bitten nicht entlassen?

Zeuge: Darüber hatte ich nicht zu befinden, das war Sache des Direktors.

Auf weiteres Befragen bekundete der Zeuge: Lubecki habe ohne jede Scham von den intimsten Vorgängen seines Ehelebens gesprochen. Oft sei er verstört gewesen, er bezog jede Äußerung von Pflegern und anderen Leuten auf sich und bildete sich ein, daß an den Wänden gehorcht werde. Er sah in jeder Maßnahme eine ungeheuerliche Beeinträchtigung seiner Person. Bald lachte er und sprang im Zimmer umher, bald warf er sich auf die Knie, rang die Hände und geriet in Verzweiflung. Er vernachlässigte auch sein Äußeres, so daß es den übrigen Insassen, die den besseren Ständen angehörten, unangenehm war. Er lief in Strümpfen oder Pantoffeln umher, oft in Hemdärmeln. Er hatte verschiedene Eingaben an den Landeshauptmann, an den Staatsanwalt u.a., verfaßt, bald darauf kam er aber immer und sagte: »Ich bin der größte Narr und Dummkopf gewesen, daß ich so etwas geschrieben habe. Bitte, halten Sie doch die Sachen zurück, schicken Sie sie nicht ab!« Unwahr ist es, daß Herrn Lubecki infolge des Badens die Haut in Fetzen abgegangen sei. Die Behandlung mit Dauerbädern wird in chirurgischen Anstalten bei Verbrennungen auch in Anwendung gebracht. Es ist bedauerlich, daß die öffentliche Meinung in bezug auf die Dauerbäder so falsch beeinflußt wird.

Die Behandlungsmethoden, die der Krankheitszustand des Lubecki erforderlich machte, sind in der humansten Weise angewendet worden. Wenn die Bäder länger als drei Stunden verordnet wurden, so ist dies eben erforderlich gewesen.

Angeklagter Schneidt: Mir ist von verschiedenen Seiten mitgeteilt worden, daß die Kranken gerade durch die sogenannte Dauerbadbehandlung, die sie als einen Ersatz für die Prügelstrafe bezeichnen, in eine kolossale Aufregung versetzt werden und entsetzliche Qualen ausstehen.

Dr. Alter: Man kann doch nicht einen Geisteskranken so behandeln, wie er es wünscht. Im übrigen hat Herr Lubecki die Badebehandlung selbst gelobt und wiederholt geäußert, daß ihm die Bäder sehr wohltun.

Rechtsanwalt Dr. Halpert: Es liegt aber doch die Möglichkeit vor, daß Herr Lubecki auch dies nur vorgetäuscht hat, genau so, wie er, um endlich aus der Anstalt herauszukommen, sich als von schwerer Krankheit genesen bezeichnet hatte. Wie kommt es denn aber, daß von allen Dingen, die Sie hier zum Vortrag gebracht haben, so gut wie gar nichts in der Krankengeschichte steht?

Zeuge Dr. Alter: Man darf auf eine derartige Krankengeschichte nicht allzuviel Gewicht legen. Es sind dies nur Stichproben und Bruchstücke, die aus dem Vollen herausgegriffen sind. Man kann eine Krankengeschichte mit einzelnen Mosaiksteinen vergleichen, die erst nach kunstgerechter Zusammensetzung durch einen Arzt ein vollkommenes und wahrheitsgetreues Bild geben.

Oberarzt Dr. Kunowski: Wenn ein Zweifel obwaltet über die wohltätige Wirkung der Dauerbäder, und daß die Kranken sie nicht als Ungemach empfinden, so gebe ich anheim, einen zufällig im Zuhörerraum anwesenden ehemaligen Insassen der Anstalt Leubus darüber zu befragen.

Vors.: Das wird nicht für notwendig erachtet.

Angeklagter Schneidt: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer!

Vorsitzender Landgerichtsdirektor Splettstoeßer: Wollen Sie nach alledem, was wir heute hier gehört, nicht die Erklärung abgeben, daß Sie Ihr Unrecht einsehen und um Entschuldigung bitten?

Angekl.: Das kann ich im gegenwärtigen Stadium nicht!

Rechtsanwalt Dr. Halpert: Der Angeklagte hat nicht entfernt die Absicht gehabt, der Verwaltung der Anstalt irgendwelchen Vorwurf zu machen oder mit dem Artikel die Anstaltsärzte zu beleidigen. Er hat nur beweisen wollen, wie reformbedürftig der jetzige Zustand, namentlich in rechtlicher Beziehung, ist. Als Gentleman hält sich der Angeklagte für verpflichtet, zu erklären, daß er der Provinzialverwaltung nicht das mindeste am Zeuge habe flicken wollen; dies erklärt er aber nicht in Form einer Entschuldigung.

Hierauf gab Geh. Medizinalrat Dr. Leppmann folgendes Gutachten ab: Ich habe mich über folgende Punkte zu äußern: 1. War Lubecki zu der Zeit, als er nach Leubus kam, geisteskrank? 2. Waren Gründe vorhanden, die die Aufnahme in die Anstalt notwendig machten? 3. War die Behandlung in der Anstalt eine sachgemäße? 4. Inwieweit ist Lubecki gegenwärtig so geistesklar, daß er vom Wesen und der Bedeutung eines Eides eine Vorstellung hat? Niemand dürfte im Saale sein, der nicht überzeugt ist, daß Lubecki damals ein bestimmtes Krankheitsbild dargeboten hat, so daß kein Zweifel obwalten konnte, er war geisteskrank. Er hat viele krankhafte Eigenarten. Seine Eifersucht hatte sowohl nach dem Umfange als auch nach ihrer Betätigungsform einen krankhaften Charakter. Auf solchem Boden, Mangel an Harmonie im Seelenleben, bauen sich akute Geisteskrankheiten auf, die dann zuzeiten eine gewisse Höhe erreichen. Das Gesamtbild, das er darbot, war das eines Tollen, es setzte sich zusammen aus krankhaften Stimmungen und krankhaften Vorstellungen. Wenn eine einzelne Handlung des Mannes zu beurteilen wäre, könnte man die Möglichkeit eines Irrtums annehmen, aber das Gesamtbild zeigt, daß der Mann krank war. Mit der Diagnose der Geisteskrankheit ist noch nicht die Notwendigkeit der Aufnahme in eine Anstalt erwiesen, eine solche hängt vielmehr ab von dem Interesse des Kranken selbst und der Öffentlichkeit. Wir wissen, daß akute Geisteskrankheit, die mit starken Erregungen verbunden ist, unter fremder Pflege und in der Abgeschiedenheit der Irrenanstalt am ehesten zur Beruhigung kommt. Früher brachte man die Irren in ein Kloster; die Irrenanstalt ist gleichsam ein Gesundheitskloster. Keine Liebe zu Hause kann erreichen, was die Irrenanstalt erreicht. Lubecki war in so großer Erregung, daß sich sein Bewußtsein verwirrte, und man muß sagen, hier lag eine akute Störung vor, so daß im Interesse des Kranken die Aufnahme nötig war. Er war aber auch gemeingefährlich, denn er bedrohte die Sicherheit seiner Umgebung und seiner eigenen Person. Was die Behandlung betrifft, so habe ich ein gewisses Vorurteil gegen die lange Badebehandlung. Ich teile den Fanatismus dafür nicht, muß aber sagen, daß mit jeder irrenärztlichen Sorgfalt und nach allen anerkannten Regeln der Heilkunst verfahren worden ist. Als ich noch Assistenzarzt in Leubus war, war die Abgeschlossenheit der Kranken noch größer als jetzt, und diese hat nach meiner Meinung mehr gewirkt als die jetzige mildere und laxere Praxis. Was den jetzigen Zustand des Lubecki betrifft, so wird es jedem klar sein, daß er gegenwärtig noch ein geistesgestörter Mann ist. Seine Krankheit ist in ein neues Stadium getreten. Das akute Stadium ist vorüber, und es ist ein Zustand chronischer geistiger Schwäche geblieben. Bei ihm spielt eine ganze Reihe wahnhafter Vorstellungen noch immer eine Rolle; auch seine Erinnerung hat sich entschieden geschwächt. Deshalb resümiere ich mich dahin: 1. Lubecki war geisteskrank, als er nach Leubus kam, 2. seine Aufnahme in die Anstalt war notwendig, 3. er ist nach den anerkannten Regeln der Heilkunde behandelt worden und 4. er ist nicht fähig, das Wesen und die Bedeutung eines Eides zu würdigen.

Sanitätsrat Dr. Locke (Beuthen), der das Attest zum Zwecke der beantragten Pflegschaft ausgestellt hatte, bekundete, daß er nach den Vorgängen in den letzten Tagen vor der Internierung des Lubecki ihn zweifellos für irre gehalten habe.

Medizinalrat Dr. Hoffmann schloß sich dem Gutachten des Geh. Medizinalrats Dr. Leppmann vollkommen an. Man dürfe nicht ein einzelnes Symptom herausgreifen und an diesem Kritik üben, vielmehr müsse das Gesamtbild wirken. Da habe die Verhandlung doch so viel Beweise des Vorhandenseins von Wahnideen, Überschätzung der eigenen Person ergeben, daß an dem Vorliegen einer Geisteskrankheit kein Zweifel sein könne. Seine Behandlung in einer geschlossenen Anstalt war die allein richtige. Lubecki habe auch gewußt, daß er in eine geschlossene Anstalt komme. Seine Gemeingefährlichkeit habe er verschiedentlich dokumentiert; er sei heute noch krank, seine Erinnerung sei getrübt und er verstehe die Wahrheit nicht.

Am vierten Verhandlungstage wurde ein Attest des Professors Dr. Bonhoefer, Direktors der Psychiatrischen Nervenklinik in Breslau, verlesen. Es hieß in dem Attest: Es sei ausgeschlossen, daß Lubecki an progressiver Paralyse leidet oder gelitten hat. Es fehlten jedwede Anhaltspunkte dafür. Das Verhalten seiner Frau mag ihn wohl zu Eifersuchtsideen gebracht haben, die bei seinem an sich lebhaftem Temperament zeitweise sich sehr gesteigert haben. Sein Verhalten ist besonnen und der jeweiligen Situation angemessen, er besitzt ein gutes Urteil. Zeichen von Erregung sind nicht wahrzunehmen, selbst nicht, wenn die Rede auf seine Frau, seinen Bruder und auf seinen Aufenthalt in der Anstalt kam. Die Erregung des Herrn Lubecki hat abgenommen, er befand sich in einer normalen Affektlage und war imstande, seine geschäftlichen Angelegenheiten selbst wahrzunehmen. Dieses Attest datierte vom 5. Februar 1907.

Professor Dr. Nissel (Heidelberg) kam in seinem Attest, das er nach eingehender Untersuchung des Lubecki ausgestellt hatte, zu dem Schluß, daß bei dem Patienten, dessen Gedächtnis vorzüglich sei, keinerlei Symptome für eine progressive Paralyse festgestellt werden konnten.

Hierauf nahm Staatsanwalt Dr. Rasch das Wort zur Schuldfrage: Wer den Artikel der »Zeit am Montag«, in dem das Schicksal des Herrn Lubecki geschildert wurde, gelesen hat, der mußte sich fragen: wie ist so etwas in einem modernen Rechtsstaate möglich? Heute, wo der Fall in dreitägiger Verhandlung bis in die entferntesten Winkel beleuchtet worden ist, wird jeder, der der Verhandlung unbefangen gefolgt ist, fragen: Wie war es möglich, gerade diesen Fall Lubecki zu so schweren Angriffen gegen die Handhabung des Irrenwesens im allgemeinen, gegen die Provinzialverwaltung und gegen die Leiter und Ärzte der Anstalt zu Leubus im besonderen zu benutzen? Die Angriffe sind völlig unberechtigt, das wird jeder, der die Beweisergebnisse unbefangen auf sich wirken läßt, zugeben. Von den Angriffen hat sich auch nicht ein einziger als berechtigt herausgestellt. Es ist gar kein Zweifel, daß Herr Lubecki aufnahmebedürftig war, die polizeiliche Zustimmung dazu lag vor. Lubecki war zu jener Zeit eine Gefahr für sich und seine Umgebung. Die Pflegschaft der Frau war gleichfalls durchaus erforderlich und nach den gesetzlichen Vorschriften zustande gekommen. Was die Behandlung in der Anstalt betrifft, so haben die Ärzte dort alles in Anwendung gebracht, was nach dem heutigen Stande der Wissenschaft möglich ist. Das viel besprochene Wasserbad ist, nach dem heutigen Stande der Wissenschaft, als bestes Mittel zur Beruhigung der Kranken anzusehen, wenn auch die Ansichten der Sachverständigen in diesem Punkte verschieden sind. Ebensowenig kann die Rede davon sein, daß böswillig eine Zwiesprache des Angeklagten mit dem Landeshauptmann verhindert worden sei. Was in aller Welt hätten denn auch die Ärzte für einen Grund und Interesse, Herrn Lubecki zurückzuhalten? Die heute noch vorgeführten Atteste der beiden Professoren ändern den Tatbestand gar nicht, denn aus ihnen geht doch lediglich hervor, daß Herr Lubecki nicht an Paralyse leidet, und daß diese Diagnose, die anfangs auch einmal als möglich hingestellt worden, nicht aufrechterhalten werden kann. Aus dem Artikel ist herauszulesen, daß die Anstellung zweier Ärzte als Schwiegersohn und Sohn des Leiters in der Anstalt ein Unding sei, und daß die Provinzialverwaltung die Ärzte angestellt habe aus Familienrücksichten, ohne auf die Interessen der Kranken zu achten. Über die Opportunität eines solchen Verhältnisses können Zweifel entstehen, aber davon, daß aus diesem Verhältnis eine Gefahr für die Behandlung der Kranken entstanden sei, kann keine Rede sein. Weder den Leiter noch die Ärzte trifft der geringste Vorwurf. Die Vorwürfe in dem Artikel sind geeignet, die angegriffenen Herren in der öffentlichen Meinung stark herabzusetzen. Es sind aber auch formelle Beleidigungen in dem Artikel. Die Beleidigungen sind außerordentlich schwer, sie betreffen Ärzte und Anstalt, die das höchste Ansehen genießen, auf die die Provinzialverwaltung besonders stolz ist. Der Angeklagte behauptet, daß er nur auf eine Lücke in der modernen Irrengesetzgebung hinweisen wollte. Er hätte sich dazu kein ungeeigneteres Objekt auswählen können, und er ist nicht mit genügender Vorsicht vorgegangen. Er (Staatsanwalt) beantrage drei Monate Gefängnis, Vernichtung der noch vorhandenen Exemplare sowie der zur Herstellung gedienten Platten und Formen und Publikationsbefugnis für die Beleidigten.

Verteidiger R.-A. Dr. Halpert: Der Vertreter der Anklagebehörde ist bei seinem ganz maßlosen Antrag von drei Monaten Gefängnis von einer grundfalschen Annahme ausgegangen. Gerade der Schlußpassus des Artikels, auf den der Staatsanwalt jetzt soviel Gewicht legt, ist gar nicht auf die Ärzte in Leubus bezogen, sondern eine allgemeine Betrachtung. Schneidt bezweckte mit seinen Artikeln nur, die Reformbedürftigkeit der Irrenhauszustände nachzuweisen, niemals aber in personeller Hinsicht den Herren Ärzten einen Vorwurf zu machen. Herr Lubecki, über den hier gestern die Psychiater das Urteil gesprochen haben, das ihm hoffentlich nicht den Lebensmut rauben wird, fühlte sich verpflichtet, das Material, das er gesammelt hatte, zur Reform der bestehenden, unzureichenden Einrichtungen in der Irrenpflege zu verwenden. Es ist immer das zweckmäßigere Vorgehen, mit der Regierung und den Behörden zu gehen, als wider den Stachel zu lecken. Großen Wert lege ich auf die Tatsache, daß im Laufe der Verhandlung die Gefechtslinie unmerklich, aber in sehr zäher Weise verschoben worden ist. In dem Artikel ist nie behauptet worden, daß Lubecki völlig gesund war. Es ist vielmehr gesagt worden, daß Lubecki in der Irrenanstalt zu streng interniert worden war. Wenn man dann hier so tut, als ob der Mittelpunkt der ganzen Sache wäre, daß wir behauptet hätten, Lubecki wäre geistig gesund gewesen, so heißt das die eigentliche Tendenz des Artikels verkennen. Ich behaupte im Gegensatz zu dem Staatsanwalt, daß die Aufnahme des Lubecki zu Unrecht erfolgt ist. Ich erkläre, daß ich die Gutachten der Psychiater nicht als ein unfehlbares Etwas anerkennen kann, vor dem man sich unbedingt zu beugen habe.

Der Verteidiger schloß mit dem Antrage, den Angeklagten, unter Zubilligung des § 193, höchstens zu einer geringen Geldstrafe zu verurteilen.

Angeklagter Schneidt führte etwa folgendes aus: Seit zwei Jahrzehnten sind mir fast täglich Briefe von Patienten aus Irrenanstalten zentnerweise zugesandt worden. Alle waren durchgeschmuggelt. Ich könnte ein Archiv dafür anlegen, aus dem ersichtlich wäre, welcher Schmugglerlisten sich die Irrenhausinsassen bedienen, um ihre Briefe an die Außenwelt zu befördern. Die Verhandlung hat den klaren Beweis geliefert, daß eine Reform des Irrenwesens dringend notwendig ist. Der Angeklagte versicherte nochmals, daß ihm jede persönliche Beleidigung ferngelegen habe, es sei ihm lediglich darauf angekommen, Mißstände, die doch zweifellos im Irrenwesen vorhanden seien, an das Licht der Öffentlichkeit zu ziehen und für die Beseitigung dieser Übelstände zu wirken.

Nach längerer Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Splettstoeßer, folgendes

Urteil:

Wenn man den beanstandeten Artikel unbefangen liest, so wird jeder Leser die Empfindung haben, daß sich einem das Herz zusammenkrampft über die Vorwürfe, die den Anstaltsärzten gemacht sind. Der Artikel enthält eine Anzahl wörtlicher Beleidigungen; er spricht von der »famosen Ärztedreifaltigkeit« und von der »Leichtfertigkeit pflichtvergessener Mediziner«. Eine üble Nachrede im Sinne des § 186 findet das Gericht in dem Vorwurf, daß in der Anstalt die Bäder als beliebtes Straf- und Zwangsmittel an der Tagesordnung gewesen sind. Das Gegenteil ist erwiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme besteht für das Gericht auch nicht der geringste Zweifel: Lubecki durfte nicht nur, sondern mußte festgehalten werden. Das ergeben die Gutachten der Medizinalräte Dr. Hoffmann und Dr. Leppmann sowie des Geh. Rats Moeli, die das Gericht gegenüber den Anstaltsärzten geladen hatte. Hier war ein Sachverständigenkollegium, wie es besser auf der Welt kaum gefunden werden kann. Sie sagten übereinstimmend, daß Lubecki bei der Einlieferung geisteskrank und gemeingefährlich gewesen ist. Dem wird sich kein Richterkollegium verschließen können. Außerdem hat sich auch hier im Saale jeder einzelne durch den Augenschein überzeugen können, daß diese Gutachten wirklich das Richtige treffen. Darauf deutet auch die Geschichte von den Erregungspillen. Man konnte es in gewissen Momenten den Augen des Lubecki ansehen, daß der Mann, der noch heute Stadtverordneter in Beuthen ist, noch nicht gesund ist. Lubecki ist nicht meineidig, aber ein unglücklicher Mensch, der von Wahnideen erfüllt ist. Der Beweis ist vollständig gegen den Angeklagten geführt. Es handelt sich nun um die Strafe. Da mag dem Angeklagten zugegeben werden, daß er zunächst wohl getrieben wurde von der Idee, Gutes zu schaffen. Er ist ein Phantast und steht vielfach nicht auf dem Boden realer Wirklichkeit. Andererseits haben wir zu schützen die Ehre von hochverdienten Beamten, namentlich des Geheimrats Dr. Alter. Die Kammer hat mehrfach keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie es für ihre Pflicht hält, in solchen Fällen mit erheblichen Strafen vorzugehen. Wenn in diesem Falle die Strafe nicht so erheblich ausgefallen ist, so ist es geschehen, weil nach dem Aktenmaterial Herr Schneidt zu der Annahme gedrängt werden konnte, daß Lubecki nicht so geisteskrank sei, als es sich wirklich herausgestellt hat. Das Aktenmaterial legte die Vermutung nahe, daß dem Lubecki doch etwas zu nahe getreten sein konnte. Es hat sich herausgestellt, daß dies nicht der Fall, sondern in jeder Beziehung zu Recht verfahren worden ist. Der Gerichtshof hat deshalb den Angeklagten zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt.

Den drei beleidigten Ärzten wird die Publikationsbefugnis in der »Zeit am Montag«, dem Breslauer Generalanzeiger und in der Lippeschen Landeszeitung zugesprochen. Ferner wird die Einziehung der vorhandenen Exemplare und die Vernichtung der zu ihrer Herstellung benutzten Platten und Formen angeordnet.

Pitaval des Kaiserreichs, 5. Band

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