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Einführung

Ein veraltetes Wort, höre ich von allen Seiten, wer spricht heute noch von Eleganz? Mag sein, dass wir tatsächlich andere Sorgen haben. Klimawandel, Migration und Covid-19 beschäftigen uns mehr, als uns lieb ist.

Und doch gibt es keinen Grund, sich rauere Umgangsformen anzugewöhnen, geschweige denn Ängste und Frustrationen in Aggression umschlagen zu lassen. Wut und Gewalt lösen keine Probleme, sie werden selbst zum Problem. Gefragt ist dagegen der Dialog, das Erwägen und Abwägen von Argumenten. Zudem Klarheit und Contenance. Und schon nähern wir uns dem Begriff, der uns hier interessiert. Denn Eleganz ist weit mehr als modisch-geschmackvolles Gekleidetsein. Sie meint ebenso Gewandtheit, Manieren, Respekt vor sich selbst und anderen. Im lateinischen »elegans« steckt das Verb »eligere«, auswählen. »Elegantia« bedeutet Gewähltheit, was Feinheit und Anstand impliziert. Diese sind für jedes Zusammenleben unverzichtbar. Ehrlicherweise schulden wir sie aber auch uns selbst.

Gerade Härtezeiten wie der coronabedingte Lockdown haben gezeigt, dass sich Gehenlassen keine gute Option ist. Der Andere bleibt ein Adressat, der uns nicht gleichgültig werden darf. Aber auch wenn wir uns allein fühlen, tut es uns besser, Tagesabläufe einzuhalten, die Wohnung und uns selbst herauszuputzen. Schönheit stärkt, Harmonie beruhigt. Disziplin tut das Ihre.

Eleganz hat nichts mit Luxus zu tun, wie oft irrtümlich angenommen wird. Ob Kleidung oder Einrichtung – nicht der Preis entscheidet, sondern die richtige Auswahl und das Vermögen, geschickt und stilvoll zu kombinieren. Dabei spielt Einfachheit eine wichtige Rolle. Je forcierter der Aufwand, desto größer die Kitschgefahr. Doch folgen wir heutzutage keinen Brevieren der Eleganz wie dem von Geneviève Antoine Dariaux1. Es ist weitgehend dem Einzelnen überlassen, seinen Weg zu finden. Dass Eleganz nicht demokratisierbar sei, halte ich noch nicht für einen Grund, sie abzuschreiben, wie Georg Franck dies in seinem »Abgesang«2 versucht. Im Gegenteil bin ich der Auffassung, dass wir sie brauchen: nicht als (verbindlichen) Code, sondern als Haltung und Instrument der Achtung. Takt, Höflichkeit, Anstand gehören unbedingt zu ihrem Repertoire. In einer Zeit, wo um Aufmerksamkeit und Quoten gerungen wird, mitunter mit harten Bandagen, setzt Eleganz auf subtilere Erscheinungs- und Umgangsformen. Ja, Nuancen zählen durchaus, auch Geschmeidigkeit, Grazie und Natürlichkeit. Wobei kunstvolle Verfremdung nicht fehlen darf. Eleganz ist nicht einfach gegeben, sondern ein erarbeitetes Produkt. Das betrifft eine elegante Rede ebenso wie ein elegantes Klavierspiel oder eleganten Tanz. In seiner Abhandlung »Über das Marionettentheater« spricht Kleist vom Wiedergewinn der natürlichen Grazie. Tatsächlich haftet der Eleganz immer etwas Gebrochenes, schwer Ergründbares an. Was offensichtlich scheint, ist es nicht.

Schlecht verträgt sie sich darum mit dem Authentizitätskult, wie er heute von der Identitätspolitik betrieben wird. Eleganz setzt Distanz zu sich voraus. Sie hält es oftmals mit Maskerade und Ironie, als Minimum verlangt sie den kunstvollen Eingriff. Dies aber stimuliert und kultiviert.

Nichts wäre in meinen Augen falscher, als sie als elitär zu brandmarken. Mag sie auch nicht »mehrheitstauglich« sein, so verfügt sie doch über das Potenzial, viel zu bewirken – im Sozialen und Kulturellen. Man denke an die Bewegung der »Sapeurs« im Kongo, die seit den 1960er Jahren existiert.3 Männer aus ärmlichen Milieus sparen ihr Geld über Jahre, um sich elegante Anzüge und Accessoires zu kaufen, in denen sie sich der lokalen Bevölkerung in Slums von Brazzaville oder Kinshasa vorführen. Sie werden wie Idole bewundert, weil die aparte Schönheit ihrer Kleidung und die Eleganz ihrer dandyhaften Bewegungen von der Hässlichkeit, Armut und Brutalität der Umgebung ablenken. Die Subkultur der Sapeurs – eine Abkürzung für »Société des Ambianceurs et des Personnes Elégantes« (Gesellschaft für Stimmungsmacher und elegante Personen) – ist somit ebenso Widerstand gegen die Alltagstristesse wie Ausdruck von Freiheit und Individualität, mag sie auch gewisse irrationale Züge annehmen. Neuerdings schließen sich ihr auch Frauen und Mädchen an, um sich auf kreative Art der Fremdbestimmung zu widersetzen.

Ja, Eleganz kann zum Ideal werden, umso mehr, als es keine einfachen Regeln gibt, wie sie zu erlangen ist. Eine Spur geheimnisumwittert bleibt sie immer.

Dass im Moment Eigentümer von Luxuslabels über die Bücher gehen, teure Modegeschäfte in New York und anderswo schließen, namhafte Modedesigner wie Marc Jacobs Sweatshirts und Sweatpants statt Haute Couture produzieren, bedeutet einen Umbruch im Luxussegment, nicht aber das Ende der Eleganz. Diese ist zählebiger und flexibler, als wir denken – und weit mehr als eine Kleiderfrage. Wer sich trotzdem scheut, das angeblich veraltete Wort in den Mund zu nehmen, verlege sich auf die Praxis. Möglichkeiten gibt es viele – und sie sind dringend erwünscht.

Gedankenspiele über die Eleganz

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